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Alt 05.02.2013, 02:10
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HelmutL HelmutL ist offline
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Standard AW: Hinterblieben, nur wo?

Guten Morgen, meine Lieben,

Klein-Flora entwickelt sich prächtig. Man hat schon richtig was auf dem Arm: 4300 gr wiegt sie inzwischen. Für einen Sonnenstrahl schon so einiges, oder?

Gestern Abend um 22:30 Uhr bin ich mit ihrer Mama nach langer Zeit mal wieder auf Einkaufstour nach Holland gefahren. Mitten in der Nacht ein Anruf von der Babyfront: Papa macht das prima. Auch wieder am späten Morgen. Alles Paletti zu Hause. Punkt 15:00 Uhr sind wir wieder zurück. Ausladen, einräumen, gegen 17:00 Uhr bin ich zu Hause. Noch ein wichtiger Anruf und ich liege flach. So viel dazu, daß ich jetzt noch wach bin.

Ein Blick in den Kompass und ich lese mal wieder, wie so oft, die berühmte Frage: warum? Und über Wut und Neid: warum sind andere so glücklich?



Warum .... ?

25. Februar 2008. Gestern waren Träume geplatzt. Ich bin in der Stadt. Ein Paar geht auf der anderen Straßenseite. Beide sind alt und gebrechlich, die Frau geht mühsam am Stock und er ist auch nicht mehr fit. Schätzungsweise Beide weit über die 80. In dem Gedränge kommen sie kaum voran. Wut und Verzweiflung kommt in mir auf. Das war mal einer unserer Träume. Gemeinsam alt werden.

April 2008. Schwiegermutter hat offenkundig große Probleme mit der Realität. Vergisst ständig etwas, weiß nach 5 Minuten nicht mehr, was vorher war, und das Kochen klappt auch nicht mehr. Wir bringen sie in die Klinik. Dort stellt man die Diagnose: demenziöse Alzheimer. Musste das sein??? Könnte sie ihre restlichen Jahre nicht noch genießen??? Das Erlebte war zu viel für sie, das konnte sie nicht mehr verkraften.

Sommer 2008. Die Nachbarn grillen, die Kinder sind zu Besuch. Gelächter und lautes Toben der Enkel dröhnt durchs Fenster. Hier? Nichts. Totenstille! Fenster zu, Laden runter!!!

... ich verstehe es nicht! Ich hasse das Leben und die Anderen. Dieses Leben. Hier! Jetzt!


Doch, warum eigentlich nicht?

Die beiden Alten da drüben, sie unterhalten sich, lachen. Das Gedränge, die vielen Menschen um sie herum stören sie nicht. Die rechte schwer auf den Stock gestützt, die linke Hand in der ihres Mannes gehen sie langsam Richtung Altstadt. Er hat ihre Handtasche um seine Schulter gehängt. Sie genießen den schönen Tag, das Leben und die Stadt in vollen Zügen.

Seit 2 Jahren ist Schwiegermutter im Pflegeheim gleich in der Nähe. Die Pflege zu Hause war unmöglich geworden. Sie freut sich über unseren Besuch. Sie ist glücklich und zufrieden, körperlich gesund und hat alles, was sie braucht: freundliche Menschen um sich, die sich ihr zuwenden, ihr helfen, sie beschützen. Mehr kann man nicht tun.

Die Nachbarn feiern und grillen immer noch mit ihren Kindern und Enkeln. Ich höre das Lachen und die Kinder. Das Fenster bleibt weit offen.


Ich verstehe immer noch nicht: warum? Doch ich hoffe, die beiden Alten können immer noch durch die Stadt spazieren und ihr Leben genießen, so gut es eben geht, und miteinander fröhlich sein und lachen. Für meine Nachbarn hoffe ich, daß sie noch viele Sommer im Garten grillen und feiern können und meiner Schwiegermutter wünsche ich, daß sie den Rest ihrer Jahre glücklich und zufrieden verbringen kann. So lange als möglich.

Warum gerade Myriam? Lange Zeit war das die beherrschende Frage. Eine Antwort gibt es nicht. Irgendwann dachte ich erschrocken: jemand Anderes? Die beiden Alten? Meine Schwiegermutter? Meine Nachbarn? Wäre das die Antwort auf diese Frage? Gott bewahre: Nein!

Auch wenn mich solche Menschen damals traurig machten, heute wünsche ich ihnen alles Gute und Liebe, Frieden und Glück um ihr Leben zu genießen. Vielleicht wissen sie nicht, welchen Schatz sie in Händen halten. Doch das spielt keine Rolle, ich wusste es früher auch nicht wirklich. Wusste auch nicht, wie schnell alles vorbei sein kann und wie fürchterlich Träume platzen können. Das ist auch ganz gut so. Demnächst, am 24. Februar, jährt sich bereits zum fünften mal der Todestag von Myriam. Hätte ich das vorher wissen wollen? Nein.

Es ist der Unterschied zu diesen anderen, der unser Leben ausmachen sollte. Das Wissen um diesen Schatz und das Leben. Offen in unseren Herzen und vor allem gelebtes Wissen.

Das wäre doch eine mögliche Antwort auf das Warum. Oder? Auch, oder vielleicht gerade deswegen, daß das nichts an den Tatsachen ändert.


Ich wünsche euch eine gute Nacht,

Helmut
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