AW: Betroffene und Angehörige im Umgang miteinander
Liebe Jutta,
auf Deinen Beitrag wollte ich schon länger eingehen, aber dann ging es mir doch immer wieder durch - und dann noch die liebe Zeit, nie genug davon.
Ob wir eine Zweitmeinung eingeholt haben, fragst Du. Ja, das haben wir. Ende letzten Jahres waren wir bei einem örtlichen Arzt der einen sehr guten, innovativen Ruf in der Onkologie, vor allem Lungenkrebs, hat. Seine Meinung war identisch mit der des behandelnden Arztes. Noch dazu gibt auch das, was man an seriöser Lektüre bekommt Recht - und das Wichtigste: Meine Mom vertraut ihrem Arzt.
Dazu solltest Du aber auch wissen, dass mein Vater mit experimenteller Chemo behandelt wurde. Er war ja noch sehr jung, der Krebs aber sehr weit. Weil man auf normalem Weg keine Chance sah, hat er diesen Strohhalm genutzt. Wir haben dadurch unsere eigene Meinung dazu gebildet. Denn es waren auch zwei Jahre Leiden, fast nur noch im Krankenhaus. Der Krebs wurde um JEDEN Preis bekämpft.
Die Obduktion ergab, dass es keinen Krebs mehr gab. Aber auch alle Organe waren vernichtet. Wir könnten uns nicht auf die experimentelle Schiene einlassen. Das Misstrauen bringt die Erfahrung mit sich.
Die Zweitmeinung hat meine Mutter auch damals viel mehr eingeholt um sicher zu sein, dass sie versucht hat was in ihrer Macht steht. Sie brauchte die Zweitmeinung um sicher zu sein, dass sie nicht blind dem falschen vertraut.
Und dass sie ihrem Arzt vertraut ist mir unglaublich wichtig. Sonst würde glaube ich, die ganze Behandlung nicht so gut funktionieren. Dennoch weiß ich, warum Du mir Deine Empfehlung gegeben hast. Ich hätte wahrscheinlich vor ein paar Jahren nicht viel anders reagiert.
Meine Mom hat bei sich ein Portrait eines Straßenkünstlers hängen. 1994 wurde von meiner Mutter und mir auf braunem Papier mit Kohle und Kreide ein Portrait gemalt. Ich fand es immer schön. Wenn ich jetzt darauf sehe, dann erinnere ich mich dass mein VAter uns zugeschaut hat. Es war in Heidelberg und er hat einfach den ganzen Infusionsständer mit in die Innenstadt genommen. Als wir gezeichnet wurden, war seine Kanüle undicht und er verlor Blut. Zum Krankenhaus zurück wollte er nicht bevor das Bild fertig war.
Ich finde das Bild nicht mehr so schön. Jetzt, wenn ich drauf sehe.
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Liebe Grüße - Bibi
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Dankbarkeit
ist die Erinnerung
des Herzens
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