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Alt 05.02.2009, 20:40
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Conny44 Conny44 ist offline
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Standard AW: Rezidiv und nun ????

Hallo, meine treuen Lieben,

nun versuche ich mich mal. Ich danke euch sehr herzlich für eure mitfühlenden Worte. Weiß nicht, was zur Zeit los ist. Das heißt, ich weiß es schon, komme aber mit überhaupt nichts mehr klar.

@Meine liebe Kirsten, ja, zum Zeitpunkt deines Eintrags ging es mir wohl mal kurzzeitig etwas besser, zumindest scheinbar. Alles wie weggeblasen.
Ich lese hier immer mit, sofern ich hinterherkomme, und es geht mir sehr nahe mit deinem Papa. Sofort fühle ich mich in die Zeit zurückversetzt, Stiche und Hiebe sind das Resultat. Ich wünsche dir unendlich viel Kraft und Durchhaltevermögen. Wir alle können erahnen, wie es dir geht.


@Liebe, liebe Tine, du fleißige Schreiberin, welche auch das Schicksal viel zu schnell ereilt hat. Ich danke dir so sehr, dass du trotz deines Schmerzes noch so nette Worte für andere übrig hast. Auch als Kopfmensch hast du mit deiner Trauer zu tun, es tut einfach weh. Und vielleicht ist es gerade als sogenannter „Realist“ sehr schwierig, das zu akzeptieren und zu begreifen, was so furchtbar ist. Ich zählte mich auch zu den Menschen, die bis dato immer eine Möglichkeit gesehen haben, aus Löchern aufzusteigen, nach dem Motto „geht nicht, gibt’s nicht“. Tja, und nun liege ich wie eine zerlatschte Pflaume flach und würde alles dafür geben, wenn es nur ginge, dass ich meinen Mann wieder bei mir hätte.
Ich wünsche auch dir alles Liebe.

@Mein liebstes Sachsenschwesterlein Annett,
bitte verzeih, dass ich mich bei dir zurückgehalten habe. Ich fand kaum noch Worte, die nicht schon bereits gesagt wurden. Zum Scherzen war mir auch nicht wirklich zumute. Ich freue mich, dass du trotzdem öfter an mich denkst. Das tue ich nämlich ebenfalls. Ich meine, nicht an mich, sondern an dich….

Und genauso wie dir geht es mir auch. Ich mag nur noch im Dunkeln unterwegs sein, damit mich jaaaaa keiner sieht und erkennt. Tagsüber bin ich schlaff und matt, trotz Arbeit, wenns dunkel wird, geht’s mir bissl besser, aber auch das ist keine Garantie für den nächsten Tag. Ebenso fand ich „bisher“ den Frühling als die schönste Jahreszeit, wenn alles so schön blüht …. Aber mit wem soll ich das teilen? Alle freuen sich darauf, aber ich nicht. Dennoch das Treffen ist gespeichert. Ich kann auch gern zu dir fahren, denn im Auto fühle ich mich noch am wohlsten, damit habe ich keine Probleme. Und morgen hole ich meinen Lappen wieder, darf dann am Montag wieder die Straßen unsicher machen.
Ich weiß, dass du im moment schwer telefonieren kannst, das kenne ich auch. Aber wenn dir so ist, ruf einfach an, ok? Ich würde mich riesig freuen, aber ohne Druck und nur, wenn du das Bedürfnis hast!!!!!!!! Ich glaube, dass es sehr hart wird, die Wohnung aufzugeben. Wieder ein Stück weg! Manchen tut es gut, manche (so wie ich) finden es furchtbar. Aber du musst sie ja halten können, und alleine 4 Zimmer - fast nicht machbar.
Mit meiner Tochter geht es so einigermaßen, das mal mündlich. Ich werde wohl auch bald bei dir wieder vorbeischauen, gibt mir nur bitte ein kleinwenig Zeit. Ich versuche, immer mitzulesen und finde es enorm, wie du deine Gefühle ausdrücken kannst. Aber, was noch viel wichtiger ist, ich denke sehr oft, dass du MEINE Gefühle beschreibst. Sehr vieles deckt sich zu 100%. Deine Zeilen von Bonhoeffer sind so wahr!!!! Halt die Ohren steif! Ich drücke dich von ganzem Herzen, in meinem hast du ganz tief drin einen Platz gefunden.

@Meine liebe Petra, ich weiß, dass du auch an mich denkst. Und dass du nie die richtigen Worte findest, stimmt auch nicht. Denn manchmal kann man auch mit weniger mehr ausdrücken, stimmts? Ich hoffe, dass du dein Büro entrümpelt hast???? Und noch vielmehr wünsche ich, dass deine Schwägerin sich nicht aufgibt und weiterkämpft. Ich drück dich.

Ich nehme eure Zeilen heute mal zum Anlass, zu beschreiben, wie es mir geht, obwohl ich das gar nicht so gut kann.

In 10 Tagen sind 9 Monate rum. Ich versteh es nicht. Ich habe das Gefühl, dass ich derzeit schlechter beisammen bin wie am Anfang des traurigen Ereignisses. Und zwar insofern, dass mich die Sehnsucht auffrisst. Je mehr Zeit vergeht, desto schlimmer wird es bei mir. Und ich kann irgendwie nichts mehr mit tröstenden Worten anfangen, die da wären: „Du bist stark oder toll, du schaffst das, du hast schon so vieles geschafft“, „die Zeit heilt alle Wunden, oder man gewöhnt sich an den Schmerz“, „du musst unter Leute gehen“, „Such dir ein neues Ziel oder einen Sinn“, „Nimm dir Zeit“, „Du machst alles richtig“, „Das Leben geht weiter“, „Irgendwann wird es dir besser gehen“, „Irgendwann wirst du wieder an dich denken“ "Jörg hätte dies und jenes nicht gewollt (woher weiß das jemand so genau?)" usw.
Es ist nicht böse gemeint von mir, ich halts nur kaum noch aus.

Wisst ihr, ich bin ein Einzelkind, kein verwöhntes, weder in punkto Liebe noch Geld. So maches lag in der Kindheit im Argen, wie bei einigen, auch wenn sich das viele nicht eingestehen wollen. Dann meine erste Ehe nach 4 Jahren gescheitert. Dann 18jährige Beziehung – gescheitert. Während der ganzen Zeit einschließlich meines Kindseins musste ich kämpfen, und zwar alleine! Auch die Partner, die ich an meiner Seite hatte, haben mich nicht in dem Maß unterstützt, wie man sich das wünscht. Aber man will ja die Familie zusammenhalten, aus Verantwortung, Bequemlichkeit oder sonstigem (Mein Expartner hatte übrigens vor 10 Jahren Hodenkrebs). Dann kommt die Krankheit meines Vaters, der einst sehr, sehr streng war (stark untertrieben), der Drahtzieher und Leithammel. Plötzlich ist er weich, schwach, sensibel, traurig, depressiv und von Angst zerfressen, weint ständig und hält sich an seine Tochter. Die Mutter, schon immer ziemlich egoistisch, aber dennoch hilflos und naiv, steht daneben, völlig überfordert, klammert sich an Tochter, für die sie sich all die Jahre nicht wirklich ehrlich interessierte. Tochter steckt ganze Kraft und Wissen in die Krankheit, will helfen, läuft Amok, schlussendlich vergebens. Meine langjährige Beziehung zerbricht total, ENDLICH!

Dann – nicht geplant, nicht gewollt und völlig von den Emotionen überrollt – treffen mein Jörg und ich aufeinander. Anfangs geglaubt, Ersatz, Ablenkung? Nein, es war Liebe!!! Eine Liebe, wie ich sie noch niemals in 44 Jahren erlebte. Eine Verbundenheit, eine Seelenverwandschaft.
Mein Jörg, ebenso ein Einzelkind und fast die gleiche Vergangenheit. Probleme mit Mutter, strenger Vater. Sein Vater an Krebs gestorben. Ein Kämpfer, der sich genauso durchs Leben schlagen musste und nach Anerkennung strebte. Ein schlauer, liebevoller, aber auch bestimmter Mensch, der wusste, was er will. Und er wusste, dass er MICH will. Er konnte sich 1000%ig auf mich verlassen. Und ich mich ebenso auf ihn. Ich habe ERSTMALS in meinem Leben mich geborgen und angekommen gefühlt, und das, obwohl mein Mann krank war. Ist das nicht irre? Aber da war ja noch mein kranker Vater, meine gescheiterte Beziehung, meine Tochter, meine Arbeit, unsere getrennten Wohnsitze. Auch das haben wir irgendwie hinbekommen. Ich hasste zwischenzeitlich Leipzig, wäre gern nach Berlin gezogen, wenn es nur eine gemeinsame Zukunft gegeben hätte. Die Woche über, wenn ich arbeiten musste, war ich seelisch krank, ebenso mein Schatz. Der scheiß Krebs jund dann noch die Schmerzen der Sehnsucht. Wir telefonierten zigmal am Tag, schrieben unendlich viele Mails und SMS. Auch während der Arbeit. Mir war plötzlich mein Arbeitsplatz unwichtig geworden. Denn es zählte nur eins „ICH MÖCHTE MEINEN MANN NICHT VERLIEREN“. War dann aber lange krankgeschrieben und in Berlin.

Krebsdenken war das einzige, was ich noch konnte. Ich bin in dem Jahr unendlich viele Kilometer Auto gefahren (nachts im strömenden Regen im Affenzahn, obwohl ich nachtblind bin), wahrscheinlich fühle ich mich deshalb so wohl darin; außerdem fahre ich jetzt unseren kleinen süßen Benz, den wir für Jörg noch im November 07 gekauft haben. Leider bleibt der Beifahrerplatz leer.

Meine vorheriges Leben lebte ich starr und unflexibel, immer genau nach Plan, und wehe es kam was dazwischen.
Ich hätte mir zuvor niemals vorstellen können, an einem anderen Ort wohnen zu wollen, niemals. Und dann änderte sich alles durch unsere Liebe. Ich hätte hier alles aufgegeben, das einzige, was mich hinderte, war vorerst meine Tochter.

Meine Mutter legte mir auch Steine in den Weg, war ziemlich ungerecht mir gegenüber. Alles, was ich für meinen Vater zu Lebzeiten getan hatte, war null und nichtig. Es zählte nur noch ihr Leid. Ihre größte Sorge war, dass ich nach Berlin ziehe. Wie könne ich nur, usw. Deshalb weiß sie auch nicht, dass ich verheiratet war. Dass ich unter dem Tod meines Mannes und meines Vaters unwahrscheinlich litt, zählt nicht, sondern nur ihr eigener Verlust.

Auch auf Arbeit wissen die Wenigsten, dass ich geheiratet habe und nunmehr Witwe bin. Ich war ja so lange krankgeschrieben, und man muss ja auch aufpassen, was man erzählt. Verständnis kann man nämlich nicht erwarten. Und meine liebste Kollegin, die in meinem Zimmer sitzt, hat mir Rückendeckung gegeben. Ohne sie hätte ich es niemals geschafft, alles unter einen Hut zu bringen. Danke meine liebe Michi!!!!

„Freunde“ habe ich nunmehr auch verloren, offenbar bin ich ein Belastung, bin nicht mehr so fröhlich, witzig und „normal“ und habe nur noch Trauer und Tod im Kopf.

Versteht ihr, warum ich keine Zukunft mehr sehe? Bei mir geht es nicht darum, dass ich wieder mich selbst finde oder wieder nach vorn blicken kann. Denn vor Jörg ging es mir auch nicht sonderlich gut, habe ich doch immer unbewusst nach dem gesucht, was ich letztendlich gefunden, aber auf so grausame Art und Weise wieder verloren habe. Und wenn 44 Jahre vergehen, bis das Glück so richtig zuschlägt, wieso sollte mir soetwas oder etwas ähnliches denn wieder passieren? Niemals!!! Ich war noch niemals so hoffnungslos wie derzeit.

Ja, es ist richtig, dass ich meinen Jörg in meinem Herzen trage, dass mir die Erinnerungen niemals wieder jemand nehmen kann, dass ich einerseits glücklich bin, überhaupt solch eine für mich „übernatürliche“ Erfahrung machen zu dürfen.
Aber es reicht mir nicht. Ich habe Sehnsucht nach der liebevollen Umarmung, nach dem Lächeln, nach einem lieben Wort, nach einer sarkastischen Spitze von meinem Jörg. Mir fehlt mein Zuhause „Berlin“, die Nadelbäume, die Seen, der Sandboden, der Pool, unser neu gekauftes Wasserbett, in dem mein Schatz nur 5 Nächte verbringen durfte. Ich vermisse das nächtliche Aufstehen von ihm, wo ich ihn immer begleitete (Zuckerspritzen, Medikamenteneinnahme), wo er mir einen leckeren Cappuchino mitkochte. Ich darf ihn nicht mehr umsorgen, Tee kochen, Hand auf den schmerzenden Bauch legen, ihn eincremen ... Mir fehlen die wenigen Menschen, die ich in Berlin kennen lernen durfte, die Waldspaziergänge mit meinem Schatz, die Fahrradtouren, die Kneipenbesuche. Mir fehlt einfach ALLES!!!!!!
Jörg war trotz seiner Krankheit mein ein und alles, der Mensch, an den ich mich anlehnen durfte – ZUM ERSTEN MAL IN MEINEM LEBEN -!!!!, dem ich vertraut habe, so wie er mir vertraute, zu dem ich hochschauen durfte, so wie er auch zu mir aufgeschaut hatte. Es war Jörgs größter Wunsch, dass ich "richtig" und für immer zu ihm ins Haus ziehe. Ich konnte ihm diesen wegen meiner Arbeit, meiner Tochter und der Kürze der Zeit nicht mehr erfüllen. Es tut so weh.

Ich merke, ich plaudere zuviel, aber das musste mal raus. Es geht mir jetzt nicht besser, denn ich sitze hier und es verkrampft sich alles.

Meine liebste und beste Freundin – wir kennen uns seit unserer Kindheit – weiß, wie ich mal war, wie ich mich verändert habe, sie hat alles hautnah mitbekommen. Und sie sagt mir ihre ehrliche Meinung, nämlich dass auch sie nicht glaubt, dass ich jemals so etwas schönes wieder erleben werde, weil es nicht jedem Menschen vergönnt ist. Sie selbst hatte – ach, man kann es gar nicht mehr zählen – schon soooo viele Männer, aber das, wie mir, ist ihr noch niemals passiert.
Auch mein Jörg hatte den Glauben an die Liebe aufgegeben, wollte eigentlich von Weibern beziehungstechnisch nichts mehr wissen, bis sich das änderte ....

Vielleicht könnt ihr mich ein wenig verstehen????? Es ist bei jedem anders. Es kommt aber auch auf die Vergangenheit an, auf die Familie, die Freunde, das Erlebte. Dies alles liegt bei mir im Argen. An was soll ich noch glauben, worauf soll ich noch hoffen?????? Sicher, ich habe Kinder, aber auch die gehen ihre eigenen Wege, haben ihre Zukunft vor sich und ihre eigenen Probleme.
Ich werde weitermachen, irgendwie, aber ich fühle mich, als wenn auch ich bereits gestorben und nur zu faul zum umfallen wäre. Und ich glaube auch nicht daran, dass jedem nur das auferlegt wird, was er auch tragen kann. Dann würde es nämlich keine depressiv erkrankten und durchgedrehten oder gar dem Leben ein Ende setzende Menschen geben.


Ich drück euch alle und leide mit allen, die momentan einen schweren Weg zu gehen haben, mit. Ich lese auch mit, bin aber wohl derzeit zu keinem Trost fähig. Dies deshalb, weil ich selbst alles so trostlos finde.

Ich bewundere alle, die ihr Schicksal tapfer ertragen, jeder auf seine individuelle Art, sowohl als Angehörige, erst recht als Betroffene (Birgit), aber jeder Weg ist ein anderer und jeder geht anders damit um. Es gibt Parallelen, aber kein allgemeingültiges Rezept, auch nicht während der Trauer ….


PS: Uiuiui, ist das lang geworden, aber nicht bös gemeint!


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Traurige Grüße von Conny (& Jörg - seit 15.5.08 nur noch in liebevollen Gedanken)

Ein Millionär und ein Bettler haben statistisch gesehen jeweils 1/2 Million!
Soviel zu Statistiken!

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mein geliebter Mann: BSDK 06.06.1959 - 15.05.2008
mein Pa: BSDK 17.01.1941 - 08.07.2007
meine Mutti: Akute Leukämie 18.11.1941 - 30.03.2011

Geändert von Conny44 (05.02.2009 um 20:58 Uhr)
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