AW: psychologische/ philosophische Fragen
Liebe Doris!
Ich habe bereits gestern deine interessanten Ausführungen und Gedanken gelesen und mir selbst dazu Gedanken gemacht. Leider kenne ich die Geschichte von Kafka nicht.
Meine Diagnose habe ich Anfang November bekommen, wusste aber bereits Mitte Oktober, dass der Knoten in der Brust keine Zyste ist.
Anfangs ist man natürlich völlig durcheinander und ängstlich, weil man nicht weiß, was auf einen zukommt. Ich habe mich dann sehr ausführlich mit dem Thema beschäftigt und auch mit den verschiedenen Therapieoptionen und deren Auswirkungen auf mein Leben auseinandergesetzt. Das Wissen über die Krankheit hilft mir, denn dann ist es nichts unbekanntes, übermächtiges, gegen dass ich wehrlos wäre.
Ich bin ein sehr strukturierter Mensch und gewohnt die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und dass will ich bei meiner Krankheit auch. Mir fällt es schwer mich fallen zu lassen und anderen zu vertrauen. Ich glaube da muss ich noch an mir arbeiten.
Mit Tod und Vergänglichkeit habe ich nicht nur in meinem Beruf (ich bin Kinderärztin) sondern auch privat schon in jungen Jahren zu tun gehabt. Meine Mutter ist mit 49a an Brustkrebs gestorben, Ich war damals 23a und habe mir gedacht: Das Leben kann deutlich kürzer sein, als man erwartet. Daher habe ich schon sehr früh versucht Dinge, die ich gerne mache nicht auf später zu verschieben sondern gleich anzugehen. Zum Beispiel habe ich sehr, sehr viele Reisen mit meiner Familie unternommen. (Konsumgüter anzuhäufen hat mich nie interessiert, wir haben das Geld immer in Flüge gesteckt).
Mit meinem Mann habe ich oft gesprochen was einem einmal in schlechten Zeiten hilft und wir waren uns einig: die Erinnerung an viele gemeinsame Erlebnisse, vorallem auch mit unseren Kindern.
Im großen und ganzen bin ich sehr glücklich mit meinem Leben und möchte nicht viel ändern. Ich arbeite gerne in meinem Beruf, liebe meine Famile und Freunde, verbringe sehr viel Freizeit in der Natur (klettern, wandern, mountain biken und laufen). Natürlich ist in meinem Leben nicht immer alles so gelaufen, wie ich es mir vorgestellt habe, aber es ist dann halt anders gekommen und ich war damit auch nicht unzufrieden.
Ich bin mir bewußt, dass ich sehr privilegiert lebe und dadurch viele existentielle Sorgen wegfallen. Reich sind wir nicht, aber ich brauche keine Angst haben finanziell unterzugehen.
Was ich bewußt ändern werde, ist weniger "zerstreut" zu arbeiten. Ich habe neben meiner eigenen Ordination oft andere Ordinationen vertreten, um den Ärztinnen zu helfen. Da werde ich jetzt mehr Egoismus an den Tag legen und sehr auf meine Freizeiten achten. Nein sagen lernen gehört dazu und fällt mir nicht leicht, da ich immer der Meinung war das geht schon noch, ich schaffe das schon.
Weiters versuche ich mehr im hier und jetzt zu leben und mir weniger Gedanken über die Zukunft zu machen. Ich habe in letzter Zeit einiges über Meditation und Achtsamkeit gelesen und versuche dass, so gut es geht umzusetzen.
Ich habe mir auch einen Termin bei einer Psychoonkologin vereinbart und erhoffe mir Unterstützung in der Aufarbeitung der Dinge, die mich stressen könnten. Außerdem habe ich bei meiner Tochter (13a) bemerkt, dass sie Angst hat ich könnte sie vorzeitig verlassen. Da möchte ich sie gerne unterstützen und beruhigen.
So jetzt mache ich erstmal Schluß. Es ist ein sehr großes Thema, dass du hier ansprichst und ich werde mich bestimmt noch mal melden.
Wünsche Dir, und allen anderen, dass ihr noch viele Schätze in eurem Leben findet!
Liebe Grüße Andrea
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