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Zitat von stef777
liebe tonks,
ich falle zwar nicht direkt in deinen angesprochenen betroffenenkreis, wollte aber dennoch auf deinen schönen beitrag antworten, auch weil ich einiges davon bei mir wiedererkannt habe, in ähnlicher form...mein vater verstarb anfang des jahres, ich bin anfang 30. wir hatten nicht immer ein gutes verhältnis, obwohl ich ihn immer sehr geliebt habe und ihm immer sehr ähnlich war. erst in den letzten jahren vor seinem tod hatten wir ein immer besseres verhältnis. trotzdem blieb vieles unausgesprochen und nicht wirklich genug zeit, bzw. ich kannte so vieles nicht von ihm (er hat nie viel von sich aus erzählt). er hat eine sehr bewegte vergangenheit (war in einem krieg etc.).
in irgendeinem schlauen buch hab ich mal gelesen, dass ein schmerzvoller aspekt von trauer ist, dass die beziehung zu dem verstorbenen zwangsläufig durch den tod zu einem gewissen abschluss kommen muss, d.h. man muss viele dinge abschliessen und verarbeiten, ohne dass der andere noch da ist, um ihn zu fragen, ohne dass man den zeitpunkt dafür frei wählen konnte....das erfordert viel kraft und kann sehr schwer sein. ich hab seit dem tod meines vaters so viel wie möglich versucht, über seine vergangenheit rauszufinden, habe mit vielen seiner freunde, verwandten gesprochen, um - wie du auch schreibst - etwas über den menschen, nicht den vater, zu erfahren...ich bin noch dabei, plane z.b. für nächstes jahr eine reise in die USA, wo seine ältere schwester lebt, die ich bisher nur 1x im leben traf. bisher hat mir dies alles sehr geholfen...meinen vater auch nachträglich besser kennenzulernen, zu verstehen, woran er geglaubt hat, was ihn im charakter geprägt hat, was ihm spass gemacht hat, wie er leben wollte etc...es ergibt sich für mich ein klareres bild von der person, die ich stets im herzen tragen möchte. dadurch ist er mir näher.
LG
stef.
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Liebe Stef,
auch ich habe versucht, nach dem Tod meiner Mutter einiges über ihre Vergangenheit zu erfahren und habe auch Freunde und Familie, zum Teil auch in anderen Ländern lebend, aufgesucht. Doch dieses Aufspüren und Zusammentragen von Informationen gestaltet sich als sehr schwierig und nur bedingt fruchtbar. Da ich die Unterhaltungen nur teilweise auf deutsch führen kann, allerdings einsprachig (deutsch) aufgewachsen bin und erst als Erwachsener aus Eigeninitiative meine „eigentliche Muttersprache“ gelernt habe, kann ich nicht so nuancen- und facettenreich sprechen und meine Fragen stellen, wie ich es mir wünschen würde und wie es vorallem notwendig wäre. Sprache ist also in meinem Fall eine weitere Barriere. Ich weiß nicht, wie fließend dein Englisch ist, aber vielleicht wirst du ähnliches feststellen, wenn du in die USA reist.
Und dann gibt es noch das Problem der Nähe und Distanz. Zwar wurde ich bisher immer sehr freundlich empfangen und wie jemand, den man lange erwartet und auf den man sich seit langem gefreut hat behandelt – und doch waren die Personen, die ich aufsuchte mehr oder minder Fremde für mich. Es waren die Freunde meiner Mutter, die ich wenige Male gesehen hatte, nicht meine(!) alten Freunde (zumindest habe ich es so gesehen). Das Bindeglied zwischen uns war und ist meine Mutter. Doch ich konnte spüren, wie ich als „Miniausgabe“, als „Ersatz“, als „Nachfolger“ meiner Mutter gesehen wurde. Dieser Wunsch wurde ganz massiv an mich herangetragen. Aber obwohl ich sicherlich optisch einige ihrer Züge trage, Stimmlage und auch einige Charaktereigenschaften sich ähneln, gibt es doch viele Dinge, in denen ich mich merkbar von ihr unterscheide. Und diese Unterschiede wurden mit Trauer erkannt und mir – wahrscheinlich eher unbewußt, obwohl laut ausgesprochen – zum „Vorwurf“ gemacht. Ich lachte nicht über alte Witze, hatte nicht den gewohnten Humor meiner Mutter (aber auch ich lache ausgesprochen gern). - Ich habe dieses Bild, diesen Anspruch, zurückgewiesen. Ein weiterer Punkt nämlich, der das Gespräch und die Suche nach Informationen erschwert, ist, dass man durch Begegnung und Gespräch ganz konkret mit der Trauer und dem Verlust konfrontiert wird – und zwar nicht nur mit seiner eigenen! Ich selbst hatte und habe das Bedürfnis nach Information, muss mich aber nicht nur überwinden, Fragen zu stellen, sondern muss auch den jeweiligen psychischen und gesundheitlichen Zustand meines Gesprächspartners berücksichtigen, auch mit seiner Trauer umgehen können, nicht nur mit meiner eigenen! Allein meine Anwesenheit hat diese Trauer schon bewusst gemacht und konkretisiert und nicht jeder ist in seiner Trauerarbeit dann schon bereit zu dem offenen Gespräch, das ich mir wünsche und suche.
Die Suche nach Informationen ist also durchaus kompliziert und kann auch viel Wut, Enttäuschung und Tränen bedeuten! Ich hoffe, für dich und deine Suche, dass du auf offene und reife Menschen triffst, die deine Fragen zulassen und fördern und sie dir bereitwillig und geduldig beantworten!
Es ist ein schmerzvoller Aspekt, dass die Beziehung durch den Tod ein jähes Ende erfährt. Aber abgeschlossen ist sie dadurch dennoch nicht. Das Gegenüber lebt nicht mehr und dennoch bleibt die Beziehung lebendig, dennoch wandelt sie sich. Genau in dem Grad und genau in dem Maße, in dem wir uns selbst wandeln und weiterentwickeln. Jedesmal, wenn sich unsere Sicht der Welt und unsere Sicht auf uns selbst verändert, dann verändert sich auch die Sicht auf unsere Eltern. Daran ändert ihr Tod kein bisschen. Was er allerdings ändert, ist die Möglichkeit aktiv mit ihnen zu kommunizieren und zu interagieren. Es erfolgt keine direkte Antwort, keine Reaktion. Weder ist es möglich, sich für etwas zu entschuldigen und in den Augen seines Gegenübers die Annahme dieser Entschuldigung zu sehen, noch ist es möglich seine Wut und seine Freude zum Ausdruck zu bringen und dadurch etwas im Anderen zu berühren.
Das ist das, was ich persönlich als sehr schmerzhaft empfinde, genau das immer wieder aufs neue feststellen zu müssen und vorallem es zu akzeptieren. Denn anders ist wohl kaum ein gesundes und vitales Leben möglich.