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Alt 29.10.2012, 17:52
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HelmutL HelmutL ist offline
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Standard AW: Hinterblieben, nur wo?

"Ei, Hartmut. Lebst du noch?"
"Was? Wieso?"
"Den ganzen Morgen schon sitzt du rum und bewegst dich keinen Millimeter."
"Lass mich."
"OK."
...
...
...
"Erde an Hartmut. Erde an Hartmut. Bitte kommen!"
"Mann, du nervst."
"Ja und? Schau mal in die Küche. Bist heute dran."
"Wie? Achso, ja. Ich komme."
"Du siehst richtig fertig aus. Ich trockne ab. OK?"
"Danke."
...
...
...
"So, die Küche ist wieder blank. Magst nen Kaffee?"
"Gerne, Helmut"
"... und jetzt erzähl mal, was so wichtig war. Wenn du magst."
"Hab nachgedacht."
"Man hat's gesehen. Die Decke über dir ist ganz schwarz, so hat dein Kopf gequalmt."
"Quatschkopp."
"Nee, jetzt mal im Ernst. Warst mal wieder in 'Norwegen'?"
"Jain."
"Jetzt erzähl doch mal. Lass dir nicht alles einzeln aus der Nase ziehen."
"Ich war nicht in 'Norwegen'. Es hat jedoch was damit zu tun."
"Also doch!"
"Nein. Vielmehr die Frage: Was passiert mit einem vergangen Leben, wenn es mir immer dreckig geht sobald ich daran denke?"
"Hm. Du meinst, wenn jemand verstorben ist? Das wäre doch normal, oder etwa nicht?"
"Ja, das Leben eines Verstorbenen. Es ist Vergangenheit, nicht mehr da."
"OK, ich verstehe trotzdem nicht. Mit diesem Leben passiert doch nichts mehr. Kann nicht. Vorbei."
"Zwei Beispiele. Nehmen wir an, ich habe einen Fehler gemacht, dann geht es mir hinterher schlecht. Oder ich habe was Richtiges gemacht, dann geht es mir hinterher gut. War das Leben unserer Verstorbenen ein Fehler?"
"Wie das denn nun wieder?"
"Ja, ein Fehler. Ich fühle mich doch schlecht, bin traurig, wenn ich daran denke. Wenn ich an mein früheres Leben in Norwegen denke. Siehe Beispiele oben."
"Oh. So langsam verstehe ich, was du meinst."
"Ja, und?"
"Ganz sicher waren sie nicht immer die 'Engel auf Erden'. Doch das ist nicht deine Frage."
"Ja, ist es nicht."
"Gut. Lass uns mal Überlegen. Dass wir traurig sind, wenn jemand stirbt, hat nichts mit dem Inhalt seines Lebens zu tun sondern zum großen Teil auch mit unserem persönlichen Verlust und weil er oder sie eben tot ist. OK?"
"So ist es."
"Ob es uns in Gedanken gut oder schlecht geht, wirkt sich nicht auf das vergangene Leben aus. Das bleibt wie es war."
"Stimmt. Die Vergangenheit ist nicht zu ändern."
"Die Frage ist doch: wie gehen wir mit diesem Leben um? Ich denke, der Knackpunkt ist, ihm gerecht zu werden."
"Wie meinst du das jetzt?"
"Dieses Leben rekapitulieren. Wie war es wirklich? Mama nörgelt, weil das Kinderzimmer schon wieder im Chaos versinkt. Papa tobt, weil Sohn oder Tochter mal wieder zu spät nach Hause kommt. Die Frau ist wütend, weil der Mann zum 5. mal vergißt, den Mühl mit nach unten zu nehmen und so weiter. Auf der anderen Seite: Mama nimmt mich in den Arm, wenn ich traurig bin. Papa ist bei jedem Fußballspiel dabei und fährt die Tochter zum Turnen. Das tolle Essen, das sie gekocht hat, der erste Kuss, die Urlaubsfahrten, die schönen Stunden auf dem Bärenfell bei Kerzenschein .... "
"An was du immer denkst."
"Na hörmal? Auch das ist wichtig"
"OK, is ja gut."
"Verstehst du, was ich mit 'gerecht' meine?"
"Ja."
"Genau so wichtig ist was ganz anderes. Daß wir dem Leben unserer Lieben dadurch erst wirklich gerecht werden, daß wir einerseits traurig sein dürfen und, noch wichtiger, andererseits uns darüber freuen, daß wir es mit ihnen teilen durften. Daß wir in der Erinnerung wieder lachen können über Dinge, über die wir früher gemeinsam gelacht haben. Das ist gerecht."
"Stand das mit dem Lachen nicht auch in Myriams Danksagung?"
"Ja. Steht es immer noch. Sie selbst hat sich das ausgesucht."


Alles Liebe,

Helmut
__________________
Zeit zum Weinen, Zeit zum Lachen.
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