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Alt 09.05.2013, 18:22
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Atlan Atlan ist offline
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Standard AW: Selbsthilfegruppe Zungenkarzinom

Hallo Freunde,

Frau Sabine Doll vom WESER-Kurier hat mir die Erlaubnis gegeben, eine von ihr verfassten Artikel für die Information der Forumer zu nutzen. Vielen Dank dafür.


Neues Verfahren zur Kiefer-Rekonstruktion

Bei einer Tumoroperation im Gesichtsbereich müssen häufig auch Teile des Kiefers mit entfernt werden. Die Rekonstruktion des Unterkiefers gestaltete sich bislang besonders schwierig. Eine neue OP-Methode, die erst an wenigen Kliniken zum Einsatz kommt, hat diese Situation jetzt geändert.

VON SABINE DOLL

Bremen. „Mit diesem neuen Verfahren zur Rekonstruktion können wir Patienten, denen ein Teil oder der gesamte Kiefer entfernt werden muss, deutlich besser helfen. Und ihnen damit Lebensqualität geben“, sagt Professor Jan Rustemeyer. In den meisten Fällen ist es eine Tumorerkrankung, die solch eine Operation notwendig macht. „Mundhöhlenkrebs ist in Deutschland die zehnthäufigste Krebserkrankung. Sie hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen, Hauptursachen sind Rauchen und Alkohol“, sagt der Chefarzt der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie und Plastische Operationen am Klinikum Bremen-Mitte.
Ziel der Kiefer-Rekonstruktion ist es, die volle Funktion wiederherzustellen, damit die Patienten nach der Operation so gut wie möglich sprechen, trinken und kauen können. Ebenso wichtig ist, dass die Gesichtsform nach der Tumoroperation wieder möglichst originalgetreu rekonstruiert ist. „Bei kleineren, knöchernen Defekten ist das auch bislang ganz gut gelungen“, sagt Rustemeyer. „Während der gleichen Operation, in denen der vom Tumor befallene Bereich des Kieferknochens entfernt wird, wird der Defekt durch körpereigenes Knochengewebe ersetzt.“ Diese Transplantate werden zum Beispiel aus dem Beckenkamm entnommen.
Probleme bei Kauen und Sprechen
Bei größeren Tumoroperationen, wenn große Teile oder sogar der gesamte Unterkiefer entfernt werden müssen, war das OP-Ergebnis aus Sicht des Chefarztes bislang eher unbefriedigend. Zwar werde der Tumor großflächig entfernt, aber eine auch nur annähernd originalgetreue Rekonstruktion der Gesichtsform sei kaum möglich gewesen. Die großen Defekte seien vor allem mit Titanplatten und ähnlichen Konstruktionen überbrückt worden.
„Für die Patienten ist das eine sehr große Belastung: Sie können nicht kauen und haben große Schwierigkeiten beim Sprechen“, schildert Rustemeyer. Wegen der Probleme beim Essen, benötigen viele der Betroffenen eine Magensonde zur Ernährung. „Hinzu kommt die psychische Belastung durch das enorm veränderte Aussehen, wenn der Unterkiefer fehlt. Viele wagen sich dann kaum noch in die Öffentlichkeit oder tragen dann einen Schutz vor dem Mund.“
Hoffnung gibt diesen Patienten jetzt ein neues Operationsverfahren, das nach Angaben des Bremer Chefarztes bislang nur an sehr wenigen großen Kliniken in Deutschland zum Einsatz kommt. „Der Grund dafür ist, dass es noch sehr neu, aber auch extrem aufwendig ist.“ Neu ist, dass der fehlende Knochen mit körpereigenem Material aus dem Wadenbein entnommen wird. „Der große Vorteil ist, dass wir hier auch Blutgefäße für die spätere Durchblutung in dem rekonstruierten Kiefer mitentnehmen können“, erklärt Rustemeyer. Das Wadenbein eigne sich auch deshalb besonders gut, weil die Patienten keine späteren Einschränkungen befürchten müssten – auch nicht, wenn für eine gesamte Unterkiefer-Rekonstruktion mehrere Knochenfragmente entnommen würden.
Bei der Planung spielt eine neue Computer-Software eine zentrale Rolle. „Vor dem Eingriff wird eine dreidimensionale Computertomografie, ein CT, des Defekts am Kiefer erstellt.“, erklärt der Mediziner. Form und Größe werden dabei genau abgemessen und dann als Schablone gespeichert. Diese wird auf eine ebenfalls dreidimensionale CT-Aufnahme des Wadenbeins projiziert – und so die passende Stelle an dem Knochen für das Transplantat ermittelt.
Die virtuellen Schablonen, die eine genaue Passform des Transplantats darstellen, werden schließlich als echte Schablonen produziert – als sogenannte Cutting Guides, Schnittführungen. Damit bei der echten Operation auch die in der virtuellen Planung ermittelte Form des Transplantats entnommen werden kann.
Rustemeyer: „Auch der zweite Teil des Eingriffs, das Einsetzen des Transplantats und der Anschluss der Blutgefäße wird virtuell geplant, alles mit Hilfe von Experten in den Niederlanden, die diese Software entwickelt haben.“
Präzise Passform
Auch bei größeren Defekten – wenn der gesamte Unterkiefer neu aufgebaut werden müsse – funktioniere das. „Dann werden nach der gleichen Methode mehrere Knochentransplantate benötigt, die später über eine Titanschiene miteinander verbunden werden und so den Unterkiefer nachbilden“, erläutert der Chefarzt. Fehlt der gesamte Unterkiefer, muss an den jeweiligen Enden ein künstliches Kiefergelenk angebracht werden. Später können in die Knochentransplantate auch Zahnimplantate eingesetzt werden.
Der Eingriff dauert nach Angaben des Bremer Arztes sechs bis sieben Stunden, je nach Aufwand der Rekonstruktion. Für die Planungsphase müssten zwei bis vier Wochen kalkuliert werden, weil unter anderem die sogenannten Cutting Guides hergestellt werden müssten.
Bislang sind im Klinikum Mitte fünf Patienten mit diesem neuen Verfahren operiert worden, darunter auch eine komplette Rekonstruktion des Unterkiefers. „Mit dem Ergebnis sind wir hoch zufrieden“, sagt Rustemeyer. „Bis auf einige Schwellungen, die sich noch zurückbilden müssen, ist die Gesichtsform sehr natürlich.“ Demnächst könne mit den Zahnimplantaten begonnen werden. „ Der große Vorteil der Methode ist die äußerst hohe Präzision, mit der der Kieferaufbau geplant wird.“ Nachteil sei die lange Planung, weshalb Notfälle noch nicht auf diese Weise versorgt werden könnten. Bisher kämen deshalb rund die Hälfte der Patienten für das Verfahren infrage.
„Wir sind aber gerade dabei, dieses Problem zu lösen“, sagt Rustemeyer. „Unser klares Ziel ist, dass in Zukunft noch mehr Patienten davon profitieren können. Immerhin bedeutet diese Möglichkeit einen enormen Gewinn an Lebensqualität nach einer so schweren Erkrankung.“
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Jesus sagt: "Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben."
Joh 5, 24
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