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Alt 27.10.2010, 20:45
vis_a_vis vis_a_vis ist offline
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Standard AW: Gedanken einer Angehörigen

Hallo zusammen, hallo Mädels traue ich mich nicht zu sagen, obwohl es treffen würde...



das Beste heute zuerst: Wir waren gestern nach Ende des Bestrahlungsturnus im Konzert. Einfach genial! DAVID GARRETT – Rocksymphonie. Meine Frau war begeister und hat für Stunden alles um sich herum vergessen. Also: Ziel erreicht!

Nun zu euch hier: Ich bin KEIN Lebenskünstler, wie GreenEye vermutet. Und niemand hier muss sich schämen, weil der/die andere manches scheinbar besser händelt. Im Gegenteil, ich kämpfe wie ihr an einer besonderen Front im Kampf gegen den Krebs, wohl wissend, dass bei unserer Konstellation das Ungetier die besseren Waffen hat. Und bei zwölfjähriger „Kampferfahrung“ bleibt ohne Zweifel ein Stück eigenes Leben auf der Strecke. Auch ich habe noch Ziele, Träume, Hoffnungen…. Manch einer hätte sich diesen Stress nicht angetan und wäre einfach geflohen. Ich bin geblieben. Täglich erlebe ich alles was mit und durch den Krebs passiert, ja auch Persönlichkeitsveränderungen.

Das verrückte ist, man steht plötzlich in der erdrückenden Situation drin und alle rundrum erwarten, dass man das alles meistert. Ohne vorherige Prüfung, ohne Vorbereitungslehrgang an der VHS, ohne mentale Einstimmung. Es kommt die Diagnose und man stellt ALLES aber auch ALLES in Frage. Warum ich/wir, könnte man sich geirrt haben, wurden gar die Präparate vertauscht… Wie lange hab ich noch zu leben, wie lange darf ich noch… was muss ich noch erledigen, bevor ich gehen kann. Ein Gefühl, plötzlich unabkömmlich zu sein.

Je enger das Verhältnis zum Kranken ist, desto anstrengender ist offenbar auch der Umgang mit der Situation. Trifft es Bekannte oder Kollegen, so ist man relativ weit weg. In der eigenen Familie spielt die räumliche Nähe wiederum eine besondere Rolle. Unsere Kinder wissen, dass Mutter schwer krank ist. Erkundigen sich regelmäßig, trösten Mama… dennoch sind sie weit weg vom Problem und nicht mittendrin. Kinder in der Nähe erfahren die Situation völlig anders. Sie spüren, erleben, fühlen, sehen… ja, sie sind mit allen Sinnen dabei.

Jeder muss sein Rezept finden: Mein Rezept bisher war Höhepunkte schaffen, Etappenziele schaffen und ein Leitspruch:
Dinge die morgen passieren, werden erst morgen entschieden!
Ich kann und will einfach nicht das Planen, was passieren könnte, wenn… Es nimmt Kraft, verzettelt und letztendlich kommt eh alles anders als man denkt.

Aber keine Illusionen. So einfach ist es auch für mich nicht. Ich habe meine Tiefs, meinen Kummer, meine Ängste, meine Wut… alles was ihr auch habt. Mal verkrieche ich mich an den PC, mal in den Garten, versuche mit meiner Kamera auf Pirsch zu gehen und betreue die Homepage unseres Gartenvereins. Auf und ab jeden Tag. Mal mehr, mal weniger.

Das Forum hier ist eine echte Hilfe auch für mich. Einfach mal mitlesen, mitfühlen und sich nicht allein fühlen. Das ist manchmal schon sehr, sehr viel.

Allen hier eine schöne und sonnige Woche


Vis_a_vis
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Selbst:
ED 06/1998 - Azinuszellkarzinom der Parotis li. 2x OP mit anschl. Transplantation des Nervus suralis als Ersatz des Gesichtsnerves, geblieben ist eine inkomplette Fazialisparese
Ehefrau:
ED 06/2003 - Mamma-Ca OP BET, RT, Chemo, 5 Jahre Arimidex
ED 03/2005 - MDS myelodysplastisches Syndrom, seit 2007 transfusionsabhängig
ED 07/2010 - dedifferenziertes Liposarkom G2 im re. OS, Bestrahlung erfolgte, OP am 10.12.2010
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