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Alt 22.02.2014, 14:02
guan guan ist offline
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Registriert seit: 22.02.2014
Beiträge: 1
Standard So ist meine Mutter gestorben

meine Mutter ist am 31.01.2014 im Alter von 59 Jahren an metastasierenden Brustkrebs gestorben. Bevor sie gestorben ist, haben wir versucht rauszufinden, wie es eigentlich ist, zu sterben. Was auf sie und auf uns zukommen könnte. Wir haben nur wenige Informationen gefunden und waren deshalb auch viel weniger vorbereitet als uns lieb war. Deshalb habe ich mich entschlossen, meine Erfahrung mit dem Sterben hier in diesem Forum, das ich das letzte Jahr regelmässig besucht habe, zu veröffentlichen. Das Sterben meiner Mutter hat leider (zumindest für mich) nichts mit friedlichen einschlafen zu tun und ich kann nichts dazu sagen, ob die Art und Weise des Sterbens meiner Mutter normal ist. Für mich persönlich war es ein extremes Erlebnis.

Mir ist bewusst, dass viele Menschen gar nicht wissen wollen, wie es ist, an Krebs zu sterben. Das ist ihr gutes Recht (und jene Leute, sollten einfach nicht weiterlesen), aber ich bin der Meinung, dass wenn Krebspatienten oder deren Angehörige wissen wollen, was passieren kann, sollte man ihnen dieses Recht nicht verwehren. Ein Problem ist natürlich, dass es unzählige Ursachen gibt, warum jemand an Krebs stirbt. Von daher ist die genaue Prognose, wie jemand sterben wird, wohl überhaupt nicht möglich (meiner Erfahrung nach verweigern Ärzte deshalb auch jede Auskunft darüber). Die einzige Möglichkeit sich zu informieren ist daher, das betroffene Angehörige davon berichten.

Meine Mutter hatte Brustkrebs mit Metastasen in Lunge, Leber und Knochen. Im Dezember 2013 erlitt sie zusätzlich einen Schlaganfall, von dem sie sich aber sehr schnell wieder erholte. Die Metastasen in der Lunge führten dazu, dass sie kurzatmig war (ein Lungenflügel voller Flüssigkeit), die Knochenmetastasen bereiteten ihr teils große Schmerzen und ab Anfang Jänner 2014 musste sie sich, wenn sie aufrecht saß, meist übergeben. Eine Woche vor ihrem Tod brachten wir sie ins Krankenhaus, weil wir Probleme hatten, ihre Übelkeit in den Griff zu bekommen. Die Ursache der Übelkeit war nicht ganz klar, es konnten die Lebermetastasen sein, es konnte die mit Flüssigkeit gefüllte Lunge sein, es konnten Metastasen im Magenbereich sein. Bevor sie ins Krankenhaus kam, pflegten wir sie zwei Wochen zu Hause. In der Zeit schlief sie schon die meiste Zeit, hatte öfters Atemaussetzer, wurde immer schwächer und konnte eigentlich nie mehr ihr Bett verlassen (hauptsächlich wegen der Übelkeit). Ein Palliativteam unterstützte uns. Sie wurde über einen Port-A-Cat künstlich ernährt und erhielt auch darüber das Morphium.

Im Krankenhaus gingen ein paar Dinge schief, in Folge dessen meine Mutter zwei Mal extreme Schmerzen erleiden musste. Ab diesem Zeitpunkt war für meine Mutter endgültig klar, dass sie sterben möchte. Daraufhin haben wir mit meiner Mutter zusammen beschlossen, dass eine Palliative Sedierung durchgeführt werden soll. Dabei wird die Morphiumdosis über eine Morphiumpumpe erhöht und zusätzlich ein sedatives Medikament verabreicht, um das Bewusstsein zu dämpfen bzw. auszuschalten. Von da an hatte meine Mutter noch zwei mal Schmerzen, die Morphiumdosis wurde daraufhin auf Druck von uns erhöht (wir konnten uns nicht auf das Krankenhauspersonal in dieser Sache verlassen). Sie schlief fast die ganze Zeit, war nur für ein paar Minuten am Tag munter und halbwegs ansprechbar. In diesen Minuten machte sie Späße und schlief wieder ein. Wir verabschiedenden uns von ihr, sagten ihr, dass es Zeit wäre und in Ordnung sei, los zu lassen, dass wir sie sehr vermissen würden, dass sie bald sterben würde.

Diese Phase dauerte fünf 5 Tage lang. Im Laufe dieser fünf Tage wurde sie immer schwächer, dünner, ihre Gesichtszüge veränderten sich, ihre Nase wurde spitzer, die Wangen eingefallen. Sterbende entwickeln oft Atemaussetzer, die bis zu 45 Sekunden dauern können und in den letzten Stunden kann es zum sogenannten Todesrasseln kommen. Dieses Rasseln wird dadurch verursacht, dass Sterbende nicht mehr fähig sind, Speichel zu schlucken und Schleim abzuhusten. Dieses Rasseln soll für Sterbende kein Problem sein, für die Angehörigen kann es sehr belastend sein. Alle zwei Stunden wurde meine Mutter vom Pflegepersonal umgelegt, damit sie sich nicht wund liegt. Dann schlug sie oft kurz die Augen auf, verzog das Gesicht und man konnte sehen, wie anstrengend und belastend für sie diese Prozedur war.

Abends am 5. Tag, wurde das Rasseln plötzlich immer lauter und intensiver. Es hörte sich nicht mehr wie Rasseln an, sondern wie jemand, der ertrinken würde. Plötzlich riss sie die Augen auf, starrte in meine Richtung. Sie hob eine Hand, die ich ergriff. Ich streichelte über ihr Gesicht, eine Krankenschwester versuchte bestimmte Medikamente zu besorgen, um ihr das Atmen zu erleichtern. Die Vorstellung, dass meine Mutter ihr Sterben jetzt mitbekommen könnte, dass sie wieder halbwegs bei Bewusstsein sein könnte, dass sie an der Flüssigkeit in ihrer Lunge ertrinken könnte, brachte mich fast um den Verstand. Meine Mutter starrte mich an (oder vielleicht durch mich durch, ich weiß nicht, wie viel sie wirklich mitbekam), atmete heftig und ich konnte mich nur noch bei ihr entschuldigen (die Ärzte und ich hatten ihr versprochen, dass sie in Frieden einschlafen würde). Das dauerte geschätzte 10-15 Minuten (obwohl es mir wie 30 Minuten vorkam). Am Ende wanderten ihre Augen von oben nach unten und kurze Zeit später hörte ihr Herz auf zu schlagen. Die letzten 10-15 Minuten waren das intensivste, was ich je erlebt habe. Die Intensität, der Stress in dieser Zeit ist nur schwer zu beschreiben. Ich kann nur sagen, dass es nicht das friedliche Einschlafen war, dass ich mir vorgestellt hatte.

Woran sie letztlich gestorben ist - ich weiß es nicht. Extrem abgebaut hat sie eigentlich erst nach der palliativen Sedierung. Davor wirkte sie immer noch vergleichsweise stark - die Symptome der Metastasen waren für sie unerträglich, ihr Leiden schien endlos weiterzugehen (in schweren Momentan jammerte sie, sie sei zu zäh um schnell und bald zu sterben), eine vernünftige Lebensqualität war nicht mehr gegeben. Von daher denke ich manchmal, die Sedierung war der entscheidende Auslöser, um ihr Leiden und ihr Leben zu beenden. Für mich hatte es den Anschein einer semi-aktiven Sterbehilfe - bei der meine Mutter fünf Tage in einem Einzelzimmer im Krankenhaus dahinvegetieren musste.

Ich kann nur jedem empfehlen, der in einer vergleichsweisen Situation ist, sich mit dem Thema Sterben auseinanderzusetzen und entsprechende Vorkehrungen und Vorbereitungen zu treffen. Wir waren ein wenig unvorbereitet, weil wir bis zum Schluss gehofft hatten, doch noch etwas Zeit zu haben.

Ich wünsch euch alles Gute.
Andre

Geändert von guan (22.02.2014 um 14:10 Uhr)
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