AW: Mit 30 Jahren alleine
Hallo liebe Kathrin,
achman, das ist schon ein Sch.... keiner kann nachfühlen, was man empfindet, keiner kann auch nur ansatzweise wirklich verstehen, was in einem vorgeht. Ich möchte momentan am liebsten alles hinschmeißen - Job kündigen und weg hier... aber ich weiß vom Kopf her, dass das eine Entscheidung wäre, die nicht gut durchdacht sein kann... wenn ich in einem halben Jahr oder in einem Jahr immer noch alles hinschmeißen will, dann mach ich das. Bis dahin muss ich durch und Zähne zusammen beíßen....
Ich danke dir für deine Worte zu meinem Hochzeitstag.... ich war noch so verwirrt gestern, ich konnte mich selbst nicht verstehen. Ich habe geweint und getobt und mich danach zum ruhigen Nachdenken gezwungen.
Nach einer Weile bin ich auf den gleichen Gedanken gekommen, wie du auch!
Ich werde zu unserem Sonnenuntergangs-Platz gehen, werde das Buch mitnehmen und ihm dort vorlesen. Es gibt direkt dort auch ein schnuckeliges Restaurant, wo es zum Sonnenuntergang lecker Essen gibt - wir waren jedes Jahr mind. 1-2 x dort. Ich werde also sein Lieblingsessen dort bestellen und dann nmit meiner Freundin auf unseren Hochzeitstag anstoßen und ihm nachher das Buch vorlesen. Er wird bei mir sein und es wird mir besser gehen, als zu Hause an dem Tag. Schade nur, dass sein bester Freund und Trauzeuge nicht dabei sein kann. Aber mit ihm kann ich das nachholen.
Das mit der Kur finde ich eine interessante Idee. Gibt es dort dann auch psychologische Betreuung? Und was sonst noch, irgendwelche Wellness-Anwendungen in der Art? Ich war bisher noch gar nicht auf die Idee gekommen, dass es sowas für "Hinterbliebene" gibt... ich dachte auch immer, das mach ich schon selbst auf meiner Insel.... aber ich weiß nicht, ob das wirklich so gut klappt. Wenn ich da bin, dann gehts mir tatsächlich besser - aber zurück nach Hause kommen ist Horror.
Ich möchte nur schlafen. Ich bin soo müde. Dabei habe ich noch das riesengroße Glück, dass keiner meckert, wenn ich mal erst um halb zehn in die Firma komme. Andererseits quillt dann so der SChreibtisch über, dass ich nicht alles schaffe und dann frustriert nach hause gehe... ich habe keine Kondition mehr, kann mich nicht mehr bis abends durchgehend konzentrieren. Alles erscheint mir so unwichtig: ach, wir verlieren vielleicht das Projekt? Na und? Mir doch egal. Früher habe ich deswegen schlaflose Nächte gehabt.
Jetzt ist es mir einfach wurscht, was hier passiert!
Ich arbeite das Minimum an Pensum ab und dann gehe ich.
Mein Mann hatte immer so viel Disziplin und Motivation - er hat sich aus seinen Löchern rausgeholt und umso verbissener gearbeitet.
Das letzte Jahr hat er größtenteils hockenderweise auf den Knien vor dem Schreibtisch gehockt, weil er aufgrund des Tumors nicht mehr so lange sitzen konnte. Egal, er wollte trotzdem dabei sein!
Er hatte noch geschafft, den italienischen Markt für uns ein wenig zu öffnen.
Ich weiß noch, wie er das erste Mal mit sollte nach Italien, Kunden besuchen in Venedig. Wir beide waren nie zusammen in Italien. Nun war er allein in Venedig, sie hatten in einem sehr netten Hotel eingecheckt, mit Blick auf einen wunderschön beleuchteten Palazzo - mein Schatz rief mich an und weinte. Er weinte, weil es so schön war, weil ich nicht da war und ich glaube, er weinte auch, weil er wohl gespürt haben muss, dass wir das nie mehr zusammen erleben werden. Ich weiß noch, wie verwirrt und erschrocken ich war nach diesem Anruf. Aber er hat die Reise genossen, es war schön für ihn.
Eines Tages werde ich auch mal dorthin fahren.
Liebe Kathrin, ich wünsche dir trotz der sehr schwarzen Zeit momentan immer noch die Kraft, durchzuhalten. Du weißt ja, überall steht geschrieben, es wird irgendwann besser. Vielleicht haben die ja recht? Irgendwann, eines Tages, so unvorstellbar es auch jetzt sein mag für uns, wird es besser. Ganz bestimmt, daran müssen wir uns festhalten!
Dein Süßer ist immer bei dir, er nimmt dich in den Arm um dich zu trösten, nur dass du es so nicht merken kannst. Aber er ist da.
LG,
Shakira
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