Thema: Stammtisch
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Alt 04.07.2006, 08:30
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AndreaS AndreaS ist offline
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Standard AW: Stammtisch

Liebe Rowa,


Zitat:
Wie ist es bei Euch gewesen, kommt mal eine Besserung? Fühlt man sich irgend wann mal besser? Bin nur am weinen, bin schon fast leer.
Auch wenn man es nicht glauben kann: JA, es wird einmal besser. Du wirst dich verändern, wir alle haben uns verändert, aber es wird eine neue Freude im Leben kommen, es wird auch wieder Lachen kommen und mit ganz viel Glück auch wieder ein wenig Liebe. Wie lange es dauert, kann keiner sagen, es ist so individuell wie unser aller Leben, wie unsere Partnerschaft und unsere Erlebnisse bis dato waren. JA, es wird einmal besser. Aber es wird nie wieder wie es einmal war.

Es wird der Punkt kommen, an dem die wunderbaren Erinnerungen, von denen du erzählst, nicht mehr wie ein Dornenstich dein Herz quälen, sondern du dich mit einem Lächeln und voller Dankbarkeit erinnern kannst. Hab Geduld mit dir, versuch deine Trauer zu leben, unterdrück sie nicht aufs Rücksicht auf andere, die sich höchst wahrscheinlich zu einem Großteil bald "verabschieden" weil sie es nicht ertragen können, weil sie nicht sehen und nicht mitfühlen wollen bzw. können.

Ein Teil von dir ist mitgestorben, das stimmt. Du fühlst dich amputiert, weißt nicht, wer du bist, weißt nicht, wer du in Zukunft sein willst, wie du alleine weitermachen kannst. Schritt für Schritt, das ist das einzige Rezept, das ich für dich habe, das einzige, was mich über Wasser gehalten hat. Akzeptieren, dass es nicht mehr geht wie früher, akzeptieren, dass ich manches einfach nicht mehr kann - noch nicht? nie wieder?

Ob du egoistisch warst? Wenn du nur mit Verstand an die Sache rangehst, vielleicht. Aber waren wir nicht alle egoistisch? Passt das Wort überhaupt in diesem Augenblick. Deine Liebe musste gehen, du wolltest es nicht, wolltest dein Leben behalten, wolltest mit ihm weitergehen. Wenn ich für mich die Wahl gehabt hätte, hätte ich auch gewollt, dass Claus noch hier ist, für mich ganz alleine, wenigstens zum Anfassen, zum Küssen, zum sich um ihn kümmern. Klar, es ist egoistisch, aber verständlich. Die andere Stimme in dir sagt, es ist besser so, ich bin dankbar, dass er es "geschafft" hat, dass es vorbei ist sein Leid. Mit Abstand bin ich glücklich darüber, dass uns nur noch 8 Monate ab Diagnosestellung blieben, dankbar, dass er seinen letzten Weg so mutig und tapfer, aber auch relativ schnell zurückgelegt hat.

Vorwürfe? Auch die machen wir uns alle, denn immer wird es Dinge geben, die wir hinterfragen, rückblickend, mit dem Wissen, das wir zu dem Zeitpunkt einfach nicht haben konnten. Dennoch bin ich heute - nach 21 Monaten Trauerarbeit hier im Forum mit Unterstützung all der Seelen hier - an dem Punkt zu sagen: Wir haben NICHTS falsch gemacht, denn alles, was wir versucht haben, alles, was wir unternommen haben ist aus Liebe geschehen, nach bestem Wissen und Gewissen, so wie wir halt in der Lage waren zu agieren. Und alles, was aus Liebe geschieht, kann nicht falsch sein. Die Liebe ist das einzige, was zählt.

Das Warum macht einen wahnsinnig, es wird dich immer wieder einholen. Und du wirst jedesmal merken, dass du keine Antwort finden wirst. Es gibt keine! Eines Tages fing ich an mitzusingen, wenn Juli lief " Warum, warum ist doch egal!" denn uns bleibt nur noch, damit weiterzuleben, unseren Part zu erfüllen, zu versuchen, das Beste draus zu machen. Warum es so ist, kann mir niemand erklären, ich weiß nur, dass es so ist, ich weiß, dass ich versuchen muss, die Situation anzunehmen, weiterzuleben und meinen Mann im Herzen zu bewahren, seine Liebe als Motor, unser Leben als stärkende Erinnerung, als Grundlage für alles, was ich heute bin. Damals habe ich auch nicht gefragt WARUM ist er mir begegnet, warum durfte ich so glücklich sein. Ich habe es dankbar angenommen, heute muss ich es traurig akzeptieren, dass es nicht mehr so ist...

Irgendwann und irgendwie kommt das Leben zurück, ein anderes als wir vorher leben durften. Aber mit ganz viel Glück, wird es sich wieder ein wenig gut anfühlen.

Wenn du nachliest in stillen, einsamen Momenten, wirst du auch meine Beiträge und die der anderen hier am Stammtisch lesen, du wirst deine eigenen Worte wiederfinden, unsere Verzweiflung erkennen, und die ständigen Versuche, raus aus dem Trauerloch zu finden, mit zahlreichen Rückschlägen - auch heute noch -

Mutmachschilder! "Ich darf das jetzt" Kleinigkeiten, die mir und anderen geholfen haben, weiterzugehen.

@alle ob im Trauerloch oder am Rand. Ich wünsch euch einen erträglichen Tag heute, mit ein wenig Interesse an den wichtigen Unwichtigkeiten im Leben - wie z.B. das Fußballspiel heute Abend - mit Seelen an eurer Seite, die euch Kraft und Mut spenden, weiterhin den Weg nach oben Richtung Sonne zu gehen. Der Stammtischzug fährt, springt auf!

LG
Andrea
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Που να 'σαι τώρα που κρυώνω και φοβάμαι
και δεν επέστρεψες
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