AW: Die dümmsten Sprüche (zum dranhängen)
Hallo zusammen,
verfolge seit 08/06 dieses Forum. Angemeldet habe ich mich erst vorgestern. Es fehlte wohl der Mut. Jetzt merke ich, dass es wohl allen gleich geht. Die Außenstehenden sind ganz schön nervig mit ihren doofen Sprüchen. Als feststand, dass ich Chemo brauche, meinte ich nein, nein, mit Glatze und als Zombi laufe ich nicht rum. Das hat mich auch in der ganzen Zeit sehr gequält. Spiegel habe ich verflucht. Dumme Sprüche waren u.a.:
Ach, mach dir nichts draus, die kommen doch wieder - komisch, tauschen wollte niemand -.
Die Perücke ist doch praktisch. Du bist immer gut frisiert, kein Föhnen etc.
Ich fragte dann immer, ob sie den ganzen Tag mit einem Sturzhelm herumlaufen wollen.
Es wurde auch nachgefragt, ob ich keine Wimpern mehr hätte und Augenbrauen. Immer mit einem "i-git-i-git" in der Stimme.
Das Beste nach der 1. Chemo war von einer meiner Schwägerinnen, die meine Schwester getroffen hat die Frage, ob ich den Haushalt versorgen könnte, die Kinder und ob ich kochen könnte.
Das war wohl das Wichtigste. Bestimmt dachte jemand, er müsste bei mir zu Hause aufräumen.
An Heilig Abend - am 27.12. kam die nächste Chemo-Attacke - fragte mich eine 6-jährige aus der Verwandtschaft vor versammelter Mannschaft, ob ich immer noch eine Perücke auf hätte, sie wolle das mal sehen. Ich habe ihr dann erklärt, dass ich trotz allem der gleiche Mensch sei, habe allerdings gemerkt, wie mir der Wasserfall in die Augen stieg.
Als ich den Raum betreten habe, waren nämlich alle still. Es herrschte eine komische Atmosphäre. Ich hatte damals den Gedanken an eine Leichenhalle. Die hatten mich wohl schon alle abgeschrieben. Ich sah ja auch komisch aus, vor allem aufgequollen von dem Kortison.
Ich bin ständig nur reduziert worden auf das "Äußere", auf die Haarpracht.
Ich weiß jetzt, wer Freund ist und wer nicht. Über Monate klingelte das Telefon nicht, niemand wollte etwas, niemand wollte mit mir reden.
Mein Sohn wurde öfter gefragt, wie es mir ginge. Ihn nervte das. Ich sagte ihm dann, dass er bei der nächsten Frage sagen solle, es ginge mir gut. Als er das gemacht hat, war auf einmal Ruhe.
Als ich sagte, dass ich an einer Studie teilnehme, hieß es: Was, du bist Versuchskaninchen? Das würde ich mir aber gut überlegen.
Es heißt jetzt auch: Jetzt hast du's ja überstanden und geschafft. Ich frage mich dann was überstanden? Die Untersuchungen laufen noch. Bei einem gebrochenen Bein und einem gebrochenen Arm sieht man den Gips und wenn alles verheilt ist, wird er abgenommen. Man sieht, dass es vorbei ist. Es ist äußerlich. Den Krebs sieht man nicht. Vielleicht deshalb die große Angst oder weil das Wort Krebs sofort mit Tod verbunden wird???
Einkaufen ging ich während der Chemo-Zeit nicht mehr bei uns im Ort - 7.000 Einwohner mit Teilgemeinden -, sondern 9 Kilometer entfernt. Bei uns im Ort wurde ich mitten im Laden nach der 1. Chemo angesprochen, ob das stimmen würde, sie hätte gehört, ich bekäme Chemo. Alle Leute in allen Gängen schauten mich blöd an. Das wollte ich mir dann ersparen. Im übrigen ist es auch normal, dass die Leute, denen man erzählt, was man hat, sofort zum Telefon laufen und sich einen Termin zur Vorsorge holen. Manchmal dachte ich, dass die Leute denken, ich würde sie anstecken. Außerdem hat wohl jeder Angst, er könne das Gleiche haben.
Besucht hat mich nie jemand. Es gab nur meine Mutter und meine Schwester und nach 2 Monaten eine meiner vielen Schwägerinnen.
Im Mai - letzte Chemo Ende Februar - fragte mich eine Schwägerin wieder: Und, wie lang sind die Haare schon? Ich erklärte ihr dann, dass das für mich nicht das Wichtigste sei.
Als ich mal gefragt wurde, ob ich eine neue Frisur hätte, meinte ich: Ja, das war die Frau Krebs und der Herr Chemo. Hat nichts gekostet. Diejenige wusste genau, dass ich kahl war.
Die Leute haben rumgedruckst und nicht ehrlich und offen gefragt, was sie wissen wollten. Das ist wohl ein sehr schwieriges Thema. Keiner möchte damit konfrontiert werden. Gesprochen habe ich am liebsten mit "Gleichgesinnten". Das Forum hat mir auch immer sehr geholfen.
Wünsch euch Allem schon mal ein schönes Wochenende.
Haltet alle die Ohren steif. Wir sind nicht allein!
Gruß
Sternzeichen
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