Meine Lieben,
vielen herzlichen Dank für Eure Worte des Trostes, danke für Euer Mitgefühl und Eure Zuneigung.
Heute morgen erlitt ich einen kurzen Moment der Wut und Verzweiflung. Ich wollte unbedingt, dass André einen Zwieback isst und habe ihm diesen richtiggehend aufgezwungen. Er wollte nicht, hat ihn von sich gestossen, ihn durch die Gegend geschmissen und gesagt, er kann nicht, ich soll ihn nicht zwingen. Mit einem Mal wurde mir meine Verhaltensweise bewusst und ich habe mich bei ihm entschuldigt, ihm auch meine Verzweiflung, die mich eben halt doch ab und zu packt geschildert.
Ich habe mein Gesicht an sein Gesicht gelegt und unsere Tränen vermischten sich miteinander. Ich spürte seine Angst, seine Trauer, dass er mich bald allein zurücklassen muss. Es sind Momente, da sind wir uns sehr nahe, so nahe wie nie, auch nicht als er noch gesund war. Vielleicht ist das auch ein Teil des Preises, den wir zahlen müssen? Dass wir erst jetzt Nähe richtig spüren können?
Nächste Woche wird entschieden, ob noch Bestrahlungen durchgeführt werden sollen, ich meine Sinn hat es immer, aber nur wenn die Lebensqualität nicht verschlechtert sondern verbessert wird und das Leiden erträglicher gemacht wird. Ansonsten sehe ich diese Prozedur als Qual und unnötiges Leiden.
Er hat nun die Höchstdosis an Morphium in Form von Pflaster und Tropfen, trotzdem quälen ihn Schmerzen, ich glaube auch Seelenschmerzen. Eine Bekannte, deren Mann an Krebs starb und vorher fürchterliche Schmerzen hatte, sagte zu ihm "es ist gut, du kannst gehen, ich lasse dich los". Von da an liessen bei ihm die Schmerzen nach, er war entspannter und konnte bald in darauf in Frieden sterben. Erst als er sozusagen die "Bewilligung" seiner Frau bekommen hatte, konnte er loslassen.
Ich glaube, das ist bei uns ein bisschen auch so. Wenn ich ihn noch fast nötige, Zwieback zu essen, kann er nicht loslassen. Ich werde mich zusammenreissen müssen und ihm den Weg ebnen, denn ich liebe ihn so sehr und will ihn ja loslassen.
Herzliche Grüsse an Euch alle
Eva