Guten Morgen,
tja, es regnet mal wieder heute morgen. Den Wecker auf 7 Uhr gestellt gestern, zu nachtschlafender Zeit aus dem Bett gekrochen, Kaffee aufgestellt und gefrühstückt. Als ich, genüsslich an einem Honigbrötchen knabbernd zum Fenster rausschaue, was sehe ich? Dicke Tropfen rinnen die Scheibe runter.

Sofort greife ich zum Telefon und rufe bei Schwiegersohn an. Die muntere Stimme meiner Kleinsten sprudelt mir entgegen. Wie kann man so früh am Morgen nur schon so fit sein? OK, sie gibt mir ihren Papa. Der ist auch noch nicht so ganz wach und hat überhaupt noch nicht richtig zum Fenster rausgeschaut heute morgen.
"Jo gudd, es drippst e bisje. Unn?"
"Eija, willsche vielleicht nass gänn? Also isch honn kä Luscht dazu."
"Achso, du menschd, ma gehn nit?"
"Nä. bevoor äna nohär um Buggel leit. E halb Stunn, unn de bisch nass bis uff de Knoche. Das bringt ganix!"
"Jooo, sovill isses jo a nit."
"Donn waht mo noch e paa Minutte. Wersch siehn."
"Wenn de menscht. Donn halt om Dunnaschda. Eigentlich waas jo aach gemeld em Radio."
"Eewe. Morje telefoniere ma nommo. OK? Es soll jo widda bessa genn ab Morje. Alles klar?"
"Alles klar. Bis donn."
"Jou. Unn knuddel ma die Klääne vun mir. "
"Mach isch."
"Aalle, dis donn. Tschüss."
"Jo, tschüss."
Was soll ich sagen, inzwischen regnet es Bindfäden. Also heute nix Wald, nix Kettensäge, nix Spalthammer. Ein ruhiger Morgen also steht bevor. Zumindest bis um 1/2 11. Da muss ich im Laden sein, Schleifen drucken und anschliessend noch die Kränze auf den Friedhof bringen.
Am Anfang wars eine komische Sache, die Leichenhalle zu öffnen und die Kränze hineinzubringen. Heute wird es die Halle sein, wo auch der Sarg mit Myriam gestanden hat, bereit zur Trauerfeier. Es waren gemischte Gefühle. Auch heute werde ich daran zurückdenken bei dieser Gelegenheit und mich erinnern an diesen Tag. Doch es ist nicht mehr so schlimm. Anscheinend wird das dann irgendwann zur Routine? Neben der Halle sind die Wirtschaftsräume der Friedhofsgärtner und 3 Kühlräume gibt es dort, in welchen die Toten aufgebahrt werden bis zur Beerdigung. Manchmal muss ich auch dort hinein, um ein Gesteck aufzustellen oder die Sargauflage anzubringen. Manch anderer mag das schrecklich finden. Das berührt mich seltsamerweise nicht. Respekt vor den Toten. OK, das ja. Jedoch auch nicht mehr.
Verändert sich das Verhältnis zum Tod? Bestimmt nicht wegen dem Ausfahren von Kränzen und Auflagen, jedoch ganz bestimmt, weil man ihn so hautnah erlebt hat. Das, was da in den Särgen liegt, ist nicht mehr der Mensch, der mal geliebt wurde und noch wird. Es ist lediglich das, was übrig bleibt und wieder zu Erde wird. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Respekt davor? Ja. Angst? Nein. Das, was ihn ausmachte, das Wesentliche an ihm, seine Seele, die mag in der Nähe sein oder wo und wie immer man sich das auch vorstellt. Vor ihr braucht man keine Angst zu haben. Manchmal sind auch Angehörige da, die draussen vor der Scheibe stehen. Dann gehe ich zuerst zu ihnen, drücke mein Beileid aus und erkläre, was ich machen muss. Ich sehe Gesichter mit Tränen, bedrückte Gesichter, gefasste Gesichter. Ich weiss, was in ihnen vorgeht, doch ich kann es nicht an mich heranlassen. Auch, wenn ich die Menschen kenne. Man wechselt ein paar Worte, das Fenster wird kurzfristig geschlossen und ich tue meine Arbeit. Ich bin danach nicht froh, den Friedhof wieder verlassen zu können sondern zufrieden, wenn die Sargauflage sauber aufgelegt ist und die Arbeit meiner Tochter oder ihrer Angestellten "gefällt" und in Ordnung ist.
So ändert sich vieles im Leben. Früher hätte ich mir das so nicht vorstellen können. Den Umgang mit dem Tod. Für mich persönlich hat er seinen Schrecken verloren. Was nicht heissen soll, ich wäre nicht traurig, wenn ein Mensch stirbt. Das nicht, doch es ist einfach der Lauf der Dinge. Durch nichts aufzuhalten. Es ist einfach so, wir können es nicht ändern.
Kurz vor Ostern, am Gründonnerstag, mussten wir einen Kollegen aus dem Computerclub beerdigen. 58 Jahre, ganz plötzlich, Gehirnblutung, nichts zu machen. Die Trauerfeier auf dem Friedhof, die Urne am Grab, die Schaufel Sand, das macht mich nicht traurig. Traurig sind die Gedanken an den Toten, die Erinnerung an einen lieben Menschen, fast ein Freund.
Doch auch ein Lächeln, als über seinen trockenen, manchmal verdrehten Humor gesprochen wird in der Traueransprache.
Trübe Gedanken? Nein, nicht trübe, nur ernst.
OK, ich sehe gerade, dass die Sonne durchs Fenster scheint, wenn auch nur kurz. Ein kleiner Lichtblick? Ein Trost? Ein Versprechen? Ich denke, alles zusammen. Hm, hätten wir doch in den Wald gehen sollen? Naja, jetzt ist es zu spät. Morgen, oder übermorgen, ist auch noch ein Tag. Das Holz kann ja nicht weglaufen. Dann gehe ich halt in den Garten und beginne mit den Vorbereitungen, damit ich das Holz auch trocken lagern kann. Eine gute Stunde hab ich ja noch. Mein Kaffee ist jetzt übrigens auch alle.
Mollie, Monika, Erle,
danke für eure Worte, sie haben gut getan. Es tut gut, sich auszutauschen. Gedanken rauslassen zu können, sie zu teilen und erfahren zu dürfen, dass andere an den eigenen Gedanken teilhaben.
einen wunderschönen Tag euch allen
Helmut