AW: Aderhautmelanom
Hallo Günther,
vielen, vielen Dank für deine Glückwünsche! Natürlich verschieben sich durch ein Kind die Prioritäten im Kopf. Wobei das bereits durch die Krankheit passiert ist. Und du wirst mir auch zustimmen, dass man sich erst dann für ein Kind entscheidet, wenn man mit sich im Reinen ist. Mal abgesehen davon, dass es wegen meiner Meisterprüfung damals nicht ging, aber ich hätte mich nicht entschlossen ein Kind in die Welt zu setzen, wenn ich mental noch so belastet gewesen wäre, wie vor einem Jahr!
Ich war zur Reha (bei mir war es keine AHB, weil die Ärzte das versäumt hatten) in Bad Oexen, dass ist in Bad Oeynhausen Richtung Hannover. Ich muss dazu sagen, dass ich viel Wert darauf gelegt habe eine Reha mit gleichaltrigen Krebskranken zu machen. Ich wusste, es würde mir nicht helfen mich mit 70-Jährigen über (Augen-)Krebs zu unterhalten, die ihr Leben bereits gelebt haben und nicht wie ich ganz am Anfang stehen (Familie, Beruf, Partnerschaft). Und in Dtl. gibt es eben nur 2 Kliniken, die ein solches Junge-Erwachsenen-Programm bieten.
Dort haben mir die Gespräche mit den anderen jungen Leuten (alle zwischen 18 und 30 Jahren) geholfen. Nicht mal unbedingt die Gespräche, die durch eine Psychologin geleitet wurden. Sondern wirklich unser privater Austausch, wie jeder mit seiner Diagnose, dem Umfeld, seinen Ängsten, der Behanldung etc. umgegangen ist. Ich konnte mich bis dato auch nicht richtig "einordnen": wie schlecht geht es mir in Bezug zu anderen Krebskranken? Ich bin zwar nicht durch eine Chemo geschwächt, aber ich habe dafür nur noch ein Auge - das ist doch viel schlimmer - oder? Solche Sachen sind mir im Kopf rumgespukt. Und dort habe ich endlich gesehen, wo ich mich einordnen kann. Denn natürlich war die dreimonatige Chemo z.B. vom Hodenkrebs-Patienten schlimmer als meine Bestrahlung. Aber ihm geht es jetzt gut, ohne Einschränkungen und dass ihm ein Hoden fehlt, beeinträchtigt ihn noch nicht einmal. Da konnte ich mir das Gefühl endlich erlauben, dass ich auch mit "nur" einer Bestrahlung irgendwie eben doch schlechter dran bin. Und andererseits habe ich unseren kleinen 18-Jährigen gesehen, der aufgrund von Knochenkrebs mit 18 Jahren seinen kompletten linken Arm verloren hat. Und ich wurde bestätigt: es gibt Menschen, den geht es noch viel schlechter und ich kann froh sein, dass ich nur ein Auge verloren habe. Seit ich das für mich einordnen kann, wusste ich endlich auch wie ich mich fühlen darf.
Ich verstehe dein Kopfkino, wenn es um die lebenslange Kontrolle geht. ABER versuch es mal so zu sehen: wir sind wenigstens in der "komfortablen" Lage, dass regelmäßig alles untersucht wird und damit bei Zeiten reagiert werden kann, wenn sie etwas feststellen. Ich habe für mich zum Beispiel festgestellt, dass es überhaupt keinen Sinn macht über alle Wenn und Aber nachzudenken. Ich habe mir das Schlimmste ausgemalt und es endete jedes Mal in Angst und Tränen und wieder einer Liste endloser Fragen an meinen TM-Spezialisten. Aber letztlich ist es so, dass wir gar nicht abschätzen können, was noch alles passieren kann und wie es dann zu behandeln ist. Das hat mich lange in Angst und Ungewissheit leben lassen. Und irgendwann hab ich mir gesagt, dass ich genug Zeit habe mir den Kopf über mein "furchtbares Schicksal" zu zerbrechen, wenn WIRKLICH etwas festgestellt wird. Also genieße ich jeden Tag. Und wenn es irgendwann soweit sein sollte, wird die Zeit noch schlimm genug, dann muss ich mir die Zeit bis dahin aber nicht auch schon verdorben haben.
Ich musste schmunzeln, als ich gelesen habe, dass du es im privaten Umfeld runterspielst und auf cool machst. :-) Mir ging es ganz genauso! Man will seine Familie ja nicht noch mehr belasten, als es die Diagnose eh schon tut. Natürlich konnte ich meinem Freund nichts vormachen - wir leben ja zusammen und wenn er mich plötzlich heulend im Nachbarzimmer vorgefunden hat, konnte ich ja schlecht so tun, als sei alles gut. Aber allen anderen gegenüber war immer alles "halb so wild" und "es wird schon" und "nee, nee, mir gehts gut". Sind wir mal ehrlich, sie verstehen es ja auch einfach nicht. Natürlich nehmen sie Anteil und hören einem zu. Aber keiner kann sich in diese Scheiß-Angst hineinversetzen. Und das hatte es mir irgendwie auch so schwer gemacht, dass ich NIEMANDEN hatte, mit dem ich mich über Krebs austauschen konnte. Und bei der Reha hat man hemmungslos alles ausgesprochen und konnte alles ansprechen, ohne mitleidige Blicke (wie von der Familie). Das war so befreiend.
Noch kurz ein paar Worte zu Bad Oexen. Das ist eine reine onkologische Reha-Klinik, die einfach 100% zu empfehlen ist. Das Personal ist sehr, sehr freundlich. Wir, die Jungen-Erwachsnen-Reha hatten den großen Vorteil, dass wir in einem ganz neuen Gebäudekomplex untergebracht waren, was wirklich Hotel-Feeling aufkommen ließ. Die Zimmer in dem alten Gebäude, in denen alle anderen untergebracht sind, sind glaube ich relativ klein und etwas veraltet. Das musst du natürlich für dich abwägen. Aber der Erholungsfaktor ist definitiv gegeben. Es ist sehr weitläufig und das ganze Gelände etwas verwinkelt, wodurch man nicht das Gefühl hat in einer Klnik zu sein, sondern viel, viel Natur um sich hat und auch mal beim Spazieren gehen anderen aus dem Weg gehen kann. Du darfst dort nur nicht erwarten, dass sie sich mit Augenkrebs auskennen. Ich war die Einzige unter 500 Patienten. Aber wie gesagt, ich hatte meinen Schwerpunkt auf den Austausch mit Gleichaltrigen gelegt. Und wie ich hier im Forum schon festgestellt habe, ist es ohnehin kaum möglich seine Prognose von anderen Erfahrungsberichten abzuleiten, weil es einfach so unglaublich individuell verläuft. Deshalb ist fraglich, ob eine Augen-Rehaklinik (wie Masseberg) da wirklich hilfreich ist.
Lieber Günther, wenn du mal Kummer hast oder einfach mal was fragen oder reden möchtest, kannst du mir auch sehr gern eine PN schreiben. Wie du siehst, hat mir der persönliche Austausch unglaublich geholfen - aber aus geografischen Gründen ist es wohl elekronisch komfortabler. Und wenn ich dir wenigstens auf diese Weise helfen kann ... immer zu. :-)
Liebe Grüße
Lydia
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