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Alt 17.06.2011, 23:36
undine undine ist offline
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Standard AW: Adenokarzinom inoperabel

Meine lieben WGlerinnen,

ich habe mir jetzt ein Bier aufgemacht und mich an den PC gesetzt, um Euch zu schreiben.

Zugegeben, das Bier ist nur alkoholfrei, aber es hilft mir trotzdem mich zu „enthemmen“ und Euch zu sagen, was mir auf der Seele brennt.

Ich bin mir sicher, dass ihr mir glaubt, wie sehr mich Christas Tod getroffen hat. Dabei kannte ich sie nur virtuell und nur ein paar Monate. Niemals hätte ich geglaubt, wie nah mir die Nachricht gehen würde. Seit ich es weiß braucht man mich nur anzupieken und ich flenne los. Heute fuhr ich rechts ran, um einen Krankenwagen Platz zu machen und brach in Tränen aus.
Ich schreibe das nur, um Euch auch zu vermitteln, dass ich eine klitzekleine Ahnung davon habe, wie es Euch ergehen muss. Weil ihr Christa länger und zum Teil persönlich kanntet. Weil ihr auch Lungenkrebs habt.

Deshalb mache ich mir große Sorgen um Euch.

Am Morgen nach der schlimmen Nachricht, habe ich viel über den Tod nachgedacht. Er war bisher meist abstrakt und da ich an ein „Danach“ in welcher Form auch immer, glaube, war sein Schrecken nicht so groß.

Meine letzte Nahtod-Erfahrung war vor 2 ½ Jahren. Da hatte ich eine Pankreatitis, die nicht erkannt wurde. Es war „fünf vor zwölf“ und ich habe seitdem einen dritten Geburtstag. Bei dieser Erfahrung waren nun die Schmerzen dermaßen schlimm, dass ich nur wollte, dass sie aufhören – egal, auch wenn es den Tod bedeutet hätte. In dem Moment wäre der Tod ein Freund gewesen.
In späteren Situationen – wenn ich Angst, vor schlimmen Diagnosen hatte – war das mein Trost. Irgendwann käme der Tod und selbst die allerschlimmste Situation wäre dann vorbei. Erlöst. Das kann auch Trost sein.

Nun habe ich vor kurzem einen Zettel wieder gefunden, auf dem ich einen Traum aufgeschrieben habe. In diesem Traum warte ich im Wartesaal des Todes und werde dann aus meinem Leben, dass ich eigentlich liebe, herausgerissen und ins Nichts geschleudert.
Da bekam ich das erste Mal die Angst vor dem Tod und dass es kein „Danach“ geben könne. Als ich nach Christas Tod darüber nachdachte, bekam ich eine regelrechte Panikattacke. So etwas hatte ich noch nie zuvor.

Und die Angst wollte nicht weichen, schlich sich in jede Lebenssekunde ein. Und ich fragte mich, auch wenn es nur ein „Nichts“ danach gibt, weshalb leben wir dann?
Vielleicht, um an diesem Leben zu wachsen. Und um schöne Bilder, nicht nur wie Christa mit der Kamera, sondern mit dem Herzen zusammeln.

Ein Freund erzählte mir, er traf einen alten Bekannten, der einen schweren Herzanfall hatte. Der meinte zu ihm: „Weißt du, wenn ich gehen muss, dann muss ich gehen. Aber ich habe gelebt. Ich habe die schönsten Frauen geliebt, die schönsten Orte gesehen und jede Sekunde genossen, die ich auf der Erde bin.“
Und irgendwie ist dieser Mann total zu beneiden. Jede Sekunde der Angst ist Verschwendung.

Ich würde das auch gerne sagen können und ich versuche es, mir zu verinnerlichen: wir haben nur dieses eine Leben und wir haben es verdient, jede Sekunde davon, in der es uns relativ gut geht, schön zu gestalten: zu reisen, Golf zu spielen, mit unseren Lieben zu entspannen, zu lachen, Pläne zu schmieden.

Jedes Lächeln ist richtig, jeder schöne Augenblick gehört aufgesogen. Gebt den Krebs kein Futter in Eurer Trauer.

Ihr Lieben, ich habe große Angst um Euch. Deshalb wünsche ich mir von Herzen, dass Christas Tod nur ein weiterer Ansporn ist, den sch*** Krebs zu besiegen.

Ich hoffe sehr, ich war jetzt nicht anmaßend. Bitte verzeiht, falls ich das war.

Eure Undine.
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Ich habe mit Hilfe der Menschen im Krebsforum meine Mutter 2010-2011 bei ihrer Lungenkrebserkrankung (Adenokarzinom) begleitet.
Sie starb Weihnachten 2011.
Danke an alle, die mir geholfen haben. Und alles Liebe für alle, die den Kampf gegen Krebs bestreiten.