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Alt 01.05.2003, 01:00
Gast
 
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Standard Forum für Angehörige UND Betroffene

Hallo Ihr Lieben,

herzlichen Dank für Eure aufmunternden Worte. Nein, Brigitte, ich wurde nicht unfreundlich behandelt, eher ignoriert, es ist keiner darauf eingegangen. Wahrscheinlich bin ich momentan einfach etwas übersensibel. Tja, dann werde ich mal erzählen. Wenn ich gegen die Nettikette verstossen sollte - was wirklich nicht in meiner Absicht liegt - dann sagt es mir bitte und gebt mir "eins auf die Mütze", gelle?

Einst hatte ich ein schönes Leben, liebe Eltern (obwohl ich mich ständig mit meiner Ma gezofft hatte) und einen lieben Partner (dachte ich jedenfalls). Ostern 1997 fing meine "heile Welt" an zu bröckeln. Mein sportlich durchtrainierter, bis dahin nie kranker, über alles geliebter Vater radelte (!) ins Krankenhaus, weil er Blut im Stuhl entdeckt hatte: Darmkrebs! Wir waren alle erschüttert, aber damals war ich noch so naiv und dachte, wird schon alles wieder gut. Dass bereits Lymphknoten befallen waren, hatte ich überhört oder verdrängt, weil ich es nicht wahrhaben wollte. Die Chemo hatte mein Pa ganz gut überstanden, es ging ihm wieder besser. Nach einem Jahr hatte er ständig Bauchschmerzen: Metas in der Leber. OP: aufgemacht und gleich wieder zugemacht - es war zu spät, der ganze Bauchraum war voller Metas. Zeitgleich hatte man bei meiner Ma festgestellt, warum sie ständig Doppelbilder sieht: Hirntumor, direkt im Nervenzentrum. Eine evtl. Behandlung hatte sie wegen meines Vaters zurückgestellt. Sie hatte eben immer erst an andere und dann an sich gedacht. Die Chemo danach hatte mein Pa dann schon nicht mehr so gut vertragen, es ging ihm langsam schlechter. Dennoch bin ich mit meinen Eltern noch mal in Urlaub gefahren, damit mein Pa nochmal "seine" Berge sehen kann, wollte ihm seinen letzten Wunsch erfüllen. Dort ging es ihm täglich schlechter, die Rückfahrt war gräßlich, er fing an zu fantasieren. Ich konnte mich kaum auf den Verkehr konzentrieren und war fix und alle, als wir bei meinen Eltern zu Hause ankamen. Mein Freund holte mich dort ab und sah auch, dass mein Pa - den er sehr gerne hatte - nicht mehr lange leben wird. Trotzdem hatte er mir dann (bei uns zu Hause angekommen) erzählt, dass er während meiner Abwesenheit festgestellt hat, dass er mich nicht mehr liebt, da er mich nicht vermisst sondern sich gefreut hat, alleine zu sein und tun und lassen zu können, ohne "Rechenschaft" ablegen zu müsssen. Er hatte mir damit endgültig den Boden unter den Füßen weggezogen, den letzten Tritt in den Abgrund gegeben.... 6 Tage später ist mein Pa gestorben, Ma und ich waren bei ihm, den Anblick (seinen Todeskampf - er wollte uns beide nicht alleine lassen) werde ich nie vergessen.... Ma und ich waren völlig fertig und verzweifelt, unsere "Männer" hatten uns (aus unterschiedlichen Gründen) verlassen..... Dann mußte ich auch noch umziehen (unsere Wohnung war zu groß und zu teuer für einen alleine) - das geschah für mich wie in Trance, zum Glück hatte ich liebe Freunde, die mich "zur Seite stellten" (ich stand wirklich nur im Weg rum) und das für mich erledigten. Um das alles durchzustehen, war ich auch lange Zeit krankgeschrieben. Als der Umzug vorbei war, bin ich wieder arbeiten gegangen und habe mich so gut wie möglich um Ma gekümmert. Kaum war ich wieder halbwegs auf den Beinen, mußte ich ins Krankenhaus: Brustkrebs. Mein erster Gedanke, als ich die Diagnose hörte: "oh Gott, wie bringe ich das meiner Mutter bei....". Es war ein hartes Stück Arbeit, sie wieder aufzubauen und ihr einzutrichtern, dass ich jetzt nicht auch noch vor ihr sterbe, dass bei mir alles wieder gut wird. Während meiner Chemo- und Betrahlungszeit haben wir beide sehr viele lange Gespräche geführt, haben die Zeit genutzt, wieder zu einander zu finden. Es war eine harte, aber auch sehr schöne Zeit, die wir miteinander hatten, wir waren uns wieder so nahe. Als es mir wieder gut ging, ging es meiner Ma schlechter. Der Tumor drückte langsam den Sehnerv ab. Sie ließ sich dann operieren, die Wucherungen wurden entfernt, um den Sehnerv zu entlasten. Mehr konnte man nicht tun, weil man ihre Lebensqualität nicht verschlechtern wollte. Leider war es nicht sehr erfolgreich, sie hat sich nie richtig von der OP erhohlt, konnte nicht besser sehen, saß dafür nun im Rolli. Ihre letzten zwei Jahre habe ich mich täglich um sie gekümmert, erst zu Hause, dann im Krankenhaus, in der Reha und letztendlich im Pflegeheim. Zunehmend mehr wurde sie zu meinem "Kind", ich trug die ganze Verantwortung für sie. Das war sehr schwer für mich, das war ich nicht gewohnt, mußte bisher nur immer die Verantwortung für mich alleine tragen (Kinder habe ich nicht). Anfangs war es auch sehr schwierig mit ihr umzugehen, sie war (verständlicherweise!) sehr unleidlich. Nichts konnte ich ihr recht machen. Als sie dann im Pflegeheim war, wurde sie aber wieder sehr umgänglich und richtig lieb und hat jeden Abend beim Abschied gesagt " und danke für alles.. ". (Nun fange ich wieder an zu heulen) Letztes Jahr im August ist sie dann gestorben, auch auf diesem letzten Weg konnte ich sie ein Stück begleiten, ihr die Hand halten - auch das werde ich nie vergessen...... Die Auflösung der elterlichen Wohnung bzw. Wohnlaube (hatte ich bis zum Schluß behalten, um Ma das Gefühl zu geben, sie könne jederzeit zurück) war der reinste Horror für mich, aber wahrscheinlich auch eine gute Trauerarbeit.....

Eigentlich dachte ich die ganze Zeit, ich hätte das alles "gut überstanden", ich bin stark und habe alles im Griff. Jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher. Seit einigen Wochen wird mir ständig schwindelig, sobald ich mich auch nur ein bisschen mehr bewege. Inzwischen habe ich schon zahlreiche Untersuchungen hinter mir, bisher alles ohne Befund. Ist es evtl. doch psychosomatisch? Holen mich die Ereignisse der letzten Jahre jetzt ein? Oder bin ich jetzt einfach nur zu wehleidig und zerfließe in Selbstmitleid? Keine Ahnung - ich fühle mich zerrissen und kenne mich nicht mehr aus......

Oh weh, das ist jetzt doch ziemlich lang geworden. Hoffentlich habe ich Euch damit jetzt nicht doch gelangweilt. Falls ja, bitte ich um Entschuldigung. Falls nicht, Danke ich Euch fürs "zuhören". Wahrscheinlich werdet ihr alle jetzt schon schlafen und das werde ich jetzt auch tun (hoffentlich!).
Ich wünsche Euch schöne Träume! Liebe Grüsse
Gabi
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