Thema: Myriam
Einzelnen Beitrag anzeigen
  #343  
Alt 31.08.2009, 20:51
Benutzerbild von HelmutL
HelmutL HelmutL ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 03.03.2007
Ort: Dreiländereck
Beiträge: 1.987
Lächeln AW: Myriam

Heute Nachmittag habe ich zum ersten Mal meine Schwiegermama nach Saarbrücken in's "Cafe Vergissmeinnicht" gebracht. Jeden Montag werden dort am Nachmittag für 2 Stunden alte Menschen aufgenommen. Es wird erzählt, gesungen, in einem kleinen Park geht man spazieren. Der Raum, in dem die Leute untergebracht sind während der Zeit, heisst sinnigerweise "Wohnkich" (Wohnküche) und ist auch so eingerichtet. Im Stil der Nachkriegsjahre. Ein sehr schöner Küchenschrank, wie Oma ihn hatte, Sessel und Sofa in Plüsch und Blümchenmuster. Sehr liebevoll und der Zeit nachempfunden eingerichtet. Diagonal durch den Raum ein riesiger Tisch, an dem 14 Personen leicht Platz finden. Blümchen auf dem Tisch und Gläser, Mineralwasser, was man halt so braucht. Achja, gegenüber dem Küchenschrank stand noch eine lange Anrichte aus der gleichen Zeit.

Von der leitenden Betreurin sehr liebevoll und herzlich aufgenommen, ging sie doch mit etwas gemischten Gefühlen in diesen Raum. Etliche Stühle waren bereits besetzt. Als sie zu ihrem Platz ging und die Türe sich schloss konnte ich mich nur mühsam beherrschen. Umdrehen und nix wie raus. Eine nur zu bekannte Situation, beinah vergessene Bilder kamen hoch. Nach 200 Metern viel mir ein: meine Handynummer, falls was sein sollte und man mich erreichen muss. OK, also wieder zurück. Eine Sekretärin hat sie sich aufgeschrieben und um sie der Betreuerin weiterzugeben.

An der Ludwigskirche ist ein kleines Lokal, Fürst L., mit Tischen und Stühlen auch draussen unter einer riesigen Linde. Dort hab ich mich hingesetzt und bei einer Erfrischung meine Gedanken sortiert. Von dort in einen Laden mit Zeichen- und Künstlerbedarf. Kenn ich noch aus meiner Aktivenzeit. Dort fand ich, was ich schon lange suchte: einen Einband für das Erinnerungsbuch von Myriam. Das Buch soll ja auch im Regal was aussehen. Es ist eine Klemmmappe, sehr kräftiger Karton in Leinen gebunden. Sehr aufwendig gemacht und leider deshalb auch nicht ganz billig. Naja, das ist die Sache wert. Bis zu 50 A4-Blätter kann sie bombenfest greifen. Die Farben rot und schwarz wollten mir nicht so ganz passend erscheinen. Ich hab mich für Blau entschieden.

Die zwei Stunden sind fast um, also zurück und Schwiegermama abholen. Alles bestens gelaufen, sagt die Betreuerin und Schwiegermama ist begeistert. Mir fällt ein Stein vom Herzen und der nächste Besuch ist abgeklärt. Jetzt nach Hause, ich will noch auf den Friedhof.

Dort fahr ich alleine hin, es ist "unser" Tag. Die ersten drei Gräber sind frisch gegossen, hat meine Tochter bereits gemacht. Ein bisschen mit gemischten Gefühlen gehe ich zum Letzten, dem Vierten. Da ich es blöd und unbequem finde, mitten auf der Wiese zu stehen, setze ich mich auf den Boden vor der kleinen Platte. Ich will nicht traurig sein, denke an die Geschichte, die ich heute morgen schrieb und viele andere Dinge, lasse meine Gedanken einfach laufen. Eine Frau mit einem Dackel an der Leine geht vorbei, wir lachen als der mich von allen Seiten beschnuppert. Sie sagt noch, eine Bank auch in dieser Ecke wär nicht schlecht. Sie könnte sich nicht so bequem hinsetzen, sie käme nur noch schwerlich wieder hoch. Naja, sag ich, so fit bin ich nun auch nicht mehr. Es geht gerade noch.

Drüben, bei den Familiengräbern steht eine junge Frau. Ich kenne sie, da war sie gerade mal im Kindergarten. Ihre Mutter ist dabei. Ihr kleiner Sohn springt auf der Wiese herum und im Kinderwagen schreit der Zweite. Sie winken kurz herüber. So waren wir auch mal unterwegs mirt unseren Beiden. Ich seh dich vor mir und muss schlucken. Trotzdem ist es ein schönes, versöhnliches Bild und das beruhigt mich wieder. Andere Menschen gehen vorbei. Manche kennen mich und grüssen. So langsam spüre ich die klamme Feuchtigkeit, das Gras ist doch nicht so trocken, wie es scheint.

Eine Szene, die normaler nicht sein könnte, fällt mir auf. Sie könnte sich auch an jedem x-beliebigen Ort abspielen. Wobei, es war schon immer der schönste Friedhof, den ich kenne. 3 Seiten sind von dichtem Hochwald umschlossen. Nach Nordwesten hin ist er offen, da, wo die Sonne untergeht. Viele sehr alte Bäume spenden Schatten, die Grünanlagen sind immer gepflegt. Es ist ein grosser Friedhof, eigentlich eher ein Park mit Bänken zum Verweilen und Wegen zum Spazieren.

Ganz ruhig geh ich nach draussen und fahre nach Hause. Es war ein guter, ein schöner Tag. Obwohl und gerade weil er unser Hochzeitstag ist.


Ich liebe dich

Helmut
__________________
Zeit zum Weinen, Zeit zum Lachen.
http://www.krebs-kompass.org/howthread.php?t=31376
http://www.krebs-kompass.de/showthread.php?t=48070

Die von mir im Krebs-Kompass verfassten Texte dürfen auf anderen Homepages und in anderen Foren ohne meine ausdrückliche Zustimmung weder verwendet noch veröffentlicht werden. Auch nicht auszugsweise.
Mit Zitat antworten