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Alt 22.12.2006, 02:13
Leonie Marie Leonie Marie ist offline
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Standard AW: Traurigkeit ohne Ende

Hallo Ihr!
Auch ich bin oft noch sehr traurig.
Letztes Jahr ist erst mein Vater an LK gestorben und dann bekam ich 5 Tage später meine eigene Krebsdiagnose. Und dann ist auch noch meine Beziehung zerbrochen und ich bin umgezogen und habe noch während der Therapie einen neuen Job angefangen.

Aber ich dachte, nachdem ich soviel von Traurigkeit gelesen habe, schreibe ich etwas, das (auch) positiv ist und Euch vielleicht Mut macht auch wenn es erstmal dunkel anfängt:

Ich war letztes Jahr wirklich ganz unten: einsam, verzweifelt. Die Traurigkeit kam gar nicht zu mir durch vor lauter Krisensituation und Schmerzhaften Punkten.

Ich habe oft an Selbstmord gedacht, weil alles so quälend war und ich wollte, daß das aufhört. Ich hatte keine Kraft, keine Energie und konnte nicht lachen.

Heute geht es mit immer noch nicht super aber viel besser - und ich merke, ich bin auf dem richtigen Weg.

Blauer Schmetterling, ich kann so gut nachvollziehen, was Du erzählst! Auch ich habe mich permanent überfordert (während der gesamten Therapie gearbeitet, umgezogen in eine neue Stadt, die Krankheit für mich behalten...) und mich dann noch schlecht gefühlt, daß trotzdem nur die Hälfte oder weniger als früher ging. Und auch ich hoffe immer noch auf den Tag, an dem es "klick" macht und ich bin energiemäßig wieder die Alte.
Erst nach der Therapie schwappte die Traurigkeit so richtig über mich, erst wegen meines Vaters - ich weiß gar nicht, ob die Krankheit schon eine Rolle spielte.

Was mir unglaublich geholfen hat sind drei Dinge:
1) die Termine bei meiner Psychologin. Sie sagt mir immer wieder, daß es ganz normal ist, daß ich müde und kraftlos bin. Daß ich viel zu gnadenlos mit mir bin und sie hilft mir auf dem Weg mich und meine Bedürfnisse besser wahr und ernstzunehmen. Bei Ihr darf ich ICH sein. Mit meiner Angst, meiner Trauer, meiner Müdigkeit und meinen überzogenen Ansprüchen. Inzwischen habe ich schon etwas gelernt meine eigenen Ansprüche runterzuschrauben. Hilfe anzunehmen (das fällt mir sehr schwer) und manchmal sogar darum zu bitten (noch schwieriger). Erstaunlicherweise stelle ich fesst: ich falle darum nicht unbedingt zur Last. Viele meiner Freunde freuen sich, wenn sie etwas für mich tun können. Bei Kind und Mann ist das wahrscheinlich anders, die muß man aktiver in die Pflicht nehmen. Aber das ist Dein absolutes Recht! Aber dann nimm auch hin, daß nicht immer alles so ist, wie Du es machen würdest. Und laß auch mal was liegen. Ich habe seit Monaten keine Ablage gemacht und mein WG-Zimmer sieht aus als hätte eine Bombe eingeschlagen - na und? Da stehen jetzt halt andere Dinge an als Ordnung, nämlich Ruhe, Entspannung, Sudoku im Bett ...

Im Übrigen macht sie mir bewußt, wie wichtig das trauern ist. Ich kann inzwischen wieder lachen und muß bspweise auch nicht jedesmal weinen, wenn ich von meinem Vater spreche. Meist bin ich sehr gefaßt. Und doch suche ich manchmal bewußt die "Angehörigen-Threads" auf, lese die traurigen Geschichten und trauere - mit denen die posten, aber auch um meinen Vater, meine Beziehung, all das, was ich letztes Jahr hinter mir lassen mußte, ohne schon loslassen zu können. Ich habe in der Reha eine Frau gesehen, die auch mit Anfang 50 noch unglaublich weinen mußte, als sie in der Bewegungstherapie von ihrem Vater erzählte, de seit 20 Jahren tot war. Ich habe Horror davor, daß mir das auch so gehen könnte. Und die Psychologin sagt: diese Frau hatte nicht ausreichend getrauert. Es wird immer weh tun, daß der Vater nicht mehr lebt, aber wer genug trauert, der trägt das nicht auch Jahre später noch so schwer mit sich herum - egal ob Verlust eines Angehörigen, Krebserkrankung oder anderer Verlust.

2) Freunde, Familie die mich unterstützen und der Umzug in eine WG, in der ich mich nun endlich wohl fühle. Allerdings bin ich auch da ein gutes Jahr lang wie ein Pendel von einem Extrem ins andere geschwungen: war ich alleine, war ich verzweifelt und stopfte mich mit Süßkram voll. Traf ich Freunde, konnte ich mich auch nicht mehr wahrnehmen. Ich habe die Gesellschaft in mich aufgesogen wie ein Schwamm - und habe mich gleichzeitig immer wieder total überfordert, weil nach 2h eigentlich wieder Ruhe für mich auf dem Programm hätte stehen müssen. Auch da lerne ich, mein eigenes Maß zu finden, zu erkennen, und dann danach zu leben.

3) Bach Blüten. Die kriege ich von meiner Psychologin und sie helfen wirklich toll. ich habe sie mir selber zusammengestellt (bei geschlossenen Augen mit der linken Hand in das Sammelsurium der Fläschchen gegriffen und 6 herausgezogen. Das erste waren die Notfalltropfen - wirken gegen das Gefühl, man stünde am Abgrund, das Leben hinge am seidenen Faden - zu dem Zeitpunkt schwebte das Damoklesschwert eines Rezidivs über meinem Kopf und ich war wieder total fertig.


Bei der Arbeit bin ich jetzt viel offener, aufgeschlossener. Ich denke nicht mehr an Selbstmord. Ich kann lachen und mich mit meinen Mitbewohnern freuen.

Und ich bin mir sicher: auch bei Dir wird es besser gehen Blauer Schmetterlin g und all die anderen Traurigen. Wenn die Trauer und die Zeit Ihre Arbeit mehr und mehr vervollständigen werdet Ihr auch wieder Hoffnung schöpfen und sehen, daß es langsam, manchmal auch in auf und ab Kurven aber letztendlich doch immer aufwärts geht.

Ich schicke Euch viele Umarmungen und Tröstpakete.
Verliert die Hoffnung nicht. Es dauert, aber es wird. Es wird alles wieder gut. Zwar nichts wie es war, aber gut kann es trotzdem werden. Gebt Euch, dem Leben und der Hoffnung eine Chance!

Geändert von Leonie Marie (22.12.2006 um 02:16 Uhr)
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