AW: Myriam
Liebe Ireen,
eine guter Gedanke, den du da beschreibst. Du hast es genau umgekehrt gemacht. Du hast dir eine Kiste zusammengestellt, die du immer wieder öffnen möchtest. Keine Kiste, die dir aufgedrückt wird.
Je mehr ich darauf rum denke, umso sympathischer wird mir der Gedanke. Eigentlich bin ich ja auch dran, mir so ein Päckchen zu schnüren. Allerdings ist mir das bisher noch nicht bewusst gewesen. Könnte man es vielleicht als Versöhnung bezeichnen? Versöhnung mit den Tatsachen? Nicht nur rein verstandesmässiges Akzeptieren?
Kann es auch anders rum sein? Wenn es einem dreckig geht, macht man die Kiste auf. Man erinnert sich an so vieles, was besonders war, was schön war, was den Menschen ausgemacht hat, den man verloren hat. Wobei "verloren" dann ja auch wiederum nicht stimmt. Er ist ja immer noch da, im Herzen. Wird genau das einem dann erst so richtig bewusst? Wenn man diese Kiste aufmacht? Da ist was dran, an deinem Gedanken. Danke!
Gestern und heute hatte ich zwei besondere Erlebnisse.
Ich war bei meiner Ältesten und hab dort auch mit der ganzen Familie zu Abend gegessen. Das war nicht eingeplant, ich war nur zur richtigen Zeit dort. Es war spontan, unerwartet und schön. Natürlich wollten die Kleinen beide neben mir sitzen, was nach einigem Stühlerücken auch möglich war. Nach dem Essen, Papa brachte die Beiden ins Bett, gingen meine Tochter und ich auf die Terrasse, um eine Zigarette zu rauchen. Plötzlich fragte sie mich: "Papa, nimmst du mich mal in den Arm?". Ich spürte das Gewicht ihres Körpers, als sie sich an mich lehnte. Nicht nur einfach drücken. Ich glaube, sie suchte die Geborgenheit, sich fallen lassen und ich weiss, an wen sie dachte, in diesem Moment. Auch ohne, dass das ausgesprochen wurde. Sie ist so ganz anders als meine Jüngste. Sie kann/will nicht reden darüber. Doch ich weiss ganz genau, wie sehr ihre Mama ihr fehlt. Der sichere Pfeiler in ihrer Welt. Ein paar Minuten standen wir scheigend an einander gelehnt. Bis sie dann tief Luft holte und "Danke" sagte. Dazu ein kleiner Kuss auf die Wange.
Heute, nach Feierabend im Laden, haben meine Jüngste und ich uns noch über dies und das unterhalten. Auch darüber, was sie alles an Kraft, Ideen, Willen und Energie in ihren Laden investiert. Plötzlich dann die Frage: "Weisst du, was mit aufgefallen ist in der letzten Zeit? Früher hab ich viel öfter an Mama gedacht." Es hörte sich an wie Gewissensbisse. "Ich hab in dem ganzen Trubel den Kopf so voll, dass ich oft keinen Platz mehr habe, um an sie zu denken." "Ich finde das eigentlich ganz normal. Du musst dich auf so viele Sachen konzentrieren. Da bleibt das nicht aus." "Trotzdem, vorher war das anders." "Was ist anders? Es ist anders, weil die Zeit nicht stehen bleibt. Es sind über 2 Jahre her. Ich denke auch nicht ständig an sie." Ich beschrieb ihr, wie es aussehen könnte, käme Myriam gerade jetzt in den Laden. Wir lachten bei dem Gedanken. Sie würde ausflippen. Überall sähe sie was neues, schönes. Was sie begeistert und würde sofort Ideen entwickeln, was man vielleicht anders machen oder auch nur solche, was sie wie und wo zu Hause unterbringen könnte von all den Pflanzen und Blumen.
"Mach dir keine Sorgen deswegen," sagte ich, "das ist normal. Weisst du, mir geht es doch ähnlich. Tagsüber hab ich zu tun, habe Kontakt zu vielen Menschen, komme hierhin, dahin. Bin immer im Treiben." "Ja, das stimmt schon..." "Nur, wenn ich dann nach Hause komme, dann schalte ich von 100 auf Null." sagte ich. "OK, das kann ich mir sehr gut vorstellen. Selbst das hab ich nicht" war ihre Antwort, "Die Gedanken an den Laden, die kann ich nicht abschalten und meist fall ich dann gleich ins Bett. Ich versuche ja bereits, zurück zu schalten. Geht aber nicht immer." Und in noch was stimmte sie mir zu: wenn dann der Gedanke an ihre Mama kommt, dann ist er heftig. Heftiger als man denken sollte. Der Schmerz kommt weniger oft, dafür umso heftiger!
Sollte ich ich mehr um meine Töchter kümmern in der Hinsicht? Muss ich mir Gedanken, Sorgen machen? Ich weiss nicht. Vielleicht ist das alles ja ganz normal? Doch, denke ich schon. Es war gut, das zu erleben. Das Leben tropft nicht so vor sich hin, geht nicht einfach seiner Wege. Mama ist immer noch da! Sie ist etwas, was meine Töchter und ich gemeinsam haben: Mama ..... Myriam.
Alles Liebe
Helmut
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