Bye bye Dad, I love you .... Alfred 16.2.1972
Darling Daddy
Ist schon komisch wie ein Tag im Jahr, ob es ein Todestag oder ein anderer Tag der dich irgend einmal in deinem Leben beeinflusst hat, ist, plötzlich eine Flut von Erinnerungen hervorbringt. Wie wenn man zurück versetzt wurde. Das Vergangene wird plötzlich wieder zum Jetzt und zum Morgen. Es ist so präsent.
Heute vor 2 Jahren war der grosse Tag, der Tag der Operation die weit grösser und schwerer wurde wie voraus geplant, die weit länger als die geplanten 6 Stunden dauerte, mehr als 12 Stunden und unendlich lange, unendlich langes Warten und noch mehr Ängste auslöste.
Die Nacht (18.2.) zuvor, als ich so um 22.00 Uhr aus der Klinik kam, sass ich noch vor der geschlossen Kirchentüre vor der Klinik. Ich war verwirrt, wusste nicht wo hin, hatte keinen Boden, keine Flügel, kein Ziel einfach nur panische Angst. Ich sass auf meinem Stützrädli, links die Einfahrt zum Notfall, zu meinem Schatz und hinter mir der Eingang zur Kirche. Es war dunkel und kalt, es ging ein grausamer kalter Wind und nieselte leicht. Ich schlug das in Schottenmuster grosse Wolltuch um meine Schultern und Hals, war eingewickelt in Muttis Duft (es war ja ihr Tuch, dass sie ein paar Tage vor ihrem Tod bekam) Ich braucht ihre Nähe in dieser kalten grausamen Welt. Ihre Umarmung. Und doch die Kälte spürte ich nicht so wie ich es erwartet hatte, irgendwie warst du, Daddy und du Mutti mir so sehr nahe. Du hast meine Not gesehen, gespürt und verstanden .... du bist eben mein Daddy, auch heute noch so lange nach deinem Tod. Auch Mutti war da, plötzlich war ich in dieser dunklen, kalten Welt nicht mehr alleine. Ich sass da und ganz leise aber immer lauter werdend hörte ich aus der Kirche Orgelmusik ertönen. Sie waren am üben. Wie ich mir so sehr wünschte rein gehen zu können, in die Geborgenheit der Kirche - es war geschlossen und blieb geschlossen.
Ich versuchte irgendwie meine innere Ruhe zu finden, damit mich die Boys nicht so sahen, und doch es gelang mir nicht auf anhieb, ich wurde ständig von Weinkrämpfen übermannt. Ich hatte mich nicht mehr im Griff, es war als ob sich die ganze Last der letzten 4 Monate wie eine Explosion abladen würde. Ich füllte mich wie wenn ich versuchte lauthals raus zu schreien, aber es kam kein einziger Ton, diese lautlosen Hilfeschreie waren so schwer. Ich blieb stumm, erstarrt vor Angst und verwirrt vor lauter Unordnung in meinen Gefühlen. Wäre so froh gewesen zu sehen wie unsere Zukunft aussehen würde. Ich wusste nicht was ich denken oder uns wünschen sollte - wünschte ich mir, er soll weiter kämpfen und bei mir bleiben oder soll es so schnell wie möglich vorbei sein, damit er nicht noch mehr leiden muss. Was ist wenn es am 19. dann heissen sollte sie müssen ihn ins Paraplegiker Zentrum verlegen.
Angst davor ihn nie mehr zu sehen, obwohl ich wusste, dass ich um 6 Uhr wieder in der Klinik sein würde, um mit ihm auf das "Abholen in den Ops" zu warten. Ich durfte bis in die Op. schleuse rein und mein Goldschatz begleiten. Und doch hatte ich panische Angst ihn nicht mehr zu sehen oder dass er als Tetraplegiker raus kommen könnte - wurde uns doch erst ca. 3 Stunden zuvor mitgeteilt, dass er vom Hals abwärts gelähmt sein könnte und zwar mit 99%iger Chance. Ich war im Trance im Wissen er und die Docs. müssen ein Wunder vollbringen, um diese winzige 1%ige Chance, dass er auf beiden Beinen aus dem Op. kommen wird zu ergreifen...... und sie ergriffen sie! Er kann laufen. Noch mehr er hat der Prognose ein Schnäppchen geschlagen.
Ich sass da die Welt, um mich herum schien nicht wie ich es erhoffte oder davon ausgegangen bin es müsste so sein, einfach stehen geblieben, nein sie drehte und dreht sich auch heute ohne Rücksichtsnahme einfach weiter und die Menschen schwirrten um mich herum hastig heim. Die Geräusche der Stadt zeigten mir ich war noch da, obwohl ich einfach endlich meinen eigenen Frieden vom ganzen haben wollte.
Ich weiss nicht wie lange ich da erstarrt sass - es war lange.
Plötzlich wurde ich von zwei Personen angesprochen - hatte eh Angst so mitten in der Nacht ganz alleine als Frau da zu sein, und doch war es mir egal. Mein Kopf tief in Gedanken versunken und in mein Schoss geneigt, total woanders mit meinem Herz, meinen Gedanken und dem unerträglichen Schmerz der mein Herz zu zerbersten schien wurde ich in diese Welt zurück geholt. Ich sah hoch in die hellen Augen einer Polizistin und eines kräftigen Polizisten die mich ansprachen mit der Frage was ich denn hier tue und ob es mir gut ginge. Sie sahen ohne, dass ich ein Wort verlieren musste, dass es mir nicht gut ging. Sie knieten sich vor mich hin und fragten mich sehr einfühlsam was los ist, ich war ja eh aufgelöst in Tränen als es raus sprudelte und ich ihnen sagte, dass ich aus der Klinik kam wo mein Mann auf seine Lungenkrebsop. wartete. Der Schulterdruck, das Festhalten meiner Hände und das Überreichen eines Tempos dieser wildfremden Menschen war zu diesem Zeitpunkt für mich die seelische Rettung, die Rettung aus diesem Trance. Dafür bin ich den beiden heute noch sehr dankbar, leider konnte ich es ihnen nie persönlich sagen, was die wenigen Minuten der Begegnung und der Gesten bei mir auslösten. Sie fragten mich dann ob sie mich irgendwo hin bringen könnten. Ich getraute mich aber noch nicht heim zu fahren. So brachten sie mich zu Freunden die sogar aus dem Bett holte - ohne mir böse zu sein. das vertraute tat mir so gut. Irgendwann in dieser Nacht nahm ich mir ein Taxi von David zu uns heim, um erschöpft für ca. 1,5 Stunden zu schlafen damit ich rechtzeitig bei meinem Schatz war. Ich kuschelte mich in Willy's Bett und legte seinen mir seinen noch frisch nach ihm duftenden Rollkragen Pulli auf mein Bauch und schlief weinend mit unseren Katzen um mich herum kuschelnd ein.
Es war aber auch der Beginn 2 im Kampf gegen den Krebs. Chemo und Bestrahlung waren schon vorbei und eine Operation wurde, trotz der anfänglichen Information und unsere geweckte grosse Hoffnungen es würde im Anschluss operiert werden, nun abgelehnt, der Tumor sei zu gross und zu viele Metas, 14 Lymphknoten befallen und es sei zu riskant. Willy fragte den Onkologen damals "war es nun das? Antwort - Ja! Er sagte damals oft "nun das was wars ja wohl¨", die Prognose hiess doch am Heiligabend 2002 noch 2-3 Monate. Ach was für Weihnachten das waren!? Wie im Horrorfilm..... Dann kam das Staging Anfang Januar, der Tumor ist etwas kleiner geworden ..... nur am Rückenmark hat er keinen Wank gemacht. Nun kam plötzlich das Horrorszenario auf, es droht eine Tetraplegie, wollen sie einem Krebskranken noch eine hohe Querschnittslähmung vom Hals abwärts zu muten oder nicht.
Am Morgen als ich ins Zimmer kam, war er auf und hat kam so eben aus dem Bad, frisch geduscht und geputzt machte er sich bereit auf das Abenteuer seines Lebens. Wir redeten viel, lassen aus den Karten und Büchern die wir erhielten vor und gingen unseren Gedanken nach, ich legte mich zu ihm ins Bett. Die Schwester kam und gab ihm die Prämedi. und allmählich schlief er ein. Unsere treue Seele und Helferin in Not, die Seelsorgerin der Klinik, kam der Zufall wollte es zu ihm rein, sie dachte er sei bereits operiert, war doch die Op. mehrfach verschoben worden - davon wusste sie aber nichts. Sie hielt unsere Hände, sprach mit uns und segnte Willy um ihm die kraft zu geben für die Op.. Wir schlossen das Zusammensein mit einem Gebet ab und gemeinsam mit mir und den Kliniktransporteuren fuhren wir Willy runter in den Op. wo er von einem Team von sagen und schreibe 22 erwartet wurde (nur Schwestern und Anaesthesisten).
Tränen überströmt nahm ich Abschied von Willy, er sagte nur noch "wird schon gut gehen, denk daran ich bin nicht bereit zu gehen!!!" und lächelte als er mir genommen wurde. Ich ging im Trance aus der Klinik raus zum Tram und in eine Kirche von dir und Götti Albert. Ich musste eure Nähe spüren. Ich hatte eine Tageskarte gelöst aber falsch und prompt kam ich in eine Kontrolle. Das war zuviel, ich sass da wie ein kleines Kind das bei igrend etwas Verbotenem erwischt wurde und erneut heulte ich los. Die armen Kontrolleure wussten nicht was geschah. Da ich nicht Schwarz fuhr, sondern nur das falsche Billett hatte musste ich nur das gleiche nochmals lösen, dann kam es auf den korrekten Preis, sie schrieben irgendwas drauf damit ich nicht nochmals Probleme bekam.
Ich blieb Stunden lang in der Kirche, hatte meine Ruhe und vor allem die Welt konnte sich so ohne mich weiter drehen. Es war mir so egal. Im Laufe des nachmittags, im Wissen, dass die 6 Stunden bald vorüber sein sollten, ging ich heim um auf das versprochenen Telefonat des Arztes zu warten. da fing das nervöse Warten erst recht an, denn die 6 Stunden waren rum, und das Telefon kam und kam nicht. Ich konnte mich auf nichts konzentrieren, versuchte es mit Putzen bei lauter Musik, mit Lesen, mit TV Sehen, mit allem möglichen - es ging nicht. X-mal zog ich den Mantel an und wollte in die Klinik fahren, zog sie wieder aus und wartete weiter. Ich fing an zu hadern gegen über den Zigaretten die uns dies antaten. Ich beschimpfte sie und liess schreiend meine Wut den Zigaretten und den Machenschaften der Zigarettenindustrie raus und freien Lauf. Unterdessen war es schon 16.00 Uhr, 16.15, 16.30 ...45, dann 17 Uhr und 18 Uhr und Panik ergriff mein Körper. Alle riefen an um zu fragen wie es gelaufen sei, ich hatte das Bedürfnis zu reden, die vertrauten Stimmen zu hören und doch musste ich die Telefonleitung frei halten. Um 20.40 hielt ich es nicht mehr aus, und fuhr mit dem Tram in die Klinik. Nur 2 Stationen vor der Klinik klingelte das Handy. Endlich das erlösende Telefon, es war die Klinik. Sie seien fertig, er komme nun auf die Intensivstation. Ich fragte als erstes ob er selbständig atmen kann und ob er Reflexe in den Beinen und Armen hatte und sie bewegen konnte. Ja, nur der Arm sei gelähmt und er habe immer wieder Atemaussetzer. Als wir auflegten war es Zeit aus dem Tram zu steigen. Ich war nur noch ca. 200m von der Klinik, von meinem Schatz entfernt. Ich rief die Boys an und Pascal kam sofort zur Klinik. Marc durfte nicht, weil er krank war, dafür kam seine Ex-Freundin die heute noch wie eine Tochter für uns ist. Gemeinsam gingen wir hoch zu ihm. Er war immer wieder mal wach und ansprechbar. Er wusste wir waren hier. Das Pflegepersonal fragte warum sein Bein so dick eingepackt war, das lachten wir alle, wenn auch Willy nur sehr spärlich grinsen konnte. Es waren seine Talismänner die er von uns allen bekam, die durfte er mit in den Op. nehmen, sie mussten sie aber aus Hygienegründen abdecken. Nun konnten sie wieder befreit werden.
Erleichtert ging ich heim, und grinsend sass ich am nächsten Morgen bei ihm neben dem Bett als der Pfleger lachend mir die Story der Nacht erzählte. Für ihn absolut unglaublich, für mich das erste Stückchen meines alten Goldschatzes Willy und somit Normalität, die ich so wieder zurück bekam. Willy hat tatsächlich nur 4 Stunden nach dieser Mega Operation in der Nacht die Schwestern nach dem Resultat des Basler Fussballteams FCB gefragt, sie hatten am Op. Abend einen Europameister Match gegen La Corugnia (???). Sie hatten 2:1 gewonnen. Willy zeigte anscheinend nur mit dem Daumen nach oben und einem Lächeln im Gesicht seine Freude und schlief wieder ein.
Da wusste ich er wird es packen ......
Wie lange noch wusste ich damals nicht .....
Und nun sind es 2 Jahre her.
Ich wünsche jedem, dass er auch diese Chance hat und sie ergreift auch wenn sie wie bei uns nur auf Zeit ist. Aber Zeit ist ein so wertvolles Gut. A real treasure. Man muss Sorge darauf halten und behutsam umgehen damit.
Es ist unwahrscheinlich wie reell so eine Zeitreise ist.
So hege ich viele schöne Erinnerungen an dich Daddy aber auch an die vielen Verwandten und Freunde die nicht mehr bei uns sind. Auch wenn es jedes mal schmerzt so bin ich froh, dass mir meine Liebsten so nie in Vergessenheit geraten.
Komischerweise tut es manchmal gut sich wieder zurück zu versetzen, denn das heutige Erlebte und Wissen, was damals nur ein klägliches Hoffen war, bestärkt uns weiter zu hoffen und zuversichtlich nach vorn zu sehen. Das wünschen wir allen hier auch, von Herzen.
I love you Daddy, and thank you for looking after us in our darkest days.
Dini geliebte und dich vermissende Tochter Gigaxel
|