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  #1  
Alt 28.11.2008, 19:29
Urmele Urmele ist offline
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Registriert seit: 08.02.2008
Beiträge: 17
Standard AW: Meine liebe Freundin

Lieber Stefan,

vielen Dank für deine ausführlichen Worte.
Du hast schon recht, meiner Freundin ist wirklich alles zu anstrengend geworden. Am liebsten wäre es ihr, wenn sie nicht aufstehen müsste aus dem Bett.
Vorgestern hatte sie einen Termin um 14.00 Uhr, sie hat 2 Stunden gebraucht vom Aufstehen, bis wir los konnten. Aber sie möchte die meisten Dinge ja noch selber machen. Auch wenn sie hinterher wieder die totale Atemnot hat. Das ist nach wie vor das größte Problem.
Als wir dann im Rolli unterwegs waren, das Wetter war herrlich, war sie wieder bester Dinge, wir haben gescherzt und gelacht. Nach der Massage und Lymphdrainage ist sie dann wieder ziemlich erledigt gewesen.
Die letzten beiden Nächte waren schlecht, weil sie so oft hyperventilierte und nicht gut atmen konnte. Morgens kam der HA und hat ihr eine beruhigende Spritze gegeben. Die meiste Zeit hat sie dann wieder geschlafen die letzten beiden Tage. Sie schläft nur noch in fast sitzender Position. Leider ist ihr linkes Bein sehr dick geworden und sie hat nun auch Entwässerungstabletten bekommen.
Das Essen bereitet ihr keine Probleme, wenn sie auch nicht so viel essen mag.
Zusätzlich hat sie jetzt noch Diazepam-Tropfen bekommen.

Wenn ich deinen Schilderungen lese, über das Leiden deiner Frau und dir, dann sehe ich doch wie unterschiedlich diese Sch...krankheit verlaufen kann.
Scheinbar ist deine Frau noch viel schlechter dran, als meine Freundin. Sie kann noch lesen oder Rätsel lösen. Und sie ist schmerztechnisch wirklich super eingestellt. Aber man muss auch bei ihr kontrollieren, bei der Medikamenteneinnahme. Sie experimentiert gerne ein bisschen...
Aber wirklich kann man das nicht miteinander vergleichen oder beurteilen.
Ich lese nur aus jeder deiner Zeilen soviel Liebe und Hingabe (auch Wut, Trauer und Verzweiflung darüber), wie ich es selten erlebt habe.

Und natürlich habe ich keine Erwartungen an meine Freundin, ich möchte sie nur, in der uns verbleibenden Zeit, unterstützen, etwas helfen und lindern und einfach mit ihr sein.

Liebe Grüße,
Irmi
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  #2  
Alt 30.11.2008, 15:25
Stefans Stefans ist offline
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Registriert seit: 27.01.2007
Beiträge: 425
Standard AW: Meine liebe Freundin

Hallo Irmi,

Zitat:
Zitat von Urmele Beitrag anzeigen
Aber wirklich kann man das nicht miteinander vergleichen oder beurteilen.
Nein, das kann man nicht. Weil der der Mensch halt so ist, dass das Leid, dass er selbst unmittelbar oder mittelbar an geliebten Mitmenschen erfährt, immer das schlimmste ist, das es gibt. Das ist auch OK so.

Vergleiche sind da IMHO völlig sinnlos. Jeder erfährt Leid anders und geht anders damit um. Der "gemeinsame Nenner" dabei ist für mich der Titel dieses threads: "meine liebe Freundin." Oder auch: meine liebe Frau, mein lieber Mann, meine liebe Tochter, mein lieber Vater, usw. usf.

Es ist immer schlimm. So schlimm, dass andere sich das nur vorstellen können, wenn sie es selbst (als Kranker oder mit einem geliebten Menschen) erleben. "Schlecht dran" ist, glaube ich, relativ. Wenn wir uns mit Aussenstehenden unterhalten, z.B.: die sind entsetzt, dass meine Frau sterben wird. Und "schlecht dran" ist für die, dass die Krankheit nicht heilbar ist.

Für uns hier aber ist "schlecht dran" nicht, dass es keine Heilungsperspektive mehr gibt und dass meine Frau sterben wird. Das spielt im Alltag keine Rolle. Noe, "schlecht dran" entscheidet sich im Alltag, von Tag zu Tag. Kann sie noch lesen oder sich gar eine gewisse Zeit konzentriert unterhalten. Kann sie die Schmerzen so halbwegs aushalten, ohne die Medikamentendosis zu erhöhen. Kann sie ein paar Löffel mehr essen als gestern. Sprich: wieviel Lebensqualität bleibt ihr jenseits der Morphium-bedingten Schmerzfreiheit eigentlich noch?

Und für mich: wie komme ich damit klar. Und da sehen wir, dass die Theorie viel einfacher ist als die Praxis. Klar nehmen wir unser Eheversprechen ernst, und selbstverständlich will ich für meine Frau sorgen, so lange und so gut ich kann. Aber so langsam tritt das ein, was mir andere hier schon länger vorausgesagt haben: ich stoße an meine Grenzen :-( Nicht von der praktischen Arbeit her (Einkaufen, kochen, putzen, waschen, Einläufe machen, stündlich nachschauen, beim Baden helfen usw.). Das überhaupt nicht.

Sondern von der seelischen Belastbarkeit. Man will mit allen Kräften, die man hat, etwas tun. Aber man kann nichts tun. Natürlich palliativ, aber eben nichts, was zur Heilung beiträgt. Die gibt es nicht mehr. Und mitanzusehen, wie meine Frau "immer weniger" wird und von Woche zu Woche weniger kann (und auch selbst immer geringere Erwartungen an ihr "Restleben" hat). Das ist so bitter, das es wohl nur die Leute verstehen, die sowas selbst erlebt haben. Sinnlos, das anderen erklären zu wollen.

Meine Frau ist gerade mal wieder in der Klinik, und ich schäme mich. Ich schäme mich dafür, dass ich es heute beim besten Willen nicht geschafft habe, sie zu besuchen. Ich habe den Arsch einfach nicht hochgekriegt, es war einfach zuviel. Und ich schäme mich noch mehr, weil ich - der geschworen hat, immer für sie da zu sein - zugeben muss, dass es mich seelisch entlastet, wenn meine Frau in der Klinik ist. Wo sie medizinisch gut versorgt ist und ich mir dieses Elend nicht tagtäglich anschauen muss.

An meinen Ansprüchen als Ehemann / Pflegender gemessen, die ich noch vor 2 Monaten hatte, ist das eine Bankrotterklärung. Meine Frau stirbt, und ich, der gesund ist und den ganzen Tag Zeit hat, ist jetzt schon "froh", wenn sie eine Woche im Krankenhaus ist ?!?! Wenn ich jetzt schon versage... Wie soll das in Zukunft werden, wenn sich die Lage verschlimmert.

Viele Grüße,
Stefan
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  #3  
Alt 30.11.2008, 19:32
tina n. tina n. ist offline
Gesperrt
 
Registriert seit: 23.09.2008
Beiträge: 1.033
Rotes Gesicht AW: Meine liebe Freundin

hallo Stefan

Wie kommst Du auf Bankrotterklärung???

Angehörige,Pflegende und Mitfühlende Menschen fallen genauso in ein tiefes Loch wie der Kranke selbst.
Ab einem gewissen Punkt wird für den Kranken gesorgt,aber was ist mit den Versorgern???
Der erlebt dieselben Ängste und Schmerzen(wenn auch nicht Körperlich),Hoffen und Bangen,und schlimmer noch,die Ohnmacht.

Es ist doch Verständlich das Du einmal froh bist,wenn Dir ein wenig Belastung abgenommen wird.Wenn Du Dich einmal hängen lassen kannst.

Mach Dir nur kein schlechtes Gewissen,das muss so sein,sonst brichst Du irgendwann zusammen.
Du musst Dir kleine Auszeiten gönnen um weiterhin stark zu sein für Deine Frau.

Ich wünsch Dir noch einen angenehmen Abend,Tina n.
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  #4  
Alt 30.11.2008, 21:56
Urmele Urmele ist offline
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Registriert seit: 08.02.2008
Beiträge: 17
Standard AW: Meine liebe Freundin

Lieber Stefan,

bei deiner Liebe, deiner Fürsorge um deine Frau gibt es wirklich nichts, aber auch gar nichts wofür du dich schämen müsstest.
Es ist doch logisch, dass auch du einmal an deine Grenzen stößt und eine Auszeit gebrauchen kannst.
Natürlich ist es schlimm, dass deine Frau wieder in die Klinik musste, aber dort ist sie bestimmt bestens versorgt und deshalb ist gar nichts verwerfliches daran, wenn du diese nun bestehende Situation nutzt und dir auch mal eine Verschnaufpause gönnst und dich auch mal hängen lassen kannst.

Zermartere dir nicht deinen Kopf darüber sondern versuche ein wenig Kraft zu tanken, denn ich bin sicher, du wirst bald wieder Tag und Nacht an ihrer Seite verbringen, und dann ist es gut, wenn du deine Reserven wieder ein wenig aufgetankt hast.

Liebe Grüße,
Irmi
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  #5  
Alt 04.12.2008, 13:39
Stefans Stefans ist offline
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Registriert seit: 27.01.2007
Beiträge: 425
Standard AW: Meine liebe Freundin

Hallo Irmi,

Zitat:
Zitat von Urmele Beitrag anzeigen
ich bin sicher, du wirst bald wieder Tag und Nacht an ihrer Seite verbringen
Ich hoffe es. Sie liegt noch im Krankenhaus, die Chemo ist abgebrochen, weil die Metwastasen unverändert weiter gewachsen sind. Und eine weitere Chemo (wenn die überhaupt noch Sinn machen würde) würde sie gerade nicht überleben. Sie kriegt gerade Infusionen, Antibiotika und Bluttransfusionen, damit sie wenigstens nicht noch weiter abbaut.

Drückt uns mal die Daumen, dass es zumindest machbar ist, sie über Weihnachten nach Hause zu holen.

Viele Grüße,
Stefan
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  #6  
Alt 04.12.2008, 15:37
Benutzerbild von Morgana
Morgana Morgana ist offline
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Beiträge: 1.436
Standard AW: Meine liebe Freundin

Lieber Stefan,
ähnlich, wie Du es beschrieben hast, habe ich es auch erlebt...die seelische Erschöpfung, diese Hilflosigkeit, wenn der Partner immer "weniger wird", seine Lebensqualität immer mehr eingeengt wird...in unserem Fall auf "Bolus runter" = wacher; kann sich mit seiner Frau verständigen...zu "Bolus höher" = schläft tief, hat dafür aber keine Schmerzen. Ich war, vor allen in den letzten Tagen, völlig fertig nach 1 Stunde am Bett sitzen, ohne reden zu können, kaum die harte aufgequollene Haut streicheln zu können...

Von mir von ganzem Herzen für Dich: Eine ganz liebe Umarmung
und meinen Respekt dafür, wie Du für Deine Frau einfach da bist; ihr Deine Liebe schenkst;
Gute Wünsche für euch beide, dass ihr noch eine schöne Zeit haben dürft - und wenn, es denn möglich ist, dass ihr zu Hause gemeinsam Weihnachten verbringen könnt.

LG
Morgana
__________________
Die Seele hätte keinen Regenbogen, wenn die Augen nicht weinen könnten.
[Indianische Weisheit]
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  #7  
Alt 05.01.2009, 17:05
Urmele Urmele ist offline
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Registriert seit: 08.02.2008
Beiträge: 17
Standard Ich glaube es wird Zeit für den Abschied

Die letzten drei Monate waren ein ständiges Auf und Ab. Es gab bessere Tage, an denen wir noch stundenweise zusammensitzen konnten, und mit dem Rollstuhl noch kleine Ausflüge machen konnte. Und es gab schlechtere, an denen sie das Bett fast nicht verlassen hatte.
In der Vorweihnachtszeit haben wir zusammen noch die Wohnung ein wenig dekoriert und am Hl. Abend hat sie munter über viele Stunden mit ihrer Familie durchgehalten und sie hatte ein sehr schönes Weihnachtsfest, mit ihren Söhnen, ihrem Lebensgefährten, mit ihrer Mutter, dem Stiefvater, ihrer Schwester und deren Mann und dem Neffen. Mein Mann und ich waren auch für zwei Stunden zu Besuch und es war schön sie so heiter und fröhlich zu sehen. Sie filmte und fotografierte und wir haben Sekt getrunken.

Am Silvestertag fing es an, dass sie immer mehr schlief, im wachen Zustand verwirrter war, irgendwie nicht so richtig da. Wenn sie mal die Augen öffnet und spricht, sind es öfters Dinge, die nichts mit der Realität zu tun haben. Sie vermischt das Jetzt und Vergangenes oder Geträumtes...so genau kann man das nicht sagen.
Nun liegt sie seit 4 Tagen eigentlich nur noch, vielleicht mal auf die Toilette...und das wars. Ihre Kräfte verlassen sie, sie kann kein Glas mehr halten. Es wird schwieriger ihr ihre Medikamente zu geben, zusätzlich hat sie auch eine Lungenentzündung bekommen.
Wir versuchen jetzt in erster Linie ihr die Medikamente zu geben, die ihr die Schmerzen und die Angst nehmen. Ihre größte Angst war immer qualvoll ersticken zu müssen und das versuchen wir zu verhindern.
Wir zwingen sie nicht zu essen, wenn sie nicht will - beim Trinken nicht anders. Hin und wieder ein Schluck mit dem Strohhalm.
In einem wacheren Moment hat sie gesagt, sie möchte mit ihren Söhnen nochmal reden und auch ihren ungeliebten Ex-Mann möchte sie noch einmal sehen/sprechen.
Auch hat sie das erste Mal ausgesprochen, dass sie nicht mehr will.

...oh mann, ich schreibe das alles hier so sachlich nieder....auch wenn ich bei ihr drüben bin, benehme ich mich irgendwie so "nüchtern". Ich sitze bei ihr am Bett und streichle sie, während sie schläft, dabei wandern meine Gedanken und ich würde ihr gerne sagen, das ich so dankbar bin, dass ich sie 13 Jahre als meine beste Freundin haben durfte. Ich weiß noch genau den Moment, als ich sie das erste Mal sah, ich weiß was sie anhatte und wie ihre Haare waren - und eigentlich war es Liebe auf den ersten Blick!
Aber ich spreche es nicht aus.
Auch ihre Familie ist einfach wunderbar, ein großer Zusammenhalt, wir sind immer schon gut miteinander ausgekommen. Wir reden auch viel in diesen Tagen, sie behandeln mich wie ein Familienmitglied.
Ich bin jeden Tag bei ihr, mal kürzer, mal länger, manchmal bekommt sie es gar nicht mit. Und wenn ich dann zuhause bin und tiefer nachdenke, dann kommen auch die Tränen.

Aber nun scheint es so, als ob sie wirklich in den nächsten Tagen sterben wird. Ich mag das immer gar nicht aussprechen.
Es ist so schrecklich und doch bin ich für sie dann froh, wenn sie es geschafft hat.
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