20.01.2004, 16:07
Hilfe, suche dringend Darmkrebspatienten ähnlichen Alters!!!
Mein Arzt sagte mir kürzlich: "Die Chance, in ihrem Alter und mit ihrer genetischen Veranlagung an Dickdarmkrebs zu erkranken, ist etwa gleich gross, wie wenn sie bei schönem Wetter spazieren gehen und vom Blitz getroffen werden."
Nun, zumindest vorerst keine Gefahr für mich, mögen Sie denken. Doch, weit gefeht! Ich bin 25 Jahre jung, habe keine Krebsgeschichte im Stammbaum, war stets kerngesund und bin dennoch letzten Sommer mit der Diagnose "Dickdarmkrebs, neun von zehn befallene Lymphknoten und Lebermetastasen" erschlagen worden.
Ich war mit meiner Freundin im südlichen Afrika (genauer in Botswana) auf Reisen. Eines Nachts plagten mich, wohlgemerkt völlig unangekündigt, ungeheure Bauchschmerzen. Wir gingen zum Arzt, der war höchst beunruhigt, bestellte via Reiseversicherung ein medizinisch versorgtes Flugzeug und wir wurden umgehend nach Johannesburg/Südafrika geflogen. Drei Tage später, nach vielen unangenehmen Untersuchungen war klar, was mir solch schlimme Schmerzen bescherte. Der Tumor hatte nahezu den ganzen Dickdarm verschlossen. Ein paar Tage länger, und ich wäre wohl verstorben. Man operierte mich an Ort und Stelle, entfernte 30 Zentimeter des Dickdarms und ein krebsbefallenes Segment der Leber.
Nach zehn Tagen flogen wir nach Hause in die Schweiz, zum Glück ohne grössere Komplikationen. Ich wurde ins Spital überwiesen, dort untersuchte man mich mit technisch ausgereifteren Maschinen (PET-CT) und fand erneut zwei kleine Metastasen auf der Leber. Sie können sich vorstellen, in welche Tiefen ich fiel, welche Ängste sich solch einem Befund anschlossen.
Das einzige Alarmzeichen für meinen Dickdarmkrebs war eine Blutarmut, zwei Monate vor den schrecklichen Bauchschmerzen. Ich ging für eine Routineuntersuchung zum Arzt, wie eben sinnvoll vor längeren Reisen. Ich war erschöpft, müde, dachte es sei der Arbeit und des Stresses wegen. Der Allgemeinmediziner entnahm mir Blut, stellte eine aktue Anämie fest, verschrieb mir Eisentabletten und wünschte mir schöne Ferien. Das werde schon wieder. Ich fragte ihn, ob ich denn mit gutem Gewissen auf die Reise gehen könne. Er sagte ja und verabschiedete mich. Was zwei Monate später geschah, wissen Sie ja. Später gestand mir der betreffende Arzt nach einigen lachhaften Ausreden, dass er schlicht vergessen hatte, dass auch ein Tumor die Ursache für die Blutarmut sein kann. Ich hatte nie Blut im Stuhl. Der Blutverlust muss über viele Monate hinweg langsam und so auch unbemerkt geschehen sein. Bei einer Blutarmut wäre ein Computertomogram das Mindeste der Abklärungen. Seien sie also hart mit Ihrem Hausarzt, wenn sie sich bei Routineuntersuchungen nach seltsamen Diagnosen abgefertigt fühlen. Sie ersparen sich unter Umständen viel Ärger, vielleicht sogar schlimme Operationen und Chemozyklen.
Nun denn, man verschrieb mir Chemotherapie: 5FU, Leukovorin und Eloxantin (neo-adjuvant). Vier Zyklen à zwei Wochen. Dann wollte man operieren und erneut Chemotherapie verschreiben (selbe Kombination, adjuvant).
Gleichzeitig informierte ich mich über andere Wege der Krebsheilung, so wie es wohl alle Betroffenen tun. Insbesondere die mentale Unterstützung der Chemo interessierte mich. Wie kann ich mich optimal auf die Zyklen vorbereiten? Inwiefern spielt die Psyche, die mentale Stärke eine Rolle im Heilungsprozess? Und - hat der Krebs selbst vielleicht gar auch psychische Ursachen? Ich durchkämmte Internet, wie Buchhandlungen, informierte mich bei der schweizerischen Krebsliga und stiess schliesslich auf eine Visualisierungstheorie von Simonton. Wohl eine gängige Art der chemoparallelen Krebsverarbeitung. Ich glaubte nicht sonderlich daran, dass es wirklich funktionieren könnte, sich körperliche Abläufe im Kopf vorzustellen, um so den Heilungsprozess zu beschleunigen. Und doch nahm ich mir vor, auch dies einstweilen auszuprobieren - nützt es nichts, so wird's wohl auch nichts schaden!
Daneben stellte ich meine Ernährung um, räumte privat mit meinen Kummerbergen auf (was ich sowieso schon längst hätte tun sollen) - ich wollte einfach so unbeschwert und unbelastet wie möglich durch die Chemotherapie hindurch. Der Krebs war schliesslich schon Belastung genug! Und ich tat dies sehr konsequent und mit ungeheuer viel privater Unterstützung, auch die Simonton-Methode: Ich stellte mir während der Chemo intensiv und manchmal über eine Stunde lang vor, wie die Chemo an ein riesiges Feld von kleinen Krebsen gelangt - und zuhinterst der Oberkrebs, riesengross und sabbernd hässlich. Die Chemo raste so vom Herz aus durch die Blutbahnen in die Leber, durch den Darm, in alle Glieder meines Körpers. Manchmal kam ich mir dabei schon recht dämlich vor: Was soll das denn nützen? Doch es begann mir zunehmend Spass zu machen.
Ich befasste mich eingehend mit den Abläufen meines Körpers. Was kommt wo und wie funktioniert es, usw? Und ich nahm mir vor, dass nach dem vierten Zyklus alle kleinen Krebse tot auf der Leber und in den Blutbahnen und im Lymphsystem liegen, den grossen Krebs nahm ich mir beim vierten Zyklus zur Brust. Ein riesiges Schlachtfeld von toten Krebsen stellte ich mir vor - recht genüsslich, wie ich mich erinnere. Dann kamen die weissen Blutkörperchen und räumten die Kadaver weg. Irgendwie schon etwas eigenartig, das gebe ich zu!

)
Doch die gedanklichen Körperreisen zeigten Wirkung. Die Chemo, die mir verabreicht wurde, macht sehr kälteempfindlich. Wenn ich in den Kühlschrank griff, zerstachen tausend Nadeln meine Hände. Auch in diesen Fällen stellte ich mir vor, wie das Blut vom Herz aus in die Hände strömt und die Schmerzen lindert. Nur so aus Spass. Und sie werden es nicht glauben, die Schmerzen verschwanden. Auch ich konnte es kaum fassen. Es funktionierte nicht immer, aber gelegentlich. Und gelegentlich besser ist besser als immer nur schlecht, finde ich.
Nun, der langen Rede kurzer Sinn, nach den vier Chemozyklen erwartete ich bange den Bescheid des neuen PET-CTs und war noch immer nicht sicher, ob meine mentale Arbeit denn irgendwas genützt hat. Eigentlich konnte ich mir noch immer nicht vorstellen, dass dies ein Mittel gegen den Krebs sein könnte. Ich rief meinen Arzt an, und er sagte mir überrascht: "Das PET-CT hat nichts mehr gezeigt. Ein seltener Fall!"
Ich wurde über die vergangenen Weihnachtstage zum zweiten Mal operiert. Der Chirurg entfernte ein weiteres Lebersegment, auf dem einst Metastasen von zirka zwei Zentimentern Durchmesser waren. Er entnahm acht Gewebeproben, auch von Darm und Bauchfell - und sie waren alle negativ. Was mich natürlich überglücklich macht!
Ich will damit keineswegs behaupten, dass Krebspatienten auf Chemotherapie verzichten sollen! Aber man sollte in dieser so schwierigen und intensiven Zeit keine Möglichkeit, kein Versuch auslassen, den Heilungsprozess zu fördern, das Immunsystem zu stärken, usw. Ich glaube natürlich nicht, dass sich Krebszellen so einfach wegdenken lassen. Doch bin ich aus eigener Erfahrung zur Überzeugung gelangt, dass Körper, Geist und Seele sehr wohl eng miteinander verängt sind und gut zusammenarbeiten, wenn wir es zulassen.
Ich bin überzeugt, dass die Psyche, Blockaden des Alltags, grosse Probleme, welche man teils jahrelang mit sich herumschleppt, einen genetischen Defekt begünstigen oder vielleicht sogar auslösen kann. Leider hat dies bis heute noch niemand bewiesen.
Wenn Sie auch Ähnliches erlebt haben, oder wenn sie Fragen zu meiner Art des Umgangs mit dem Krebs haben, so schreiben Sie mir doch. Auch ich bin noch nicht über den Berg. Am 3. Februar 2004 beginnt meine zweite Chemotherapie. Dann folgen die Nachkontrollen.
Ich mache mich sehr wohl darauf gefasst, dass wieder etwas vom Krebs heranwachsen könnte. Doch habe ich irgendwo die körperliche Überzeugung, dass dies nicht passieren wird. Vielleicht ist es auch nur Hoffnung, doch habe ich in den vergangenen Monaten zuviele Wunder erlebt, als dass ich nicht wenigstens ein Bisschen an meine Überzeugung glauben möchte.
Ich wünsche Ihnen alle Gesundheit und alles Glück dieser Welt und freue mich sehr über Zuschriften. Insbesondere bin ich auf der Suche nach gleichaltrigen Patienten. Ich habe da noch so viele Fragen zur Grundsuche des Dickdarmkrebs, die mir die Ärzte leider nicht beantworten können.
Bis bald...
Stephan Honegger
stephan_honegger@yahoo.com