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Alt 30.12.2016, 22:32
Dream Dream ist offline
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Standard AW: Lymphdrüsenkrebs mit 81

Gerade hatte ich ein einstündiges Telefonat mit meiner Schwester. Meine Mutter macht sich Sorgen um mich, weil ich noch keine Bleibe habe (außer der Lagerkabine). Mein Bruder wird mich vorübergehend aufnehmen, aber das beruhigt meine Mutter zu wenig, weil mein Bruder schon ein richtiger Giftzwerg sein kann, was sie bestens weiß. Wenn es aber darauf ankommt, hilft er dann doch noch am zuverlässigsten. Das muss auch gesagt sein. Wäre er stumm oder ich taub, wäre er wohl der beste Mensch für mich. Entscheidend ist ja eigentlich nicht, was einer sagt, sondern was einer tut. Und das Tun stimmt bei meinem Bruder, da muss ich ihn wirklich loben und sollte ihn mehr lieben. Sein herabsetzendes, verletzendes Reden macht es so schwer, ihn wirklich vollends ins Herz zu schließen. Aber er bedeutet mir schon was, auch wenn er mich als Baby loswerden wollte. Er schubste mich auf die Straße und holte mich dann doch zurück. So ist er auch heute. Er prügelt mich seelisch und hilft mir dann als Einziger auf im realen Leben. Und ich fühle eben beides, ich fühle mich von ihm auf die gefährliche Straße geschubst und dann wieder gerettet von ihm. Ist eigentlich sehr krank, das alles. Ich freue mich auf die Zeit, wo ich aus allem raus bin und nicht mehr in eine solche Abhängigkeit zu ihm gerate. Aus diesem Grund bin ich auch sehr beziehungsscheu, denn wenn ich sehe, was meine Schwester mit ihrem Mann durchmacht, bin ich echt froh, Single zu sein.

@Wolle2
Danke für Dein liebes Mutzusprechen. Es bedeutet mir viel, dass Du Dich in Deiner eingeschränkten Situation so sehr in meine stressige Welt einfühlen kannst und meine Gefühle mitlebst und mir Kraft wünschst. Dass Du dies auch für meine Mutter wünschst, ist schon verständlicher, da sie in einer vergleichbaren Situation wie Du lebt, auch mit dem beschämenden Gefühl, nicht mehr selbst auf die Toilette gehen zu können, sondern die Inkontinenzeinlagen vollzumachen und einzustuhlen. Und ebenfalls die Atemnot, der besorgniserregende Husten, wo sie kaum mehr Luft kriegt und ihr Kopf rot wird. Dann dieses elende Gefühl mit Fieberschüben und großer Erschöpfung bis zu delirähnlichen Zuständen. Umso begreiflicher ihr Wunsch, sterben zu dürfen, doch kann sie - so mein Eindruck - nun immer mehr akzeptieren, in welchem Zustand sie tagtäglich lebt, entgegen ihrem früheren Tatendrang. Ich versuchte, ihr Mut zuzusprechen, ihr einen Sinn zu geben für diesen Zustand im Kontext ihres Glaubens als letzte Lektion, sich ganz Gott hinzugeben im Vertrauen. So konnte sie es für sich annehmen.

Es ist sicher schwieriger, sich einzufügen in die Situation, wenn man sich an keinen solchen übergeordneten Sinnzusammenhang orientieren kann oder will. Aber ich selbst habe in den vielen medizinischen Untersuchungen, die ich aufgrund meiner Schmerzkrankheit über mich ergehen ließ, eine Art Gleichgültigkeit zum Personal angenommen und sie immer mehr ausgeblendet, als wären sie nur klinische Geräte, d. h. dadurch konnte ich meine Scham abbauen, weil ich das Personal entpersonalisiere. Vielleicht wäre das auch für Dich hilfreich, lieber Wolle2.

Frauen müssen das schon sehr früh beim Frauenarzt lernen, weil das sonst sehr unangenehm ist, wenn dieser die Intimzonen untersucht (Brust, Intimbereich). Ich konnte das innerlich immer sehr gut trennen und empfand rein gar nichts dabei, egal wer mich untersuchte (das waren auch männliche Gynäkologen).

Ich freue mich, dass Du Dich hier öffnest und Deine Gefühle schilderst, denn Du bist wichtig und wertvoll. Im Jetzt kannst Du noch sehr viel von Deiner Herzenswärme und Empathie weitergeben, es wird gelesen, innerlich verstanden und dankbar angenommen, dies nicht in Einseitigkeit, es kommt zurück und ich hoffe, Du fühlst auch das in Deiner Situation, dass Du voll wahrgenommen wirst.
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LG Dream