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  #1  
Alt 12.11.2015, 22:09
busaya busaya ist offline
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Registriert seit: 02.08.2015
Beiträge: 2
Standard Verzweifelt wie noch nie im Leben. Erst Vater nun Mutter & Kultur

Ich bin 32 und habe türkische Wurzeln. Allerdings empfinde ich meine kulturelle Zugehörigkeit als überwiegend deutsch...
Meine Eltern sind getrennt. Letztes Jahr hatte mein Vater einen sehr seltenen Tumor in der Stirnhöhle. Dieser drückte schon an ein Augenknochen" dass fast ein gesundes Auge hätte entfernt werden müssen. Mit der Bestrahlung konnte er "genesen". Es war sehr anstrengend für mich, da ich neben meinem Job und meinem Studium, welches in den letzten Zügen war alle möglichen Artzgespräche und Organisationen erledigen musste. Kaum hatte mein Vater die Nebenwirkungen der Bestrahlung überstanden und ich es gewagt mein Studium wieder aufzunehmen, kam die schockierende Nachricht, dass meine Mutter nach 15 Jahren erneut Brustkrebs hat. Betroffen war auch die Wirbelsäule, so dass andauernd eine Querschnittslähmung drohte. Mittlerweile ist der WS stabilisiert, allerdings sieht es nicht gut aus für sie. Bestrahlung und 1. CHemo haben nachhaltig nichts gebracht und sie erhält sie 2. Chemo. Ihr wurde nichtmal die Pflegestufe 1 zugesprochen aber das ist eine andere Geschichte...
Meine Tante ist für die Pflege aus der Türkei eingeflogen und kann durch ihre Lebenserfahrung meiner Mutter die nötige Pflege geben.

Das eigentliche Problem ist der unterschiedliche Umgang mit dem Tod, der bereits an der Tür klopft. Mein Vater und meine Tante reden immer davon, dass alles wieder gut wird. Meine Mutter hat ein Sauerstoffgerät und kann sich nur im Rollstuhl fortbewegen und bekommt noch immer einen schockierten Blick bei dem Wort "Krebs". Ein offener Umgang ist also unmöglich, keiner will was vom Thema Krebs hören. Ich aber würde mich gerne würdevoll von meiner Mutter verabschieden wollen, Erinnerungen aus der Kindheit durchleben, über ihre Ängste reden und über ihren letzten Willen etc. Stattdessen muss ich mich still und heimlich innerlich von ihr verabschieden und nach außen das Schauspiel mitmachen... Es ist üblich, dass in der türkischen Kultur nicht über Tod, Ängste und Gefühle generell geredet wird.
Dazu kommt, dass ich das Gefühl habe, dass meine Mutter mich nicht mehr wirklich liebt, meine Tante ist Anfang 60 und Hausfrau und hat meine Oma und ihre Schwiegermutter gepflegt. Ich konnte meiner Mutter nicht ohne Vorwarnung den Po abwischen und ich hab das Gefühl sie nimmt es mir übel. Und ich habe Existenzängste, dass ich mein Studium nicht beenden kann und breche alle paar Wochen still für mich zusammen und weine 3,4 Stunden und rappel mich wieder auf, wie Sisyphos... So verzweifelt war ich nie.
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  #2  
Alt 12.11.2015, 22:57
derax derax ist offline
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Registriert seit: 16.05.2015
Beiträge: 31
Standard AW: Verzweifelt wie noch nie im Leben. Erst Vater nun Mutter & Kultur

Hallo busaya,
Es ist schlimm genug mit solchen Schicksalsschlägen klar zu kommen und ich finde es sehr gut das du dich hier austauschen möchtest.
Ich bin auch Deutscher mit türkischen "Wurzeln " und ehrlich gesagt kann ich Dir nicht zustimmen das es einen Kulturellen Hintergrund gibt , das gerade Türken nicht über Krankheit, Tod und Gefühle reden.
Meine Frau (deutsche) hat Lungenkrebs Stadium 4, T4N3M1 und ich hatte schon einige Krebstote in meiner türkischen Familie zu beklagen. Es wurde immer offen über Ängste ect geredet.
Im Gegenteil kann ich darüber zur Zeit nicht mit den Eltern Meiner Frau reden. Es liegt wohl nicht zwingend an der Herkunft wie Menschen mit Schmerz, , Leid und Tod umgehen.
Die Pflegestufen sind gesetzliche geregelt, evt solltet ihr euch Unterstützung holen. ( Anwalt , Sozialdienst...)
Das gefühl hin und wieder nicht gemocht zu werden habe ich auch, aber ich denke das deine Mutter zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist und Du das falsch auffasst.
Warum solltest du dein Studium nicht beenden können??
Ich wünsche Dir von ganzem Herzen das du vlt in der richtigen Situation mit Deiner Mutter offen über deine Gedanken reden kannst. Und ich bin mir sicher das sie dich über alles liebt.
Alles wird gut!
Lg
Derax
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  #3  
Alt 12.11.2015, 23:16
busaya busaya ist offline
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Registriert seit: 02.08.2015
Beiträge: 2
Standard AW: Verzweifelt wie noch nie im Leben. Erst Vater nun Mutter & Kultur

Lieber Derax,

herzlichen Dank für deine Antwort.
Dass ich den Umgang mit der Situation auf den kulturellen Hintergrund führe hat den Grund, dass meine Cousine, die als Oberärztin oft mit Menschen dieser/ähnlicher Kultur gearbeitet hat und meine Tante, die ehrenamtlich im Hospiz arbeitet, ähnliche Erfahrungen gesammelt haben.
Möglicherweise ist es kein spezifisch kulturelles Problem, ich habe keine Statistik, aber zumindest in meinem weiteren Umfeld wird/wurde so reagiert.
Mit den Pflegestufen hab ich mir schon Hilfe geholt bzw. weiß aufgrund meines Studiums mit Gesetzen umzugehen und insbesondere, dass Recht haben und Recht bekommen 2 paar Schuhe sind. Um mein Studium erfolgreich zu beenden fehlt mir das 1. Staatsexamen. Die Durchfallquote liegt im Durchschnitt bei 40% und viele schaffen es nicht mal ohne diese Mehrbelastungen. Wenn ich diesen Abschluss nicht erlange, stehe ich mit Führerschein und Abitur da. Ich tue mich schwer, an mich zu glauben bzw. daran, dass ich noch mal die Sonnenseite im Leben erfahren werde.

Ehrlich gesagt, tut es mir unheimlich gut, sowas zu lesen, dass du auch mal das Gefühl von Ablehnung erfahren hast. Also in dem Sinne, dass du mir Mut machst, dass ich in dieser Ausnahmesituation manches doch falsch auswerte.
Einmal wollte ich meiner Mutter auf ihren Nachtstuhl helfen und konnte mich nicht schnell genug dahinter stellen, so dass er weggerollt ist und meine Mutter auf den Boden gefallen wäre, wenn ich sie nicht aufgefangen hätte. Als sie panisch anfing zu weinen, weil sie sich nicht aufrichten konnte, kam meine Tante wieder ins Krankenzimmer und fragte, was los sei. Meine Mutter sagte, dass ich sie fallen lies... das tat so verdammt weh!

Es tut mir unheimlich Leid, dass deine Frau und du diese Krankheit durchmachen müsst. Ich vermute, dass du mit ihr offen darüber reden kannst? Inwiefern spielt es eine Rolle, ob du mit deinen Schwiegereltern darüber reden kannst?

Ganz herzliche Grüße
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  #4  
Alt 12.11.2015, 23:55
Elisabethh.1900 Elisabethh.1900 ist offline
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Registriert seit: 08.04.2009
Beiträge: 2.241
Standard AW: Verzweifelt wie noch nie im Leben. Erst Vater nun Mutter & Kultur

Liebe busaya,

du schriebst
Zitat:
Um mein Studium erfolgreich zu beenden fehlt mir das 1. Staatsexamen. Die Durchfallquote liegt im Durchschnitt bei 40% und viele schaffen es nicht mal ohne diese Mehrbelastungen
ich vermute einmal du studierst Jura. Es gibt in allen Hochschulstädten beim Studentenwerk Beratungsstellen, die Studenten,welche sich in schwierigen Lebenssituationen befinden, beraten. Bitte suche dir Hilfe. Es ist wichtig, dass du dein Studium erfolgreich abschließen kannst, nur muss man ebend auch die Zeit und die Nerven aufbringen kann, um sich vorzubereiten.
Eventuell hilft es dir ein Urlaubssemester einzuschieben und dich der Pflege deiner Mutti zu widmen.

Zitat:
Ihr wurde nichtmal die Pflegestufe 1 zugesprochen aber das ist eine andere Geschichte...
Wenn die Widerspruchsfrist für den ersten Antrag abgelaufen ist, dann stelle bitte einen neuen Antrag bei der Pflegekasse, schildere die Situation.

Zitat:
Einmal wollte ich meiner Mutter auf ihren Nachtstuhl helfen und konnte mich nicht schnell genug dahinter stellen, so dass er weggerollt ist und meine Mutter auf den Boden gefallen wäre, wenn ich sie nicht aufgefangen hätte. Als sie panisch anfing zu weinen, weil sie sich nicht aufrichten konnte, kam meine Tante wieder ins Krankenzimmer und fragte, was los sei. Meine Mutter sagte, dass ich sie fallen lies... das tat so verdammt weh!
Die Krankheit verändert einen Menschen, für viele Leute (gerade Mütter) ist es schwer, Hilfe gerade von den eigenen Kindern anzunehmen. Erst im Laufe der Zeit erlernt man diese Handgriffe, für die Angehörigen ist es learning bei doing.Gerade diese Rollstühle haben ihre Tücken, dein Mißgeschick passiert auch Profis.

Herzliche Grüße an dich und deine Mutter,
Elisabethh.
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  #5  
Alt 13.11.2015, 06:59
LiebesHerz LiebesHerz ist offline
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Registriert seit: 04.08.2014
Beiträge: 505
Standard AW: Verzweifelt wie noch nie im Leben. Erst Vater nun Mutter & Kultur

Liebe Busaya.

es tut mir leid was Du alles durchmachen musst...
Vielleicht kann ich Dir ein wenig helfen wenn ich erzähle wie es bei uns war.
Auch meine Mutter wollte oder konnte nicht über Tod und sterben sprechen. Auch ich habe immer geschauspielert in ihrer Nähe, Optimismus verbreitet, obwohl mir zum heulen zumute war.. Die Ärzte waren ganz erstaunt, als sie hörten dass es keine Patientenverfügung etc gibt. Das Blatt wendete sich, als meine Mama im August ihr Rezidiv bekam. Da bekam auch sie Zweifel und da sagte sie mehrfach den Satz "vielleicht ist das Leben bald vorbei" ... Und was tat ich? Ich sagte dann "Nein Mama! Das wird schon wieder alles gut!" Anstatt darauf einzugehen und somit die Chance zu ergreifen offen zu sprechen, knallte ich die Tür die sie vorsichtig öffnete, wieder zu... Das hätte ich nie von mir gedacht und das ist das einzige was ich im Nachhinein bereue... Was ich damit sagen will ist, dass eine Krebserkrankung eine enorme Belastung für die Berroffenen aber auch für die Angehörigen bedeutet. In so einer Ausnahmesituation reagiert jeder anders... Ich denke, man sollte sich oder die anderen nicht verurteilen für den Weg den man geht...auch wenn es schwerfällt.
Und gut sein zu sich selbst...
Auch meine Mama gab mir am Ende das Gefühl nicht mehr so geliebt zu werden wie sonst.. Und sie hat mich immer sehr geliebt.. Ich hatte das Gefühl, sie wurde gleichgültig. Ich denke, Mütter wollen ihre Kinder dadurch schützen.. Es ist eine Form der Hilflosigkeit. Ich bin sicher, Deine Mutter liebt Dich über alles!
Die Krankheit befällt nicht nur den Körper, sie vergiftet auch vieles andere. Ich fand meine Mutter am Ende sehr verändert. Sie war nicht aggressiv oder so, aber es war alles so leer und ich hatte immer das Gefühl, sie sei nicht mehr da.
Jetzt nach ihrem Tod kann ich ihrer wieder so gedenken wie sie vorher war. Es ist, als habe sie ihren todkranken Körper abgestreift und strahlt um mich wie sie immer war: herzensgut, liebevoll, warm, fröhlich. Obwohl sie nicht mehr hier ist, ist sie doch präsenter als je zuvor.

Sei gut zu Dir... Es ist eine schlimme Zeit, aber du wirst sie schaffen, da bin ich ganz sicher. Sorge für Dich (ich finde die Idee mit der Auszeit von Elisabeth toll!), die Freude kehrt irgendwann zurück, ich bin mir da sicher
Alles Gute für Dich !!!

Jana
__________________
Meine Mutter:
Pankreas-Ca ED 7/2014
verstorben am 3.11.15

Immer in meinem Herzen...
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