Thema: Stammtisch
Einzelnen Beitrag anzeigen
  #114  
Alt 15.04.2006, 11:49
Benutzerbild von AndreaS
AndreaS AndreaS ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 09.02.2005
Ort: SB
Beiträge: 834
Standard AW: Stammtisch

Freunde und die Haken dran:

Bei diesen Freunden konnte ich es nicht fassen, die ganzen 1 ½ Jahre nicht. Konnte nicht verstehen, warum der Kontakt nicht mehr war. Meine Freundin kam damals, als Claus starb Mitten in der Nacht zu mir, sie war da, stand an meiner Seite. Auch die Tage danach, sie kam ohne Aufforderung, ließ mich tagelang zur Todesstunde nicht alleine, sie wusste, wie schwer es war. Sie kochte für uns mit, brachte meinen Kindern das Essen, sie, die selbst eine Familie und 6 Kinder zu versorgen hat. Sie war an meiner Seite, bis nach der Beerdigung. Dann zog sie sich zurück. Oder tat ich es?

18 Monate, zahlreiche Missverständnisse später. Ungerechtigkeit vor allem auch von meiner Seite. Hatte ich das obige jemals hier erwähnt? Nein. Das nahm ich als selbstverständlich, war sie ja schließlich meine Freundin.

Aber irgendwie stimmte auch die Sache mit dem „Haken dran“ nicht so wirklich. Bin seiner Aufforderung im Januar bereits gefolgt, war auf seinem Geburtstag. Und es war ein schöner, ein lustiger Abend. Aber es gab keine Gelegenheit zu reden, klar zu stellen.

Gestern hatte meine Freundin Geburtstag. Wieder das beklemmende Gefühl im Magen. Aber ich ging hin. Ich, amputiert und mit zwei Köpfen, 18 Monate später aber nicht sehr viel weiter.

Und ich bin sehr froh, dass ich da war, dass ich mich „gestellt“ habe, denn endlich kamen Fragen und Antworten, endlich war das betretene Schweigen vorbei Diese zwei Köpfe, ich glaube zu verstehen, dass sie sich ebenso gefühlt haben. Wie sollten sie mir normal begegnen, wo bei ihnen alles normal geblieben ist und bei mir nicht. Und ich erzählte ihnen, dass ich sie sehr vermisst hatte, erzählte ihnen, dass es mir sehr sehr schwer gefallen war gerade bei ihnen an den Geburtstagen als einzige „anders“ alle anderen noch komplett. Endlich wurde das Schweigen gebrochen, endlich trauten sie mir auch Fragen zu stellen, die sie belasteten und ich konnte antworten, konnte erzählen wie ich mich fühle, hab vom Trauertier erzählt, das unverhofft zum Sprung ansetzt, ohne Vorwarnung, ohne erkennbaren Plan, der Dich vorbereitet. Habe auch erzählt, wie es mir jetzt geht, wie ich damit versuche zu leben, wie ich Claus bei mir trage in jeder Sekunde des Tages, dass ich nicht möchte, dass er aus unserem Leben verschwindet, dass ich seine Seele bei mir spüre und er unser Leben nach wie vor begleitet. Dass ich versuche zu erkennen, wer ICH bin, wer ICH sein will.

Aber ich habe noch etwas verstanden gestern. Etwas erkannt, was mir nicht gefallen hat, betraf es nämlich meine eigene Unfähigkeit in der Vergangenheit aber auch jetzt in der Gegenwart.

Die Schwester meiner Freundin hat ihren Mann 2002 auf tragische Weise verloren. Gestern unser erstes Gespräch. Sie setzte sich zu mir und erstmals fragte ich sie: Wie geht es Dir? Erstmals, es ist schon beschämend. 2002 war die Welt für mich noch in Ordnung. Da war eine Frau, die ihren Mann verloren hatte, meiner saß lebendig neben mir. Und ich war sprachlos. Ebenso sprachlos wie es andere später bei mir sein würden. Sie hat geredet mit mir, 4 Jahre später auch noch nicht wirklich weiter als ich und wir haben verstanden, jetzt in gleicher Situation. Es war nicht böse gemeint von mir, klar, aber ich war feige damals.

Und das andere Paar? Noch sind sie zusammen. Aber das Schicksal hat auch ihnen ein Paket geschickt. MS hat sie. Und ich? Nein, ich habe nicht gefragt, wie geht es Dir. Ich bin feige – und ich mache Angst. Das konnte ich in den Augen sehen.

Ja, wir müssen aussortieren. Bestimmt gehören manchmal Haken dran. Aber wir müssen hinterfragen, selbstkritisch, wenn ein wenig Abstand da ist. Ich konnte es nicht verstehen, 18 Monate nicht, deshalb war der Haken auch bisher nur mit „Bleistift“ dran. Und das ist gut so. Die Zweifel in mir hatten ihre Berechtigung. Sie haben es auch schwer, unsere Freunde, auch sie trauern, nicht nur um den Menschen, der gestorben ist, nein auch mit ihren Familien, die durch den Tod irgendwie zerstört wurden, sie trauern um das alte Leben, von dem sie ein Teil waren und sie müssen ebenso wie wir ihren neuen Platz finden bei uns, nachdem manches neu sortiert ist.

Den Freunden der neuen Zeitrechnung: Aufgewühlt, traurig und glücklich gleichermaßen, habt ihr mir gestern noch zur Seite gestanden. Danke dafür!

LG
Andrea
__________________
Που να 'σαι τώρα που κρυώνω και φοβάμαι
και δεν επέστρεψες
Mit Zitat antworten