Krebs-Kompass-Forum seit 1997  


Zurück   Krebs-Kompass-Forum seit 1997 > Spezielle Nutzergruppen > Forum für Angehörige

Antwort
 
Themen-Optionen Ansicht
  #1  
Alt 01.12.2004, 06:40
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard es tut so weh...

Gestern hatte meine Freundin eine Kontrolluntersuchung.
Vor einem Jahr war die OP, sie hat eine Brust verloren..
Vor 6 Monaten hatte sie schon eine Untersuchung, es war alles perfekt.
Und gestern...
Ich hab sie angerufen (zwischen uns sind ca 2500 km).
Sie kann mir nichts sagen, sie heult nur.
Es tut so weh... Was soll ich tun? Was kann ich tun?
Ich höre nur: "es ist alles schlecht"...
Mit Zitat antworten
  #2  
Alt 01.12.2004, 09:05
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard es tut so weh...

Hallo Anna,

Deine Freundin wird sich melden, sie muß nun erstmal selber wieder Ruhe finden um die Nachricht, die sie erhalten hat in Ihren Kopf zu kriegen, damit sie darüber reden kann.

Gib ihr Zeit! Danach höre einfach nur zu.

LG Gaby
Mit Zitat antworten
  #3  
Alt 01.12.2004, 09:12
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard es tut so weh...

Ich hab Angst, dass sie sich jetzt schon aufgibt.
Aber wir kämpfen erst seit 14 Monaten.
Mit Zitat antworten
  #4  
Alt 01.12.2004, 09:15
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard es tut so weh...

Hallo Anna,

Deine Ängste sind verständlich, aber diese Tiefs im Verlaufe dieser Krankheit sind normal. War/Ist bei meinem Papa genauso. Anfangs war ich auch immer panisch, man kann schwer damit umgehen, weil man nicht direkt betroffen ist. Ich habe diese Tiefs auch, aber anders.

Sie gibt nicht auf, der Lebenswille ist stärker - warte ab, sie meldet sich.

Ich drück Dich!

LG Gaby
Mit Zitat antworten
  #5  
Alt 01.12.2004, 09:52
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard es tut so weh...

Danke Gaby,
ich bin nicht panisch, diese Tiefs sind uns bekannt.
Vor der Untersuchung hab ich ihr gesagt: "Falls sie gut verläuft, ist es OK, falls nicht, machen wir alles, damit es OK wird." Sie war zu optimistisch und jetzt ist sie...
Gerade jetzt ist sie beim Arzt, in 2 Stunden werde ich schlauer.
Mit Zitat antworten
  #6  
Alt 01.12.2004, 10:07
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard es tut so weh...

ich drück Dir die Daumen!

Wenn Du magst, erzähl mir was ihr bisher alles durchgemacht habt. Tut gut mal drüber zu reden.

LG Gaby
Mit Zitat antworten
  #7  
Alt 01.12.2004, 11:15
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard es tut so weh...

Danke Dir!
Hab gerade eine E-Mail bekommen,
es ist noch kein Endergebnis da, aber so wie es jetzt aussieht,
ist es nicht soooooo schlimm.
Ich hoffe, ich bete...

Ich weiß, egal, was passiert, ich werde ihr beistehen, werde alles für sie tun,
ich kann viel aushalten, nur ihre Träne nicht.
Mit Zitat antworten
  #8  
Alt 01.12.2004, 19:53
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard es tut so weh...

Liebe Gaby, ich fange an.

Teil 1:
Die Namen - sind geändert.
Der Spielort - eine ehemalige sowjetische Republik, jetzt ein Krisenstaat,
in diesem Land bin ich nicht geboren, die Sprache verstehe ich kaum,
aber ich mag dieses Land, hier habe ich viele Freunde,
hier verbringe ich oft meinen Urlaub.
Ich versuche meine Geschichte auf Deutsch zu schreiben, da diese Sprache nicht meine Muttersprache ist, sind Fehler vorhanden.

14.09.03, Sonntag
Bin aus dem Urlaub zurück. Wie immer traurig. Der Urlaub war zu schnell vorbei, weinende Lora steht auch nach 3 Flugstunden vor meinen Augen. Sie ist meine beste Freundin, obwohl sie 17 Jahre älter ist.
Was soll’s, morgen muss ich um 6.00 Uhr im Büro sein, der Urlaub ist vorbei, und mein Mann hat heute Geburtstag!

26.09.03, Freitag
E-Mail von Lora: „Ich verschwinde für eine Weile. Sei nicht böse. Ich sag dir jetzt die Wahrheit, aber sei bereit, du wirst nichts Gutes erfahren. Ich hab Krebs. Anfangstadium. Ab Montag beginne ich eine Strahlentherapie in der Hauptstadt, 20 Sitzungen, dann Operation, dann... Die Ärzte sind optimistisch. Ich werde bei Tanja wohnen, möchte nicht im Krankenhaus bleiben. Stehe meiner Tochter bei, sie ist sehr tapfer, macht sich Sorgen, alles ist nicht leicht für sie...“
Wie Krebs?! Ich war doch vor 2 Wochen da!!! Es war doch alles in Ordnung!!!
Greife zum Telefon. Die Telefonverbindung funktioniert nicht immer, aber ich hab Glück und komme durch.
-Wie geht’s dir?
Lora weint nur. Ich hab nicht das Talent, die Leute zu beruhigen, bin maulfaul, ein Tatmensch eben. Was soll ich jetzt tun? Wie soll ich sie beruhigen? Hab keine Ahnung.
Sie erzählt mir alles. Wie sie den Knoten entdeckt hat... Wie sie am nächsten Tag beim Arzt war... Wie sie ihre Diagnose – Brustkrebs – gehört hat...
Sie erzählt, weint, beruhigt sich, erzählt weiter, weint schon wieder... Ich höre zu. Weinen kann ich nicht, eine soll „trocken“ bleiben, sonst kommen wir nicht weiter.
Ich verspreche ihr, dass wir alles schaffen, sie kann auf mich zählen, ich „spiele mit“. Sie weint schon wieder. Ich kann ihr nicht sagen „es wird alles gut“, da sie diesen Satz von allen Seiten hört und schon so richtig hasst.
Ich hab noch nie richtig gebettet, aber jetzt...
Lieber Gott, gib ihr Kraft!

Oktober 2003
Bin oft im Internet, lese sehr viel, weiß jetzt sehr viel, unterstütze mit meinem Wissen Lora, rufe sie mindestens ein Mal pro Woche an, wir sprechen lange miteinander. Es tut uns beiden gut. Die Strahlentherapie geht voran. Die Haare fallen. Die Tränen auch. Sonst ist alles - alle Untersuchungen, alle Werte - in Ordnung. „Ich wusste nicht, dass ich so gesund bin“, lacht sie am Telefon. „Nur dieser Knoten! Er ist so klein und doch so gefährlich!“, jetzt weint sie.
Die Brust wird amputiert. Es ist sehr schwer für Lora. Wird sie das akzeptieren? Hält sie alles durch? Wie kann ich ihr helfen? Bin mehr als 2000 km von ihr entfernt...
Mit Hilfe meines Arbeitskollegen – seine Frau arbeitet im Krankenhaus, Onkoabteilung – erfahre, dass die Operation in Deutschland ca 3700 EUR kostet. Der Chirurg sagt auch, dass die Operation brusterhaltend wäre.
Soll ich Lora das alles erzählen? Die Brust bleibt, schön. Was ist mit dem Krebs? Kann niemand was sagen, klar. Für mich ist eine Amputation lieber, es gibt keine Garantie, dass der Krebs verschwindet, aber trotzdem, falls er wiederkommt, kann ich mich nicht mit den Gedanken quälen, dass ich letztes Mal nicht alles versucht hab. Für mich, aber ist es auch für Lora lieber?
Am Telefon erzähle ihr alles. Sie wird nachdenklich. Nach 2 Tagen rufe wieder an.
- Und? Was denkst du? Kommst du nach Deutschland?
- Nein. Ich hab mit der Behandlung hier begonnen, also bringe ich alles hier zu Ende.
Es freut mich, dass zu hören.
- Ich möchte aber trotzdem bei dir sein!
Sie weint und sagt leise:
- Ich auch.
Das war’s.
Schicke meine Papiere nach Berlin zur Botschaft, brauche ein Visum, reserviere Tickets.
Bekomme meine Papiere zurück, ohne Visum!, abgelehnt, da mein Reisepass nur noch 3 Monate gültig ist, die wollen 6 (!) haben, Idioten! Macht nichts, ich hab Plan „B“. Laufe zum Ortsamt, beantrage einen neuen Reisepass, sogar zwei (vorläufigen und „normalen“), vorläufigen kriege sofort, am gleichen Tag schicke alles noch Mal nach Berlin.
Hab Erfolg, nach 3 Wochen hab mein Visum, Tickets waren schon früher da, kann fliegen.
Eine Tasche ist voll mit Medikamenten. Die Frau meines Arbeitskollegen hat sehr viel geholfen. Mit dem Rat und Tat. Hab auch bei der Apotheke was geholt.
Pflaster, elastische Bänder, Latex-Handschuhe, Hautdesinfektionsmittel, Schmerzmittel, Skalpelle, Fadenmesser, Mulldinger, weiß nicht, wie sie richtig heißen, Wundsalbe, noch 2 Dinger, sehen so wie kleine Pumpen mit einem dünnen Schlauch aus, weiß nicht, wozu die sind, aber ich nehme alles mit, was ich mitnehmen kann und darf. Hab mich auch bei der Fluggesellschaft erkundigt, was ich mitnehmen darf. „Im aufgegebenen Gepäck ist medizinisches Material aus Sicherheitsgründen erlaubt, nur im Handgepäck ist es verboten!“ so die Antwort. Freut mich sehr, packe alles in die Tasche.

15.11.03, Freitag
Fliege heute. Wann die Operation stattfindet, steht noch nicht fest. Mein Gefühl sagt mir 19 November. Schön wäre, wenn sie so bald wie möglich stattfindet, dann hab ich mehr Zeit für Lora. Hab nur 3 Wochen. Ich weiß, dass die Zeit im Krankenhaus sehr grausam wird, hoffe nur, dass ich bei ihr sein kann. Wenn ich nur die Möglichkeit hätte, bei Lora im Zimmer zu übernachten! Ich hab doch niemanden in der Hauptstadt, Tanja kenne ich nur am Telefon, hab kein Problem bei ihr zu wohnen, aber ich fliege zu Lora und ich hab versprochen, sie nie alleine im Krankenhaus zu lassen.
Krankenhaus... Wie wird das alles? Halte ich alles durch? Die Krankenhäuser sind sehr arm, das weiß ich. Aber man kann alles kaufen, in der Apotheke gibt es alles. Die Hygiene macht mir Sorgen und wie... Gibt es da Wasser? Auf warmes Wasser hoffe ich nicht, aber zumindest kaltes. Ist im Krankenhaus warm? Funktioniert die Heizung? Was ist mit Kakerlaken?
Hab so viele Fragen... Aber die wichtigste Frage – wird alles gut? – die stelle ich nicht. Denke nicht darüber. Ich hoffe und ich glaube...
Es gibt auch die anderen Fragen... Lora... Was ist mit ihren Haaren? Sieht sie jetzt anders aus? Werde ich sie am Flughafen erkennen? Darf ich sie umarmen? Darf ich sie fest an mich drücken? Ich hab sie so vermisst, aber tut ihr meine Umarmung nicht weh?...
Da ist Lora. Sie sieht mich nicht, sucht mich. Ich beobachte sie ganz genau. Sie sieht super aus. Die Haare sind auch da, genau so wie früher, sie hat mir Märchen erzählt! Ich rufe sie. Endlich sieht sie mich auch und strahlt, läuft zu mir und umarmt mich. Also, viele Fragen sind jetzt schon beantwortet. Lora freut sich riesig, dass ich da bin. Mir geht es genau so.
Abends erzählt sie mir alles von vorne, manchmal weint sie, ich höre nur zu.
- ...und die Brust ist weg. – beendet sie traurig ihre Geschichte.
- Was möchtest du dann haben?, - frage ich.
Sie guckt mich erstaunt an.
- Wie, was möchte ich dann haben?
- Ich weiß, dass du keine weiteren Operationen möchtest, um die Brust wiederherzustellen.
- Ja, das ist richtig, der OP-Tisch ist zu kalt, und weiter?
- Es gibt viele Brustprothesen...
Und ich zeige ihr, was ich über die Brustprothesen rausgefunden habe, mein Notebook hab ich mit, hab da auch viele Fotos, zeige alles, was ich hab. Jetzt bin ich die jenige, die redet und Lora hört zu. Und ich sehe in ihren Augen, dass meine Idee nicht schlecht ist. Zeige ihr, was für sie meiner Meinung nach am besten ist.
Sie fragt mich:
- Aber wie komme ich an so eine Prothese?
- Ich kaufe dir eine.
- Aber das Geld?
- Ich spreche nicht vom Geld, ich frag dich, ob du einverstanden bist?
- Aber die Größe?
- Du kennst doch deine Größe und ich dachte noch... Ich mache einen Abdruck von deiner Brust.
- Einen Abdruck, ja?
- Ja, aus Gips.
- Aus Gips, ja?
- Ja, ich hab im Fernsehen oft gesehen, wie man einen Abdruck vom Babybauch macht. Wieso soll das bei einer Brust nicht funktionieren?
- Wo nimmst du den Gips her?!
- Meine Liebe, ich hab 1 Kilo Gips mitgebracht. Bist du jetzt einverstanden, ja oder nein?
- Ja, du Trotzkopf! - sie lacht und weint zugleich, aber das sind ganz andere Tränen.
Mit Zitat antworten
  #9  
Alt 02.12.2004, 09:23
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard es tut so weh...

Liebe Anna,

wie ging es weiter?
Und vorallem wie geht es Deiner Freundin heute, wisst ihr schon Neues?

LG Gaby
Mit Zitat antworten
  #10  
Alt 02.12.2004, 10:31
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard es tut so weh...

Lora geht es ganz gut.
Gestern hat man bei ihr zwei unsichere Stellen (wie der Arzt sagte) entdeckt.
Es ist noch nicht alles klar. Bei der Kernspinntomographie sieht man diese zwei Punkte. Beim Röntgen ist alles sauber.
Am Freitag, morgen, wiessen wir mehr.
Ich denke, es geht um Knochenmetastasen. Das ist doch nicht so schlimm, oder?
Alle "Weichorgane" (Lunge, Leber usw) sind sauber.
Mit Zitat antworten
  #11  
Alt 02.12.2004, 13:35
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard es tut so weh...

Diese Warterei ist schlimm! Das Abwarten an sich ist immer schlimm!

Ich drücke Euch weiterhin sehr die Daumen, Lora schafft das!

Meine Schwägerin ist vor 3,5 Jahren an Brustkrebs erkrankt und es wurde immer mal was entdeckt, was dann nichts war. Aber diese Warterei macht uns immer wieder verrückt. Vor 2 Wochen haben sie "Etwas" an der Leber gefunden und die Leberwerte waren erhöht. Das war wieder sehr schlimm, sie hat viel geweint. Aber es hat sich als 2 Zysten herausgestellt, so wird es hoffentlich bei Lora auch sein.

LG Gaby
Mit Zitat antworten
  #12  
Alt 02.12.2004, 13:35
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard es tut so weh...

Hab folgendes gefunden:
Strukturen, die einen geringen Wassergehalt haben, wie z.B. Knochen, oder luftreiche Regionen wie die Lunge können dagegen mit der MRT nicht gut dargestellt werden.
Könnte das die Erklärung sein?
Bei Lora sind diese Stellen im Rippen- und Hüftenbereich.
Mit Zitat antworten
  #13  
Alt 02.12.2004, 23:27
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard es tut so weh...

Teil 2:
17.11.03, Montag
Lerne endlich Tanja persönlich kennen. Ist ganz OK. Hab sie älter vorgestellt.
Lora und Tanja fahren zum Krankenhaus, eigentlich ist es kein Krankenhaus, es ist ein Onkoinstitut. Früher und heute das Beste im ganzen Land für die Krebs-Patienten. Ich sitze zu Hause mit Tanjas Sohn, er ist krank, Tanja wollte ihn nicht alleine lassen. Da ich beim OP-Terminbesprechung nicht unbedingt dabei sein möchte, bleibe mit dem Kleinen zu Hause, nach ein paar Stunden spielen wir schon zusammen. So eine Ablenkung tut mir gut.
Die beiden kommen spät nach Hause, es gab einige Probleme mit dem Termin, aber sie haben doch einen für Donnerstag, 20.11, bekommen. Also, doch nicht 19.11... Ist egal, Hauptsache so schnell wie möglich.

18.11.03, Dienstag
Heute haben wir vor, den Brustabdruck zu machen.
Hab nicht so oft fremde Brust berührt, hab einige Minuten Hemmungen, Loras Brust anzufassen, aber die Kunst siegt, und bin so damit beschäftigt, alles richtig hinzukriegen (ob der Abdruck richtig hart wird? Ob er leicht von der Haut abgeht? Hab doch noch nie so was gemacht!), dass ich nicht auf Loras Gesicht achte und wache aus meinem Kunstwahn ganz plötzlich auf, als eine Träne auf meine Hand fällt. Lora weint um ihre Brust... Fühle mich so unsensibel, dass ich bereit bin, meine Arbeit abzubrechen und alles wegzuschmeißen.
„Ist schon gut, es geht schon, mach weiter, ich werde nicht mehr weinen.“
Es klappt alles. Hab den Abdruck von beiden Brüsten gemacht, so wollte es Lora. Das Ergebnis ist sehr schön. Mein Brustdenkmal, nannte es Lora.
Als Tanja von der Arbeit nach Hause kommt und das Denkmal sieht, ist sie schwer beeindruckt.

19.11.03, Mittwoch
Fahre mit Lora zum Onkoinstitut. Wir müssen die Liste mit für die Operation benötigten Medikamenten holen und alles in der Apotheke kaufen. Lora trifft heute ihren Anästhesisten. Die Narkose soll besprochen werden. Eigentlich soll der Anästhesist uns auch eine Liste geben, aber wir fahren mit einem Ziel: er soll uns den Preis nennen, wir bezahlen und er erledigt alles selbst.
Das Wetter ist super. Es ist warm und sehr sonnig. Lora erklärt mir den Weg, was für ein Bus soll ich nehmen, wo soll ich umsteigen usw. Mach nur so, als ob ich zuhöre. Komme so wie so nicht zurecht mit öffentlichen Verkehrsmitteln, hab Absicht im Institut doch ein Bett zu ergattern, und falls ich trotz allem bei Tanja übernachten soll, dann nehme ich mir ein Taxi, ist 10mal teuerer als Bus, aber spottbillig im Vergleich mit Hamburg.
Wir steigen an einer Haltestelle aus. Rechts ist ein 10-stockiges Gebäude. Halte nicht sehr viel von Hochhäusern, aber dieses Gebäude gefällt mir. Obwohl es sehr abgenutzt und renovierbedürftig aussieht, sehe ich, dass dieses Gebäude früher sehr schön war.
- Es ist sehr schön. Was ist das?
Lora guckt mich mit den Tränen in den Augen an.
- Onkoinstitut ist es.
- O, in so einem schönen Gebäude werden wir wohnen? Welches Stockwerk kaufen wir?
Jetzt lacht sie.
- Das vierte.
Wir gehen rein. Kein Krankenhausgeruch, das freut mich. Viele Studenten. Haben die eine Pause? Einige lernen, die meisten baggern einander an. Viele Kranken sitzen auch hier. Zwei Imbisse. Schön. Ein kleines Geschäft – Lebensmittel, Getränke, Schokolade. Lecker. Apotheke ist auch hier. Sehr schön. Gehen zu den Aufzügen. Mag Aufzüge nicht, aber sage nichts, vielleicht kann Lora die vierte Etage zu Fuß nicht erreichen. Es warten viele Leute da, Lora wartet ein paar Minuten und wir gehen doch zu Fuß.
Die Abteilung heißt Mammologie, die Bedeutung ist eigentlich klar. Es gibt zwei Flügel, wir nehmen den rechten. Gehen rein, der Geruch ist da, aber es geht, es ist warm hier, das ist gut. Die Krankenschwester schreibt uns sofort die Liste auf, gut, dass sie Russisch kann, die einheimische Sprache verstehen weder Lora noch ich.
Spiritus - 400,0
H202 6% - 2000,0
Skalpellklinge - 2
Jod – 6 Fl.
Grünzeug – 1 Fl. (gibt es in Deutschland, so weit ich es weiß, nicht, so eine Flüssigkeit wie Jod, die Wirkung ist die gleiche, brennt aber nicht so stark wie Jod, Jod ist braun, diese Flüssigkeit ist grün)
Saugflasche oder Saugballon (einfach Birne genannt) - 2
Infusionssystem – 1
Catgut N3 –3
Verband –1
Heftpflaster – 1
Mull – 5 m
Handschuhe (steril) – 5 P.
Handschuhe (nicht steril) - 2 P.
Binde (elastisch) – 1
Fiebermesser – 1
Wir warten auf Anästhesisten. Der Chirurg kommt vorbei, begrüßt uns, dann stoppt er, fragt Lora:
- Hast du heute schon gefrühstückt?
Lora wundert sich und antwortet:
- Nur ein kleines Stückchen Wurst.
- Ah, Mädchen, wieso habt ihr immer so eine Eile?
- Wieso?
- Eine Frau kam nicht zu ihrer Operation, ich könnte dich jetzt nehmen, aber da du schon gegessen hast... Tut mir leid.
Er geht fort. Und ich dachte nur: mein Gefühl sagte mir 19.11...
Loras Anästhesist kommt. Ist noch jung, ich würde ihm 35-37 J geben. Spricht mit Lora, sie sitzt im Sessel, ist sehr nervös, sie weint, ich lege meine Hände auf ihre Schulter. Der Mann sagt: „Falls Sie sich jetzt nicht beruhigen, wird ihre OP verschoben, in so einem Zustand übernehme ich Sie nicht.“ Die Worte wirken. Er wird gerufen, entschuldigt sich und läuft weg.
Ich versuche Lora zu beruhigen, es klappt. „Du musst mit ihm in sein Arbeitszimmer verschwinden, dann sagt er schon, wie teuer er ist.“ Sie nickt mit dem Kopf.
Anästhesist kommt und sie gehen in sein Arbeitszimmer, in wenigen Minuten ist Lora draußen.
- Ist alles in Ordnung?
- Ja.
- Besorgt er alles selbst?
- Ja.
- Wie viel?
- Es hat gereicht.
- OK.
Wir fahren nach Hause. Gehen die Liste durch, markieren die Sachen, die wir noch nicht haben. Gehen zur Apotheke, kaufen alles.
Es ist ein komisches Gefühl, als ob das alles nur ein Traum ist, Alptraum...
Abends essen wir und trinken, ich mag diesen Wein, nicht aus der Flasche, aus dem Fass. Zwar sind die Zähne, Zunge und Lippen danach schwarz, aber ich kann nicht „nein“ sagen und ich hoffe, dass ich diese Nacht schlafen werde.
Lora darf nichts essen, sie trinkt sogar keinen Tee, nur bisschen Wasser, sie hat eine Beruhigungsspritze gekriegt und so langsam, aber sicher wird sie müde.
Wir gehen alle schlafen.
Ich hab seit 2 Jahren nicht geraucht, aber ich hab meine letzte Packung dabei, da sind noch 2 Zigaretten. Mache Fenster auf, es ist kalt draußen und ich rauche...

20.11.03, Donnerstag
Wir sind schon um 8 Uhr im Onkoinstitut, werden in Zimmer 13 geschickt.
„13 hat mir immer Glück gebracht“ sagt Lora. Ich hab auch nichts dagegen. Das Zimmer ist für 4 Personen. Zwei Frauen sind schon da, beide schon operiert, Lena kann Russisch, Saschiko nicht, sogar verstehen kann sie die Sprache nicht. Drittes Bett ist schon reserviert, die Frau kommt später.
Lora kriegt eine Spritze, legt sich auf ihr Bett.
Um 9.34 Uhr wird sie mit dem „Taxi“ (so haben die Frauen das rollende Bett genannt) abgeholt. Der Operationssaal befindet sich auf dem 9. Stockwerk.
Lena hilft mir Loras Bett zu Recht zu machen und die Sachen in den Schrank zu packen.
Ich möchte zu Lora, Saschiko sagt mir was, ich kann nur das Wort „Zimmer“ verstehen, Lena übersetzt: „Sie sagt, du sollst hier im Zimmer bleiben“.
- Ich kann nicht!
Und ich laufe zum OP-Saal. Es ist kalt, im Treppenhaus wird nicht geheizt. Und ich laufe vor der Tür hin und her. Auf der Tür steht: Zutritt verboten.
Der Chirurg sagte, das die Operation ca 3 Stunden dauern wird.
Ich laufe und ich bete: Lieber Gott, gib ihr Kraft!
Ich laufe hier seit 2 Stunden. Es ist grausam. Nicht das Warten. Das, was ich hier sehe.
Ein menschliches Fließband... Die „Taxis“ bringen Leute in 10-Minuten-Takt. Viele Frauen, genug Männer. Und es war auch ein kleines Mädchen dabei. Ein kleines Mädchen. Wie alt ist sie? 5? 6? Sie hat blonde Haare und große blaue Augen, sehr traurige Augen. Sie ist ganz allein! Wo sind deine Eltern, Kleines?! Wieso sind sie nicht bei dir?!
Es werden auch einige rausgerollt, die Intensivstation ist gleich gegenüber.
Ich weiß, dass Lora auch sofort auf die Intensivstation gebracht wird und ich warte.
Tanja kommt zu mir. Sie hat Mittagspause, ist hierher gefahren.
Um 12.04 Uhr wird Lora aus dem OP-Saal gebracht, im Vorbeifahren kriegen wir sie ganz kurz zu sehen, Schläuche hängen überall.
10 Minuten später kommt Chirurg raus. „Ich hab alles getan, was in meiner Macht möglich war. Ich bin zufrieden.“ Gott sei Dank!
Auf die Intensivstation ist Zutritt auch verboten, aber wir kaufen einige Minuten nachmittags, kriegen weiße Kittel und kommen zu Lora durch. Sie wacht aus der Narkose auf. Sie ist so entspannt und so hübsch! Ja, sie ist sehr hübsch. Tanja weint und geht raus. Ich bleibe noch ganz kurz. „Es ist alles gut verlaufen. Du bist sehr tapfer. Ich hab dich ganz toll lieb! Kannst du mich verstehen?“ Sie nickt. Ich gehe.
Wir fahren nach Hause. Zu Hause erst beginne ich an zu heulen. Tanja versucht mich zu beruhigen. Je mehr sie es versucht, desto mehr heule ich. Ich heule nicht um Lora oder mich, nein, ich heule einfach so, die Spannung muss raus. Wie ein Baby heule ich. Im Zimmer und unter der Dusche. Dann trinke ich Wein und gehe schlafen.
Mit Zitat antworten
  #14  
Alt 03.12.2004, 09:13
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard es tut so weh...

Hallo Anna,

Dein Bericht ist so ausführlich... vieles kommt mir so bekannt vor.

Wie geht es Lora heute? Habt ihr ein Ergebnis?

LG Gaby
Mit Zitat antworten
  #15  
Alt 03.12.2004, 09:54
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard es tut so weh...

Hi Gaby,
das macht doch nichts, dass mein Bericht so ausführlich ist... Oder?
Gestern konnte ich Lora nicht erreichen.
Heute ist sie beim Arzt, heute Abend versuche ich sie zu erreichen.
Das klappt aber nicht immer...
Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen


Aktive Benutzer in diesem Thema: 1 (Registrierte Benutzer: 0, Gäste: 1)
 

Forumregeln
Es ist Ihnen nicht erlaubt, neue Themen zu verfassen.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, auf Beiträge zu antworten.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, Anhänge hochzuladen.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, Ihre Beiträge zu bearbeiten.

BB-Code ist an.
Smileys sind an.
[IMG] Code ist an.
HTML-Code ist aus.

Gehe zu


Alle Zeitangaben in WEZ +2. Es ist jetzt 06:20 Uhr.


Für die Inhalte der einzelnen Beiträge ist der jeweilige Autor verantwortlich. Mit allgemeinen Fragen, Ergänzungen oder Kommentaren wenden Sie sich bitte an Marcus Oehlrich. Diese Informationen wurden sorgfältig ausgewählt und werden regelmäßig überarbeitet. Dennoch kann die Richtigkeit der Inhalte keine Gewähr übernommen werden. Insbesondere für Links (Verweise) auf andere Informationsangebote kann keine Haftung übernommen werden. Mit der Nutzung erkennen Sie unsere Nutzungsbedingungen an.
Powered by vBulletin® Version 3.8.7 (Deutsch)
Copyright ©2000 - 2024, vBulletin Solutions, Inc.
Gehostet bei der 1&1 Internet AG
Copyright © 1997-2024 Volker Karl Oehlrich-Gesellschaft e.V.
Impressum: Volker Karl Oehlrich-Gesellschaft e.V. · Eisenacher Str. 8 · 64560 Riedstadt / Vertretungsberechtigter Vorstand: Marcus Oehlrich / Datenschutzerklärung
Spendenkonto: Volker Karl Oehlrich-Gesellschaft e.V. · Volksbank Darmstadt Mainz eG · IBAN DE74 5519 0000 0172 5250 16 · BIC: MVBMDE55