Forum für Angehörige UND Betroffene
Schöner Sonntagmorgen!
Hi, Jacqueline! Du hast übrigens eine schöne deutsche Aussprache; das merk' ich "alte" Schriftstellerin und Leseratte natürlich gleich!
- Ich kann mir das gut vorstellen, dass Du Dich gleichzeitig als Angehörige, Selbstbetroffene und auch noch Hinterbliebene fühlst. Auch Selbstbetroffene, weil Du mit Deinem erwachsenen Verstand JENES verarbeitet hast, was Dein Kleiner gar nicht tun musste, bzw. noch gar nicht tun konnte.
So gesehen hat das Ganze im Schlechten wenigstens auch ein bisschen einen Vorteil. So kleine Kinder stellen sich noch keine so viele Fragen wie wir Erwachsenen, dieses ewige "Warum?" und "Wieso?" und "Was kann man tun?" und so weiter. Ihr kleines Hirn läuft noch nicht so ununterbrochen und quälend wie das unsere. (Manchmal möcht ich das meine schon mal gerne "abschalten" können. Wenn's bloss irgendwo einen Schalter gäbe! Tja!)
Das ist wohl der einzige schwache Trost bei Kindern. Sie SIND einfach, sie LEBEN einfach, sie sind die reine Unschuld und Liebe. Und jenes nagende, was wir Erwachsene mit unserem Verstand noch durchmachen müssen, bleibt ihnen wenigstens erspart.
Liebe Jacqueline, ich drücke Dich ganz herzlich und fest.
Hallo Gabriele, Du Bär! Du bist wirklich in einer verzwickten Situation. Aber ich muss Lilly da zustimmen, denn Deine Mutter hat das Recht zu erfahren, WELCHE Krankheit sie hat. Irgendwann WIRD sie es auch erfahren, und dann wirst DU ein bisschen zünftig verlegen dastehen, hm-hm!
(Ich bin AUCH für volle Ehrlichkeit, Ihr Lieben, nicht dass Ihr mich hier missversteht! Ich habe es IMMER nur von den ZEITLICHEN PROGNOSEN der Ärzte, die mir nicht passen, aber nicht von den DIAGNOSEN!)
Klar, die DIAGNOSE alleine kann Deine Mutter schon tief fallen lassen. Aber bist Du Dir da wirklich sicher? Wie stark ist sie, weisst Du das? Wie oft hat sie schon in ihren 87 Jahren gekämpft, weisst Du das?
Und kann es nicht sein, dass diese Krankheit, Euch beide jetzt noch näher zusammen bringen kann?
Wieviel "Schonung" verträgt ein Mensch? Muss die "Schonung" so weit gehen, dass man angelogen wird? Dass einem das Wichtigste, nämlich die eigene Gesundheit, VERSCHWIEGEN wird? - Hättest DU das gerne? Auch wenn Du 87 wärst?
Ich weiss, in der Regel wird kaum noch ein Krebs in einem solch hohen Alter eines Menschen operiert und behandelt. DAS Risiko ist viel zu gross. Und MIT der DIAGNOSE wird Deine Mutter auch erfahren müssen, dass man sie hier nicht mehr gross behandeln kann. Also wird es DOCH ein Todesurteil für sie sein.
Aber versuche abzuschätzen, was für Euch beide besser sein kann: Euer beidiges Wissen darüber, wobei Ihr näher zusammen rückt und gemeinsam leiden könnt, ... oder Dein alleiniges Wissen darüber, wobei Du das Risiko eingehst, dass Deine Mutter von Dir enttäuscht sein könnte, weil Du ihr das Wichtigste am Ende noch verschwiegen hast!
Ich finde, lass es nicht zu, dass Eure Mutter/Tochter-Beziehung so spät noch mit einer Lüge, bzw. gut gemeinten Verschwiegenheit zu Ende geht. Leidet zusammen, denn dann wird Deine Mutter im besseren Frieden gehen können. Gerade DU wirst sie am besten verstehen können, Du wirst ihr am besten beistehen können. Geniesst zusammen noch das Leben, schenk Deiner Mutter all Deine Liebe, aber mit Ehrlichkeit.
Ich umarme Dich jedenfalls ganz fest, lieber Brummbär. Ich bin überzeugt, Du wirst den richtigen Weg finden.
Liebe Lilly, Du fragst mich wegen dieser ewigen Frage "Was ist wenn ...?", und wie ich damit umgehe?
Hmpf! Gute Frage!
Also ganz am Anfang nach der Diagnose, so die ersten Wochen, ja sogar Monate, ... habe ich JEDEN Morgen, gleich wenn ich aufwachte, den Gedanken gehabt: ICH HAB' KREBS! - Und das war für mich so unfassbar, so völlig unglaublich und unmöglich, dass ich diesen EINEN Gedanken einfach nicht loswerden konnte. Gleich so früh am Morgen! Gleich nach dem Aufwachen! Das war echt unerträglich! Ich meine, ich hätte ja auch sofort an einen schönen, knackigen Mann oder so denken können, nicht? Oder daran, was ich an diesem Tage noch vor habe. Oder an meine Katzen. Oder an den Film, den ich gestern vielleicht im TV noch geguckt hatte. - Aber NEIN, es musste immer dieser olle KREBS-Gedanke sein!
Das hat wirklich lange gedauert, bis ich dann endlich mal aufwachen konnte, OHNE diesen Krebs-Gedanken! Dafür "verschob" sich das Ganze einfach auf den Tagesablauf. Wenn ich zum Beispiel an einem Fest war, wo viele Menschen waren, sass ich manchmal so da, guckte mir diese Menschenmasse an und dachte mir: "Wieviele von diesen Leuten hier haben wohl auch Krebs? Wenn also jede NEUNTE Frau Brustkrebs haben sollte - gemäss Statistiken - dann ... ups!, muss es hier ja von Krebspatienten nur so wimmeln!"
Solche Gedanken! Sie kamen auch in der Strassenbahn, oder bei der Arbeit. Das ist aber auch heute noch so. Dieses KREBS-Wissen klebt regelrecht wie ein Kaugummi an mir. (Und der Kaugummi ist auch noch mit Sekundenkleber angekleistert!)
Und natürlich kommt da immer wieder dieses "In-sich-hinein-horchen"! Ziept oder Zwickt es irgendwo im Körper, ist die Angst bereits wieder da. Ich komme da NIE aus dem Denken raus! Wenn ich Leute treffe, FRAGEN die mich natürlich wieder alles mögliche über mich. Keine Chance für eine Denkpause. Wenn die Arzttermine bevor stehen, bin ich schon Wochen vorher nervös. Und wenn der Tag der Untersuchung dann DA ist, bin ich so zappelig, dass kein Arzt bei mir einen "normalen" Blutdruck messen kann! An so einem Tag KANN ich nichts Gescheites mehr nebenbei anfangen. Alles dreht sich nur noch um diese Kontrolluntersuchung. Oftmals habe ich dann sogar ... naja, Durchfall! - Erst wenn ich dann aus der Praxis raus bin, lässt dieses Zappelig-Sein wieder nach. Kommt dann natürlich noch darauf an, was ich mit dem Arzt noch besprochen habe, wie sehr er mir Druck gemacht hat oder nicht. Das ist dann genau so ausschlaggebend. Aber das gehört zum Thema Ärztemaschinerie, und da kann man schlecht einfach flüchten. Trotzdem ist es da, und belastet noch zusätzlich.
Erst wenn ich weiss, ich habe wieder für drei Monate oder so Ruhe, weil die letzte Untersuchung soweit i.O. war, ... kann ich mich wieder etwas entspannen und LEBEN.
Aber dieses LEBEN wird immer weiter von dem Krebs begleitet sein, mit diesem Mörder, welcher mir da auf der Schulter hockt!
Es GIBT nichts anderes, als da DURCH zu gehen, liebe Lilly. Obwohl selbst ich manchmal am liebsten auf eine einsame Insel flüchten möchte. Aber das sind reine Flucht-Gedanken, die wohl jeder irgendwie hat. Naja, wer will sich schon mit so einem Sch... rumschlagen?
Trotzdem, es gehört zum Leben, auch Leid ertragen zu müssen. Nach diesem Motto habe ich schon immer gelebt, deswegen bin ich heute warscheinlich auch stark genug und besitze Energien, die mich selber erstaunen. - Wie heisst jenes Sprichwort so schön? "Erst duch das Leid wachsen dem Menschen Flügel!"
Und wie gehen meine Angehörigen damit um? Naja, ich habe es hier irgendwo schon mal aufgeschrieben: Nämlich GAR nicht! - Ausser, dass mich mein Vater regelmässig mit dem Auto zur Nachkontrolle bei den Antrophosophen hinfährt. Und wir hinterher ein Stück KUCHEN Essen gehen! Das ist eigentlich für MICH schon sehr viel, ... auch wenn mein Vater nicht MIT in die Praxis kommt und dort wartet, um mir gut zuzusprechen. Das muss ich immer alleine tun. Hab's auch immer alleine getan.
Erst letzthin hat mir ein guter Freund anerboten, dass er mich zu meinem Gynäkologen begleitet! Ein wahres Wunder für mich! Darauf freue ich mich echt!
Aber letzten Endes ist es nun mal so: Dass Du als Mensch schlussendlich IMMER alleine bist. Auch wenn Du Begleitung und Angehörige hast, ... Du bist immer für Dich selbst verantwortlich. DU bist diejenige, die beim Gynäkologen auf dem Schragen liegen muss, DU bist diejenige, die mit dem Ganzen klar kommen muss, DU bist diejenige, die ENTSCHEIDEN muss, DU bist diejenige, die das Leid am eigenen Körper erfahren muss, DU bist diejenige, die heulen muss, DU bist diejenige, die Schmerzen ertragen muss, ... und DU bist diejenige, die dann irgendwann auch sterben muss. Im Alleingang.
Was wäre wenn ...? Immer wieder diese Frage. Aber zwischendurch frage ich mich auch: Was wäre wenn NICHT ...?", und dann geht's mir gleich wieder besser, jaja!
So, Ihr Lieben, ich mach jetzt mal Frühstückpause, gell? Ich hab' noch gar nichts gegessen!
Bis dann! Grüssli vom Känguruh.
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