Liebe Jasmin.
Puh. Das war das erste, was ich dachte als ich Deine Zeilen las. Es ist schmerzlich zu lesen, was Du schreibst. Aber es ist gut. Du lässt raus was Dich ärgert, zeigst wie enttäuscht Du bist. Ich denke auch, das MUSS gesagt werden. Wenn schon nicht persönlich, dann doch bitte wenigstens hier.
Annika schreibt, dass es falsch ist, jetzt zu hardern. Am Anfang fand ich die Worte hart, aber umso mehr ich gelesen habe, umso mehr verstand ich was sie meint.
Wenn Dein Kind Dir zum ersten Mal ein Mittagessen kocht (ich erinnere mich noch seeeehr gut, was ich meinen eltern damals vorsetzte

) und es misslingt an irgendeinem Ende - aus welchem Grund auch immer, dann ist es immer noch alles, was sie leisten konnte und mit sicherheit auch mit allem herzblut um dir etwas gutes zu tun. Nun les ich aber aus dem was Du schreibst keinen einzigen Fehler. KEINEN EINZIGEN.
Und ich weiß, wie Töchter zu Löwinnen mutieren können (Ja, liebe Muttis, das geht auch andersrum) sobald Gefahr im Verzug ist. Unseren Palli Pfleger hätte ich fast erschlagen weil er in meinen Augen zu rauh mit meiner Mutter umging als er uns zeigte, wie wir sie am besten drehen und ihr aufhelfen können.
Er sagte eine ganz einfache Erklärung dazu. Wenn Sie es zaghaft versuchen und immer wieder unterbrechen tun Sie ihr jedesmal aufs Neue weh. Und er hatte recht. Trotzdem lies ich ihn nie wieder so nah an meine Mama. Er musste ihr auch nicht mehr helfen.
Liebe Jasmin, ich sehe einen Unterschied zu Dir und auch zu meiner lieben Annika. Meine Ma wusste durch die Erkrankung und den Tod meines Vaters, wonach sie danach gesucht hat, worüber sie so viel nachgedacht hat, was sie vermisst hat. Das wussten wir beide und deswegen haben wir vorher schon dafür sorgen können, dass es bei uns anders lief.
So fing ich damals ein Büchlein an in das ich schrieb wenn mir danach war. Im Grunde ein Buch als Brief an meine Ma. Wenn ich dann nicht da war gab ich es ihr und wenn sie die Kraft in den Augen hatte, dann las sie darin. Zwei solcher leerer Bücher sollte ich ihr dann noch besorgen, eins für mich, eins für Ihren Mann. Darin stehen persönlcihe Zeilen. Nicht viele. Aber sie stehen drin. Aber ich konnte nichts neues darin entdecken. Alles war gesagt, jedes Gefühl durchlebt.
Ich denke, es würde Dir, liebe Anni genauso gehen.
Und Annika Du fragst, ob es denn nichts schönes gibt, an das wir /ich mich erinner. Oh doch. Und so komisch das klingen mag, wäre das Ergebnis in jedem Fall das gleiche, so würde ich die letzten 1,5 Jahre ihres Lebens um NICHTS in der Welt missen wollen. Mit alle dem, dass zuhause auf uns zukam. Mit jeder schlaflosen Sekunde, jeder Wut die sich manchmal einschlich, jedem traurig schönem intimen Moment. Ich halte mich an einem einzigen Satz fest. "Dich schaue ich an und Du weißt was ich denke."
Es gab so unendlich viel schönes in der Zeit. Und das Schlimme habe ich als Schlimm empfunden, aber eben auch als unabänderlich. Versucht, abzufedern soweit es ging. Aber unabänderlich. Und ebenso wie ihr beide war für mich klar, solange meine Ma die Wahl nicht hat, habe ich sie auch nicht.
Bei mir gibt es auch eines, dass mich immer noch verfolgt. Ich gab ihr zuviel Novalgin in den Katheder. Jeder sagte mir, dass das nichts geändert hat. Wissen tue ich es nicht. Wir gaben alle drei Stunden drei verschiedene Spritzen. Ich hatte extra Scalen drauf gemalt, extra bunte Schilder dran, hab sie meist auch vorbereitet. Trotzdem.
Aber FAkt ist, ich weiß dass meine Ma nicht mehr konnte. Sie hat es so oft gesagt. Sie wollte gehen. Sie wollte hinüber schlafen. und sie war noch in der Lage, das zu formulieren. Deswegen hardere ich nicht. Weil ich weiß, selbst wenn es etwas geändert haben sollte dass ich diesen Fehler gemacht habe, selbst dann...
Deine Bitterness tut mir so leid für Dich.
Du magst recht haben mit Deiner Enttäuschung über viele Personen und Dinge, vor allem vermutlích die, die nicht gesagt und getan wurden.
Aus meiner Sicht heraus aber hast Du alles möglich gemacht, was nur irgendwie ging. MEHR GEHT NICHT. Auch wenn man es noch so sehr möchte. Mehr geht nicht. Du schreibst von der Traurigkeit, von ihren verzweifelten Aussagen. Die gab es bei uns auch. Sehr viele. ABer es gab eben auch Momente, die diesen Satz hervorbrachten, Momente die manchmal nru einen Blick beinhalteten und doch alles wieder aufgewogen haben.
Die hat es bei Dir doch bestimmt auch gegeben. Kannst Du Dich ein bißchen auf die Suche machen? Und eines möchte ich noch dazu sagen. Ich habe immer gesagt, die Diagnose gab uns auch die Chance, in der Zeit so eng zusammen zu stehen, wie es nur irgend ging. Das klingt hart. Aber ich meine das wirklich so. Ein Unfall oder ein Herzinfarkt hätte uns, sowohl unseren Müttern als auch uns, diese intensive Zeit verwehrt.
Und was das essen angeht: Du weißt doch selbst, wenn der Mensch nicht mehr kann, dann verweigert er das Essen. Meine Ma konnte ich zum Schluss auch nur noch mit der Pipette ein bisserl den Mund befeuchten. Und auch das nur, wenn sie es zuließ. Deine Ma hat es nicht merh zugelassen so wie Du schreibst. Es blieb Dir doch nichts anderes als es zu akzeptieren.
Wir haben alles gegeben.
Mehr ging nicht.
Was Du schreibst zu Dir und zum Draht zu Deiner Tochter... ich denke, Du musst sehen, dass Du zum Abschalten kommst. Damit Du Deiner Tochter wieder mit Ruhe und Geduld gegenüber stehen kannst. Vielleicht sorgt sie sich sogar um Dich. Auch wenn sie noch ganz klein ist. Bestimmt ist ihr Gefühl für Dich genauso gut wie das von Dir für Deine Ma.