AW: Betroffene und Angehörige im Umgang miteinander
Liebe Bibi, liebe Annika,
habt vielen Dank für Eure Zeilen. Ihr schreibt immer so schön und in meinen Augen so viele richtige Dinge.... da ist es nicht leicht zu sagen, ok, wir sind so, wie wir sind. Sicher ist jede Familienkonstellation anders, und bestimmt gibt es x beliebige Arten und Formen von Mutter-Tochter-Beziehungen... die alle auf ihre Art einzigartig sind.
Ich habe mich sicher auch sehr verändert und gehe meinen Weg, sehe heute Dinge mit anderen Augen als am 24. März bei der Diagnosestellung. Und doch ist mir dieses Bild soooo sehr eingebrannt, als wir zu dritt, Mama, ihr LG und ich im Zimmer der Ärztin sassen und sie uns die Diagnose mitgeteilt hat. Für mich ist so viel zusammengebrochen, und jeden Tag bricht ein Stück mehr. Ich komme mit dieser Krankheit nicht zurecht, nicht damit, dass sie das alles durchmachen muss, ich würde ihr so gerne alles abnehmen.
Meine Oma, die mit 85 noch sehr fit ist und sie versucht täglich zu bekochen, sagte mal "womit hat sie das verdient, wo sie doch in ihrem Leben so wenige Glücksmomente hatte".
Die Vorstellung, meine Eltern zu verlieren, wobei es normal ist, dass die Eltern vor den Kindern gehen, treibt mich um. Jeden Tag, mal mehr, mal weniger, aber heute wieder besonders schlimm.
Und sicherlich leben viele Menschen einfach in den Tag, ich tue das nicht mehr. Ich geniesse es, wenn Mama auf der Höhe ist. Und freue mich heute und denke nicht an morgen. Uns trennen ja noch 500 km und natürlich können zwei Telefonate täglich nicht ein in den Arm nehmen ersetzen. Ich möchte ihr gut tun, alle anderen Sorgen, die sie sich um die Restfamilie macht, abnehmen. Sie soll sich auf sich und ihren Körper konzentrieren und nicht noch mehr negative Dinge im Kopf haben. Sie soll geniessen.... so gut es eben geht.
Ich denke soviel über das "Gehen" nach und weiss wirklich nicht, wie mein Leben weitergehen soll, wenn meine Mama mal nicht mehr ist.
Ich habe mir ja Hilfe gesucht in Form eines Psychologen und wir betrachten gerade die Beziehung zwischen Mama und mir. Er findet sie ungesund eng. Ich muss loslassen. Ein Stück. Mein Vater sagt dasselbe. Und mein Freund manchmal auch. Das hat etwas mit unserer Vergangenheit zu tun und würde hier den Rahmen sprengen. Ich glaube, es ist richtig. Wobei ein lockern nicht gleichzusetzen wäre mit weniger lieben. Aber vielleicht gesünder lieben? Ich weiss es nicht.
Es gab bei uns seit Diagnosestellung ja noch gar kein CT. Am 24.09. ist das erste. Bei jeder Chemo wurde geröntgt, also quasi ein kleines Mini-Zwischenstaging. Nun ist es glaube ich so, dass die Ärztin selbst nicht mehr weiter weiss. Darum das CT. Weil es sich eben verändert hat. Ich bin noch sehr ruhig, merkwürdigerweise.
Aber es wäre schön, würde Mama bald wieder auf die Beine kommen. Am 25. geht dann die Chemo weiter... aber dann ist eben auch Gespräch mit der Ärztin.
Meine Schwester ist bald 31, nur 16 Monate jünger als ich. Dazu gehört noch eine andere Zwillingsschwester. Die interessiert sich ebenso wie meine zwei Brüder nicht besonders offenkundig für den Krankheitsverlauf. Zwar interessiert, wie es Mama geht, aber manchmal denke ich, sie geht davon aus, dass das wie eine Grippe zu werten ist.
So, nun habe ich hier viel zu viel Eure Augen strapaziert. Morgen kann der Tag nur besser werden.
Euch allen eine gute Nacht,
Eure Thessa
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Meine Mutter, ED 03/08 Adenokarzinom nicht operabel; T4N3M0.
Chemokonzept: seit 03/08 Carboplatin/ Vinorelbine, Umstellung aufgrund von Versagen von Carboplatin auf Taxotere am 22.07.08. Letzte Chemo am 27.11.08 - nun watch and wait. 
14.01.: Lunge fast tumorfrei, multiple Hirnmetastasen, 10 Ganzhirnbestrahlungen ab dem 22.01.
 am 09.02.2009 in unseren Armen eingeschlafen 
1946 - 2009
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