Krebs-Kompass-Forum seit 1997  


Zurück   Krebs-Kompass-Forum seit 1997 > Spezielle Nutzergruppen > Forum für Angehörige

 
 
Themen-Optionen Ansicht
  #11  
Alt 10.03.2011, 08:27
Annika0211 Annika0211 ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 06.02.2008
Beiträge: 882
Standard AW: Chemo bei ProstataCa wird nicht besser

Hallo, meine liebe Chica.
Vielleicht geht es dir so, wie ich es auch schon erlebt habe...

Die Gedanken an das Geschehene, an das Leid des lieben Papas, der so viel ertragen musste und jetzt nicht mehr da ist, der griff so tief in mein ICH, in einen Abgrund, aus dem nichts wieder rauszukommen scheint...
Ich habe mich „schwer“ gefühlt, extrem belastet durch diese Gedanken. Ich habe mich „tiefer als der Boden“ gefühlt.

Seit Papas Tod fällt mir eines ganz klar auf: Ich bin extrem ruhebdürftig (Krach mag ich überhaupt nicht – obs ein Bagger an der Baustelle gegenüber ist oder das Feuerwerk zu Silvester).

Nach Papas Tod habe ich lange nur funktioniert. Was kam, habe ich gemacht. Oft mit Murren und Knurren, weil mir eigentlich der Sinn nach Ruhe und Abgeschiedenheit lag.
Ich habe mich zurückgezogen, wollte mit meinen Gedanken alleine sein, damit ich mich ausheulen konnte, wenn ich wollte.
Ich wollte nichts besprechen, ich wollte nur denken.
Ich war an keinen Gesprächen, keinen Treffen, keine Unternehmungen interessiert. In meinem Kopf war das reinste Chaos, alles war wild durcheinander gemischt.

Ich hatte mit meinem Verlust von Papa und dem Erlebten zu kämpfen, hatte die Verantwortung für meine Mama übernommen, bekam mein Elternhaus, hatte meine Beziehung und meinen Haushalt „nebenbei“ und musste auch im Job alles geben. Das war zu viel.
Dementsprechend war ich drauf: genervt, ungeduldig, zickig – einfach nur übel.
Ich kam nicht zur Ruhe – und das war eigentlich DAS, was ich brauchte.
Mehr nicht.

Ich habe diese Zeit nicht hinter mir, aber ich merke, wie ich endlich wieder etwas aufräumen kann in mir. Ich tue MIR Gutes, gehe viel zum Laufen, ins Theater, zum Musical, lese viel, gönne mir meine Ruhe und und und.
Das sind die Dinge, bei denen ich mich wohlfühle.
Und ich merke, dass die wirren Fäden in meinem Kopf GANZ LANGSAM eine Richtung finden, sich zu ordnen.

Als Papa sein letztes halbes Jahr lebte, fing dieser Zorn in meinem Bauch an.
Ich habe die Aktionen, die ICH tat mit denen verglichen, die meine Geschwister taten. OK, die sind teilweise weit weg oder beruflich anders eingespannt als ich. Das muss ich sagen. Aber ICH habe immer alles möglich gemacht. Kein Weg war MIR zu weit.
Die ganze Verantwortung, die riesengroße Angst, die Sorgen. Ich hatte das Gefühl, ich würde alles alleine tragen (jeder trägt das eigentlich alleine) und hab mir die Hacken abgerannt, um alles für Papa zu geben.
Damals hatte ich keinen „Kopf“, darauf zu reagieren.
Das kam erst, als Papa nicht mehr da war.

Ich hatte so viel angestaute Wut in mir.
Erst vor kurzem habe ich die Möglichkeit gehabt, meinen ganzen Zorn, der mich innerlich fast aufgefressen hat, rauszulassen. Bei meiner Schwester.
Danach ging es mir besser. Ich fühlte mich leichter.
Und ich habe für mich beschlossen, mir nichts mehr gefallen zu lassen, mich zu verteidigen, wenn mich jemand angreift.
Und ich spreche noch immer von meinen Geschwistern.
Meine Schwester sagte „Ja, wir haben dich im Stich gelassen.“
Und das war genau das Gefühl, der Zorn, den ich hatte.
Nach diesem Gespräch hatte mein Zorn einen Namen. Ich wusste, warum ich zornig war – alle hatten IHR Leben, IHRE Familie, IHREN Skat-Abend, die Chorprobe, das Freunde-Treffen... ICH hatte das Gefühl (und habe auch so gelebt), dass sich bei mir ALLES um Mama und Papa drehte.

Im Stich gelassen worden - dieses Gefühl gepaart mit der Angst um Papas Leben – damit musste Mensch erstmal fertigwerden.
Zum Glück war mir das damals noch nicht so bewusst. Zum Glück habe ich das „übersehen“ und mich nur auf Papa und Mama konzentriert.

Ich weiß nicht, ob du mein Geschreibsel verstehen kannst.

Wir Mädels hier haben viel erlebt, jeder auf seine Weise, jeder unterschiedlich schlimm, jeder anders intensiv. Wir sind alle Menschen, die ihre Gedanken und Gefühle verschieden erleben und „wegstecken“ bzw. rauslassen.

Die Zeit nach dem Tod unserer Väter war für keinen von uns leicht. Und ist es auch heute noch nicht.
Daher finde ich es nicht „krank“, wenn du am Parfüm deines Papas schnüffelst und dir das ein angenehmes Gefühl schenkt. Das Parfüm mit dem vertrauten Duft ist wie ein schöner Gedanke an die Vergangenheit mit ihm. Das ist doch auch nicht krank.

Neulich hatte ich ein wunderschönes Erlebnis...
Mein Onkel – Papas Bruder - bei meiner Mama zu Besuch.
Seine Frau ist im Dezember verstorben und ich habe mich sooo sehr gefreut, ihn mal wiederzusehen. Er ist derjenige (außer meinem großen Bruder), der soooo viel von Papa hat, obwohl er ein ganz anderer Typ ist, als mein Papa war.
Ich saß neben ihm, habe ihn beobachtet, ihn analysiert, ihn ständig angeschaut.
Ich habe mich neben ihm so unendlich wohlgefühlt – ich war meinem Papa so nah wie schon lange nicht mehr.
Die Ringfinger seiner Hände, sein Mund beim Sprechen und Lachen – wie bei meinem Papa!

Chica, nur weil du deinen Papa so schrecklich vermisst und nicht weißt, wie du mit diesen Gedanken und Gefühlen umgehen kannst – deswegen bist du doch trotzdem ein Vorbild für deine Kinder. Du bist eine Frau, die Gefühle hat und sie zum Ausdruck bringt. Egal wie. Das willst du deinen Kinder doch bestimmt mit auf ihren Weg geben, oder nicht?
Denke nicht, dass du schwach bist, weil deine Gefühle und Gedanken Achterbahn fahren. Das Erlebte und das schmerzliche Vermissen muss erst verarbeitet werden.
WIE man das macht, tja... dafür gibt es kein Rezept.
Und wenn, dann hätte ich es auch gerne

Schwäche zeigen zu können ist eine Stärke!

Chica, ich möchte dir Mut zusprechen. Mut, um an dich selbst zu glauben – Mut, um dich zu befreien, indem du das rauslässt, was dich beschäftigt – Mut, dein neues Leben anzunehmen – Mut, es ist nicht als Schwäche zu empfinden, dass du deinen Papa vermisst und dich zurückziehst – Mut, deiner Familie zu sagen, was in dir vorgeht (geteiltes Leid ist dann vielleicht halbes Leid)...

Ich hoffe, ich habe nicht so viel rumgeschwafelt. Das kann ich ganz gut
Ich möchte dir einfach zeigen, dass du mit wirren Gedanken und Gefühlen nicht alleine bist.
Vielleicht melden sich Schnuffine oder Babe mal und berichten, wie es ihnen zurzeit geht. Würde mich auch sehr interessieren...

Bis dahin drück ich dich von Herzen und grüße auch alle anderen hier ganz lieb.
__________________
Alles Liebe.
**********************
Papa, für immer in meinem Herzen - 31.12.2007
Mit Zitat antworten
 

Lesezeichen


Aktive Benutzer in diesem Thema: 1 (Registrierte Benutzer: 0, Gäste: 1)
 

Forumregeln
Es ist Ihnen nicht erlaubt, neue Themen zu verfassen.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, auf Beiträge zu antworten.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, Anhänge hochzuladen.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, Ihre Beiträge zu bearbeiten.

BB-Code ist an.
Smileys sind an.
[IMG] Code ist an.
HTML-Code ist aus.

Gehe zu


Alle Zeitangaben in WEZ +2. Es ist jetzt 17:51 Uhr.


Für die Inhalte der einzelnen Beiträge ist der jeweilige Autor verantwortlich. Mit allgemeinen Fragen, Ergänzungen oder Kommentaren wenden Sie sich bitte an Marcus Oehlrich. Diese Informationen wurden sorgfältig ausgewählt und werden regelmäßig überarbeitet. Dennoch kann die Richtigkeit der Inhalte keine Gewähr übernommen werden. Insbesondere für Links (Verweise) auf andere Informationsangebote kann keine Haftung übernommen werden. Mit der Nutzung erkennen Sie unsere Nutzungsbedingungen an.
Powered by vBulletin® Version 3.8.7 (Deutsch)
Copyright ©2000 - 2025, vBulletin Solutions, Inc.
Gehostet bei der 1&1 Internet AG
Copyright © 1997-2025 Volker Karl Oehlrich-Gesellschaft e.V.
Impressum: Volker Karl Oehlrich-Gesellschaft e.V. · Eisenacher Str. 8 · 64560 Riedstadt / Vertretungsberechtigter Vorstand: Marcus Oehlrich / Datenschutzerklärung
Spendenkonto: Volker Karl Oehlrich-Gesellschaft e.V. · Volksbank Darmstadt Mainz eG · IBAN DE74 5519 0000 0172 5250 16 · BIC: MVBMDE55