Ein herzliches "Hallo zusammen",
es ist alles in Butter

. Die Kleine entwickelt sich prächtig und hat bereits gut 700 gr zugelegt. Allerdings ist sie nicht mehr ganz so friedlich wie zu Anfang. So wird meine Prophezeiung doch noch wahr: "Unsere Enkel werden uns rächen."

Najaaa, ganz so schlimm muss es ja nicht werden.
Wie ging es weiter an dem Tag, als Flora auf die Welt kam? Von der Klinik fuhr ich zu meiner Ältesten. Ihr Mann hatte ebenfalls an diesem Tag Geburtstag.
Normalerweise habe ich keine Probleme, mich auf sie und ihre Freunde einzustellen. Ich komme sehr gut mit ihnen aus und muss mich zu keinem Gespräch quälen. Was auf Gegenseitigkeit beruht. Doch an diesem Tag war es anders.
Ein paar Gäste waren bereits da. Sie sitzen am großen Tisch oder helfen bei den letzten Vorbereitungen. Auf und im Herd bruzzelt bereits das Abendessen vor sich hin. Die alte ehemalige Wohnung ist zu einem einzigen Raum zusammen gefasst. Egal wo man gerade steht, man kann alles überblicken und hören. Ich setze mich zu ihnen an den Tisch und genehmige mir zuerst mal einen Kaffee und ein Stück Kuchen. Seit dem Frühstück habe ich nichts mehr gegessen.
Kreuz und quer geht die Unterhaltung. Heute geht sie meist an mir vorbei. Irgendwie fühle ich mich isoliert und bin froh, mich an Kaffee und Kuchen festhalten zu können. "Hoffentlich fällt das nicht auf", denke ich. Wie üblich sollte ich mich an der Unterhaltung beteiligen, schließlich kenne ich alle recht gut und schon lange. Einsilbig sitze ich da und beobachte. Schaue meiner Tochter zu. Heute hat sie sich mal wieder so richtig aufgebrezelt. Sie sieht gut aus, denke ich. Ständig ist sie in Bewegung, redet hier und da, wirbelt durch den Raum. Alle unterhalten sich angeregt, es wird viel gelacht, Bombenstimmung.
Kaffee und Kuchen sind gegessen. Ich stehe auf und gehe raus in den Garten um eine zu rauchen. Nur? Nein. Bilder sind aufgetaucht aus längst vergangenen Zeiten. Sie wiederholen sich. Nur meine Perspektive ist anders. Sie wiederholen sich absolut. Bilder von Festen. Den Vorbereitungen, das Eintreffen der ersten Gäste, das große "Hallo", die Gespräche und das Lachen. Eines ist damals genau wie heute: ein kristallklares, herzliches Lachen, das nicht zu überhören ist. Eines ist damals genau wie heute: die Freude, Gäste zu bewirten und zu unterhalten. Eines ist damals genau wie heute: das Herumwirbeln, die Lebendigkeit, die Energie. Eines ist damals genau wie heute: ein Haus voller Gäste, voller Leben, pure Lebensfreude, voller Freunde. Eines ist damals genau wie heute: wie die Mutter, so die Tochter.
Was ist heute? Bin ich nur Gast? Dieser Begriff geht mir seit heute Nachmittag nicht aus dem Kopf. Ok, ok, ok, mach langsam. Später, nicht jetzt! Tief Luft holen. Gut, es geht. Alles ist gut! Die nächsten Gäste kommen. Ich geh wieder nach drinnen. Lautes Hallo und herzliche Begrüßung. Glückwünsche auch an die frischgebackene Tante, den Onkel, die Cousinen und den Opa. Es tut gut und meine Stimmung passt sich langsam an. Das Haus wird voll. Viele Kinder sind da. Meist sind sie oben in den Kinderzimmern. Man kann sie manchmal hören durch die Decke

. Wenn sie runter kommen, wird es richtig laut. Manchmal muss Mama oder Papa eingreifen, schlichten, ein Tränchen trocknen oder auch mal ein Machtwort sprechen. Wie das Leben so spielt, wenn man Kind ist. Im Wohnzimmer steht ein Bistrotisch und eine Biergartengarnitur ist aufgestellt. Reden, lachen, mal hier, mal dort, im Sitzen, im Stehen. Über die Kinder, die Schule, den Beruf, Sport, Urlaub, Politik und Gott und die Welt. Essen und trinken, es ist ein schöner Abend. Leicht und fröhlich.
Irgendwann ist auch das schönste Fest zu Ende. Nicht als Erster und lange nicht als Letzter, doch etwas später als gewöhnlich bin ich zu Hause. Die Fotos von Flora müssen auf den Rechner. Den Tag über haben wir immer mal telefoniert, doch jetzt schnell nach Skype, sie wartet schon. Schließlich möchte sie (als Oma für Flora, auf Wunsch ihrer Mama, wir haben uns darüber riesig gefreut) die Fotos sehen, die ein stolzer Opa

am Nachmittag gemacht hat und außerdem ist es was ganz anderes, wenn man sich sieht beim miteinander Reden. Sylvester war sie hier, hätte nur zu gerne miterlebt. Leider konnte sie nicht so lange bleiben, bis Flora dann endlich da war. Trotzdem, herrliches Sylvester. Mit das schönste seit langem.
Nur zu Gast bei unseren Kindern? Nicht zum ersten Mal unterhalten wir uns darüber. Wie ist die Beziehung Eltern - Kind, wenn die Kinder erwachsen sind, vielleicht schon eine eigene Familie haben und ihr selbstständiges Leben führen? Wir ziehen uns zurück. Beileibe nicht gerne und oft auch nicht bewusst. Wir machen uns weiterhin Sorgen, und wollen
miterleben. Wir freuen uns über ihre Erfolge, daß es ihnen gut geht, wollen auch das teilen. Doch nicht mehr in der ersten Reihe sondern aus der Ferne. Das Seil, an welchem wir sie zu Anfang ganz eng geführt haben, das wir mit der Zeit immer lockerer führten, es liegt zusammengerollt in der Ecke. Nicht zerrissen, nur etwas abgenutzt, doch immer noch fest und stark und keineswegs vergessen. Von keiner Seite, wie man spätestens als Großeltern wieder merkt

. Umso schöner, wenn die Kinder es ab und an wieder in die Hand nehmen, denn jetzt sind es auch sie, die sich Gedanken über uns machen. Manchmal kann man das deutlich hören. Doch auch für uns ist es gut, wenn man das Seil wieder ordentlich aufgerollt in die Ecke legen kann. Vielleicht müssen wir es (hoffentlich sehr viel später) wieder aus der Ecke hervorholen und hoffen und darauf vertrauen, daß es auf der anderen Seite in die Hand genommen wird.
Bis dahin genießen wir mit den Kindern das gegenseitige, gemeinsame Alleinsein und pflegen das Seil, daß es seine Kraft behält.
Bis dahin sind wir gerne Gäste in ihrem Leben. Wenn alles gut geht, besonders gern gesehene Gäste.
Denn auch Gäste können die Tür hinter sich schließen und sich freuen (?)

auf den nächsten Besuch.
Ich wünsche euch allen wenigstens eine gute Freundin oder guten Freund oder eine/n Partner/in um miteinander zu reden. Gut, so manches kann und muss man mit sich selber ausmachen. Geht nicht anders. Doch viele Dinge bleiben ohne sie unerreichbar. Sie sind so wichtig im Leben wie das Atmen. Man kann sie sich suchen oder sich selber finden lassen. Es gibt viele Menschen, die bereit sind und keine Angst haben zu verstehen.
Danke.
Alles Liebe,
Helmut