AW: Chemo bei ProstataCa wird nicht besser
Liebe Chica.
Ich habe eine Gänsehaut.
Dein Paps, der in die Sonne will, dein Paps, der das Tattoo haben möchte – dieser Paps verliert an Kraft und Mut, er verliert die Hoffnung und wird zum Denker mit Zorn? und voller Melancholie.
Diese krasse Wendung tut mir so unendlich leid. Das las sich noch vor wenigen Monaten so anders.
Die Bitterkeit und Traurigkeit merkt man ihm an, schreibst du. Müde ist er und schnell ausgelaugt.
Ihm wird sicher bewusst, dass seine Krankheit ihn immer mehr in den Griff bekommt – leider nicht umgekehrt.
Manchmal frage ich mich: wie reagieren Frauen in diesem Krankheitszustand?
Sie würden bestimmt eher ihren Unmut rausbrüllen, sie würden alles und jeden anklagen und für schuldig an der Situation erklären,
sie würden sich lautstark fragen, was sie in ihrem Leben verbrochen haben, dass ihnen sowas widerfahren muss?!
Ja, ich glaube, so würde doch eine verzweifelte Frau reagieren. Oder zumindest ICH!
Die stumme Klage durch traurige Blicke, die sich verklären, sich verschließen vor den liebsten Menschen um einen herum, Augen, die ihren gekannten Glanz verlieren, weil sich die Verzweiflung durchschlägt - die halten uns Töchtern/Frauen unsere Hilflosigkeit noch mehr vor Augen. Nicht die Klage an sich – sondern das Stumme.
Das „Innerlich-mit-sich-ausmachen“, das ist es, was uns schmerzt und ratlos dastehen lässt.
Wir Töchter/Frauen würden den Schmerz (obwohl wir uns der Ausmaße nicht bewusst sein können) sofort auf uns nehmen, damit wenigstens diese Last nicht mehr auf den Schultern der Papas/Männer liegt.
Wir möchten etwas tun dürfen, was ihnen wichtig ist. Wir möchten sie ablenken, ihnen Geschichten erzählen, wir möchten mit ihnen über die Situation sprechen,
wir möchten ihnen zeigen und sagen, dass wir für sie da sind.
Wir möchten am Liebsten einen Teil ihrer Last tragen – aber sie müssten uns schon sagen, welchen...
Doch wie oft schluckt man diese Gedanken, diese Wünsche runter, weil man denkt, dass sie dem Papa/Mann weh tun, weil da Gefühle transportiert werden, die ER nicht so gut rauslassen kann und will...?
Es ist falsch, einem kranken Menschen was vorzumachen von wegen: Das wird schon wieder.
Ich denke, das tut ihr auch nicht.
Alles andere, alles, was du für ihn tust, ist richtig. Aber für ihn momentan vielleicht nicht so wichtig - er muss grade andere Dinge mit sich ausmachen...
Ich habe das Gefühl, dass dein Papa noch immer kämpft. Er gibt nicht auf!
Er wird selbst hin- und hergerissen von seinem Befinden und das – wie du sagst – jetzt auch äußerlich ersichtlich ist, dass er sehr krank ist.
Er hat mit sich zu kämpfen. Er macht bestimmt grade mit sich aus, inwieweit sich sein Kampf lohnt und gegen was und wen er da grade so kämpft.
Daher sind jetzt bestimmt die Sachen, die ihm Ablenkung geben, eher im Hintergrund.
Umso schöner, wenn er die Zeit bei dir genossen hat und du das Gefühl hast, dass es gut so war.
Also lässt er einen gewissen Grad an Ablenkung und Zuwendung zu. Ich denke allerdings, dass es eher die Ausnahme ist. Momentan.
Lieber sitzt er alleine mit sich und seinen Gedanken an seinem Lieblingsplatz/-ort und denkt. Denken, denken, denken...
Es ist bestimmt sehr schlimm zu spüren, dass man so krank ist – viele Schmerzen sind auszuhalten, viele Gedanken sind zu denken.
Aber das sind Sachen, die keiner sieht! Schmerzen kann man manchmal verbergen.
Den Rest macht er mit sich aus.
Wenn er dazu auch noch erleben muss, wie der Tumor nach Außen kommt und ihm sein aufrechtes Ansehen wegnimmt bzw. beeinflusst, verfälscht, ihn nach Außen hin noch mehr schwächt, weil es nun sichtbar ist, dass er sehr krank ist und „nicht nur schwächelnd im Rollstuhl sitzen muss“, ihn zum Objekt des Bedauerns für andere machen könnte!! – das kann sicher sein Gemüt stark schwärzen.
Durch das nach Außen sichtbare kann er sich jetzt nicht mehr so gut „verstecken“ mit seinem Befinden. Fragen wie „Wie geht es dir?“ beantwortet er bestimmt mit viel Mühe als „Gut!“ oder "Es geht!".
Der Deckmantel der Verdrängung nach außen „fliegt“ immer mehr auf.
Ich projeziere die Situation deines Papas mal auf meinen.
Ich weiß nicht, wie er reagiert hätte, aber ich schätze ihn so ein:
Durch die Sichtbarkeit seiner Krankheit (das der Tumor „durchwächst“, sag ich jetzt mal) wäre sicher seine Schutzmauer durchbrochen.
Die Mauer, hinter der er alle seine Schmerzen, seine Angst und seine Gedanken verschanzen könnte.
Die Mauer, innerhalb der er noch Hoffnung und viel Mut zeigen könnte. Wo der Gedanke „Flucht aus der Krankheit“ noch anwesend wäre.
Und jetzt? Jetzt wäre es für viele sichtbar, dass seine Mauer nicht mehr schützt, nicht mehr standhält, das Böse nicht mehr im Zaum hält.
An die oben genannte Art von „Flucht“ würde er nicht mehr denken.
Er wäre gezwungen, sich dem „Durchbruch“ zu stellen, seinen Stolz ein Stück weit abzugeben, weil seine Fassade einen Riss hat.
Er würde sich vielleicht gezwungen fühlen, Schwäche zu zeigen, denn JEDER könnte ihm ansehen, was die Krankheit aus ihm gemacht hätte.
Er würde mit sich hadern, inwieweit er sich abschotten könnte, um sich weiter zu schützen und für uns sein Kämpfen-können zu demonstrieren.
Er würde schwer mit sich verhandeln, wie das alles anzustellen wäre – und ob der ganze Kampf, die ganze „Arbeit“ es wert wäre.
Liebe Chica - bitte verzeih, wenn ich mir anmaße, solche Parallelen zu ziehen und deinen und die anderen Papas zu analysieren.
Irgendwie reagieren unsere Väter – wohl in Anbetracht, dass sie Männer sind – so ähnlich.
In jeder Situation versuche ich mir zu erklären, was mit ihnen los ist, warum dieses und jenes geschieht.
Ich habe meine Ratlosigkeit, meine stummen Hilfeschreie noch im Kopf – Fragen und Probleme, zu denen mir nie jemand eine Antwort oder eine Lösung nennen konnte.
Ich habe leider auch keine Antworten oder Lösungen parat. Umso mehr möchte ich versuchen dir zu zeigen, dass du nie alleine bist mit deinen Sorgen.
Niemand kann in dieser Phase sinnvoll helfen, niemand nimmt dir deine Gedanken ab.
Aber ich finde es gut, wenn du sie mit uns teilst.
Jeder von uns kann jedem von uns ein Stückchen weiterhelfen.
Belegt sind meine Therorien nur für mich, weil ich sie nachträglich aus meiner Erfahrung ziehe und mir Dinge vielleicht auch so erkläre,
damit sie mich nicht kaputt machen.
Was würde das jetzt auch nutzen?!
All deine Liebe mit Behutsamkeit, Verständnis und auch Schweigen werden zwar nicht körperlich helfen können, aber seelisch kommt das alles bei deinem Papa an.
Es dringt nur nicht bis dahin durch, was ihn veranlasst, euch seine positive Seite zu zeigen. Die ist bestimmt im Moment ganz, ganz klein.
Diese schwere Krankheit kann er mit der Gewissheit tragen, dass er von dir all deine Liebe bekommt und sie deutlich spürt.
Chica, ich denke ganz viel an dich und deinen Paps. Ich wünsche euch beiden und eurer Familie, dass ihr schöne Ostertage zusammen verbringen könnt,
dass sich dein Papa vielleicht wieder mehr auf alles einlassen kann und das er keine Schmerzen hat.
Ich drücke dich ganz feste und möchte dich bitten, dass du dich wieder meldest.
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Alles Liebe.
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Papa, für immer in meinem Herzen - 31.12.2007
Geändert von Annika0211 (01.04.2010 um 07:00 Uhr)
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