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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Nach 14 Jahren Krebs ist meine Mutter verstorben


Neo Plasms
07.09.2009, 01:14
„Entschlafen dürfen, wenn man müde ist, und eine Last fallen lassen dürfen, die man sehr lange getragen hat, das ist eine köstliche, eine wunderbare Sache.“, diese Worte in Anlehnung an Hermann Hesse hat meine Mutter aufgeschrieben und sich für ihre Todesanzeige gewünscht.

Heute vor einem Monat, gerade einmal im 66. Lebensjahr, ist meine Mutter im Beisein der Familie verstorben.

1995 ist meine Mutter das erste Mal an einem Brusttumor erkrankte. 1998 bekam sie ein Rezidiv. 2004/2005 ist bei ihr ein Pankreaskarzinom diagnostiziert worden, das erfolgreich operiert werden konnte. Aber auch hier hat sich, im Herbst 2007, ebenfalls ein Rezidiv entwickelt. Folglich war nur noch eine (sinnvolle) Behandlung mit Chemotherapie möglich. Nachdem leider Tarceva bei meiner Mutter nicht anschlug, war somit keine weitere Therapie mehr möglich.
Nach all diesen schweren gesundheitlichen Schicksalsschlägen hatte meine Mutter zu allem Überfluss vor wenigen Wochen zusätzlich einen durch mehrere Schlaganfälle hervorgerufenen Autounfall sowie eine damit im Zusammenhang stehende Endokarditis.

Dass meine Mutter aus dem verunfallten Fahrzeug lebend, bis auf eine kleine Schnittwunde unverletzt, herausgekommen und sonst bei dem Unfall kein Dritter zu Schaden gekommen ist, grenzt, wie der gesamte übrige Krankheitsverlauf meiner Mutter, an ein Wunder.

Die Endokarditis war so schwerwiegend, dass sie eigentlich chirurgisch hätte behandelt werden müssen, doch der Gesundheitszustand ließ dies auf keinen Fall zu.

Erstaunlicherweise hat meine Mutter innerhalb weniger Tage nach den Schlaganfällen wieder recht gut sprechen gekonnt, dafür war jedoch ihr Gesamtzustand sehr schlecht. Schon mehrere Jahre hat sie sich mehrfach dahingehend geäußert, irgendwann einmal kein Pflegefall sein zu wollen.

Meine Mutter hat alle ihr noch zur Verfügung stehenden Kraft mobilisiert, um aus dem Akutkrankenhaus in eine Reha-Klinik entlassen zu werden. Einer Freundin hatte sie gesagt, dass sie noch drei Wünsche bzgl. ihrer Gesundheit hätte: Sich eigenständig anziehen und eigenständig essen zu können sowie mit einem Rollator ein paar Schritte gehen zu können. Mundgerecht vorbereitete Portionen konnte meine Mutter noch im Akutkrankenhaus selbst sehr langsam zu sich nehmen, auch Trinken mit dem Strohhalm funktionierte relativ gut.

Nur wenige Tage nachdem meine Mutter in der Reha-Klinik ankam, und wir ihr noch einmal bei zwei sehr kurzen Spaziergängen im Rollstuhl den See, an dem die Klinik gelegen ist, zeigen konnten, setzte meine Mutter Teerstuhl ab.

Einen Tag zuvor sagte meine Mutter als wir sie besuchten, dass sie nicht mehr könne, keine Kraft mehr habe und auch nicht mehr wolle.

Da meine Mutter selbst noch ansprechbar war konnte sie sich äußern, dass sie, so ihre Formulierung nach Auskunft des Arztes, „das volle Programm“ haben wollte, d.h. Intensivstation. Das hat meinen Bruder und mich sehr erstaunt, da meine Mutter sich bzgl. lebens- und damit ggf. leidensverlängernden Maßnahmen auf der Intensivstation angesichts ihrer Grunderkrankung stets sehr skeptisch bzw. ablehnend äußerte.

Durch Bluttransfusionen konnte zunächst der Hämoglobin-Wert auf ein recht passables Niveau angehoben werden und es sah kurzzeitig so aus, als wenn eine Stabilisierung geschafft werden könnte.

Doch schon am nächsten Morgen war der Hb-Wert wieder auf ein lebensbedrohliches Maß abgefallen. Es wurde ein letzter Versuch unternommen mittels Magenspiegelung den Grund des Blutverlustes ausfindig zu machen, um ggf. entgegensteuern zu können. Leider wurde die Blutungsursache nicht gefunden und meine Mutter wurde, da man nichts medizinisch Sinnvolles mehr für sie tun konnte, auf ein Einzelzimmer der regulären Station verlegt.

Für uns als Familienangehörige wurde freundlicherweise ein Zustellbett sowie ein Schlafstuhl ebenfalls in das Zimmer gestellt, so dass wir rund um die Uhr bei ihr sein konnten.

Drei der engsten Freundinnen meiner Mutter, die „quer“ über Deutschland verteilt wohnen, reisten an, um sich zu verabschieden.

Nachdem Morphin und Tavor endlich wirkten, wurde die Atmung zunehmend langsamer und meine Mutter schlief, nach einem langen Kampf gegen den Tod, für immer ein.

Was ich hier sehr gerafft versucht habe dazulegen, war extrem belastend und alles andere als leicht. Auch wenn es sich seltsam anhört, aber die Zeit in der Akut-Klinik nach den Schlaganfällen würde ich als „gute Zeit“ bezeichnen, die wir noch mit meiner Mutter verbringen konnten. Jedoch war die Zeit ab der Intensivstation fürchterlich, schrecklich, schauderhaft, grausamst und brutal – eigentlich fällt mir kein passender Ausdruck ein. „Ich habe so viel Angst, wie noch nie in meinem Leben!“, hat meine Mutter noch mit sehr schwacher Stimme auf der Intensivstation gesagt.

Am grausamsten war aber die Zeit auf der Intensivstation bis zum Beginn der letzten Magenspiegelung – ich kenne keinen grauenhafteren Geruch als den von Meläna.

Trotz der schweren Krankheiten und zahlreichen Chemotherapien hatte meine Mutter eine recht gute Lebensqualität und - vor allem - einen enormen Lebenswillen. Es war eine gute Entscheidung, das Rezidiv des Pankreaskarzinoms nicht in Hamburg chirurgisch behandeln zu lassen.

So gerne wäre meine Mutter 100 Jahre alt geworden – sie fehlt mir!

Mike

Elfie
07.09.2009, 08:49
Lieber Mike, ich sende Dir und Deiner Familie stille Grüsse und viel Kraft. Elfie aus OWL

Katharina
07.09.2009, 09:35
auch ich sende Dir traurige Grüße aus Berlin...

Elisabethh.1900
07.09.2009, 09:39
Lieber Mike, ich möchte Dir mein tiefempfundenes Beileid aussprechen!

Vielen Dank für den ausführlichen Bericht, den Du heute im Forum veröffentlicht hast!

Sei still umarmt!

Elisabethh.

Franz 1975
07.09.2009, 12:14
Lieber Mike,

auch von mir an dieser Stelle tiefes Beileid.

Meine Mutter wurde vor 2 Wochen auch von Prof. Bühler operiert.
Ich hoffe, ich bete, dass meine Mutter noch ein paar Jahre zu leben hat und sie ähnlich wie deine Mutter über einen starken Lebenswillen verfügt.

Deiner Mutter geht es jetzt bestimmt sehr gut.

Es gibt nichts auf dieser Welt vor dem ich mich mehr fürchte, als das sie nur noch kurze Zeit bei uns sein wird.

In herzlicher Umarmung

Franz