Liebe Carmen,
bis du das akzeptieren kannst wird noch ne Zeit dauern. Was der Bestatter meinte, ist, dass du für die Behörden als nicht verheiratet angesehen wirst. Das ist eine rein teschnische Sache. So war das auch gemeint.
Zukünftig wirst du immer mehr trennen, was du fühlst und wie es Aussenstehende sehen. Zunächst wirst du dir ein inneres und ein äusseres Dasein aufbauen. Die berühmte Fassade. Irgendwann wirst auch du es schaffen, dass Inneres und Äusseres wieder im Einklang sind.
Das ist genau das, was auch ich noch schaffen muss. Wir brauchen nämlich keine Fassade, die etwas verstecken soll. Ich möchte mal stolz darauf sein, ein Witwer zu sein. Nicht solz darauf, dass meine Frau verstorben ist, sondern stolz darauf, dass ich so lange mit ihr zusammenleben durfte, das Glück zu haben, sie zu kennen und zu lieben. Das sind Gefühle, die nur wenige kennen. Manche werden sie kennenlernen müssen, andere nie im Leben.
Muss man/frau verstecken, dass sie Witwe/r ist? Nö.
Übrigens, mal was lustiges in dieser Sache. Als der Versicherungsälteste bei mir war, um den Antrag Witwerrente zu stellen hielt er beim Ausfüllen plötzlich verblüfft inne: für die Bezeichnung "Witwer" gab es kein Ankreuzfeld auf dem Fomular. Ihm fiel dabei noch auf, dass das Formular "Antrag auf Witwe
nrente" überschrieben war. Natürlich war ihm das peinlich. Gefragt war nach den Angaben zu
dem Verstorbenen und den persönlichen Daten der
Witwe. Ein gegenseitiges angrinsen löste die Spannung. Seines Wissens gibt es kein Formular für Witwer. Müsste er mal anregen, meinte er.
Liebe Bruni,
klar, dein Jürgen würde an dem Tag 46 jahre alt werden. Ich hoffe, meine Myriam würde irgendwann mal 80 oder 90 werden. Ich möchte noch einige dieser Tage erleben. Es geht nur darum, zu akzeptieren, dass es nicht mehr so ist sondern so sein könnte.
Das Leben ist ein Augenblick, der letzte eine Spur und der nächste Zukunft. Diese Spur gräbt sich in das Leben anderer Menschen ein wie in uns die Spur derer, die wir geliebt haben. Unverwischbar.
Liebe Andrea,
noch kann ich diesen Brocken nicht in meine Hosentasche stecken. Er würde selbige zerreissen. Wir müssen noch ein bisschen hämmern, bis er die richtigte Grösse hat. Das schaffen wir auch noch.
Wenn er dann die richtige Grösse hat, werden wir ihn immer bei uns tragen und spüren. Nicht, weil es ein Stein ist, schwer und hart, sondern wir spüren die Wärme. Denn er ist nicht nur Erinnerung sondern auch ein Versprechen für die Zukunft. Und an seiner Oberfläche sind die Spuren derer, die wir immer noch lieben.
Diese beiden Tage haben wir auch gefeiert, alle zusammen. Auch ihre beste Freundin war dabei. Es waren gute Tage. Ich möchte das auch zukünftig so machen. Die Blumen für die Schwiegermutter, das ist ne klasse Idee.
Was ist der Unterschied zwischen verheiratet und verwitwet? Eigentlich keiner. Zumindest für uns, denn unsere Versorbenen sind immer noch da. Genauso wie Wasserdampf immer noch Wasser ist. Wasser können wir berühren, greifen. Wasserdampf nicht, trotzdem ist er da. Nicht greifen, jedoch fühlen.
Alles Liebe
Helmut