Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Zwei Jahre danach...
Barbara 64
15.11.2005, 20:35
Liebe Mama,
vor zwei Jahren (der 15. November 2003 war ein Samstag) habe ich Dich im Krankenhaus besucht. Du warst hineingegangen, um Deine Galle untersuchen zu lassen...
Ich weiß noch, ich bin ziemlich erschrocken, als ich Deine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hörte. Wir hatten eine Weile keinen Kontakt mehr gehabt, doch wirklich Sorgen gemacht habe ich mir nicht. Was sollte schon sein, Du warst ja noch 'jung' und im Grunde gesund...
Als ich Dich dann in diesem Bett liegen sah, gelbsüchtig und matt, da habe ich mir Sorgen gemacht. Du meintest, es sei die Galle, Gallensteine, und am Montag kommen sie raus, dann ist alles wieder in Ordnung.
Wir hatten uns nicht viel zu sagen, Du warst mit mir und meinem Leben nicht einverstanden, und ich konnte die dauernde Kritik nicht mehr hören, außerdem stand manches zwischen uns aus der Zeit, seit Papa krank geworden und gestorben war.
Du warst Zeit Deines Lebens ein ichbezogener und hypochondrischer Mensch gewesen, alles schien Dir irgendwie gegen Dich gerichtet, ich habe Dich im Grunde nie zufrieden erlebt, und mit mir schon gar nicht.
Doch an diesem Samstag, da war klar, ich mußte mich nun um Dich kümmern...
Ein Traum, ein Traum ist unser Leben
Auf Erden hier.
Wie Schatten auf den Wolken schweben
Und schwinden wir.
Und messen unsre trägen Tritte
Nach Raum und Zeit;
Und sind (und wissen's nicht) in Mitte
Der Ewigkeit...
Johann Gottfried Herder
Liebe Barbara,
ich habe Dich und unsere Gespräche sehr vermisst......wäre schön dich wieder einmal zu hören!!
LG lommi
Barbara 64
16.11.2005, 10:34
Sonntag hatten wir wie üblich unsere Auseinandersetzung... Warum besuche ich Dich nicht, warum kritisierst Du mich ständig, warum warum warum... Und warum bin ich überhaupt so abweisend zu Dir, mag ich Dich denn gar nicht...
Mama, das, was ich damals von Dir kannte, das, was Du mir warst, das mochte ich nicht. Ich habe Dir das nicht gesagt, war viel zu überrascht über die Klarheit dieser Erkenntnis, daß ich gar nichts sagen konnte...
Du bist meine Mutter, und ich habe Dich lieb, das habe ich Dir gesagt... Dir war das für den Moment genug, doch ich habe gespürt, das reicht nicht. Im Grunde war ich nicht anders als Du, wir gehören zusammen, aber wirklich angenommen hatte ich Dich genausowenig wie Du mich.
Es gab Gründe dafür, Vertrauensbrüche von Dir, Rückzug von mir, Du warst nie zufrieden und oft unglücklich, meine ganze Kindheit hindurch... Und unsere sonstigen Lebensumstände waren für mich auch sehr schwer.
Wir hatten in der Zeit nach Papas Tod viele Gespräche, und es waren einige gute, offene und ehrliche Gespräche dabei. Doch es gab Dinge, die Du nie hören wolltest, Erfahrungen in meinem Leben, über die nicht gesprochen werden durfte... Du hast immer nur gesehen, wie schwer es für Dich war, und Du wurdest nicht müde, Dein Leiden zu beklagen. Das Leid des Kindes, das ich einst war, wolltest Du nicht sehen... Mich hast Du gar nicht wirklich gesehen.
An jenem Sonntag wurde mir klar, daß ich Dich gar nicht kannte... Und das tat weh. Außerdem spürte ich, daß ich nicht wirklich Anteil nehmen konnte an dem, was Dir geschah... Gewiß, ich war da, aber ich war auch in der Vergangenheit, und ich habe Dir übelgenommen, was war.
Wir haben geredet, doch Du hast mich nicht hören wollen. Ich mußte das, was in mir war für Dich und gegen Dich mit mir allein ausmachen...
Ein Traum, ein Traum ist unser Leben
Auf Erden hier.
Wie Schatten auf den Wolken schweben
Und schwinden wir.
Und messen unsre trägen Tritte
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Johann Gottfried Herder
Barbara 64
18.11.2005, 17:14
Unser Miteinander in der Zeit vor der Gallen-OP war wie immer eher ein Gegeneinander. Ich wollte keinen Streit mit Dir, schließlich warst Du im Krankenhaus, und es tat mir auch leid, daß es Dir schlecht ging. Ich dachte, wir halten Frieden, bis Du wieder gesund bist... Doch das ging mit Dir nie, nicht einmal, als Papa im Sterben lag und auch nicht nach seinem Tod, und so ging es auch jetzt nicht...
Du hast Dir keine großen Sorgen gemacht, nur Gallensteine, bißchen Angst vor der OP, aber ansonsten warst Du wie immer. Und Du hast mir wie immer Vorwürfe gemacht... Ich wollte Dir beistehen, und so habe ich nichts gesagt, nicht widersprochen, Dich einfach reden lassen... Ich hätte wissen können, daß das zu nichts Gutem führt, doch ich wollte keinen Streit... Ich hätte wissen müssen, daß Du Dich genauso verhalten würdest wie früher mit Papa, es gab für Dich kein Halten bis er richtig ärgerlich wurde und auch laut und Du Dich dann selbst bedauern konntest... Ich hätte wissen können...
Alles gipfelte dann in dem Vorwurf, ich sei Schuld daran, daß Du nun krank bist, weil ich Dich vernachlässigt habe, weil Du Dich immerzu fragen mußt, warum wir kein gutes Verhältnis haben, was Du nur gemacht hast, und Du hast doch nie etwas gegen mich gesagt oder getan... Wir haben beide nicht gewußt, wie krank Du warst. Manchmal habe ich mich gefragt, ob Du das auch gesagt hättest, wenn Du schon alles gewußt hättest... Ich wußte und weiß, daß ich keine Schuld habe an Deiner Erkrankung, und der Vorwurf hat auch nichts zu bedeuten... Du hast Dein Leben lang Vorwürfe gemacht, ohne nachzudenken, und wenn ich dann mit Dir darüber gesprochen habe, hast Du Dich entschuldigt, weil Du gar nicht so recht wußtest, was Du gesagt hattest...
Diesmal hattest Du eine Grenze überschritten... Und ich wußte, mit Dir verbindet mich die Tatsache, daß Du meine Mutter bist, sonst gibt es da nichts verläßliches für mich, es gibt kein Wir, es gibt Dich und mich, und es gab diese Zwangsgemeinschaft, weil Du krank warst.
Als ich Dich nach Deiner OP besuchte, warst Du sehr schlapp, und Du hast mir erzählt, daß Du im Aufwachraum gehört hast, daß Du Krebs hast, und ich müsse auf jeden Fall bleiben, bis die Ärztin da war, denn die wolle mit Dir reden, und da sollte ich dabei sein.
Ich war vollkommen hilflos in dem Moment, habe Dich in den Arm genommen, wußte nicht, was sagen, und spürte zweierlei in mir: einerseits fand ich sehr traurig für Dich, daß Du krank warst, ich war traurig für mich denn trotz allem bist Du meine Mutter, ja, und andererseits dachte ich, das kann ja heiter werden, Du warst mit Deinen Zipperlein schon oft unerträglich, wie sollte das werden mit einer lebensbedrohlichen Krankheit...
Ich würde mich also um Dich kümmern und Dich vielleicht sogar pflegen müssen...
Dich, die Papa in seinen letzten Wochen als Despoten beschimpft hat, weil er sich von mir Essen und Kaffee ins KKH bringen ließ... die ihn egoistisch fand, weil er sich am Wochenende dreimal täglich von mir besuchen ließ, zwischen den Mahlzeiten wollte er allein sein... Dich, die ihn bis zum letzten Tag strikt nach Stundenplan halb drei bis vier besucht hat, obwohl ich Dir gesagt hatte, wie sehr er auf Dich wartet schon lange vorher... Dich, die...so viele für mich furchtbare Dinge getan hat in dieser Zeit seiner Krankheit...
Das Gespräch mit der Ärztin war der Hammer. Sie hatte damit gerechnet, daß Du es schon wußtest (vielleicht war das Methode, Patienten während dem Aufwachen Zeuge von Hiobsbotschaften werden zu lassen), und ich habe ihr gesagt, was ich von ihr und dem ganzen Vorgehen halte... Guter Einstieg... Doch sie hatte es verdient, denn statt die bloße Nachricht 'Bauchspeicheldrüsenkrebs, inoperabel' wirken zu lassen, schob sie ungefragt nach, wir mögen nun rasch regeln, was zu regeln ist, solange das noch geht...
Ich glaube, Du hast das an dem Abend gar nicht verstanden. Ich habe sie danach auf dem Gang angesprochen, es war schon klar, sie hatte eigentlich keine Ahnung, war keine Onkologin (aber Götter in weiß sind nun mal allwissend), doch sie kannte die Statistiken. Ich finde das heute noch unfassbar, eine solche Unmenschlichkeit in den schlimmsten Momenten für die Patienten. Ich habe ihr das auch gesagt, doch ich glaube nicht, daß das bei solchen Leuten etwas nützt.
Ich bin noch eine Weile bei Dir geblieben, wir haben kaum geredet, aber heimlich auf dem Balkon geraucht, dann wolltest Du allein sein, und ich bin gegangen...
In mir tobte ein Sturm, ich wollte für Dich da sein, Du bist meine Mutter, und ich hatte so viel Ärger auf Dich in mir. Ich wollte Dir beistehen, wollte Dir helfen, durchzustehen, und in mir war so viel zwischen uns... Würde ich schaffen, den Weg mit Dir zu gehen, egal wohin, ohne Dir Vorwürfe zu machen ? Würde ich schaffen, für Dich zu sorgen, ohne immer und immer wieder daran zu denken, wie furchtbar Du gesprochen und gehandelt hast damals während Papas Erkrankung und nach seinem Tod ? Würde ich Dich bestimmt nicht zusätzlich leiden lassen ? Ich wußte es nicht, und ich war heilfroh darüber, daß die Ärztin Dich noch eine Woche im Krankenhaus behalten wollte, weil Du auf Insulin eingestellt werden mußtest. Das gab mir Zeit zum Nachdenken und Raum für meine Empfindungen.
Ein Traum, ein Traum ist unser Leben
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Johann Gottfried Herder
hallo barbara,
ich habe das gefühl, du beschreibst hier meine mutter.
Ich kann dich so gut verstehen und finde es beeindruckend, deine beziehung zu ihr auf diese weise zu verarbeiten.
Bin gespannt wie es weiter geht und hoffe und wünsche dir, das am Ende "Vergebung" steht.
LG
marlies
Barbara 64
21.11.2005, 18:42
Die folgenden Tage war ich auf der Suche...
Ich hatte keine Ahnung von BSDK und suchte dringend nach Orientierung, und Du wolltest wissen, wie es steht, ich solle mich informieren... Google, Abfrage, Ernüchterung... tatsächlich sah es wohl so aus, wie der 'Rat' dieser sogenannten Ärztin es nahelegte... So, wie der Tumor saß, hattest Du keine Chance auf eine OP / Heilung und wahrscheinlich auch nur eine geringe Lebenserwartung... Für eine kurze Zeit hat mich das ziemlich runtergezogen, und dank wohlmeinender Freunde und Bekannte wurde ich auch immer wieder an die 'Fakten' erinnert. Doch nachhaltig beeindruckt hat mich das dann doch nicht. Jeder hat eine Chance, es gibt in jeder Statistik 'Ausreißer', warum solltest Du nicht dazugehören ? Wenn Du kämpfen wollen würdest...
Ja, was dann ? Würde ich Dich stützen und unterstützen können ? Würdest Du kämpfen wollen ? Würden wir gemeinsam gehen können ? Wieviel 'Gemeinsam' gibt es überhaupt in existentiellen Fragen ? Wir kommen allein und wir gehen allein, den ersten und den letzten Atemzug können wir nicht teilen...
Ich wußte aus der Zeit von Papas Erkrankung, daß wirkliche Unterstützung und Hilfe von außen selten ist; praktische Sachen wie Einkaufen und sowas, das ja, aber Teilnahme, Entlastung für die Seele, das hatte ich bei keinem gefunden. Eher schon wohlmeinende Ratschläge mit belastenden Nebenwirkungen.
Wenn ich Con nicht an meiner Seite gehabt hätte, wäre das alles viel schwerer gewesen. Und vermutlich hätte ich viel mehr Zeit mit Vergangenheitsbetrachtung zugebracht. Doch als ich endlich aufgehört hatte, mir all diese Gedanken zu machen, all die Für und Wider abzuwägen, wußte ich, die Frage, um die es im Grunde ging, war ganz einfach: Bin ich Mensch genug, DA zu sein ? Und die Antwort war ja.
Ich wollte Dir beistehen, Mama, und das habe ich Dir auch gesagt. Welchen Weg Du auch immer gehen würdest, ich würde an Deiner Seite sein. Mit meiner Beziehung zu Dir hatte das gar nichts zu tun, Du warst ein Mensch, ich war ein Mensch, und Du bist meine Mutter... So einfach... Und so schwer...
Im Laufe der Zeit sollten noch oft Momente des Schmerzes und des Ärgers über die Vergangenheit kommen, doch mit Cons Hilfe konnte ich selbst meine kleinen Vergeltungsphantasien in Worte fassen und mich schon darüber entlasten.
Du warst sehr gefaßt in diesen ersten Tagen nach der Diagnose, Du warst, wie ich Dich vorher nie erlebt hatte: zum ersten Mal seit ich Dich kannte hast Du nichts verdrängt und nichts dramatisiert, ja, in Anbetracht der Umstände war Dein Verhalten schon beinahe zu maßvoll und umgänglich. Du schienst irgendwie 'zufrieden' zu sein... Du hast 'Bestellungen' aufgegeben und klar und deutlich gesagt, was Du wolltest, hast Bitten direkt geäußert, hast angefangen zu sagen was Du wolltest und was nicht.
Mama, ich habe mich gefreut für Dich damals, endlich keine 'Spielchen' mehr. Und gleichzeitig war ich sehr traurig, die ewige Frage... mußte es erst so weit kommen ?
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Johann Gottfried Herder
Barbara 64
22.11.2005, 17:58
Du hattest Papa schon aufgegeben, als er im März 1992 mit der Diagnose Lungenkrebs nach Hause kam. Die Zeit bis zu seinem Tod an Heiligabend war für Dich im Grunde eine Wartezeit auf das sichere Ende. Eine Zeit, in der Du mir immer wieder gesagt hast, daß er sterben würde, bald schon...
Als Du nun selbst betroffen warst, war der Tod auch ein Thema, doch wichtiger waren Therapie und Hoffnung. Du hast viel gesprochen über Deine Gedanken und Gefühle, und ich habe Dir die sogenannte 'Wahrheit' gesagt. Es stand nicht gut für Dich, viele Jahre würden es wohl nicht mehr werden, doch es gab die Möglichkeit einer Chemo mit einer guten Prognose zumindest für eine Stagnation. Ich wollte mit Dir zu einem weiteren Arzt, wenigstens mit Deinen Unterlagen nach Heidelberg, doch Du wolltest das nicht. Du hattest Dich für die Chemo entschieden und basta.
Während der Woche, die Du noch im Krankenhaus bleiben mußtest, habe ich Dich täglich besucht. Du hattest viele kleine Wünsche, und Du hast 'Krankenhausbekleidung' gebraucht. Ich hatte während meiner Besorgungen für Dich immer wieder die Situation damals mit Papa im Kopf... Du warst sehr rigoros damals, und ich erinnere mich noch heute daran, wie weh mir Deine pragmatische Gleichgültigkeit tat... Es gab Momente, da hätte ich Dir am liebsten gesagt, daß Krankenhauskost doch völlig ok ist und ich an Flügelhemdchen auch nichts auszusetzen finde... Zum Glück war ich dann aber doch erwachsen genug, meine kleinen Racheimpulse nur in meiner Phantasie auszuleben.
Wir hatten kurze, doch sehr offene Gespräche, Mama, dies etwas, wofür ich sehr dankbar war und bin. Zum einen sicher deshalb, weil ich die Atmosphäre zwischen uns angenehmer fand, zum anderen, weil ich mich seit Papas Tod immer wieder gefragt habe, ob es an mir lag, daß Sterben zwischen ihm und mir kein Thema war. Ich glaube schon, daß er gewußt hat, daß es keine Heilung gibt, doch ich war mir nie sicher, ob er nicht doch hätte reden wollen, ob ich nicht hätte fragen sollen...
Ich hätte auch mit Dir lieber über Deine Lebenspläne geredet, doch in unseren Gesprächen über Sterben habe ich gespürt, daß ich nicht ausweiche, wenn ich das Gefühl habe, es ist ein Thema, und das hat mir ein gutes Gefühl für mich gegeben, eine Art von Sicherheit meiner Selbst, die ich vorher nicht so gewiß hatte.´
Du warst für mich 'wie neu', ich habe völlig neue Facetten von Dir erlebt; plötzlich waren Dinge, die Dir vorher Angst gemacht haben, kein Problem mehr. Daß sich in Extremsituationen die Prioritäten ändern, daß wir Dinge auf einen Schlag anders sehen und empfinden weiß ich aus eigener Erfahrung, daß sich irgendwie die ganze Persönlichkeit 'umdreht', kam für mich unerwartet. Und ich frage mich bis heute, welches war Dein wahres Ich...
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Johann Gottfried Herder
Barbara 64
30.11.2005, 10:30
Ich habe Dich abgeholt, als Du aus dem KKH entlassen wurdest. Du warst guter Dinge doch sehr schwach.
Endlich zu Hause... Und Du wolltest nie wieder in ein Krankenhaus.
Du warst voller Zuversicht, hast Dir selbst gekocht und mit einer Bekannten kurze Spaziergänge geplant und gemacht. Schließlich wolltest Du wieder zu Kräften kommen. Und in der ganzen Zeit keine Klagen, kein Genörgel... ach, Mama...
In der ersten Nacht nach Deiner KKH-Entlassung habe ich bei Dir geschlafen, danach wolltest Du das nicht mehr, es ging Dir 'gut', und ich hatte die Notrufanlage vom ASB besorgt, alles ok. Und es ging tatsächlich 'aufwärts'.
Du hast Dir Gedanken gemacht, was wohl wird. Und Du hast mir gesagt, daß Du keinesfalls in einem Krankenhaus sterben wolltest, wenn es soweit sein würde, dann wolltest Du in ein Hospiz. Ich habe dann mit zunehmender Verzweiflung nach einem gesucht, habe jeden gefragt... Kaum einer hatte Verständnis dafür, daß ich das mit Hochdruck betrieben habe, schließlich ging es Dir soweit gut. Mir ging es nicht gut, denn ich wollte Dir Deinen Wunsch erfüllen und sah keine Möglichkeit. Das einzige Hospiz in der Nähe hatte eine Warteliste, zwei bis drei Monate im Voraus... Wie sollte ich denn festlegen, ob und wann Du sterben würdest ? Das hat mich ziemlich fertig gemacht damals.
Con hat mich sehr unterstützt in dieser Zeit, und auch unser Kleiner, der mit seinen damals zehn Jahren fast schon ein Großer war, hat mir viel geholfen allein dadurch, daß ich mit ihm auch mal auf andere Gedanken kommen konnte. Und Du, die meine zwei Lieben jahrelang abgelehnt hat, warst mit einemmal offener. Wir hatten Dich im KKH besucht, und Du warst vollkommen überrascht, daß der Junge mitwollte; doch, Mama, er wollte... er hat Dich sehr gemocht die ganzen Jahre, wollte Dich immer wieder besuchen und hat nicht verstanden, daß ich das nicht wollte - ich habe ihm nie gesagt, daß Du nicht wolltest, daß sie mitkommen... An Deinem Geburtstag durften sie auch nicht kommen, beim letzten hat er gefragt, und ich habe gesagt, daß wir zu Dir gehen, wenn wir in Ruhe zusammen sein können ohne viele Leute... Ich habe Dir das sehr übel genommen, Mama, und ich bin auch nicht zu Deiner Feier gekommen - und das ist das einzige, was ich tatsächlich bereue...
Deine erste Chemo... Ich bin mit Dir zum Onkologen gegangen, Du warst sehr gefaßt, ich war sehr nervös... Wieder zu hause war die ersten Stunden alles ok, dann haben Dich die Nebenwirkungen doch erwischt. Zum Glück war Dein Hausarzt jederzeit bereit, zu Dir zu kommen, und er konnte auch mich ein wenig beruhigen. Ich bin dann die Nacht über bei Dir geblieben, und am nächsten Tag, ein Samstag - ich werde nie verstehen, warum man eine erste Chemo an einem Freitag macht - war wieder alles im Lot. Es ging Dir gut, Du hattest Hunger, also haben wir gefrühstückt. Und danach hast Du mich nach hause geschickt, alles ok, es geht Dir gut, Du hast Besuch eingeladen zum Kaffee...
Mama, ich fand ganz erstaunlich, wie Du Dich verhalten hast... Ich weiß schon, Du hattest Angst, Du hast Dir Sorgen gemacht... Doch bei all dem warst Du so optimistisch und energisch... Ich war wirklich beeindruckt von Dir.
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Johann Gottfried Herder
Barbara 64
05.12.2005, 19:18
Wir haben viel geredet, auch über die Zeit, als Papa gestorben ist. Ich habe Dir gesagt, was mich damals gestört und verletzt hat, und es schien so zu sein, als ob Du zum ersten Mal zuhören konntest. Du meintest, Du würdest Dich gar nicht erinnern, aber wenn das wirklich alles so gewesen sei, dann täte es Dir leid...
Mama, es war so, tatsächlich war es viel schlimmer, als es sich in einem Gespräch anhören kann. Ich habe kaum glauben können, daß Du Dich nicht erinnert hast, aber Du warst immer ganz gut im Verdrängen von Wahrheiten, die Dich schlecht dastehen ließen. Doch zum ersten Mal konntest Du zumindest zulassen, daß es da auch noch eine andere, meine Wahrnehmung gab.
Du wußtest, daß Du nicht mehr 'ewig' zu leben hattest, hofftest auf ein Jahr... Dein Ziel war, zumindest Deinen 70. Geburtstag im Juli 2004 zu feiern. Ich würde ja da sein, Dich unterstützen, Dir beistehen. Und wir haben Weihnachten verplant, Du würdest Heiligabend zu uns kommen und bei uns schlafen...
Mama, war Dir eigentlich bewußt, wie vollkommen absurd das Ganze war ? Jahrelang dieser unsinnige Kampf, jahrelang Dein Mißtrauen, jahrelang Deine erfolglosen Versuche, mich zu ändern, und plötzlich, in dieser tatsächlich ernsten Situation vertraust Du mir bedingungslos, baust auf mich, akzeptierst Con... und findest das ganz 'normal'...
Ich fand das vollkommen verrückt, empfinde es heute noch als unwirklich. Sicher, einerseits war das schön, auch Papa hat, als es ernst wurde, auf mich vertraut, und so sollte es ja auch sein. Andererseits hattest Du wenige Chancen ausgelassen, um die Distanz zwischen uns zu bewahren. Deine sogenannten Freunde, die Nachbarn, alle Meinungen waren eher Maßstab für Dein Urteil über mich als die Frage, ob ich froh und zufrieden bin. Plötzlich waren alle 'weg', und ich durfte sein, wie ich bin, selbst meine Freunde waren Dir plötzlich wertvoll, weil sie mich unterstützt haben und Dich auch...
Es war ein merkwürdiges Gefühl, nach all den Jahren war es so, wie ich es mir gewünscht hätte, und nun konnte ich es Dir nicht glauben. Und ich glaube es bin heute nicht, habe bis zum heutigen Tag Zweifel daran, ob das, was es damals war, wahrhaftig war...
Con und auch die anderen sagen mir, ich solle darauf vertrauen, Du hättest mich lieb gehabt und eine wirkliche Verbindung zu mir. Sie können zwar meine Zweifel verstehen, und sie empfinden auch den Widersinn in dem Ganzen. Doch sie können nicht fühlen, was ich fühle: Meine Mutter, von der ich mich nie wirklich geliebt fühlte, hat plötzlich eine gewisse Nähe zugelassen... Und ich konnte es nicht genießen. Ich habe es nicht gespürt in mir. Ich wußte nur, daß Du auf meine Verläßlichkeit bauen konntest und darauf, daß ich alles tun würde, was Du für Dich wolltest, weil Du das bei Papa erlebt hattest. Du hattest keine Wahl: Mich oder Keinen, und Du hast Dich für mich entschieden.
Manchmal wünsche ich mir, ich hätte ein Gefühl, das mir sagt, daß das nicht einfach nur die zweitschlechteste Alternative für Dich war. Doch da ist nichts...
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Johann Gottfried Herder
Barbara 64
07.12.2005, 12:23
Lieber Papa,
heute vor 13 Jahren, es war Dein 63. Geburtstag, begann Dein letztes Kapitel. Neun Monate zuvor die Diagnose, Lungenkrebs mit Verdacht auf Metastasen in der Leber... Chemo, Bestrahlungen, Metastasen in den Knochen, dann in der Wirbelsäule und schließlich im Gehirn... Du hast gekämpft und gehofft, und an diesem 7. Dezember 1992 hast Du die letzte Kontrolle über den Kampf verloren.
Du warst kein netter Mensch, für vieles in Deinem Leben auch kein guter. Du hast immer den starken Mann gegeben, und tief in Dir warst Du voller Angst und schwach. Für mich warst Du in vielerlei Hinsicht mein Vorbild, warst, wie ich sein wollte und wie ich auf keinen Fall sein wollte... Ich bin Dir ähnlich geworden mit den Jahren, in manchen Winkeln meiner Seele kann ich Dich klar sehen. Ich habe gelitten unter Deinen Schattenseiten, und ich bin an ihnen gewachsen.
Es gibt Erinnerungen an die Jahre mit Dir, gute und schlechte, über manche kann ich mich freuen, bei anderen läuft es mir heute noch kalt den Rücken herunter.
Unsere letzte Zeit war sehr nah, Du konntest all die Bedürftigkeit in Dir zulassen und das Nehmen genießen. Wir haben kaum über Deine Krankheit gesprochen, Du hast mit keinem aus der Familie wirklich geredet, zumindest hat Mama das immer gesagt. Doch Du hast mir vertraut, in Deinen - zunehmend kürzeren - klaren Momenten habe ich das gespürt. Und Du hast wohl auch gewußt, daß Du gehen würdest Du hattest alles geregelt, alles wichtige aufgeschrieben und in den Ordner geheftet, von dem Du wußtest, daß wir hineinschauen müssen... wofür also reden. Du hast Dein ganzes Leben nicht 'unnötig' geredet, wofür also über das Unabänderliche sprechen...
Mama hatte dafür gesorgt, daß die Ärzte mir gesagt haben, daß Du sterben wirst und daß ich mich dem stellen muß...
Ich glaube, ihr ging es auf die Nerven, daß ich nicht sie bedauert habe für den nahen Verlust, sondern nur Dich gesehen habe und das, was Du erfahren mußtest, daß ich Dich nicht aufgegeben habe.
Das Arztgespräch hat mich völlig fertig gemacht... Es war nicht das, was sie gesagt haben, sondern wie. Und es war die Tatsache, daß Mama erst zufrieden war, als ich mit dem Weinen nicht mehr aufhören konnte... Sie dachte, ich hätte nun endlich verstanden... und wollte mich trösten... Sie dachte, sie und ich könnten nun endlich gemeinsam traurig sein über das, was kommen würde, könnten uns gegenseitig bedauern... Es war das Ende meines Mitgefühls für sie...
Ich habe gewußt, daß Du nicht mehr gesund wirst, Papa, ich hatte da gar keine Illusionen, und ich wollte Dich auch nicht halten. Ich wollte nur, daß Du auf eine menschenwürdige Art sein konntest, solange Du warst. Ich wollte Dich mit nach Hause nehmen, nicht, um Dich gesund zu pflegen, sondern um Dich da zu haben, wo Du hingehörtest...
Es hat nicht sollen sein, und so war ich jeden Tag bei Dir im KKH, habe Dir alles gebracht, was Du wolltest, und mit Dir 'gegessen'... Ich weiß noch, Du wünschtest Dir Tütensuppen, vermutlich, weil sie so extrem gewürzt sind und Du keinen guten Geschmackssinn mehr hattest... Eine Freundin, die mich damals unterstützt hat, hat Dir einmal Abends die Suppe gebracht, ich konnte nicht kommen, sie war sehr gesundheitsbewußt und hat Dir tatsächlich gesagt, daß diese Suppen gar nicht gesund sind und wahrscheinlich sogar krebserregend... Ich kann heute noch lachen darüber, sicher, es ist bitter, wie dogmatisch Menschen sein können, wahrscheinlich hätte sie Dir die Suppe nicht gebracht, wenn Du ihr Vater gewesen wärst, aber Deine Antwort hat sie umgehauen, denn Du sagtest 'Das haben wir schon, sag' was anderes.' Ja, ich kann heute noch darüber lachen, über Deinen Humor, der manchmal so schwarz war und oft so treffend...
Ach Papa, ich weiß nicht, ob es besser gewesen wäre, zu reden... Ich habe ja lange gar nicht darüber nachdenken wollen, ob Du sterben mußt. Ich habe gar nicht in die Zukunft geschaut, es ging von Monat zu Monat, von Woche zu Woche, von Tag zu Tag... Erst ganz am Ende habe ich tatsächlich geglaubt, daß es nur um Stunden geht, weil ich gesehen und gespürt habe, daß Du gehst, obwohl Du seit längerer Zeit mal wieder über den ganzen Tag klar 'da' warst...
Ich wüßte gern, ob Du wirklich nicht reden wolltest oder ob Du geschwiegen hast, weil ich davor Angst hatte. Ich erinnere mich an einen Dialog zwischen uns: Ich hatte Dir einen Zahnputzbecher ins KKH gebracht, Du wolltest einen eigenen. Ich fragte Dich 'Ist der ok ?' und Du sagtest 'Bis Weihnachten wird er halten.'. Ich kann die Beklemmung, die mich in diesem Moment erfaßt hat noch heute spüren... Und ich fragte Dich tatsächlich 'Denkst Du, daß Du dann noch hier bist ?' Danach haben wir beide nichts mehr gesagt. Und ich weiß bis heute nicht sicher, worüber wir wirklich gesprochen haben... Sicher ist nur, daß der Becher gehalten hat (er ist knallrot, er hat bis heute gehalten, ich habe ihn noch) und daß Du Heiligabend gegangen bist. Bis Weihnachten... War das Dein Ziel ? Noch einmal Weihnachten ? Oder war das das Datum, das Du bei deinem kurzen Ausflug in die Welt zwischen den Welten, diesen entsetzlichen Minuten heute vor 13 Jahren, im großen Buch des Kommens und Gehens gelesen hast ?
Heute vor 13 Jahren begann der Anfang vom Ende...
Todes- Erfahrung
Wir wissen nichts von diesem Hingehn, das
nicht mit uns teilt. Wir haben keinen Grund,
Bewunderung und Liebe oder Haß
dem Tod zu zeigen, den ein Maskenmund
tragischer Klage wunderlich entstellt.
Noch ist die Welt voll Rollen, die wir spielen.
Solang wir sorgen, ob wir auch gefielen,
spielt auch der Tod, obwohl er nicht gefällt.
Doch als du gingst, da brach in diese Bühne
ein Streifen Wirklichkeit durch jenen Spalt
durch den du hingingst: Grün wirklicher Grüne,
wirklicher Sonnenschein, wirklicher Wald.
Wir spielen weiter. Bang und schwer Erlerntes
hersagend und Gebärden dann und wann
aufhebend; aber dein von uns entferntes,
aus unserm Stück entrücktes Dasein kann
uns manchmal überkommen, wie ein Wissen
von jener Wirklichkeit sich niedersenkend,
so daß wir eine Weile hingerissen
das Leben spielen, nicht an Beifall denkend.
Rainer Maria Rilke 1907
Barbara 64
07.12.2005, 12:26
Heute vor zwei Jahren warst Du mit uns zum letzten Mal an Papas Grab. Du hast nicht viel geredet, und ich habe keine Ahnung, was in Dir vorging. Heute, rückblickend, frage ich mich, ob Du daran gedacht hast, daß Du da auch liegen würdest... Hast Du geahnt, wie bald das sein würde, Mama ? Ich glaube nicht. Wir alle haben mehr Zeit erwartet...
Danach warst Du bei uns zum Kaffeetrinken, 2. Advent... Es war ein schöner Nachmittag, Du warst guter Dinge, hast unsere Plätzchen probiert, gescherzt, gelacht... Cons Mutter war da, und ihr habt Euch unterhalten, ich glaube, Du hast es genossen. - Weißt Du, früher dachte ich, irgendwann würde ich sie vielleicht auch mit irgendeinem 'Mutter-Namen' ansprechen können, ich glaube, sie wünscht sich das auch ein bißchen... Seitdem Du tot bist kann ich mir das überhaupt nicht mehr vorstellen... Ich werde nie mehr zu jemandem 'Mama' sagen...
(Unser kleiner großer Nick versucht manchmal, die Vornamen zu benutzen, einige seiner Freunde tun das bei deren Eltern, klingt ja auch nicht cool, 'meine Mama'... Ich habe ihm gesagt, daß er sich das gut überlegen soll: alle benutzen die Vornamen, Mama und Papa gilt nur für ihn, ganz exclusiv... Das fand er dann doch wieder besonders. Und in der Schule spricht er von seiner 'Mutter' bzw. seinem 'Vater', das klingt erwachsen genug... Dich hat er beim Vornamen genannt. Manchmal denke ich, es hätte ihm gefallen, Oma zu Dir zu sagen...)
Du warst sehr müde und schlapp, und irgendwann hast Du Dich dann aufs Sofa gelegt und bist eingeschlafen. Nick ist in irgendein Kindertheaterstück gegangen, er wollte Dich nicht wecken und hat Dir einen Zettel geschrieben, 'Tschüss...'.
Er hat Dich an diesem Tag zum letzten Mal gesehen. Als ich Monate später all Deine Sachen, die tausend Kleinigkeiten geräumt habe, habe ich diesen Zettel gefunden, Du hattest ihn mitgenommen und aufbewahrt. Das hat mich schon sehr gerührt... und gefreut für ihn. Ich habe ihm seinen Zettel gezeigt, er war spürbar bewegt... Schade, Mama... Du hättest alle Chancen bei ihm gehabt, und genutzt hast Du nur die letzte... Nick weiß das nicht so, wie wir es wissen, er hat Dich in guter und fröhlicher Erinnerung, und das darf auch so bleiben.
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Johann Gottfried Herder
Barbara 64
08.12.2005, 14:56
Gestern war ich bei Dir auf dem Friedhof. Ich war oft da in all den Jahren, Gießen, Grab abdecken, Mama begleiten... man geht halt hin... Ich hatte nie das Gefühl, daß Du dort bist, wenn Du überhaupt noch in dieser Welt bist, dann in Deinem Garten oder in den Bergen, die Du so sehr geliebt hast... Doch ein-zwei Mal im Jahr war halt der Friedhof dran. Und in den vergangenen knapp zwei Jahren war ich immer mit meinen zwei Lieben da und wir haben über Mama gesprochen, Dich kennen sie ja nicht.
Gestern war ich zum ersten Mal nur Deinetwegen dort. Ich hatte plötzlich das Bedürfnis, Blumen zu Deinem Grab zu bringen und eine Kerze. Theoretisch war der Friedhof schon zu, sie schließen bei Einbruch der Dunkelheit, praktisch hatte ich Glück, der Schließer kam zu spät und ich gerade noch hinein.
Als ich an Deinem Grab stand, habe ich mich gefragt, wodurch Du der geworden bist, der Du warst... wer hat Dich zu dem gemacht, was Du warst... warst Du irgendwann glücklich... oder warst Du der von Pflichtbewußtsein getriebene, innerlich Zerrissene als den ich Dich empfunden habe... so viele Fragen und keine Antworten mehr.
Papa, wo immer Du sein magst, ich hoffe, Du hast Deinen Frieden gefunden.
Alles Liebe,
Deine Barbara
Barbara 64
08.12.2005, 15:21
Du hast Dich von Deiner ersten Chemo gut erholt, warst danach 'fitter' als vorher und ungebremst optimistisch. Du hast zwar immer noch nicht viel machen können, aber der tägliche Spaziergang und selber Kochen waren kein Problem.
Nach langem Hin und her konnte ich Dich dann doch überzeugen, Dir zusätzlich unterstützende Präparate spritzen zu lassen... Wenn ich das Rezept vom Arzt bekommen würde, würdest Du tägliche Besuche von einem Pflegedienst und Spritzen akzeptieren... Dein Onkologe war davon erwartungsgemäß nicht begeistert, er hat versucht, mir das auszureden, doch ich war auf die Ablehnung vorbereitet und bewaffnet mit Hartnäckigkeit, und am Ende hat er zähneknirschend das Rezept unterschrieben.
Die Schwester vom Pflegedienst war recht nett, Du mochtest sie nicht besonders, mochtest den ganzen Zustand nicht...
Ich habe Dich mit Zusatznahrung traktiert, Dir so oft es ging beim Essen Gesellschaft geleistet, und so ging es ein bißchen aufwärts.
Mama, trotz allem, was war, ich habe sehr gehofft für Dich...
Ein Traum, ein Traum ist unser Leben
Auf Erden hier.
Wie Schatten auf den Wolken schweben
Und schwinden wir.
Und messen unsre trägen Tritte
Nach Raum und Zeit;
Und sind (und wissen's nicht) in Mitte
Der Ewigkeit...
Johann Gottfried Herder
Barbara 64
12.12.2005, 12:51
Ich war jeden Tag nach der Arbeit bei Dir, habe für Dich eingekauft, Dir beim Essen Gesellschaft geleistet, und wir haben viel geredet. Du hattest Dich entschieden, Du würdest nicht mehr stationär in ein Krankenhaus gehen. Wenn die Zeit gekommen sein würde, wolltest Du in ein Hospiz. Bis dahin hattest Du noch viel vor, Dein letztes Weihnachten feiern, Silvester, vielleicht noch mal wegfahren, ja, und im Sommer 70 werden... Vielleicht noch ein Jahr, hast Du gesagt...
Du hast Pläne gemacht, Weihnachten bei uns, es wäre das erste Mal gewesen, daß Du an Heiligabend bei mir gewesen wärst, vielleicht komplett über Weihnachten bleiben, mal schauen... Con und ich haben uns Gedanken gemacht, wie wir Silvester feiern. Wenn Du wolltest, mit Dir, die übliche Silvesterparty könnten wir im nächsten Jahr feiern - wie selbstverständlich wir davon ausgehen, daß wir nächstes und übernächstes Jahr noch leben. Und nicht einmal die Tatsache, daß Du offiziell bis 16. November gesund und am Tag danach todkrank gewesen bist, hat das in uns nicht verändert...
Die Endlichkeit des Lebens mag uns manchmal vor Augen geführt werden, wirklich bewußt wird sie wohl nur, wenn wir sie am eigenen Leib erfahren.
Ich habe Dich gefragt, ob Dir etwas wichtig ist außer dem Hospiz, ob Du Dinge regeln willst. Du hast aufgezählt, welche Sachen für mich wichtig waren, sie zu wissen, wenn Du einmal nicht mehr sein würdest, Unterlagen für das Haus, Dein Stammbuch, solche Dinge, das würden wir dann zwischen den Jahren machen. Die Patientenverfügung hattest Du schon vor langer Zeit unterschrieben, doch sie würde nicht gebraucht, ich habe Dir auf Deine 'Forderung' hin versprochen, daß ich Dich nicht in ein Krankenhaus einliefern lassen würde, wenn es nicht um eine akute Sache, die mit Deinem Krebs nichts zu tun hätte, gehen würde.
Mama, war Dir klar in diesen Gesprächen oder in den Nächten danach, wie wenig Dich Papas Bedürfnisse interessiert haben, als er im Krankenhaus lag, als das Sterben begann ? Daß es immer nur um Deine Bedürfnisse ging ? War Dir klar, daß ich nicht schlafen konnte nachts, weil ich eben kein Hospiz gefunden habe ? Wußtest Du, was ich mir mit diesem Versprechen aufgeladen habe ? Ich wußte es nicht. Ich würde es Dir immer wieder geben, wenn Du es forderst, doch tief in meinem Innern weiß ich, daß es nicht anständig ist, ein solches Versprechen zu wollen. Egal, wie groß die Angst vor dem Krankenhaus ist... Man darf das wünschen, ja, doch man darf es sich nicht versprechen lassen...
Über Deine Wünsche betreffend Deiner Beerdigung brauchten wir nicht zu sprechen, zum einen war das in meinen Gedanken noch weit weg, zum anderen hatte ich Dich vor Jahren schon gefragt. So, wie Du Papas Beerdigung arrangiert hattest, hat mir das nicht gefallen.. für Dich war es Dir egal, nichts außergewöhnliches, ein Musikstück hast Du benannt (und es war weder das Ave Maria noch 'das Largo', jene Stücke, die Du bei Papa hast spielen lassen, weil man das so macht...).
Wir haben ein wenig über die Zeit damals geredet, wie ich Papas Sterben und Dein Umgehen damit erlebt habe und die Zeit danach, den Streit über die Traueranzeige, Dein Verbot betr. Gedicht oder Text. Du meintest, es ging Dir halt nicht gut damals... Meintest Du wirklich, mir ging es gut ? Ich habe mich nur nicht hinter den üblichen Ritualen versteckt wie Du... Mir sind auch die Nachbarn egal, für mich ist wichtig, daß es in mir stimmt und zu dem paßt, der gegangen ist.
Ja, wir haben viel geredet, Mama. Wirklich näher gekommen sind wir uns nicht.
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Barbara 64
13.12.2005, 18:16
Die zweite Chemo hast Du nicht gut vertragen. Kaum daß wir vom Onkologen wieder zu hause waren, haben Dich die Nebenwirkungen umgehauen. Übelkeit, Atemnot, Unruhe... das volle Programm. Zum Glück kam Dein Hausarzt von sich aus vorbei, nach einer Spritze von ihm ging es Dir ein bißchen besser. Doch Du warst sehr beunruhigt, fühltest Dich seltsam, und Schlafen konntest Du auch nicht. Du hast mich den ganzen Nachmittag auf Trab gehalten...
Abends kam dann Dein Hausarzt nochmal vorbei. Er hatte mit dem Onkologen gesprochen, Dein Blutbild war gut, allem Anschein nach hatte Dein Körper und damit auch der Tumor auf die Chemo angesprochen. Dein schlechtes Allgemeinbefinden und die zunehmenden Schmerzen konnten sich beide nicht erklären. Dein Hausarzt wollte nach dem Wochenende in der Praxis einen Ultraschall machen, möglicherweise sei der Stent verrutscht. Falls Du weiterhin so wenig essen und trinken könntest und die Übelkeit nicht besser würde, solltest Du ab Montag Kochsalzinfusionen bekommen.
Die Nacht war anstrengend. Du hattest ständig das Gefühl, zur Toilette zu müssen, konntest aber allein nicht von Deinem relativ tiefen Bett aufstehen. Ich glaube, Du hast kaum geschlafen in der Nacht. Ich war irgendwann so kaputt, daß ich tatsächlich nach den Toilettengängen sofort wieder eingeschlafen bin... bis zum nächsten 'Geräusch' von Dir. Ich hatte befürchtet, daß ich Dich von meinem Lager im Gästezimmer aus gar nicht hören würde, doch ich war beim geringsten Räuspern immer sofort 'da' - einerseits war das gut so, andererseits hätte ich den einen oder anderen Huster gerne 'überschlafen'...
Am Morgen warst Du sehr wacklig auf den Beinen, doch Du hattest Hunger... also, Kaffe kochen, Brötchen schmieren und Dich zum Essen motivieren. Nach dem Frühstück ging es Dir etwas besser, und Du konntest schlafen. Mittags meintest Du, es gehe Dir 'gut', Du hast Brühe gegessen, die Con für Dich gekocht hat, und belegte Brote. Außerdem hast Du tapfer die flüssige Aufbaunahrung runtergewürgt... Ich habe Dich den ganzen Tag 'traktiert', Trinken, Trinken und nochmal Trinken, und dann wieder Essen...
Gegen Abend fühltest Du Dich wieder recht gut, müde und erschöpft, aber nicht mehr so wacklig. Ich war auch todmüde, und so sind wir relativ früh Schlafen gegangen. Es sollte die letzte Nacht sein, in der ich mehr als eine Stunde am Stück bei Dir schlafen würde. Doch das haben wir beide nicht geahnt...
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Barbara 64
14.12.2005, 13:33
Die Nacht war relativ ruhig, Du warst nicht so oft wach, und dementsprechend bekam ich auch mehr Schlaf.
Sonntags konntest Du dann wieder vieles alleine machen. Du hattest Besuch zum Adventskaffee eingeladen, und ich war für den 60. Geburtstag von Cons Mutter gebucht. Du meintest, Du würdest bis morgen alleine klarkommen, ich solle in meinem eigenen Bett schlafen und Montags vorbeikommen.
Wir haben noch zusammen Mittag gegessen, und ich habe Dir alles vorbereitet für den Nachmittag und den Abend. Du hattest so unglaublich kalte Hände und Füße, und nichts half... Warm einpacken hat überhaupt nichts genutzt, und Wärmeflasche war wegen der Diabetes nur eingeschränkt möglich. Nebenwirkungen der Chemo... Schmerzen hattest Du auch, aber dagegen konnten wir wenigstens was machen, Du hast Tropfen genommen, und ich habe Dir den Rücken eingerieben.
Mit sehr gemischten Gefühlen bin ich dann nachmittags gegangen...
Die Geburtstagsfeier war recht nett, doch ich war in Gedanken mehr bei Dir als sonstwo, würdest Du wirklich alleine klarkommen ? die letzten Tage warst Du abends doch recht schwach, würdest Du die Treppe nach oben in Dein Schlafzimmer schaffen ?
Gegen neun war ich dann so unruhig, daß ich beschlossen habe, wieder zu Dir zu fahren und bei Dir zu schlafen. Ich habe Dich angerufen, das übliche, nicht nötig, es geht doch, aber wenn ich meine... Ja, Mama, ich meinte...
Meine zwei Lieben waren ein bißchen enttäuscht, hatten sich gefreut, mich mal wieder zu hause zu haben. Aber sie haben beide verstanden, daß ich zu Dir fahren 'mußte'...
Als ich dann bei Dir war warst Du glaube ich sehr froh, auf jeden Fall hast Du Dich gefreut. Du hattest einen netten Nachmittag mit Deiner Freundin, sie hat alles gemacht, Du mußtest nicht mal vom Sofa aufstehen, es hat Dir viel Freude gemacht, und Du warst guter Dinge. Während der ganzen Zeit haben Dich immer wieder Freunde, sogenannte und sehr wenige echte, angerufen... Meist waren die Gespräche für Dich eher belastend, Menschen können so unglaublich taktlos und dumm sein... Für Dich war aber glaube ich ganz wichtig, daß man an Dich dachte. Besucht haben Dich nur wenige, auch so ein Phänomen, das wohl nahezu alle Krebskranken kennenlernen...
Wie haben noch eine Weile geschwatzt, und dann habe ich Dich ins Bett gebracht. Am nächsten Morgen war der Ultraschall geplant, die Mutter einer Freundin von mir wollte uns hinfahren.
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Barbara 64
19.12.2005, 09:33
Du warst sehr geschwächt, und streckenweise hatte ich Angst, wir würden es nicht bis in die Praxis schaffen.
Während Deiner Blutabnahmen habe ich kurz mit dem Arzt gesprochen, er hat nicht verstanden, warum Du so sehr abgebaut hattest. Dein Blutbild von Freitag war sehr gut, sogar die Leberwerte waren gut, er hoffte, über den Ultraschall etwas herauszufinden.
Er hat mich gefragt, wie es denn zu hause geht, Du konntest ja kaum ein paar Schritte laufen... Ich habe ihm gesagt, daß Du nicht ohne Hilfe das Bett verlassen kannst und daß Du Abends auf der Treppe nicht so gut alleine nach oben kommst. Er hat dann den Ultraschall gemacht und mit Dir gesprochen. Dann hat er mich ins Untersuchungszimmer geholt, Du hast geweint, warst ziemlich fertig. Er hatte Dir gesagt, daß Du dringend ein Pflegebett brauchst, weil das mit Deinem Bett nicht mehr geht... Einerseits hast Du mir in dem Moment sehr leid getan, Mama, andererseits war ich sehr erleichtert, daß er das einfach so gemacht hat... Ich habe Dich kaum noch hochbekommen aus dem Bett, wenn es nachts schnell gehen mußte, das war für uns beide nicht schön, und mein Rücken war ein einziger Dauerschmerz. Er hat versucht, Dir die Vorteile darzulegen, mehr Selbständigkeit war glaube ich das Zauberwort... Du warst zwar nach wie vor schockiert, aber Du hast schon auch gesehen, daß das für den Moment die bessere Lösung sein würde.
Mittags hattest Du Besuch, ein ehemaliger Kollege von Papa, der Kontakte bei der Krankenkasse hatte. Er hat mir sofort Tips gegeben und auch gleich seine alten Kontakte angerufen, um die Sache zu beschleunigen. Seine Frau hat Dich ein bißchen beruhigen können, sie fand das mit dem Bett gar nicht schlimm, für eine Übergangszeit, bis es Dir besser gehen würde... Abends warst Du wieder recht guter Dinge, und Du hast überlegt, wo das Bett stehen sollte...
Am nächsten Tag würde der Hausarzt vorbeikommen, er hat Dir zusätzlich Kochsalzinfusionen verschreiben, wollte Dich ein bißchen aufbauen für die nächste Chemo. Außerdem war wieder Besuch angesagt, auf den Du Dich sehr gefreut hast.
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Barbara 64
19.12.2005, 10:58
Hast Du Mama abgeholt, heute vor zwei Jahren ?
Hättest Du sie wiedersehen wollen ?
Hast Du sie geliebt ?
Hast Du Dein Leben geliebt ?
Willst Du mich wiedersehen, irgendwann ?
Bist Du noch 'irgendwo' ?
Barbara 64
19.12.2005, 16:04
Mittags kam Dein Arzt vorbei und legte die Infusion an, wenn sie durchgelaufen ist, muß man den Schlauch abmachen und die Kanüle verschließen, ganz einfach... Es hat einen Moment gedauert, bis ich verstanden hatte, daß die Erläuterungen für mich bestimmt waren... Ich war gelinde gesagt verunsichert, bei meinen eigenen Spritzen kann ich kaum hinschauen, Blut sehen ist auch nicht ganz so meins, und jetzt sollte ich an Deiner Kanüle...
Ich erinnerte mich an eine Situation mit Papa, damals im Krankenhaus, da hat er an seiner Kanüle und den Infusionsschläuchen herumgemacht, das ganze Bett war voll Blut und ich in großer Angst, er könnte verbluten bis die Schwester kommt... Bei Dir würde ich nicht einmal eine Klingel haben...
Du hast das ganz locker gesehen, das würde ich schon schaffen. Ich war sehr überrascht von dieser Einschätzung, hätte nicht gedacht, daß Du derartiges Vertrauen in mich setzen würdest.
Als der Moment dann gekommen war, ging es ganz gut, Dein Besuch und Du, ihr wart voll Bewunderung für mich, wie locker und gut ich das hingekriegt hätte... Ich war schweißgebadet und hatte das Gefühl, ich würde zittern, doch meine Hand war wohl tatsächlich ziemlich ruhig.
Für den nächsten Tag hatte ich Termine, Krankenkasse, Sanitätshaus,... Eine Freundin hat sich um Dich gekümmert, für ein paar Stunden ging das. Sie hatte Angst, daß sie nicht schaffen würde, Dich zur Toilette und zurück zu bringen, Du hast das wohl gespürt, bist die ganze Zeit auf dem Sofa geblieben, und so hat das hingehauen.
Abends habe ich Dich wieder zum Essen 'genötigt', Du warst ziemlich unzufrieden mit mir... Doch Du hattest wieder Stuhlgang, fühltest Dich auch ein bißchen besser, wir dachten beide, es geht aufwärts... Also, nicht nachgelassen...
Mama, wenn ich gewußt hätte, daß es Deine letzte Mahlzeit war, ich hätte Dich nicht so traktiert...
Später kam dann eine Freundin von mir vorbei, weil ich es nicht mehr geschafft habe, Dich allein nach oben zu bringen.
Du wolltest dann noch am Schlafzimmerfenster eine Zigarette rauchen. Mama, hast Du gewußt, daß es der letzte Blick in Deinen Garten war ? Daß Du nach dieser Nacht nicht mehr aufstehen würdest ?
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Johann Gottfried Herder
Barbara 64
20.12.2005, 09:43
Es war eine unruhige Nacht, Du hattest ständig das Gefühl, Du müßtest zur Toilette, gegen Morgen habe ich dann nicht mehr geschafft, Dich aus dem Bett zu kriegen. Du hattest keine Kraft mehr, konntest nicht helfen, und ich hatte seit vier Nächten fast nicht geschlafen, ich spürte keine Energie mehr in mir.
Ich habe Dir eine Schüssel geholt, und so ging es dann auch im Sitzen im Bett einigermaßen...
Mama, wenn ich mich an diese Minuten erinnere, kann ich noch heute meine Verzweiflung von damals spüren. Du hast das nicht mitbekommen, warst froh, wieder zu liegen, und ich konnte verhindern, daß Du die Schüssel siehst...
Ich habe Deinen Hausarzt zu Hause angerufen, er hat versprochen, sofort zu kommen. Danach hat mich die Kraft verlassen... Ich habe eine Freundin angerufen, sie wollte ohnehin kommen, um mir zu helfen, Dich wieder auf Dein Sofa zu bringen. Ich konnte kaum einen klaren Satz formulieren, habe geweint, ich war fertig... Kurz darauf war Con da, Kind bei Oma, Arbeit abgemeldet... Warum ich denn nicht angerufen hätte ? Warum habe ich denn nicht ganz klar gesagt, wie 'schlimm' das alles ist ? Warum hatten wir nicht längst einen Pflegedienst zur Unterstützung ?
Ich dachte, ich schaffe das, wollte Dir fremde Leute im Haus ersparen, Mama... Ich hatte keine Vorstellung davon, wie anstrengend es sein würde. Und bis zu diesem Moment war es mir auch gar nicht so arg vorgekommen.
Dein Arzt kam, hat Dir eine Infusion angelegt und Bettruhe verordnet. Danach haben wir uns zusammengesetzt... Er versuchte, mich zu beruhigen... Blutungen seien nichts ungewöhnliches, und das sei nun auch nicht mehr das Problem. Du würdest gehen in den nächsten Tagen, Dein Sterben hatte begonnen... Er konnte das selbst nicht so recht fassen, gestern waren wir noch in seiner Praxis, so schnell hatte er das nicht kommen sehen. Falls ich ihn brauchen sollte, könnte ich ihn jederzeit anrufen, er würde mittags auf jeden Fall nochmal vorbeikommen.
Ich habe dann den Pflegedienst angerufen, den wir wegen der Spritzen schon hatten, habe die Situation kurz geschildert, es war kein Problem, das 'Deine' Schwester vorbeikommen würde...
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Johann Gottfried Herder
Barbara 64
21.12.2005, 16:56
Nachdem die Infusion durchgelaufen war und ich die Kanüle wieder zu hatte, wolltest Du unbedingt aufstehen... Wir hatten zu dritt alle Mühe, Dich im Bett zu halten, abwechselnd waren wir bei Dir, Lippen feucht halten, aufdecken, zudecken... viel konnten wir nicht tun... schlucken konntest Du nicht so gut, also haben wir ein Infusionsset umgebaut, das ging recht gut, und immer wieder Deine Versuche, die Beine aus dem Bett zu kriegen... Ach, Mama... Du hast mir so leid getan, und ich habe das Sanitätshaus verflucht. Wenn wir das Pflegebett schon gehabt hätten, hättest Du wenigstens unten liegen können, mit Blick in Deinen Garten...
Mittags dann Dein letzter energischer Moment... völlig unvermittelt hast Du auf die Frage, ob Du nicht doch mal was trinken willst, gesagt 'ich will jetzt Capuccino'... wir haben alle sehr gelacht, für einen kleinen Moment war die Anspannung ein bißchen gelöst... und natürlich hast Du Deinen Capuccino bekommen, leider konntest Du ihn kaum trinken, nur ein paar Tropfen...
Nachmittags kam Dein Arzt nochmal, mittlerweile hattest Du 'aufgegeben', unbedingt aufzustehen... Er fragte mich, wie das jetzt weitergehen solle. Er hatte mit Deinem Onkologen gesprochen, Du könntest in ein Krankenhaus, rein palliativ, keine Lebensverlängerung, nur Erleichterung, und ich könnte auch die ganze Zeit dableiben... Du wolltest in kein Krankenhaus mehr, also würde ich Dich auch in keines bringen. Er hat mir trotzdem eine Einweisung geschrieben, für alle Fälle, und meinte, ich solle nochmal in seine Praxis kommen. Als ich dann später ging, hast Du die anderen ziemlich genervt... wo ich sei, wann ich denn endlich komme...
In der Praxis hat er mir dann ein Päckchen Morphiumpflaster in die Hand gedrückt, falls Du Schmerzen bekommen würdest, sollte ich die aufkleben, es spiele keine Rolle mehr, wie viele, Hauptsache schmerzfrei. Er würde bis zum nächsten Tag abends erreichbar sein, dann nicht mehr. Er meinte, spätestens am Wochenende würdest Du gehen... Als ich schon auf dem Weg raus war, fragte er mich, ob ich schon einmal beim Tod eines Menschen dabei war. Nein, war ich nie... wollte ich auch nie... wollte ich auch damals nicht... wer will das schon. Er hat mir gesagt, wie das sein kann...
Ich bin dann wieder zu Dir gegangen, Du warst sehr müde und sehr unzufrieden... wo war ich denn die ganze Zeit... zum Glück konnte ich eine Apothekentüte vorweisen, Betteinlagen... was hätte ich Dir denn sagen sollen...
Abends habe ich dann Dein Patenkind angerufen, sie wollte am nächsten Tag vorbeikommen... ich hatte das Gefühl, daß das zu spät sein würde, um mit Dir zu reden... Sie kam sofort vorbei, ihr habt ein bißchen geredet, sie hat ein bißchen geweint...
Ich lag mit Dir in Deinem Bett, und urplötzlich sagtest Du 'jetzt muß ich sterben'... Totenstille im Raum... und ich höre mich noch heute sagen 'ja, Mama, das ist wohl so... willst Du hier bleiben, in Deinem Bett ? wenn Du das willst, dann schaffe ich das auch' und Du sagtest 'ja'...
Du warst sehr unruhig, und irgendwann in der Nacht habe ich Dich wieder mal gefragt, ob Du Schmerzen hast... Du sagtest 'Barbara, Du mußte nicht mehr mit mir sprechen, ich bin doch tot'... Nein, das warst Du nicht, Du warst zwischen den Welten, nicht mehr ganz hier und noch nicht dort. Und das habe ich Dir auch gesagt... und Dich gefragt, ob Du Dich darauf freust, Deine Eltern wiederzusehen...
Nach einer Zeit hast Du mich weggeschickt, ich solle schlafen gehen, ich sei müde und müsse schlafen... Und so bin ich auf mein Lager, Con lag in einem Sessel am Fußende, und meine Freundin auf dem Boden vor Deinem Bett, damit Du nicht rausfallen könntest. Sie würden mich wecken, wenn nötig...
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Johann Gottfried Herder
Barbara 64
25.12.2005, 09:43
Nach sechs Stunden Tiefschlaf bin ich aufgewacht. Du hast geschlafen, Con war schon wach und hatte Kaffee gekocht. Deine Nacht war unruhig, aber Du hattest allem Anschein nach keine Schmerzen.
Dein Arzt kam vorbei, Du bist von der Klingel aufgewacht. Infusion wolltest Du keine mehr, überhaut wolltest Du gar nichts, nur in Ruhe und alleine gelassen werden. Wir konnten Dich kaum verstehen, und Du warst ziemlich unzufrieden, doch irgendwann hatten wir es verstanden... Alle raus, Du woltest allein sein und sterben...
Später hat dann das Sanitätshaus angerufen, sie wollten das Pflegebett liefern. Ich habe abgelehnt. Für die Stunden, die Dir noch blieben, wollte ich Dir keinen Transport durch das enge Treppenhaus zumuten. Con hat mich bestärkt in der Entscheidung, Du warst kaum mehr ansprechbar, und Du würdest Dein Wohnzimmer nicht mehr genießen können, also wofür eine solche Tortur, zumal wir zumindest einen fremden Helfer gebraucht hätten...
Als Deine Pflegerin kam, haben wir nur das Nötigste zusammen gemacht, Du hast protestiert und wieder mit Nachdruck verlangt, alleine zu sein...
Die Sonne schien Dir ins Gesicht, ich wollte den Rolladen soweit herunterlassen, daß Du nicht geblendet wurdest... Du hast sofort protestiert, Laden oben und Fenster auf und alle raus...
Ach, Mama... Abwechselnd haben wir oben vor der Schlafzimmertür gewacht, falls Du rufen würdest, wollte ich sofort bei Dir sein... Ein paar Mal habe ich versucht, zu Dir rein zugehen, einmal hast Du mich auch für einige Zeit an Deinem Bett behalten. Du warst sehr unruhig, alles schien Dich zu stören. Wir haben dann die Betteinlage gegen ein Handtuch ausgewechselt, und Du wurdest ein bißchen ruhiger. Dein Körper hat gekämpft, Atemzug um Atemzug, mittags warst Du überhaupt nicht mehr ansprechbar, doch immer noch wurdest Du sehr unruhig, wenn einer von uns zu Dir ins Zimmer kam und blieb.
Ich war sehr unsicher, wollte Dich nicht alleine lassen, wer will schon alleine sterben. Doch Con meinte, wir sollten das respektieren, es sei schwer für Dich, zu gehen, und offenbar war es noch schwerer, wenn Du nicht allein warst.
Ich saß auf Deiner Terrasse, rauchte, und ständig ging das Telefon... Ich bin immer wieder mal zu Dir gegangen und habe Dir die Grüße ausgerichtet, ich glaube, daß Du das auch irgendwie mitbekommen hast, zumindest warst Du ruhig in der Zeit. Nur bleiben durfte ich nicht.
Irgendwann zwischen zwei und drei hatt ich plötzlich ein merkwürdiges Gefühl... Ich 'mußte' an Dein Stammbuch denken. Ich wußte, es lag im Haustresor, wo der Schlüssel lag, wußte ich nicht.
Meine Beine trugen mich in den Keller, meine Hände lösten die Wandverkleidung vor dem Tresor, und dann faßte ich in eine Nische (in der ich im Leben nicht gesucht hätte), zog den Tresorschlüssel heraus und holte Dein Stammbuch aus dem Tresor... Und dann war ich wieder 'Ich'...
Ich ging nach oben, um Con zu erzählen, was geschehen war... Con war auf dem Weg zu mir... Du warst extrem unruhig gewesen für einige Minuten und jetzt plötzlich ganz ruhig, kein Kampf mehr... Ich habe mich gefragt, ob Du meinetwegen kämpfen mußtest, solange, bis ich endlich die Ruhe hatte, mich ein wenig zu entspannen... Ich hatte etwas derartiges vorher noch nie erlebt. Rein theoretisch hätte ich es wohl für möglich gehalten... vielleicht...
Ich war nun auch viel ruhiger. Ich bin zu Dir gegangen und habe Dir gesagt, daß ich das Stammbuch nun habe. Du hast das ja längst gewußt... Und ich habe Dir gesagt, daß ansonsten soweit alles klar ist, ich würde mich zurechtfinden. Dann habe ich mich eine Weile neben Dein Bett auf den Fußboden gesetzt und Deine Hand gehalten. Du hast sie mir nicht lange gelassen und wurdest dann auch wieder unruhiger, bis ich wieder rausgegangen bin.
Kurz nach halb fünf habe ich plötzlich daran gedacht, daß der Rolladen bei Dir um fünf automatisch runtergehen würde. Also bin ich nach oben gekommen, um den Stecker rauszuziehen...
Und so warst Du dann bei Deinen letzten Atemzügen doch nicht allein. Im ersten Moment war ich nicht sicher, hatte nur das Gefühl, Du gehst... Nach diesem langen Kampf war es ein ruhiges Ende.
Bis neun haben wir Dich zu hause behalten, die ganze Zeit war der Rolladen oben und das Fenster gekippt, ich habe Dir eine Kerze ans Bett gestellt, und wir waren immer wieder bei Dir.
Ich bin zu den zwei Nachbarn gegangen, die auch in den letzten Wochen noch menschlich waren und den Kontakt zu Dir gehalten haben. Die meisten haben – wenn überhaupt – mich immer wieder gefragt, wie es Dir geht, nicht angerufen, nicht vorbeigekommen, ‘sowas‘ schaut man sich wohl nicht an... Ich fand das sehr traurig für Dich, Du auch, ich weiß... Die Nachbarn, denen Du über Jahre so viel Einfluß auf Dein Leben eingeräumt hattest, deren Meinung Dich immer wieder verletzen konnte... Sie alle waren viel zu feige, um sich bei Dir zu zeigen, es war aber gewiß besser so, es hat völlig gereicht, daß ich mir die dummen Sprüche angehört habe.
Als der Bestatter kam, ist Con mit nach oben gegangen, ich wollte nicht dabeisein, wenn sie Dich die Treppe hinunter aus Deinem Haus tragen. Ich habe dem Wagen noch nachgeschaut, Mama, innerlich für einen Moment völlig leer. Es war vorbei.
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