Thema: Myriam
Einzelnen Beitrag anzeigen
  #2  
Alt 07.07.2010, 17:09
Benutzerbild von HelmutL
HelmutL HelmutL ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 03.03.2007
Ort: Dreiländereck
Beiträge: 1.987
Standard AW: Myriam

Hallo @all

Eine Bekannte von uns hatte sehr starke Zahnschmerzen. Wie üblich natürlich am Wochenende und ihre Zahnärztin war nicht zu erreichen. Man sah es ihr auch an, dass sie starke Schmerzen hatte. Die Backe geschwollen und heiss, das Zahnfleisch rot und entzündet. Wie die meisten Menschen hat sie eine riesige Angst vor dem Zahnarzt und nur die Zahnärztin ihres Vertrauen darf überhaupt an ihre Zähne. Obwohl Myriam zu der Zeit selbst in den Seilen hing, war es kein Thema. Die Bekannte wurde getröstet und bedauert und mit entzündungshemmenden Schmerztabletten versorgt.

Der Onkel von Myriam war gestorben. Wir wohnten Zaun an Zaun mit der Witwe, ihrer Tante. Trotz aller eigenen Sorgen hat sie sich mit viel Geduld die Trauergespräche ihrer Tante angehört und verständnisvoll Trost gespendet. Ich hab gesehen, wie sehr es sie belastet hat.

Wie kleine Kinder so sind. Es gibt so manchen Grund für Mama und Papa, mit ihnen auch mal Tacheles zu reden und ihnen die Grenzen auf zu zeigen. Für unsere Enkelin brach damals die Welt zusammen. Bei Oma hat sie sich dann ausgeweint. Mama und Papa hatten natürlich recht. Das, was die Kleine angestellt hatte, ging wirklich zu weit. Oma hat sie in den Arm genommen, lange und beruhigend mit ihr gesprochen und zum Schluss gabs auch noch ein Eis. Die Strafe konnten wir ihr natürlich nicht nehmen. Sie war nur lange nicht mehr so schlimm. Wir haben dann etwas anderes unternommen.

Oder erinnert ihr euch an die Geschichte mit dem Mirabellenbaum?

Ja, gut, was soll das? Ganz einfach: der eigene Schmerz ist immer der Nächste. Sei er nun körperlich oder seelisch oder beides zusammen oder noch so klein in Relation zu anderem Schmerz. Erst der Kopf beginnt irgendwann zu sagen, dass es da eine Relation gibt.

Ich habe einen guten Freund und Kollegen aus dem Computerclub verloren. Er war etwa in meinem Alter und verstarb aus heiterem Himmel an einem Blutgerinsel im Kopf. Es hat mich schwer getroffen.

Die Mutter meiner Kinder ist an Krebs gestorben nach langem Kampf. Sie trauern noch heute sehr um sie und sie fehlt ihnen an allen Ecken und Kanten. Sehr oft spür ich das auch und manchmal reden wir darüber.

Meine Enkelinnen haben ihre heissgeliebte Oma verloren. Wir reden sehr oft über sie. Sie ist ihnen immer noch so im Gedächtnis, als wäre es gestern gewesen.

Ich habe meine Frau an den Krebs verloren. Ihr wisst, welche Probleme ich damit habe.

Mein Schwager ist tot. Mein Vater und mein Schwiegervater, meine Grosseltern, Onkel und Tanten, Mitschüler. Ich habe die Menschen gesehen, die mit uns zum Grab von Myriam gegangen sind, gemeinsam, still, betroffen, erschüttert. Ich treffe auch heute noch Menschen, die mich auf Myriam ansprechen und mir sagen, dass sie oft an sie denken. Meine Schwiegermutter hat absolut dicht gemacht. Alle ihre Verstorbenen leben noch. Sie telefonieren und besuchen sich sogar immer noch. Ihr Mann, ihr Sohn, ihre Mutter und ihre Brüder. Nur von Myriam, die hat es anscheinend nie gegeben. Kein einziges Wort über ihre Tochter.

Kann ich da sagen: "Meine Trauer ist die grösste? Mein Schmerz ist grösser als der von anderen? Es war meine Frau?" Niemals. Ehrliche Trauer und Anteilnahme besitzen keine Wertigkeit.


Alles Liebe und: die Daumen sind gedrückt!

Helmut
__________________
Zeit zum Weinen, Zeit zum Lachen.
http://www.krebs-kompass.org/howthread.php?t=31376
http://www.krebs-kompass.de/showthread.php?t=48070

Die von mir im Krebs-Kompass verfassten Texte dürfen auf anderen Homepages und in anderen Foren ohne meine ausdrückliche Zustimmung weder verwendet noch veröffentlicht werden. Auch nicht auszugsweise.
Mit Zitat antworten