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Alt 15.04.2002, 06:16
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Standard Schuldgefühle

Hallo Pavithra,
schöner Name übrigens, den Du da hast! Deine Mutter hat sich da was ganz hübsches für Dich ausgedacht!
Als ich so Deine Zeilen gelesen habe, konnte ich sehr gut mit Dir mitfühlen. Meine Mutter ist vor fünfzehn Jahren an Leukämie gestorben. Sie wohnte auch etwa dreihundert Kilometer von mir entfernt, als sie damals erkrankte. Immerhin hatte sie da noch einen Ehemann gefunden, welcher sich um sie kümmern konnte. Trotzdem hatte auch ich Schuldgefühle, weil ich nicht öfters bei ihr sein konnte. Meine wenigen Besuche in dieser zweijährigen Krankheitszeit meiner Mutter konnte man am Ende an einer Hand abzählen! Tja, damals war ich etwa sechsundzwanzig und hatte AUCH mein eigenes Leben!

Aber heute bin ich selbst Brustkrebspatientin. Ich kenne also beide Seiten, weiss, wie es ist, Krebs zu haben, weiss aber auch, wie es ist, wenn die eigene Mutter Krebs hat und sie so weit entfernt wohnt. (Meine Mutter war auch nicht gerade die Gemütlichste!)
Pass auf, ich mache Dir einen Vorschlag und schreib Dir hier so meine Gedanken dazu auf. (Vorsicht, ich bin ziemlich ehrlich!)
Deine Mutter braucht Dich jetzt ganz bestimmt, denn sie jetzt hängenzulassen, nur weil sie unbequem ist und schrecklich negativ denkt, bringt ja auch nichts. Du könntest Dir hinterher nur um so mehr Vorwürfe machen. Und bitte-bitte vergiss das, wenn Du denkst, sie hat sich diesen Krebs vielleicht selber gewünscht, weil sie eh nicht mehr leben will! Das KOENNTE vielleicht sein, aber in Wahrheit weiss das ja eh niemand, WOHER dieser blöde Krebs kommt! Fang also nicht an, nach Gründen zu suchen, sondern betrachte die Situation so, wie sie ist und schau nach vorne. Du bist in einer verzwickten Situation. Du möchtest Deiner Mutter helfen und für sie da sein, aber andererseits nervt sie dich und es belastet Dich. Naja, um die Belastung kommst Du nicht drum herum, das war bei mir damals auch so.
Versuch doch mal, mit Deinem Bruder zuerst zu sprechen. Triff mit ihm eine Vereinbarung, dass ihr beide sie regelmässig abwechselnd besuchen geht. Sag ihm, dass Du das alleine nicht schaffst, dass Dich das überfordert. Und sprich auch mit Deiner Mutter, um ihr den Vorschlag zu machen, dass Du sie einmal die Woche (oder alle zwei Wochen, wie es Dir halt am besten geht) besuchen kannst. Deine Mutter BRAUCHT Dich und Deinen Bruder, aber sie muss auch lernen, sich anderen gegenüber zu öffnen.
Du oder Dein Bruder, ihr könntet ihr ja ein paar Bücher über Brustkrebs mitbringen oder ihr daraus was vorlesen. Ihr habt Euch dann somit selber mit dem Thema beschäftigt, und Eure Mutter freut's, dass es Euch eben DOCH nicht so egal ist!
Wenn sie SEHR negativ eingestellt ist, versucht, sie aufzumuntern und mit ihr zu Lachen. (Du glaubst nicht, wie hilfreich es sein kann, wenn man Krebs hat, und da sitzt jemand, der bringt Dich mit lächerlichem Blödsinn zum Lachen!)
Ich weiss, das ist je nach dem schwierig, aber versuch es wenigstens mit Deinem Bruder zusammen. Du könntest ihr auch hin und wieder Briefe schreiben, wenn Du sie mal nicht besuchen kannst. Es wird Deine Mutter bestimmt freuen. Schreibe ihr, wie Du Dich selber fühlst und wie Du damit umgehst. Schreibe ihr aber auch ein paar lustige Zeilen dazu.

Weisst Du, zu erfahren, dass man Krebs hat, ist ein fürchterlicher Schock, Pavithra. Und es ist irgendwo auch ganz normal, dass man da in ein tiefes Loch fällt. Man wird plötzlich konfrontiert mit Leben und Tod und man ist sich bewusst, dass das eigene Leben eben DOCH ein Ende findet, irgendwann und irgendwo, jetzt vielleicht sogar schon sehr bald. Schau Dir an, wie viele JUNGE Frauen mit Brustkrebs eine Psychotherapie machen! Damit umzugehen ist verdammt schwierig.

Ich wünsche Dir viel Mut und Kraft und Deiner Mutter die beste Gesundheit! - Und pack Deinen Bruder an der Hand! Ihr müsst jetzt zusammen halten!
Ganz, ganz liebe Grüsse von Brigitte
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