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#11
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Liebe Ina,
es ist noch gar nicht so lange her, da wurde bei mir eine Bauchspiegelung durchgeführt, weil die Vermutung bestand, daß mein Eierstockkrebs unter der Chemo weitergewachsen sei. Ich wußte, wenn sich dieser Verdacht bestätigen würde, hieße das in diesem Fall: keine Heilungschance mehr, ein schnelles aggressives Krebswachstum, noch verbleibende Lebenszeit eher in Monaten als in Jahren meßbar. Wie Du weißt, hat sich der Verdacht glücklicherweise nicht bestätigt. Ich weiß also nicht, wie es sich anfühlt, wenn es dann doch geschieht. Ich weiß nur, daß mich diese Tage rund um die OP, von der Verdachtsäußerung bis zur Mitteilung, daß der entfernte Tumor von den Pathologen als gutartig erkannt worden war, beängstigend nah an den Gedanken "was wäre wenn..." herangeführt haben. Es war nur die Möglichkeit dessen, was Du jetzt tatsächlich durchleben mußt. Aber schon diese Vorstufe hat mich beinahe um den Verstand gebracht: die Ängste dieser Tage waren unsagbar, ich konnte keinen klaren Gedanken fassen, jedes gedankenartige Gebilde wurde sofort zerrissen, von dem Wort "platinrefraktär", das mir wie ein ständig geschlagener Gong durch den Kopf hallte. Die Angst hat mir mein Körperempfinden so stark genommen, daß ich nach der OP keinerlei Schmerzen hatte - und auch sonst nichts spürte. Als ich an einem Abend nicht mehr wußte, wie ich das aushalten soll, diese schreiende, blutende Seele in dem empfindungslosen Körper, habe ich mir den Kliniksseelsorger "gekrallt". Er hatte an einer kleinen Abendveranstaltung mitgewirkt und ich habe ihn buchstäblich an der Tür abgefangen und ihm den ganzen restlichen Abend lang mit meinem Verzweiflungsredestrom übergossen, um mich zu erleichtern. usw. usf. Im übrigen bin ich mir sicher, daß ein großer Teil dessen, was mir zur Zeit in Form von Depressionen, Ängsten und Panikattacken zu schaffen macht, aus dieser Erfahrung resultiert, die - wie gesagt - nur die Vorstufe zu Deiner war. (Ich habe mich nun dazu durchgerungen, das angebotene Antidepressivum zu schlucken, in der Hoffnung, daß ich in absehbarer Zeit mal wieder schlafen kann - möglichst albtraumlos, ohne meinen persönlichen kleinen Horrorladen...) Liebe Ina, was ich mit alledem sagen will, ist: was Du zur Zeit durchleben mußt, ist noch jenseits dessen, was ich an mir erlebt habe und mir trotzdem nicht vorstellen konnte. Was Deine Psyche gerade zu leisten hat, übersteigt einfach jegliche Vorstellungskraft. Und doch bist Du hier, schreibst - für mein Empfinden gar nicht wirr - über Deine Situation, findest Worte, wägst ab, arbeitest Dich mit aller Kraft durch den Dschungel, suchst kompetente Gesprächspartner auf, machst Termine aus und und und... Du gehst unglaublich aktiv an die Bewältigung Deiner Situation heran, und das beeindruckt mich zutiefst! Vielleicht noch eines: in Deinem letzten Beitrag hieß es: "Es ist ein Gesetz im Leben: wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich dafür eine andere." Das würde ich sofort unterschreiben - und vielleicht ergänzen: "...und trotzdem sind die dunklen Gänge, die dazwischen liegen, manchmal die Hölle." Diese hellen Zimmerfluchten, wie Goethe sie in Weimar bewohnte, wo man direkt von Raum zu Raum wandern kann, ohne irgendwelche dunklen Flure passieren zu müssen, sind wohl sehr selten, aber ich würde sie Dir so sehr gönnen! Liebe Ina, mit diesen "Nachtgedanken" reihe mich ein in die Kette derer, die Dir weiterhin ganz viel Kraft und Zuversicht wünschen! Alles Liebe, Deine Linnea
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Einen Menschen zu lieben heißt:
Ihn zu sehen wie Gott ihn gemeint hat. Liebe ist das Geheimnis der Brotvermehrung. - Christine Busta - Geändert von Linnea (31.01.2008 um 22:50 Uhr) |
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