PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Tod und Schuld


ebarbara
29.03.2012, 19:50
Mein Vater ist diese Woche gestorben,
ich war die letzten zwei Monate seit der Diagnose jeden Tag bei ihm. Die letzten 2einhalb Wochen hat er auf der Palliativstation verbracht.

Er hat sehr gelitten, hatte einen schlimmen Todeskampf und zunächst war es auch eine Erleichterung, weil es in der Situation auf jeden Fall eine Erlösung war und ich das starke Gefühl hatte (und habe), das es ihm jetzt besser geht.

Aber auf einmal bekomme ich sehr starke Schuldgefühle.
Die Krankheitsgeschichte meines Vaters ist folgende:
Vor 5einhalb Jahren hatte er Speiseröhrenkrebs, dieser wurde erfolgreich operiert. Das war eine schlimme Zeit, weil er danach sehr lang im Krankenhaus war, es viele Komplikationen gab. Er hatte mit starken Einschränkungen zu leben.
Ich hatte danach das starke Vetrauen, dass es nicht wiederkommt. Vielleicht war ich zu naiv, vielleicht habe ich den Gedanken, dass der Krebs wiederkommen kann auch verdrängt. Ich bin 23 Jahre und habe nicht viel 'Erfahrung' mit Krebserkrankungen. Aber natürlich habe ich mich immer gut informiert und gelesen und gewusst, dass es gerade bei diesem Krebs eine hohe Rezidivgefahr gibt.

Als das damals erstmal durchgestanden war, war ich gerade mit dem Abi fertig. Und ich wollte weg, weil das alles zuviel für mich gewesen war und ich einfach weg wollte von den ganzen schlechten Erinnerungen und Problemen.

Ich bin dann weiter weg gegangen, um mein Traumstudium zu beginnen.


Und jetzt
habe ich so große Schuldgefühle, dass ich nicht näher am Zuhause geblieben bin, dass ich nicht öfter heimgekommen bin, dass ich mich nicht mehr um meinen Vater gekümmert habe, dass wir nicht mehr unternommen haben, dass ich ihn nicht öfter angerufen habe.
Es ist mir bewusst, dass es absolut sinnlos ist, das zu denken, weil man es nicht mehr ändern kann, aber die Gedanken sind schwer loszuwerden.

Wie soll man mit diesen Schuldgefühlen umgehen?

Monika Anna
29.03.2012, 20:24
Hallo Barbara,

zuerst mal meine Herzliche Anteilnahme zum Tod Deines Vaters.
Ich bin viel älter als Du und habe 2 Kinder, die nicht viel jünger sind als Du. Es wäre ganz furchtbar für mich, wenn meine Kinder sich mit solchen Schuldgefühlen rumschlagen würden. Ich wünsche mir für meine Kinder, dass sie ihr Leben beginnen. Auch weiter weg, wenn es ihr Wunsch ist. sie sollen sich ihre Wünsche erfüllen, so wie ich es in dem Alter auch durfte.
Du hast Deinem Vater beigestanden. Hast Dich informiert und so weiter. Und Dein Vater wollte bestimmt auch, dass Du Dein Taumstudium machst.
Es ist sehr schwer, in der Situation zu trösten, wenn nicht gar unmöglich.
Ich wünsche Dir, dass Du von diesen Gedanken loskommst und viel Kraft um alles zu verarbeiten.
liebe Grüße und alles Gute für Dich
Monika Anna

HelmutL
30.03.2012, 03:57
Hallo Barbara,

zunächst mein Mitgefühl zum Tod deines Vaters.

Schuldgefühle ..... Das Wort passt nicht so ganz. Man empfindet es ja nicht nur als eine gefühlte Schuld. Eine gefühlte Schuld würde ja abwiegeln und verdrängen in dem Sinne: es ist ja keine wirkliche Schuld, ich fühle es ja nur als solche. Im Gegenteil. Man weist sich ganz konkrete Schuld vor. Wenn keine offensichtliche greifbar ist, dann sucht man sich welche. Meist wird man dann auch fündig. Ob eingebildet oder nicht. Meist ist es eingebildet.

'An etwas schuld sein' heißt doch, man hat etwas getan, was Auswirkungen auf das eigene und das Leben eines anderen Menschen hat. Man kann sagen: "Ich bin schuld, dass es dem Anderen schlecht geht". Im Gegensatz dazu jedoch auch: "Ich bin schuld, dass es dem Anderen gut geht". 'An etwas schuld sein' heißt also, für das eigene Tun die Verantwortung zu tragen. Sei das Tun nun gut oder schlecht. Das mal so dahin gestellt.

2 Jahre hab ich meine Frau begleitet, war immer für sie da, hab Entscheidungen getroffen, wo nötig. Hab mit gelitten, mit gekämpft. Was hätte ich mir vorwerfen sollen? So weit, so gut. Was passiert? Ich tue genau das gleiche wie du. Ich fragte mich: "Wo hab ich falsch gehandelt? Was hätte ich anders machen müssen? Wo hab ich versagt? Wo hab ich etwas nicht getan, obwohl nötig? Für welche Schuld trage ich die Verantwortung?" Ich habe meine Antwort gefunden. Hat schmerzlich lange gedauert. Welche, das tut nichts zur Sache.

OK, was solltest du nun für dich tun? Nachdenken. Ohne Panik. Und ja, natürlich auch Gründe suchen, warum es für dich richtig war, genau so zu handeln. Das Leben deines Vaters hättest du nicht verlängern können und bei seinem Sterben warst du bei ihm, wie ich gelesen habe. Du bist jung, hast keine Erfahrung, die Situation hat dich verständlicherweise überfordert.

Ich fälle kein Urteil. Das liegt mir absolut fern. Das Urteil zu fällen liegt allein in deiner Hand. Gehe gerecht, jedoch auch gnädig mit dir um. Vielleicht auch anderen zu hören, jedoch das Gehörte überdenken, richten. Sondiere genau, wer was zu sagen hat und wer nicht.

Als Letztes. Ganz wichtig. Egal, ob etwas richtig für dich war oder falsch: ziehe deine Lehre daraus und handele in Zukunft entsprechend. Dann wird dein Vater sehr zufrieden mit dir sein.


Alles Liebe,

Helmut

carla44
30.03.2012, 09:49
Liebe Barbara,

erstmal möchte ich Dich in den Arm nehmen und Dich festhalten. Du hast Deinen lieben Papa verloren, das tut mir sehr leid.

Was Du schreibst, kann ich nur voll und ganz unterstreichen. Ich habe, obwohl ich nur 30 min von meinen Eltern entfernt wohne, auch wenig Zeit mit ihnen verbracht in den letzten Jahren. So viele Tage, die wir uns nicht gesehen haben, nur ein-, zweimal pro Woche telefoniert. Selbst an den WE haben wir kaum mal was zusammen gemacht. Geburtstage mal ausgenommen.

Nun ist es zu spät. Und ich mache mir die gleichen Gedanken wie Du, obwohl ich Deine Mutter sein könnte (vom Alter her).
Aber ändern kann ich es nciht mehr. Und auch meine Eltern haben von sich aus wenig Kontakt gesucht, sind manchmal sogar direkt bei uns vorbei gefahren und haben nicht geklingelt, weil sie dachten, dass wir vielleicht keine Zeit hätten...
Nun ist es zu spät dafür.

Aber, konnte ich wissen, dass das mit meinem Papa so schnell so zu Ende gehen würde? Nein. Und auch Du konntest das nicht wissen. Du hast darauf vertraut, dass der erste Krebs besiegt war und er nicht wieder kommt. Mach Dir keine Vorwürfe,bitte. Dein Papa hätte sicher auch gewollt, dass Du Dein Studium machst.

Und, Du warst in seiner schweren Zeit für ihn da, hast ihn begleitet und unterstützt. Und das wird auch in Deiner Erinnerung wichtiger werden, denn das ist eine wirklich große Leistung.

Wir müssen jeden Tag so viele kleine Entscheidungen treffen und können nur in diesen Momenten das Beste für uns mögliche daraus machen. Mehr geht nicht.

Lass Dich noch mal umarmen.
Liebe Grüße
Carla

Tiina
30.03.2012, 10:02
Liebe Barbara,
ja, das ist eine schwierige Frage, wie man mit den Schuldgefühlen umgeht...

Ich hatte immer einen sehr engen Kontakt zu meiner Mutter und habe sie in dem Jahr ihrer Krankheit bis zuletzt intensiv begleitet. Trotzdem quälen mich auch Schuldgefühle - obwohl ich weiß, dass das völlig sinnlos ist...
- weil ich weiter gearbeitet habe und damit nicht immer für sie da war
- weil ich im Hospiz nicht nachts bei ihr geblieben bin bis auf die letzte Nacht
- weil ich nicht dafür gesorgt habe, dass sie an ihrem letzten Tag durchgänging sediert wurde usw

Wie sagte eine liebe Forumskollegin "Vorwürfe machen kann man sich immer"... Also ich bin mir ziemlich sicher, selbst, wenn Du extra für ihn zu Hause geblieben wärst, würdest Du Dir jetzt Vorwürfe machen - dass Du Dich nicht oft genug gekümmert hast, dass Du nicht lieb genug warst... Zusätzlich hättest Du aber vermutlich auch noch tief in Dir einen Groll auf Deinen Vater, weil Du für ihn auf Dein Traumstudium verzichtet hast - und es trotzdem nichts geholfen hat...

Wie oben angedeutet weiß ich nicht wirklich, wie man mit den Schuldgefühlen umgeht - aber mir hilft es am meisten, wenn ich mir überlege, was ich wirklich hätte anders tun können und was das bewirkt hätte.

Liebe Grüße,
Anja

Canaris
30.03.2012, 10:05
Auch ich stelle mir diese Frage oft und bin nicht geneigt einfach aus psycho-hygienischen Gründen zu sagen, dass "alles eh gut war und man keine Schuldgefühlen zu haben braucht".

Natürlich kann und sollte man sie haben, denn die meiste von uns wurden im Alltag abgelenkt und gingen trotz zwingende Gründe oft andere Sachen nach. Mann flieht, man will vieles nicht wahrhaben.

Ob und wie dass unsere Partnern oder Eltern sehen/sahen, vermag ich nicht zu sagen. Ich weiss nur dass meiner Frau zu anderen oft gesagt hat dass sie so stolz auch mich war, weil ich immer für sie da war.
Ich jedoch das selber oft ganz anders wahrgenommen habe.

Ich glaube dass ein gesundes Zweifeln an sein Wirken in so ein Sterbensprozess gesund und ehrlich ist.
Die wenigsten von uns sind Mutter Theresas und ehrlich gesagt würde ich auch dem misstrauen der sagen würde; "er/sie haben sich bis zum Selbstaufopferung hingegeben".

Ich glaube aber auch, dass diese Schuldgefühlen zum Trauerprozess gehören. man soll sie zulassen. Ändern kann man es eh nicht mehr. Man sollte sich irgendwann aussühnen mit seine Schuldgefühlen, denn in die allermeiste Fälle haben wir eh viel mehr getan, als wir selber wahrnehmen. Du hängst dich vielleicht fest an ein Moment als du nicht vor Ort warst und irgendwo anders warst wo es kein Krebs... kein Sterben gab. Vergisst aber die anderen Momente als du sehr wohl da warst.

Was ich sagen möchte ist dass ein bestimmtes Maß an Schuldgefühl wahrscheinlich sehr normal ist, und es die meiste von uns so geht. Diese Schuldgefühlen aber oft ein Realitätstest nicht standhalten würden.

HelmutL
30.03.2012, 14:04
Hallo Barbara,

sorry, manchmal bin ich schon sehr theoretisch. Ist so meine Art, wenn ich mir prinzipielle Gedanken zu einem Thema mache. Nicht jeder und nicht jeder in jeder Situation muss das auch verstehen.

Canaris hat recht mit seiner Aussage zu psycho-hygienischen Gründen. Eine solche Einstellung, dass "alles eh gut war und man keine Schuldgefühlen zu haben braucht", das wäre verlogen, oberflächlich und Verdrängung. Der Knackpunkt ist nicht die Tatsache, dass wir als Menschen Fehler machen, sondern dass wir Menschen sind und aus unseren Fehlern lernen können. Ich würde lügen, wenn ich sage, ich hätte keine gemacht. Doch zu dem Zeitpunkt, an dem man die Fehler macht, kann man nicht immer abschätzen, ob es auch Fehler sind. Wie man so schön sagt: "Im Nachhinein ist gut reden".

Wie auch andere schrieben sind Schuldgefühle in der Trauer ganz normal. Es ist etwas schreckliches passiert, dein Vater ist gestorben. Nur zu gerne hättest du das verhindert oder würdest die Zeit zurück drehen wollen oder hättest Verschiedenes gerne anders gemacht.

Dein Vater hat damals etwas getan, was jeder Vater für seine Kinder tun muss: er hat dich losgelassen, damit du dir dein Leben frei aufbauen kannst. Davon geh ich aus. Ob bewusst oder unbewusst spielt dabei keine Rolle. Das liegt in seiner alleinigen Verantwortung (Schuld) als dein Vater. Er musste das tun, er hatte nicht wirklich eine Wahl. Alles andere wäre falsch gewesen. Niemand konnte damals wirklich wissen, was wann und wie kommt und in der schwersten Zeit seines Lebens warst du bei ihm. Väter, und Mütter natürlich auch, lieben ihre Kinder normalerweise auch ohne, dass diese ihre Liebe zu ihm oder zu ihr ständig beweisen müssten. Liebe kann man sowieso nicht beweisen. Man kann sie den Anderen spüren lassen. Genau das hast du in der schwersten Zeit seines Lebens getan.

Auch ich liebe meine Töchter. Selbst dann (oder vielleicht sogar deswegen :shy: ), wenn ich sie manchmal nur zu gerne an die Wand nageln möchte. OK, sie mich auch. Beides. Da bin ich mir sicher. ;)


Alles Gute,

Helmut

ebarbara
02.04.2012, 16:13
Hallo liebe Leute,

danke für eure Worte. Sie helfen mir!

Es ist so, wenn ich länger darüber nachdenke, finde ich auch bei den anderen in meiner Familie, meiner Mutter und meiner Schwester, "Schuld".
Ich würde ihnen das aber nicht vorwerfen. Das sollte die Aufgabe von jedem für sich selbst sein, herauszufinden, was man besser gemacht hätte.

Und da ich mit mir auch nicht strenger sein will als mit anderen, werde ich versuchen, das für mich abzuschließen.

Ich habe meinem Vater einen langen Brief geschrieben, unter anderem die Dinge aufgeschrieben, die ich besser hätte machen sollen und mich dafür entschuldigt.

Ich habe ihm darin auch die Dinge verziehen, die mich von seiner Seite gekränkt haben und die noch immer irgendwo gespeichert waren.

Ich denke, es ist bei ihm angekommen.


Ich habe die letzten Tage viel nachgedacht über das Leben, den Tod, Schicksal.

Ich für meinen Teil glaube schon, dass es so etwas wie einen 'Schicksalsrahmen' gibt. Die Dinge kommen, wie sie kommen sollen.

Wenn mein Vater schon vor 5 jahren gestorben wäre (1. Mal Krebs) hätte ich das Traumstudium ziemlich sicher nicht angefangen. Die Verantwortung/ Verpflichtung, sich um alles hier zu kümmern wäre warscheinlich größer gewesen.

Deswegen denke ich jetzt, es sollte so sein. Ich sollte das Studium anfangen. Das war/ und ist mein richtiger Weg.

Es ist natürlich immer leichter sich aufs Schicksal 'rauszureden'. Aber je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr denke ich, dass alles seinen Sinn hat.


Alles Liebe,
ebarbara

dorisau
03.04.2012, 11:10
Hallo Babara!

Das tut mir sehr leid mit Deinem Papa und ich kann Deine Schuldgefühle die Du hast sehr gut nachvollziehen weil ich ähnliche Fragen in meinen Kopf habe seit meine Mama gestorben ist.

Bei Ihr sind von der Diagnose bis zu Ihrem Tod nur 5 Wochen vergangen und ich frage mich ob ich Ihr eh oft genug gesagt habe wie sehr ich Sie lieb hab´, ob ich Sie öfter zu Besuch einladen hätte sollen, ob ich Ihr die letzten Wochen schöner machen hätte können, wenn ich gewusst hätte das Sie nur mehr so kurz bei uns ist u.s.w.

Auf all´diese Fragen die ich habe erhalte ich auch keine Antwort mehr und das belastet mich auch 4 Jahre nach Ihrem Tod noch immer sehr.

Ich hoffe das Du schneller als ich zu Ruhe kommst und wünsche Dir alles liebe und gute für Deine weiteren Lebensweg!

Liebe Grüße
Doris