Einzelnen Beitrag anzeigen
  #235  
Alt 08.03.2006, 00:26
Saphir Saphir ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 08.01.2005
Beiträge: 70
Standard AW: Russisch Roulette.......

Liebe Alina, liebe Briele

erstmal möchte ich mich für eure wundervolle Unterstützung bedanken.


Meine geliebte Mama ist heute morgen um 2:45h gestorben. Sie hatte noch 10 Tage bei uns.


Die ersten beiden Tage war sie so kräftig, wie ein absolutes Wunder. Sie hat ein wenig gegessen, getrunken und mit uns geredet und gelacht.
Dann hat sich ihr Zustand aber stark verschlechtert. Sie konnte nicht mehr essen, dann nicht mehr trinken, Morphium wurde mehr und mehr etc....Sie begann "wirres Zeug" zu reden. Bis ich realisierte, dass sie ihre Vergangenheit durchlebt hat. Ihr Blick war auch durchsichtig, sie guckte immer irgendwie durch mich durch. Es gab für mich in den letzten 10 Tagen nichts anderes mehr. Nur Mama. Und darüber bin ich sehr froh. Auch wenn es über meine Kräfte hinaus ging, ich habe jede Sekunde genossen. Natürlich war es schrecklich sie leiden zu sehen. Aber dann bekam sie eben sofort Morphin.
Seit letzten Freitag habe ich die Nachtwache gemacht. Die gesamte Zeit war sehr intensiv, und ich bin so dankbar dafür. Wir haben sie in letzter Minute zu uns geholt. Was für ein Glück!!!
In der Nacht von Freitag auf Samstag bekam sie eine rasselnde Atmung. In der nächsten Nacht ist ihr Gesicht abgesackt. Seit letzten Freitag war sie auch kaum ansprechbar, und ab Sonntag konnte sie garnicht mehr reden. Das war sehr hart für mich. Ich wollte so gerne wissen, was in ihr vorging, was sie fühlte und dachte.
Gestern bin ich dann mal wieder nach Hause gefahren, denn ich konnte tagsüber auch nicht schlafen. Aber irgendwie hatte ich ein komisches Gefühl. Ich hatte Probleme das Haus zu verlassen. Ich hatte Angst, dass sie dann stirbt, sobald ich weg war.
Aber der Arzt, der sich ambulant um Mama gekümmert hat, riet mir eindringlich nach Hause zu fahren, um den Schlaf der letzten 3 Nächte nachzuholen.
Mit riesiger Überwindung entschloss ich mich dann tatsächlich, nach Hause zu fahren. Aber mein Herz sagte mir, dass ich mich vorsichtshalber gründlich von Mama verabschieden sollte.
So setzte ich mich zu ihr, küßte und streichelte sie, und ließ meinen Gedanken freien Lauf. (Sie hatte zu dem Zeitpunkt weder die Kraft zu sprechen, noch die Augen auf zu machen).
Ich sagte ihr, dass sie die beste Mutter für mich war, die sich jemand nur wünschen kann. Das ich froh bin, soviel von ihr geerbt zu haben, und sie einfach eine Wahnsinns-Frau ist.
Zum Schluß bedankte ich mich für die Zeit, die ich mit ihr verbringen konnte, und dass sie alleine entscheiden soll, wann sie gehen möchte. Das ich froh bin, wenn ich sie am nächsten Tag noch sehen könne, aber auch durchaus glücklich bin, wenn sie glücklich ist, bezogen auf den Tod und das damit einhergehende Ende ihrer Qualen.
Das zerriß mir das Herz. Denn ich bin so sicher, dass sie alles verstand, und stark zu weinen begann. Es hörte sich unter der rasselnden Atmung wie ein "wimmern" an. Und ich habe das Gefühl, dass sie mich so gerne streicheln, angucken und mir was sagen wollte. Und sie konnte es einfach nicht mehr.
Ich habe die gesamte Autofahrt über geweint.
Als ich gerade mal 2 Std. zuhause war, rief mein Bruder an. Sie begann weiße Flüssigkeit aus der Nase und Mund zu verlieren. Ich fuhr sofort wieder hin. Als ich um 01:00h ankam, war die rasselnde Atmung schon katastrophal schnell und hastig. Ihr gesamter Kopf wackelte vom Luft einsaugen. Zwischendurch hörte die Atmung auch auf, und ich war so beschäftigt damit, die austretende Lungenflüssigkeit aus Nase und Mund zu wischen. Der Anblick war einfach nur grausam. Sie hat sich so gequält. Aber es dauerte nicht lange, bis ihre Atmung plötzlich langsamer wurde, und das "Rasseln" verstummte. Dann öffnete sie sogar die Augen, atmete 4mal kräftig ein und starb. Meine Oma, Tante, Bruder und ich waren bei ihr und streichelten sie. Das Irre ist, der qualvolle Gesichtsausdruck verschwand innerhalb von einer Sekunde, und sie sah nur noch entspannt und glücklich aus.
Aber es ist trotzdem schrecklich. Mama hat uns verlassen, und ich weiß nicht, wie ich es aushalten soll. Der Schmerz sitzt so tief, es tut unbeschreiblich weh. Ich befinde mich total im Schock. Ich glaube, es wird lange dauern, bis ich begreifen kann, dass das Wirklichkeit ist.
Wir haben sie bis vorhin bei uns liegen gehabt. Sie bekam ihr Wunschkleid angezogen, und wir konnten den ganzen Tag Abschied nehmen. Doch die Leichenstarre, die Hautfarbe........es ist so heftig. Wie in einem Film. Zu grausam, um es zu realisieren. Ich hatte immer das Gefühl, sie bewegt sich jeden Moment wieder. Als ob sie nur ruht. Ich habe sie seit Monaten nicht so entspannt gesehen. Eine solch ruhige Aura umgab sie.
Doch als der Bestatter vorhin kam, konnte ich nicht mehr. Ich wollte es nicht zulassen, dass sie in den Sarg gelegt und rausgetragen wurde. Wie soll man diese Szenen verkraften, geschweige denn verarbeiten???????? Nun ist sie fort.
Freitag ist schon die Beerdigung. Ich habe so eine Angst davor. Ich packe das nicht!
Schon wieder frage ich mich und euch: wie soll ich das überstehen?
Ihre Nummer werde ich niemals aus meinem Handy löschen können. Aber ich kann sie auch nie wieder anrufen. Spüren. Riechen. Hören. Bei mir haben können.
Das geht einfach nicht. In ca. 2Std. und 30 min. ist sie seit 24 Stunden tot. TOT. Ich will bei ihr sein. Wann werde ich all dies begreifen können? Warum kann das nicht einfach nur ein böser Traum sein? Wie kann es nur solche Grausamkeiten geben?
Eure Saphir



P.S. Aber sie hat mir das größte Geschenk gegeben. Ich konnte bei ihr sein, als sie starb.
Mit Zitat antworten