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Alt 17.10.2014, 09:54
Grisu62 Grisu62 ist offline
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Standard AW: Unsere Zukunft löst sich gerade auf

Guten Morgen Ihr Lieben,

ein kurzes Lebenszeichen von mir und erste kleine Kraftpakete, die ich erübrigen kann... für alle, die sie brauchen...im Moment wohl am ehesten für schmibi und Linux

Die Beerdigung am Dienstag war würdig, stimmig....es passte alles und war damit ein wichtiger Schritt auf dem (Abschieds-)Weg in die Zukunft. Selbst das Wetter spielte mit und als wir auf das Baumgräberfeld gingen, kam die Sonne heraus und verlieh allem einen "goldenen Glanz". Der Trösterkaffee tat genau das - er spendete Trost und zeigte mir, wie viele Menschen meinen Mann mit schönen, guten, heiteren, fröhlichen und liebevollen Erlebnissen im Gedächtnis behalten werden.

Ich schwanke seither zwischen Traurigkeit, Unglauben und totaler Distanz... manchmal stehe ich derart neben mir, dass ich das Gefühl habe, nur Besucher oder unbeteiligter Beobachter in meinem eigenen Leben zu sein. Da ich noch nicht arbeite, kann ich jede Stimmungslage zulassen wie sie kommt... meine Leistungsfähigkeit ist jenseits von allem, aber alle versichern mir, dass mir all das "zusteht" - also glaube ich es mal und nehme es einfach hin.

Nächsten Dienstag fliegen meine Tochter und ich für eine Woche in die Türkei, um nochmal Sonne und Kraft zu tanken.

Als ich eben von Schmibi las, was sie gestern von ihrem Mann geschrieben hast, fiel mir der Spruch einer Freundin (und Ärztin) ein, die mir zu Anfang der Diagnose auf mein Klagen, dass mein Mann nicht nach Lebenserwartung und Krankheitsentwicklung fragen wollte, antwortete "Es gibt auch ein Recht auf Nichtwissen." Heute bin ich ihr dankbar dafür, dass sie mich damals so "geschüttelt" hat, denn auf diese Weise habe ich diese Haltung leichter bei meinem Mann hinnehmen können, auch wenn es für mich vielleicht ein bisschen schwieriger wurde.
Mein Mann hat zwar immer gewusst, dass seine Krankheit unheilbar ist, und seit Sommer wussten wir auch, dass der Weg nicht mehr allzu lang ist - aber bis zuletzt hatte er nie gefragt "wie viel Zeit bleibt mir noch", sondern er hat einfach immer vorausgesetzt, dass ihm noch einige Wochen bleiben - dieses "einige Wochen" war ein sehr dehnbarer Begriff... und alle seine Pläne passten dort hinein. Ich glaube, für ihn war es wichtig, dass er nicht am Ende nicht wusste, wie nah der Abschied dann war... Alles, was wirklich wichtig war, hatten wir ohnehin geklärt, besprochen, auf den Weg gebracht ... Und so waren seine letzten Tage davon geprägt, dass er sich auf noch bevorstehende Ereignisse freute: auf Besuche von Freunden, auf leckere Mahlzeiten (von denen er nur noch zwei Löffel essen konnte), auf innige Vorlesestunden...Dass er nun vieles davon nicht mehr erlebt hat, nimmt ihm (und mir) nicht die Vorfreude darauf...

Wenn ich all das vorher gewusst hätte, wäre es mir sicher leichter gefallen, zu akzeptieren, dass die Frage nach dem "Wie lange..." nie gestellt wurde. Und vielleicht kann ich mit diesen Gedanken bei dem einen oder anderen anstoßen, auf diese Frage zu verzichten und den Ärzten auch ein klares Signal zu geben, dass diese Frage nicht ungefragt beantwortet werden soll...

Liebe Grüße
Grisu
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"Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewißheit, dass etwas einen Sinn hat, egal wie es ausgeht." (Vaclav Havel)
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