Forum für Angehörige UND Betroffene
Mörgelchen liebe Petra,
ja, da versteh ich Dich. Deine Hilfe und Dein Da-Sein scheint so in der Luft zu verpuffen, gell? Das verletzt natürlich auch, klar. Da fragst Du Dich: Wozu sich die Mühe machen mitzuleiden, wenn eh nix zurück kommt?
Tatsache ist ja, und auch völlig verständlich, dass Du selber ebenfalls über alle "aktuellen Stände" und "Neuigkeiten" über seine Gesundheit sofort informiert werden möchtest. Weil Du ja mitleidest, und weil Du ja auch wissen willst, wie es ihm dabei geht. (Dafür drück ich Dich feste, hm-hm!)
Ich will Dir einfach noch ein bisschen die "andere Seite" aufzeigen. Du machst nichts falsch, nein, ganz und gar nicht, aber der Krebskranke "denkt" eben ein bisschen anders, oder zumindest so, dass man es als "Gesunder" vielleicht kaum verstehen kann.
Ich bring Dir hier ein Beispiel von mir, ja?
Wenn ich in meine "Nachkontrollen" gehen muss, dann ist es oftmals fast so, als ginge ich ... zu meinem "Lebensrichter". Entweder ist der Arzt mein "Richter über Leben" für die kommenden drei Monate, oder aber er ist mein "Henker". - Natürlich IST das ja nicht so, aber man empfindet es als Krebspatient ein bisschen so.
Die Ängste sind also so zünftig da, dass ich dann manchmals schon TAGE vor der Untersuchung so nervös bin, dass meine Gedanken nur noch um das "Eine" kreisen. Ich kann während dieser Zeit weder nach links noch nach rechts schauen. Ich versinke in mein Ich hinein, in meine nackte Existenz, so dass ich praktisch null Gedanken für andere Probleme aufwenden kann. Alles andere wird nebensächlich. Auch andere Menschen. Im Moment jedenfalls. Im Moment geht's nur um mich.
Was ich aber brauche, das sind offene Ohren in diesem Moment. Weil ich Angst habe. Und ich danke JEDEM offenen Ohr in diesem Augenblick. O ja!
Bin ich nun aus der "Nachkontrolle" raus, und alles sieht GUT aus, ... juhee! ... diese Erleichterung, dieses "schwebende" Gefühl ist unbeschreiblich! Wieder eine Chance! Eine neue Lebenschance. Gesund sein. Yeah!
Und ich bin müde. Bin so müde über diesen Stress der letzten Tage, müde über meine eigenen Ängste, müde über die Nachkontrolle, ... so dass ich da oftmals GAR nichts tun will, hm-hm. MEIN LEBEN! Ist es nicht wunderbar? Was tue ich also?
Ah, ich feiere erst mal mit mir selber. Gehe in ein Café. Gönne mir Kaffee und ein Stück Schokoladentorte. Siehe den Abend des Tages einbrechen und freue mich einfach nur. Über mein Leben. Über den Augenblick. Ich bin ich. Nur ich selber. Ich existiere. Gesund. Unfassbar. Und doch fassbar.
Das ist also oftmals ein Augenblick, liebe Petra, den ich nur für mich haben möchte. Ich renne nach der Untersuchung nämlich auch nicht sofort ans Telefon, um all meinen Leuten die gute Nachricht zu überbringen. Denn auch in diesem Augenblick denke ich nicht an das Bangen meiner Leute, ich denke wiederum nur an mich. An diesen Augenblick.
Erst dann, wenn ich soweit bin, werde ich meine Leute informieren. Selbst wenn man mir sagt: "Rufst Du mich gleich an, wenn Du's hinter Dir hast?", dann sage ich zwar ja, aber ich kann gar nicht anders als zuerst MEINE Existenz erst wieder wahr zu nehmen, auf den Boden zu kommen, den Adrenalinspiegel senken zu lassen, und zu mir selber zurück zu kommen.
Sei ihm also nicht böse, wenn er sich in solchen Augenblicken Zeit lässt oder gemütlich in einem Café sitzt. Er muss zuerst zur Ruhe kommen, oder jenes verdauen, was er gerade durchgemacht hat.
Seine Philosophie, dass er erst gesund werden will, bevor er Pläne macht, ist natürlich einerseits wahr, aber andererseits auch ein bisschen Selbstbetrug des Augenblickes. Denn die Frage, WANN er wirklich gesund ist, ist immer relativ. Da windet er sich zwischen "soll ich jetzt tun?" oder "soll ich in einem Jahr tun?". Das ist eben schwierig, weil er gar nicht weiss, was schon in einem Jahr kommen mag.
Es braucht manchmal viel Kraft zu sagen "Ich will jetzt tun." Es braucht dazu die Einsicht des "im Jetzt leben", und ein bisschen die Einsicht des "egal, was in einem Jahr ist". Diese Kraft und Einsicht ist nicht einfach so auf Kommando da. Diese Kraft und Einsicht kommt auch nur sehr schwer, wenn man noch viele andere Belastungen hat, mit den Behörden z.B., denn die NEHMEN einem noch diese Kraft dazu, weil man dauernd in einem Kampf steckt. Und wenn man dauernd am kämpfen ist, kann man so schlecht sagen "ich will jetzt tun".
Weisst Du, wie ich meine?
Mir scheint eben, Dein Partner ist in diesem Kampf drin, hier und da, und kommt gar nicht zur Ruhe, um sagen zu können "ich will jetzt tun". Zumindest ist er noch nicht so weit.
Magst Du noch ein bisschen Geduld mit ihm haben?
Ich sende Dir jedenfalls ganz liebe Grüsse, und danke Dir hier einfach mal an "seiner Stelle" für Dein Da-Sein, denn ich finde wirklich, Du machst nichts falsch. Du hast sämtliche Umärmelungen der Welt verdient.
Bis späterchen.
Die "krasse" Brigitte
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