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Alt 19.06.2009, 11:06
Hope80 Hope80 ist offline
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Standard AW: Gibt es überhaupt Überlebende?

Hallo zusammen,
die Schilderung, wie sich ein Betroffener fühlt, ist wirklich interessant, aufschlussreich und traurig. Nur, wenn man immer nur sarkastisches Zeug rauslabert, wenn andere versuchen einen zu verstehen und zu trösten, braucht man sich nicht wundern, wenn man nicht mehr ernst genommen wird. Mein Bruder erwartet von uns, dass wir aus seinen Gedanken lesen, was er braucht und will. Wenn wir Mittags kochen und ihn fragen, ob er auch etwas möchte, werden wir angepflaumt, weil ihm schlecht ist. Und wenn er dann um 16 Uhr plötzlich doch was essen will, werden wir angepflaumt, weil ihm keiner was kocht.
Mittlerweile weigert er sich, seine Medikamente zu nehmen, weil er der Meinung ist, die bringen sowieso nichts und ihm wird nur schlecht davon. Dass er selbst keine Ahnung von Medizin hat, fällt ihm dabei nicht ein. Anfangs habe ich mich morgens eine Stunde lang zu ihm ans Bett gesetzt und ihn angefleht, seine Medikamente zu nehmen. Irgendwann bin ich total fertig in Tränen ausgebrochen und seit dem lass ich es. Ich bin auch nur ein Mensch und auch ich habe meine Grenzen. Er verachtet das Leben und das tut er nicht erst, seit er seine Diagnose bekommen hat. Das Leben an sich empfindet er als Stress: Morgens aufstehen müssen: Stress. Leistungen bringen: Stress. Behördengänge: macht er erst gar nicht. Rechnungen bezahlen: macht doch Papa nach der 2. Mahnung eh.
Meiner Meinung nach hat er sich längst entschieden, dass er nicht kämpfen und somit sterben will. Das kann ich akzeptieren. Das MUSS ich akzeptieren, weil ich sonst selbst daran kaputt gehe. In zwei Monaten fangen meine Examensprüfungen an und ich habe mir jahrelang den A... aufgerissen um so weit zu kommen wie ich jetzt bin. Wenn mein Bruder sein Leben wegwerfen will, dann ist das seine Sache, aber ich lasse mir nicht auch noch meins versauen. Ich kann nicht meine ganze Kraft in die Unterstützung eines Menschen legen, der selbst keine eigene Kraft investieren will. Ich gehe zweimal die Woche mit ihm zum Arzt, damit er wenigstens das tut, weil er es ohne mich vermutlich garnicht erst tun würde. Ich koche was, was er sich später aufwärmen kann, aber dann muss er eben auch mal aufstehen und in die Küche gehen. Ich leiste ihm Gesellschaft wenn ich mal nicht lerne. Ich fahr ihn zu seiner Scheiß-Videothek, damit er sich noch mehr Ballerspiele ausleihen kann. Aber ich ignoriere fast alle seine Aussagen, weil sie nur verletzend und schmerzhaft sind.
Er sagte, dass wenn er nach der OP nochmal Chemo kriegen soll, dass er das nicht mehr unterschreibt. Ich werde ihn nicht versuchen zu überreden. Er ist vielleicht erst 25 Jahre alt, aber er ist auch SCHON 25 Jahre alt. Es ist SEIN Leben...
Das Alles klingt für die meisten für euch vermutlich sehr herzlos und vielleicht ist es das auch. Aber es ist nicht so, dass ich ihm im Stich lasse. Ich - und auch meine Eltern - wir haben ihm unsere Hand gereicht - nehmen muss er sie aber schon selber. Wir begegnen ihm nach wie vor mit aufmerksam gespitzten Ohren um sofort reagieren zu können, wenn er WIRKLICH Hilfe braucht und will, aber eigentlich glaube ich nicht daran, dass er dieses Angebot jemals annimmt...

Grüße Hope
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