Thema: Myriam
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Alt 13.12.2009, 12:55
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HelmutL HelmutL ist offline
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Standard AW: Myriam

Guten Morgen,

guten Morgen? Nein, es ist kein guter Morgen. Hallo. schwarzes Loch, wo bist du? Ich möchte reinspringen. Oder bin ich schon drin? Ich bin schon drin. Seit ich die Augen aufgemacht habe, an diesem Morgen.

Stille, absolute Stille. Kein Mucks von draussen und drinnen. Ich starre an die Decke, schliess die Augen und lausche: kein Laut. Ich schau zum Fenster raus, alles weiss. Schnee liegt auf der Scheibe. Kein Wunder also. Ich sollte mich freuen, ich liebe Schnee. Nicht heute! Nicht bei dieser Stille! Wegen dieser Stille.

Ich lege meine Hand auf mein Herz. Sie ist warm und....schwer. Anstatt mir Mut zu machen drückt sie mich noch tiefer nach unten. Was nützt mir diese Wärme? Meine Gedanken laufen zu dir. Sie tun mir körperlich weh. Ich bete, ich bitte, ich bettele. Nicht nach dir, sondern dass es endlich aufhört, anders wird. Ich will dieses Leben nicht mehr. Täglich vertröste ich mich auf später. Wann ist denn endlich später?

Es klopft. Töchterlein kommt herein. "Papa, hast du schon gesehen? Schnee, jede Menge Schnee! Allles ist weiss!" Strahlende Augen, überschäumende Freude. Sie poltert die Treppe nach unten. Ich höre Lachen, die Beiden gehen nach draussen, spazieren ins Dorf zum Bäcker. Langsam richte ich mich auf, beginne mich anzuziehen. In der Küche, ich mach das Fenster auf und schaue hinaus. Von unten hör ich die Nachbarn reden beim Schneeräumen. Man ist gut gelaunt. Ja, es sieht schön aus, der weisse Schnee hat alles zugedeckt. Nicht heute.

Seit ein paar Tagen geht das schon so, nur heute scheint die Spitze erreicht. Eine gute Freundin hatte die Woche Geburtstag. Hab versucht, sie zu erreichen. Sie war nicht da. Dann hab ich es nicht mehr geschafft. Die ganzen Tage nicht. Ich dachte oft daran, hab es nicht geschafft. Es tut mir weh.

Ich nehm die Tabletten für Schwiema, ziehe Weste und Mütze an. Im Treppenhaus mach ich die Katzentoilette sauber. Muss sowieso raus, da kann ich das gerade mitnehmen. Unten schliess ich die Haustür auf. Auch gut, Töchterlein ist bereits mit dem Besen draussen gewesen.

Schwiema läuft in der Wohnung rum, den Rollladen in ihrem Schlafzimmer hab ich bereits vor einiger Zeit gehört. Alles andere ist immer noch verrammelt. Ausnahmsweise hat sie mal keinen Mantel an, um nach Hause zu gehen! Ich bin heute kurz und knapp. Mach die Rolläden auf, komm in die Küche, deine Tabletten, dein Frühstück. Deck dir den Tisch richtig, nicht so halbgehängt. Wo hast du dein Brettchen, ein Messer, einen Löffel fürs Ei! Die Butter hast du vergessen! Hol dir noch die Marmelade! Dein Kaffee ist auch schon fertig! Lass es dir schmecken. Mehr geht nicht. Tut mir leid, ist mir aber heute morgen mal völlig schnurz. Ich kann das nicht auch noch tragen heute. Sie merkt es nicht mal. Freut sich kindlich über das Ei und erzählt von früher, dass ihr Papa morgens immer ein Ei gegessen hat und, und, und...... Ich hör garnicht zu, es lässt mich kalt und ich gehe nach oben, mitten in ihrem Erzählen. Auf dem Flur hör ich sie garnicht mehr.

In der Wohnung meiner Tochter nehm ich mein Baquette und das Ei, murmele ein Danke. An der Tür: "Papa, ist dir heute nicht so richtig?" "Saumiserabel". Oben angekommen setz ich mich an den Tisch, vor mir das Frühstück, Kaffee ist auch schon fertig.

Sch........! Musste das sein? Ich gehe zur Anlage, such mir Led Zeppelin raus. Ich brauch was zum abreagieren. Möchte gern voll aufdrehen, geht nicht, bin nicht alleine im Haus.

Gestern Abend haben wir alle Vier zusammen gegessen. Ihr Freund liegt so ziemlich auf meiner Wellenlänge, was Humor betrifft. Wir Drei haben uns die Bälle zugeworfen, wir haben viel gelacht. Auf der anderen Seite des Tisches: sie kabbeln sich, ein Schubs, ein Zwicken, ein Arm um die Schulter, angelehnt, strahlende Augen, Verliebtheit, ein Küsschen. Auch Oma hatte ihren kindlichen Spass daran. Heute macht mich der Gedanke daran alleine schon traurig und wütend. Ich könnte das jetzt nicht ertragen. Ich will nicht mehr nur Zuschauer sein, alleine auf meiner Seite des Tisches sitzen, das dritte Rad am Wagen!! Der Gedanke regt mich auf, ich bin wütend.............es tut fast körperlich weh. Dabei bin ich doch froh, dass sie endlich "ihren" Mann gefunden hat! Ich möchte um mich schlagen. Hab es ja auch schon getan, vorhin, zumindest verbal. Was mich noch mehr ärgert. Warum konnte ich nicht meine Klappe halten?

Es ist ja nicht ihre Schuld. Sie können nichts für meine Stimmung. Naja, wenigstens das Frühstück hat geschmeckt. Ein Ei, Baquette, französisches, Marmelade, Butter und Honig, noch vom Urlaub an der Nordsee. Jetzt sitz ich am PC, hacke meine Sätze in die Tastatur. So langsam werd ich ruhiger. Vielleicht wird ja doch noch was aus diesem besch... Tag?

Ich setz mich nachher noch aufs Sofa, höre Musik und lass meine Gedanken laufen. Mal sehen, was dabei heraus kommt. Vielleicht mal wieder was klassisches? Vivaldi? Die CD ist alle. Und wieder nur Stille. Nur der Lüfter vom PC ist zu hören. Macht der immer so einen Lärm?

Irgendwo bellt ein Hund.


Euch alles Liebe

Helmut
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