AW: Hinterblieben, nur wo?
Ein heißer Tag, selbst das T-Shirt ist schon zu viel. Ich bin auf dem Friedhof und gehe zum Grab.
Seit langem beschäftigen mich die Fragen: Was hast du gedacht? Gefühlt? Was geht in einem vor, wenn man den Tod kommen sieht? Wann beginnt die Angst? Wann gibt man auf? Wie ist das, wenn man erkennt, dass es nur noch Stunden sind? Kann man dem Tod entgegen gehen? Wie stark muss man sein, um das zu ertragen und wann ist man endlich schwach genug, um sich fallen zu lassen? Jetzt stehe ich an deinem Grab. Vor ein paar Jahren konnte ich es nicht ertragen, deinen Namen zu lesen. es kam mir so unwirklich vor. Heute kann ich es. Ja, es war eine wunderschöne, gemeinsame Zeit mit allen Höhen und Tiefen, die man braucht um zusammen zu wachsen.
Wieder drängen sich die Fragen auf, tun mir weh. Und nein, ich mache mir keine Vorwürfe. Ich war bei dir. So gut ich damals konnte und heute weiss ich, dass es mehr war als du es selber manchmal gewollt hast. Du wolltest mich schützen und hast dich doch an mir festgehalten. Es war gut so, wie es war. Es ist vorbei, endgültig. Es war gestern. Die Fragen bleiben. Ich schaue über den Friedhof. Menschenleer. Drüben unter dem schattigen Baum steht eine Bank. Eine Frau sitzt dort. Keine Ahnung wer das ist. Na, egal. Sie dreht mir den Rücken zu.
Ich hab gesehen, dass du Schmerzen hast, doch nicht selber gefühlt. Hab deine Augen gesehen, wenn sie dein Lachen Lügen straften, doch konnte nicht deine Angst darin lesen. Nur einmal hast du es zu gelassen und ich sah ganz tief unten sich windend deine Seele, die rief: "Ich will raus. Hilf mir". Ich möchte verstehen. Nicht nur nebenher laufen und ahnen.
Ich möchte es verstehen.
Einfach nur verstehen.
Nicht nur um deinetwillen. Auch wegen mir. Auch mich wird es eines Tages treffen und was ist, wenn ich dasselbe noch mal erleben muss? Wie auch immer, was soll ich dann tun? Ich habe das Gefühl, mir platzt der Kopf.
Die Frau dort drüben legt den Arm über die Rückenlehne, dreht dabei den Kopf zu mir und schaut wortlos herüber: "Ich kann nicht verstehen, was Trauer ist. Deine Fragen sind mir fremd. Es tut mir unendlich weh, wenn ich dich so grübeln sehe. Ich war doch dabei, damals am Grab. Hab euch gesehen und nicht verstanden, warum ihr weint. So viele Menschen. Verstehe es immer noch nicht so ganz. Mir geht es doch gut. Bitte verzeih mir, dass ich dir jetzt nicht so helfen kann wie ich gerne möchte". Sie steht auf, geht weg und dann ist sie verschwunden und ich ...
...ich werde wach. Ein Traum.
Danke.
Helmut
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