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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Weiß nicht weiter...


23.03.2004, 15:08
Ich weiß, ihr alle habt ein schweres Schicksal zu tragen. Was ihr alle durchlebt, tut mir so unendlich leid. Mein Gott, wenn ich doch nur helfen könnte - Euch allen und meiner Familie - vielleicht auch irgendwie mir selber. Ich fühle mich so schuldig und hilflos, so klein und so allein. Ich kann's gar nicht richtig ausdrücken, heute ist ein sehr trauriger Tag für mich. Mein Bruder ist jetzt 1 1/2 Monate tod und jeden Tag wird es schlimmer. Ich verliere den Boden unter den Füßen. Warum stehe ich überhaupt noch auf? Er war der Einzige in meinem Leben, der mich wirklich 100%ig verstanden hat. Ich ertrag das nicht mehr ihn zu vermissen. Hätte ich ihm doch helfen können, ich hätte so gerne mit ihm getauscht. Ich wollte nicht zusehen, wie er stirbt. Es ist alles so sinnlos. Ich weiß nicht mehr, warum ich morgens aufstehe, hab das Gefühl der Schmerz und die Sehnsucht werden immer schlimmer. Es zerreißt mich momentan. Ich will bei ihm sein. Ich halte das nicht aus ohne ihn und kann nicht mehr in den Spiegel gucken, weil ich lebe und er ist tod.

Es tut mir leid, dass ich Euch mit meinem Text so überfallen hab. Ich habe oft einfach still mitgelesen, aber jetzt weiß ich einfach nicht mehr weiter. Ich zitter nur noch und schüttel mit dem Kopf. Langsam wird mir alles klar und ich weiß nicht, was ich machen soll.

Ich weiß, Euch allen sitzt der Kummer auch so in der Seele und ich schäme mich, weil ich mit dem Tod nicht umgehen kann und Euch noch mehr belaste. Vielleicht weil ich so jung bin, aber ich hab das Gefühl, mein Leben ist vorbei. Heute ist so ein verdammt schlimmer Tag, ich weiß nicht mehr weiter. Mit meiner Ma kann ich nicht darüber reden, es zerreißt mich bald , aber in ihrer Gegenwart ist mein Hals wie zugeschnürt. Ich finde dann keine Worte...

23.03.2004, 16:13
Liebe Steffi,

vorerst tut es mir innigst leid, dass es dir sehr schlecht geht. Ich kann sehr gut nachfühlen wie es im Moment in Dir aussieht.
Bitte schäme Dich nicht hier zu schreiben und denke nicht, dass Du uns damit belastet. Wir fühlen ja eigentlich alle dasselbe.
Weine, wenn Dir zumute ist, versuche mit einer besten Freundin darüber zu reden. Gib Dir einen Stoß und rede mit Deiner Ma, vielleicht möchte auch sie mit Dir darüber sprechen und traut sich nicht so wie Du. Versuch es bitte mit jemanden zu reden, es hilft. Du kannst nicht alles mit dir alleine ausmachen.
Gebrauche auch dieses Forum um zu schreiben, hier bist du gut aufgehoben.
Wenn Du in den Spiegel siehst denke Dir, dass Dein Bruder nicht mehr leiden muß. Ich weiß ja nicht genau woran er gestorben ist, aber jetzt muß er nicht mehr leiden. Es ist wirklich kein Trost, aber ich denke mir auch immer: Meiner Mum konnte man nicht mehr helfen und jetzt muß sie nicht mehr leiden. Es tröstet zwar nicht wirklich, aber hilft doch ein wenig. Denn leiden wollte ich sie ja auch nicht sehen.
Wenn schon die Ärzte nicht mehr helfen konnten, mache Dir bitte keine Vorwürfe, denn wir können es schon gar nicht. Wir können nur helfen wenn wir füreinander da sind und jetzt mußt Du stark sein, denn Deine restliche Familie braucht Dich jetzt, glaub mir.
Sei gedrückt und halte bitte den Kopf hoch

23.03.2004, 16:24
Liebe Steffi,meinen Schwiegervater mußten wir vor 16 Wochen beerdigen.Meinem Mann fällt es heute noch schwer,auch nur ein Wort über ihn zu sagen,aber er zieht seine Hemden und Pullover ständig an,es ist wohl seine Art bei ihm zu sein,zu trauern.Unserer siebenjährigen Tochter,die in den vier Sterbetagen auch immer mit beim Opa war,habe ich gezeigt,das jeden Abend am Himmel ein Stern ganz hell leuchtet und ihr Opa ihr so Gute Nacht sagt.Such Dir einen Weg für Deine Trauer,ich denke den ersten Schritt dazu hast Du schon getan,indem Du uns teilnehmen läßt und keinen hier belastest.Ich wünsche Dir für heute Abend einen blinkenden Stern,deine Susanne

24.03.2004, 07:54
Danke für Eure lieben Antworten! Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll... Das Sprechen fällt mir so schwer zur Zeit, kann mich nicht so gut ausdrücken. Mein Bruder hatte ein Nebennierenrindenkarzinom und hat sich so gequält das letzte halbe Jahr. Konnte nicht mehr aufstehen, überall guckten die Metastasen aus seinem Körper, hat fast ständig wirr gesprochen und ohne Morphium hätte er keine Stunde überstanden. Ich konnte ihm nicht helfen, deswegen schäme ich mich so. Ich sitze hier und er? Er hat alles versucht, an Studien teilgenommen, Chemo, Operationen und niemand konnte ihm helfen. Selbst sein Tod war so qualvoll, dass es mich auch nicht trösten kann, dass er jetzt keine Schmerzen mehr hat. Ich kann ohne ihn nicht leben, mir ist den ganzen Tag schlecht, ich kann nichts essen, kann nicht schlafen. Was ist das für eine Zukunft ohne ihn?

Wenn ich am Friedhof bin, ist es am schlimmsten. Nachts schlafe ich nur mit seiner Lieblinsstrickjacke im Arm ein, dann ist er bei mir irgendwie. Aber am Friedhof, da liegt er jetzt verbrannt in einer Urne. Nein, ich schaff das nicht, ich wil bei ihm sein. Warum trifft es immer die Guten? Warum hat der liebe Gott nicht mich genommen? Ich wollte ihm nicht beim Sterben zugucken, ich ertrag die Bilder nachts nicht. Das frisst mich auf! Ich lebe und er ist tod, das ist doch nicht gerecht! Das poltert jetzt alles auf mich ein, die Gefühle erschlagen mich, ich kann damit nicht umgehen.

Es tut mir so leid, dass ihr auch so liebe Menschen verloren habt, ich wünschte ich könnte irgendwie helfen. Aber nicht mal das kann ich. Es tut mir leid!

Ich kann jetzt nicht mehr weiterschreiben, muss erstmal an die frische Luft.

Danke für Eure offenen Ohren! Ich weiß gar nicht, wie ich Euch danken soll!

24.03.2004, 08:29
Guten Morgen Steffi,ich schreibe ganz bewußt "Guten Morgen ",denn es ist wieder ein neuer Tag,den Du mit uns verbringst.Du hilfst uns,indem Du uns an deiner Trauer teilhaben läßst und wir auch alle so spüren können,nicht allein zu sein.Steffi,kein Mensch weiß,wann sein Ende da ist,ob gut oder schlecht,jeder Mensch hat nur ein Leben.Wollte Dein Bruder,das Du bei ihm wärst?Ich denke,Du schaffst Deinen Weg,Du bist mittendrin und hast ja den ersten Schritt getan.Schreib Deinem Bruder einen Brief,verbuddle ihn im Grab,so kannst Du ihm alles sagen,was Dir wichtig ist.Du warst bei ihm,mehr können wir alle nicht wünschen,wenn der Tod naht.Wieviele Menschen streben allein,in Krankenhäusern oder auch zu Hause,er war nicht allein,Du bist den wichtigen,letzten Weg mit ihm gegangen,das nimmt Dir keiner und Du hast ihn immer in deinem Herzen,nur,ihm folgen wäre bestimmt nicht in seinem Sinne.Ich wünsche Dir für HEUTE einen Sonnenstrahl,der Dich umarmt,morgen sehen wir dann weiter,dann ist wieder ein neuer Tag,ich denke fest an Dich,Susanne

24.03.2004, 08:40
Liebe Steffi,

Auch ich wünsche Dir einen guten Morgen, egal ob es regnet, schneit oder stürmt. Du bist hier im Forum, und das ist das Wichtigste.
Keiner von uns erwartet so früh nach Deinem Abschied von Deinem Bruder, daß Du Dich unserer Trauer, unserem Schmerz annehmen sollst. Komm einfach rein, schreib Dir Deinen Schmerz von der Seele.
Wir alle suchen für uns den "besten" Weg damit umzugehen. Bitte laße Deine ganze Trauer so zu, wie sie Dich überkommt.

ganz liebe Grüße
laß Dich still umarmen
Jutta

24.03.2004, 14:33
Liebe Steffi, ich bin noch total ergriffen über Deine Worte. Beim Lesen sind die Tränen nur so aus den Augen geschossen! Was bist Du doch für ein wertvoller Mensch! Dein Bruder ist ganz bestimmt unheimlich stolz auf Dich, Du bist so voller Gefühle und Liebe für ihn - über den Tod hinaus- Ich glaube ganz fest daran, daß er nun
von oben ebenso voller Liebe auf Dich herabschaut.Laß Deine Trauer und Deinen Schmerz über seinen Tod zu!Ich bin "Gott sei Dank" auch mit so einer Schwester belohnt worden. Du glaubst gar nicht, wie schön es ist, so geliebt zu werden, Du hast Deinem Bruder das wertvollste der Welt gegeben - Deine LIEBE!!
Ich drück Dich ganz doll, der liebe Gott gibt Dir bestimmt die Kraft, zu lernen damit zu leben.Liebe Grüße, Karin

24.03.2004, 18:04
Ich bin ganz gerührt wie ihr Anteil nehmt und der STEEFI Mut zusprecht.Ich kann keine schöneren Worte finden.
Ich wollte dir Stffi aber noch einen praktischen Tipp geben: Ge zum Arzt und lass dir für die nächsten Wochen etwas zum Schlafen verschreiben.Es gibt gute Medikamente die nicht abhängig machen. Und wenn du wenigstens schlafen kannst ist der halbe Tag gerettet.
Ich muste nach dem Tod meiner Mutter auch 4 Wochen was nehmen-das hilft wirklich weiter!

Viele liebe Grüße
Simone

25.03.2004, 10:39
Hallo ihr Lieben!

Es fällt mir auch heute wieder so schwer zu schreiben. Ihr seit alle so lieb zu mir, ich finde gar nicht die richtigen Worte Danke zu sagen, denn ihr gebt mir so viel Halt und Nähe damit, meine Traurigkeit zu ertragen.

Hab das Gefühl mein Leben aus dem Blick zu verlieren. In den letzten zwei Jahren gab es für mich nur meinen Bruder. Ich habe alles andere aus meinem Kopf verbannt, vieles aufgegeben und hab jeden Blick von ihm aufgesogen. Ich hab doch sonst niemanden, der mich versteht und der immer für mich da ist.

Das mit den Medikamenten zum schlafen werde ich versuchen. Ich habe jede Nacht so schreckliche Träume. Letzte Nacht habe ich geträumt, dass mein Bruder ertrinkt und ich ihm nicht helfen kann. Er hat mich angesehen, als er untergegangen ist.

Mir ist so kalt! Er fehlt mir so und ich verachte mich, weil ich nicht helfen konnte...

Danke für alles, ich kann schon wieder nicht weiterschreiben. Muss erstmal wieder etwas frische Luft tanken.

25.03.2004, 11:40
Hallo Steffi,
nach dem schmerzlichen Verlust, den ich durch den Krebstod meines einzigen Bruders erleben mußte, habe ich tiefe Trauer erlebt -und ich habe überlebt. Nun ist mir auch noch mein einziges Kind durch diese schreckliche Krankheit genommen. Ich weiß nicht, wie ich weiterleben soll. Auch ich konnte nicht helfen und das war am schwersten zu ertragen. Deshalb kann ich mich jedoch nicht verachten, weil das Sterben und der Tod nicht in unserer Macht stehen.

25.03.2004, 12:13
Kiebe Steffi,

Ich hoffe, daß Dir das frische-Luft-tanken ein wenig geholfen hat.
Du brauchst Dich bei uns nicht bedanken, wenn wir Dir schreiben. Wir wollen Dir nur sagen, wir sind hier, wir verstehen Dich und nehmen Dich mit unseren Worten liebvoll in den Arm.

Steffi, hast Du Dich in Deiner Umgebung einmal umgehört, ob es eine Selbsthilfegruppe für Hinterbliebene gibt? Vielleicht würde Dir das auch etwas helfen?

Du sollst Dich niemals verachten für etwas, über das Du keine Kontrolle hast. Zur tiefen Trauer gehören alle Gefühle, auch das Selbstmitleid, die Angst, oftmals die Alpträume. Sie all sind eine Begleiterscheinung, und zeigen Dir wie sehr Du Deinen Bruder geliebt hast.

Komme wieder rein, schreibe ohne zu denken, wie Du Dich fühlst.

eine liebe Umarmung
Jutta

26.03.2004, 09:30
Liebe Steffi,

ich weiß wie es Dir geht. Mein über alles geliebter großer Bruder (35 J.) ist vor 7 Monaten an einem Hirntumor verstorben. Oh ja, ich kenne die Bilder die des Nachts auftauchen, ich weiß wie es ist ganze Nächte wach zu liegen und sich die Seele aus dem Leib zu weinen. Doch glaube mir, die Bilder (auch wenn sie nie ganz verschwinden werden) werden nach und nach verblassen.

Ich habe auch noch täglich diese Momente in denen ich denke es müsste mich jeden Augenblich zerreißen, wo ich mich immer und immer wieder frage: Haben wir auch alles richtig gemacht??? Diese Fragen werden immer bleiben, aber ich bin davon überzeugt das mein Bruder in jeder Sekunde meines Lebens bei mir ist. Um es kurz zu erklären:

Ich habe im letzte Jahr geheiratet. Als wir den Termin gemacht haben wussten wir noch nichts von der Krankheit meines Bruders. Ich wollte die Hochzeit dann absagen, doch mein Bruder, obwohl er schon nicht mehr sprechen konnte, bestand darauf das die Hochzeit so statt findet wie geplant. Der Zustand meines Bruders verschlechterte sich täglich, er lag nun schon mit Windel und Kathedar im Hospiz, konnte lediglich noch den linken Arm und den Kopf bewegen. Keiner konnte ihm mehr helfen. Aber er bestand weiter darauf das wir heiraten. Es war eine merkwürdige Hochzeit, viele Tränen, teils aus Freude, teils aus Trauer. Nach der Trauung fuhr ich erstmal ins Hospiz, wollte ich doch meinem Bruder zeigen das ich nun verheiratet bin. Der Anblick riß mich schier von den Beinen. Er hatte mittlerweile Wasser in der Lunge, konnte kaum noch atmen, dieses blubbernde Geräusch verfolgt mich in meinen Träumen. Nach viel Überzeugungsarbeit meiner Schwägerin fuhr ich dann doch zurück zu unseren Gästen und versuchte irgendwie diese Hochzeitsfeier zu überstehen. Um 0.30 Uhr sah ich meinen Mann mit dem Handy am Ohr und wusste was los ist. Wir rasten wie verückt ins Hospiz, stürzten aus dem Fahstuhl und wurden dort schon von einer Schwester empfangen. Mein Bruder war um 1.15 Uhr für immer eingeschlafen. Es zeriß mich, ich bekam keine Luft, wollte schreien und lag dann doch nur weinend an der kalten Brust meines geliebten Bruders.

Ich werde nun damit Leben müssen das mein Hochzeitstag für mich nie ein so schöner und fröhlicher Tag sein wird, wie er es eigentlich sein sollte. Aber ich weiß genau ich habe meinem Bruder einen seiner letzten Wünsche erfüllt. Und das ist es wert!!! Was ich Dir damit nur sagen wollte ist: Mein Bruder hat mich sehr geliebt, er konnte erst dann beruhigt einschlafen, als er mich in guten Händen wusste. Meinst Du denn Dein Bruder würde wollen das Du Dir solche Vorwürfe für etwas machst, an dem NIEMAND hätte etwas ändern können??? Meinst Du nicht er würde sich für Dich vielmehr ein schönes, fröhliches, sonniges Leben wünschen? Ich denke wenn Dein Bruder Dich nur halb so viel geliebt hat wie Du ihn, dann wird er wollen das Du Dein junges Leben geniesst. Denn wie Du ja selber schmerzlich erfahren hast, kann es schneller vorbei sein als man denkt. Trauere um Deinen Bruder, aber lebe weiter. Das ist es was unsere Lieben von uns erwarten!!!

Fühl Dich gedrückt!!!

Silke

26.03.2004, 09:57
Guten Morgen Steffi,Guten Morgen Silke,Silke es ist das erste Mal,seit einiger Zeit,das ich wieder etwas von Dir lese.Ich bin auch Hirntumor-Patientin und habe Deine Seite dann auch im vergangenen Jahr still verfolgt.Du schreibst heute kraftvoller und anders als in der akuten Trauerphase.Darf man sich darüber freuen?Steffi,mein Gefühl sagt mir das Silke anders schreibt,positiver,Du spürst,auch die Trauer verändert sich immer wieder,wie sich das ganze Leben immer wieder wandelt.Dein Bruder hat Dir geholfen,diesen Weg zu finden,mit uns allen wirst Du ihn gehen lernen.Ich wünsche Dir und allen anderen einen sonnigen Tag und einen blinkenden Stern am Abendhimmel.Susanne

26.03.2004, 10:59
Ein liebes Hallo an Alle,

ich hab es gestern nicht mehr über's Herz gebracht weiterzuschreiben. Zu schreiben kostet viel Kraft und dann wird immer erst alles viel schlimmer. Aber heute denke ich, es hat geholfen - ein kleines Bisschen. Ihr helft mir alle auf so liebe Art dabei, zu verstehen, was passiert ist.

Die ersten Wochen nach dem Tod von meinem Ralfi, hab ich alles verdrängt, mich in meiner Wohnung verkrochen, den ganzen Tag an die Wand gestarrt, bin nicht ans Telefon gegangen. Jetzt merke ich, dass das vielleicht ein Fehler war, weil ich wenn ich alleine bin, in meiner Scheinwelt lebe, in der er noch da ist. Ich kann das gar nicht beschreiben, aber irgendwie streiche ich seinen Tod aus meinem Kopf, bilde mir ein, dass er noch lebt, höre unsere Lieblingsmusik, gucke unsere Lieblingsserien im Fernseher.

Erst dann, wenn ich hier schreibe oder bei meiner Mutti bin, wird die Wahrheit für mich sichtbar und schockiert mich jedes Mal auf's neue. Dann fange ich an zu zittern, zu weinen und möchte so schnell es geht wieder in meine (Schein-)Welt zurück. Er war für mich - oder nein - er ist für mich der wertvollste Mensch der Welt, von dem ich viel gelernt habe, dessen lachen, wenn sein Schwesterchen den Raum betreten hat, mir soviel gegeben hat. Das sind die Dinge, an die ich pausenlos denke.

Sein langer Kampf, seine Schmerzen, ja sogar die letzten Stunden mit ihm, als ich sah, wie nach und nach der Krebs und der Tod ihren Kampf gewonnen haben, das alles sind Bilder, die schiebe ich so oft es geht und so gut es geht weg.

Ich komme aus meiner Welt nicht raus und ich fühle mich jedes Mal wie gelähmt, wenn mich jemand "weckt".

Ich würde es gerne verstehen und ich würde auch gerne den Mut wiederfinden, aber mein Bruder hat mein Leben komplett gemacht und ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll.

Habt ihr auch in zwei Welten gelebt? In meiner Welt, in der er noch lebt, kann ich arbeiten gehen, den Alltag bewältigen, manchmal sogar lächeln. Aber sobald ich nicht mehr alleine bin, mit jemandem spreche, jemand mich "weckt", komm ich nicht mehr zurecht, habe das Gefühl vor lauter Traurigkeit durchzudrehen. Dann wird mir schwindling und ich fange an zu zittern.

Und das schlimmste ist, dass ich mit meiner Mutti nicht reden kann, es geht einfach nicht, keine Träne kommt, ich fühle mich wie ein Roboter. Das ist nicht schlimm für mich, aber für sie glaub ich sehr. Sie denkt bestimmt, ich bin kalt und habe kein Herz.

Ich kann daran aber irgendwie auch nichts ändern, ich möchte nur in meine (Schein-)Welt, nur so kann ich irgendwie leben, weil er da ist.

Liegt das dran, dass ich ihn nicht loslassen kann? Aber wie soll ich denn...

Ich bin so verzweifelt. Wie soll das Leben nur weitergehen ohne meinen Ralfi?

Danke für die lieben Umarmungen! Ihr gebt mir mehr Kraft als ihr Euch vorstellen könnt! Vielen Dank und viele Grüße

Steffi

26.03.2004, 16:53
Hallo Steffi,

hab` gestern auch kurz was geschrieben, aber gar nicht geschnallt, dass Du schon einige (sehr gute, liebe und treffende) Antworten bekommen hast. Dein erster Eintrag ist dreimal drin; zweimal habe ich noch registriert, aber mehr nicht. Bin gerade auch nicht gut drauf, weil mein Vater nur noch kurze Zeit zu leben hat.
Bestimmt hast Du Dir alle Antworten aufmerksam durchgelesen. Ist Dir da auch was aufgefallen? Niemand macht Dir irgendwelche Vorwürfe, dass Du was falsch gemacht hättest. Du hast nichts falsch gemacht, da bin ich mir ganz sicher. Du hast alles für Deinen Ralfi getan was nur menschenmöglich war, warst immer für ihn da, hast ihm immer beigestanden und ihn bis zum bitteren Ende begleitet. Viele Menschen müssen einsam und allein sterben. Dein Bruder hatte immer einen wundervollen Menschen in seiner Nähe; nämlich Dich! Ich bin sicher, niemand auf dieser Welt hätte ihm ein größeres und wertvolleres Geschenk machen können.
Ich weiß, wir schwer es ist, helfen zu wollen, aber doch nichts tun zu können. Ich verdiene meine Brötchen als Ingenieur, bin aber seit meinem Zivildienst ehrenamtlich im Rettungsdienst tätig. Es ist selbst bei fremden Leuten schwer zu akzeptieren, dass manchmal das Schicksal und der Tod einfach stärker sind als alle moderne Technik und persönlicher Einsatz. Dann fragt man sich, warum, wieso? Warum gerade der oder die, oder gar mein Bruder, mein Vater oder wer auch immer uns sehr am Herzen liegt. Es gibt so viele Schweinebacken auf dieser Welt, die werden 70, 80, 90 oder noch älter. Und ganz wunderbare Menschen müssen viel zu früh gehen. Ist das gerecht? Nein verdammt nochmal, das ist es absolut nicht! Warum das trotzdem so ist, ich weiß es nicht; ich glaube, das weiß niemand. Je nach Weltanschauung kann das einfach nur Zufall und statistische Wahrscheinlichkeit sein. Oder es gibt doch einen Gott, der alles lenkt. Ich persönlich glaube zwar nicht daran, aber ausschließen kann ich es auch nicht. Keine Ahnung, ob Du an Gott glaubst. Falls Du es tust, fragst Du Dich bestimmt, wie er sowas zulassen kann!? Vielleicht hat er ja auch so seine kleinen Schwächen und ist ein bisschen egoistisch. Und möchte einfach die besten Menschen um sich haben.
Dein Bruder ist nicht mehr auf dieser Welt. Aber irgendwo ist er noch. Vielleicht nur „einen Stock höher“, oder in einer anderen Dimension. Ganz bestimmt aber in Deinen Gedanken. Sicher sprichst Du oft im Stillen mit ihm. Ich weiß nicht, ob er Dir antwortet. Aber Du und Dein Bruder, ihr habt Euch doch so total gut, blind und auch ohne Worte verstanden. Du weißt, was er Dir antworten würde auf die Frage, ob Du was falsch gemacht hast. Und ob er das möchte, dass Du jetzt so total verzweifelt bist. Bitte frag ihn!!!
Du wirst Deinen Bruder bestimmt niemals vergessen; das sollst Du auch nicht und das ist gut so. Ich wünsche Dir nur von ganzem Herzen, dass irgendwann die schrecklichen Erinnerungen und Deine Selbstvorwürfe verblassen. Und die Erinnerungen an die gute Zeit mit ihm, an sein Lachen und seine Wärme bis ans Ende Deiner Tage in leuchtenden Farben erhalten bleiben. Das wird irgendwann so sein, ganz sicher.
Hab` noch nie einen so langen Beitrag geschrieben. Wahrscheinlich deshalb, weil mich bisher noch kein Eintrag so berührt hat wie Deiner. Und weil ich ein bisschen Angst um Dich habe. Ich hoffe ganz arg, dass ich da was falsch interpretiert habe. Nämlich dass Dein Lebensmut total auf dem Nullpunkt ist. Weiter oben hab` ich von den vielen Schweinebacken geschrieben. Soll irgendwann die Welt nur noch aus Schweinebacken bestehen!? Hey, die Welt braucht Menschen wie Dich!!! Menschen mit Hirn und vor allem mit Herz!

Liebe Grüße, Knuddels und einen dicken Sonnenstrahl!
(Leider nur eine Konserve, weil`s im Schwabenländle schon wieder schneit)

Joachim

27.03.2004, 16:47
Liebe Steffi,
meine Schwester ist vor wenigen Monaten mit 35 Jahren an Magenkrebs gestorben. Ich werde damit nicht fertig, wünsche mir ständig, ich wäre an ihrer Stelle gegangen. Ich hätte gern mit ihr getauscht, damit sie weiterleben kann. Ich dachte, dieser Gedanke wäre von mir völlig irre und absolut wirr. Aber ich habe bei Dir gelesen, dass Du genauso denkst: ich glaube, wenn Geschwister sterben, fühlt es sich ganz besonders an.
Auch ich habe Phasen, in denen ich den Tag kaum überstehen kann. An denen ich denke, es wäre besser, ihr zu folgen.

Auch mich "verfolgen" Nachts ständig Träume von ihr. Am Anfang hat sie immer gelebt in den Träumen, zwar krank, aber sie war da. Eines Nachts ist sie dann gestorben in meinem Traum. Es war ein so grauenvolles Aufwachen... Im Moment ist sie wieder krank in meinen Träumen. Kann mir überhaupt jemand sagen, wie man einen Morgen, einen Tag überstehen soll, wenn man beim Aufwachen weiß, dass man sie niemals mehr wieder sieht??

Liebe Steffi, Du bist so verzweifelt. Gern würde ich Dir helfen, aber ich glaube, es kann hier wirklich nur die Zeit helfen. Und bitte scheue Dich nicht, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es gibt einige Organisationen und Therapeuten, die bei Trauerarbeit unterstützen und helfen. Ich habe im April einen Termin bei einer Therapeutin, und ich hoffe, dass ich gemeinsam mit ihr einen Weg finden werde, den Tod zu verarbeiten. Und ich kann mir vorstellen, wie schwer es ist, mit Deiner Mutter zu sprechen. Mach' Dir keine Vorwürfe deshalb, sie weiß ganz sicher, wie sehr Du unter dem Tod Deines Bruders leidest. Irgendwann schafft Ihr Beide es, darüber zu sprechen.

Auch Deine "Schein"-Welt ist ganz normal. Wie anders sollte man sonst den Schmerz ertragen können??
Ich hoffe, Du findest bald jemanden für Dich, der Dir zuhört, der Dir einen Weg zur Trauerarbeit zeigt.

Wir alle gemeinsam werden es schaffen.

Sonja

31.03.2004, 15:50
Hallo Steffi,

ich wünsch` mir, dass Du Dich die letzten Tage nur deshalb nicht gemeldet hast, weil es Dir wenigstens ein bisschen besser geht. Bitte mach mal "Piep"! Ich glaube, einige Leute hier machen sich sorgen um Dich...
Die Idee von Sonja, dass Du Dir professionelle Hilfe suchen könntest, ist bestimmt nicht schlecht. Vielleicht gibt es auch eine Selbsthilfegruppe in Deiner Gegend? Und hast Du nicht noch einen anderen Bruder? Ich meine, Du hättest schon mal in einer anderen Rubrik und unter anderem Namen geschrieben, kann das sein?
Muss leider weiterarbeiten.

Lieb`s Grüßle

Joachim

31.03.2004, 17:39
Hallo Steffi,wo bist Du???Gehst Du viel spazieren?Ich möchte Dich auf keinen Fall drängen,das Du denkst,hier etwas schreiben zu müßen,nur,wenn man einmal anfängt,dann fühle ich mit und möchte einfach wissen,wie es Dir geht.Wenn Du Lust und Kraft und Zeit hast,dann melde Dich mal wieder.In Gedanken bei Dir,Susanne

01.04.2004, 13:19
Liebe Susanne, Hallo an alle anderen,

ich hab die letzten Tage keinen Mut gefunden zu schreiben. Heute kann der Sonnenschein mich hier aber auch etwas aufmuntern und in der letzten Nacht fand ich sogar etwas Schlaf. Morgen habe ich einen Tag Urlaub genommen. Ich brauche mal etwas Zeit für mich und will mit meinem Hund mal wieder eine große Runde in Potsdams Wäldern gehen.

Wenn ich so schreibe, kommen mir wieder die Tränen. Eine Bekannte hat gestern zur mir gesagt, ihr erster Gedanke, als sie meinen Bruder und mich das erste mal gesehen hat, war, dass wir ein Liebespaar sind, so wie wir mit einander gekuschelt haben. Sie sagte, dass sie gleich gespürt hat, was wir beide für eine innige Beziehung zu einander haben. Das fehlt mir so... auf seinem Schoß zu sitzen und ihn zu drücken.

Ich...ich bin immernoch ganz durcheinander. Als er starb hatte er solche Angst in seinen Augen, aber nachdem... sah er so entspannt aus. Ich hätte ihm doch so gerne geholfen! Jetzt kommt der Frühling, es wird warm, die Blumen fangen an zu blühen - er hätte das alles so gerne gesehen, er hätte so gerne die Wärme auf seinem Körper gespürt. Ich fühl mich wie der Sommer ohne Sonne...

Ich weiß einfach nicht, wie ich ihn loslassen soll.

Nächsten Mittwoch wollen wir den Grabstein aussuchen. Was heißt wollen? Ich will das eigentlich nicht.

Ach - es ist alles so leer ohne ihn!

Danke, liebe Susanne, dass Du da bist und natürlich auch danke an alle anderen. Ihr helft mir so sehr einen Schritt vor den anderen zu setzen.

Steffi

01.04.2004, 14:14
Liebe Steffi,
vor anderthalb jahren verlor ich meinen Schwiegervater an Speiseröhrenkrebs, im Januar bekam mein Vater die Diagnose Lungenkrebs....er hält sich tapfer und verträgt seine Therapie gut.
Ich kann Dich gut verstehen....wieviel Leid und wieviel Verlust kann ein Mensch ertragen? Wann hört es endlich auf weh zu tun....versuche Dich damit zu trösten, daß es Deinem Bruder jetzt besser geht, daß er keine Schmerzen mehr ertragen muß. Ich glaube daran, daß die Menschen, die einem nahe stehen und früh sterben müssen die Schutzengel werden für uns.
Hinter mir steht mein Großvater und mein Verlobter, der vor zwölf Jahren bei einem Autobahnunfall ums Leben kam. Ich stelle mir vor, daß er sich darüber freut, daß ich ein glücklicher Mensch geworden bin, eine Familie habe und daß ich das Leben lebe, daß er sich für uns beide gewünscht und geplant hatte.
Es hat lange, lange gedauert bis ich diesen Glauben in meinem Herzen und in meinem Kopf durchsetzen konnte gegen die ewige Trauer, dieses schwarze Loch, aber es hat mir geholfen daran zu glauben, daß er nicht gewollt hat, daß ich unglücklich bin. Er ist glücklich und frei, wenn ich es bin. Es ist schon so lange her, aber es gibt immer noch Tage an denen ich an ihn denke, wie er wohl jetzt wäre, wenn wir geheiratet hätten und Kinder gehabt hätten....aber all das war uns leider nicht beschieden. Dafür ist jemand da, der mich beschützt, der da ist, wenn ich sterben sollte, dann werde ich abgeholt. Hört sich makaber an, aber ich glaube daran, daß man im Tod nicht allein ist, auch wenn für die Angehörigen so aussieht. Als mein Schwiegervater starb, mein Mann war bei ihm, ich habe ein paar Kilometer weiter bei Freunden übernachtet, weil wir unsere Tochter mit hatten, da bin ich nachts aus dem Schlaf hochgeschossen, weil ich fühlte, daß jemand in der Nähe war, den ich kannte und auch wieder nicht. Ich bin der festen Überzeugung, daß die Mutter meines Mannes da war, sie ist vor 20 Jahren an MS gestorben, und hat ihren Mann abgeholt. Ich habe mitten in der Nacht bei meinem Mann angerufen und nach seinem Vater gefragt.......er war gerade gestorben.
Ich will Dir damit sagen, daß Dein Bruder sicherlich nicht allein ist und solange Du unglücklich bist, ist er auch traurig. Ich weiss ec nicht, aber ich glaube fest daran, daß es mehr gibt zwischen Himmel und Erde, und mehr als wir verstehen.
Liebe Steffi, ich hoffe so, daß Du bald aus Deinem Loch rausfindest....versuch die große Leere ohne ihn auszufüllen mit deinem eigenem Leben, dann erfüllst du ihn auch. Lebe und lache, dann ist er frei und kann auch lachen.
Alles Liebe und alles Gute Mitshi

01.04.2004, 17:14
Liebe Steffi,fühl Dich bitte nie gezwungen,etwas zu schreiben,aber vielleicht gehört dies zu einem neuen Alltag und wir gehören dazu und wollen eben alle wissen,(wie auch dein Bruder )wie es Dir geht.Du machst morgen einen Urlaubstag,fühl die beginnende Wärme wie eine Umarmung und ich denke ganz fest an Dich,wenn Du zur Sonne schaust.Morgen fahre ich mit meinem Mann und meiner Tochter für eine Woche nach Holland.Da wir wenig Zeit füreinander haben und dadurch auch einige Probleme entstanden sind ,hoffe ich,diese Woche wird für alle ein kleiner Neuanfang.Bitte wundere Dich deshalb auch nicht,wenn ich mich zu Ostern erst zurück melde.Ich bin sicher alle,die hier sind passen auf Dich auf,wenn auch keiner den anderen ersetzen kann.Seltsamerweise haben auch wir heute für meinen Schwiegervater den Grabstein ausgesucht.Das Grab haben seine Frau und Tochter mi Mann agberäumt.Für meinen Mann wäre es ein schlimmer Rüchschlag gewesen und ein neuer Abschied,er war so (auch aus beruflichen Gründen)nicht dabei.Ich drücke Dich ganz doll und schau bitte zum Stern,der am Abendhimmel blinkt,deine Susanne

Jutta
07.04.2004, 10:49
Liebe Steffi,

Ich habe schon seit ein paar Tagen nichts mehr von Dir gelesen. Wie geht es Dir?

liebe Grüße

14.04.2004, 16:56
Hallo Steffi,wo bist Du nur geblieben,hier vermissen Dich doch schon einige Menschen.Bitte melde Dich,nur kurz,wieder.Danke,Susanne

14.04.2004, 20:31
Hallo Steffi,

ich glaube, hier vermissen Dich wirklich einige.
Wenn Du inzwischen einen Weg gefunden hast, mit dem Verlust Deines liebsten Menschen umzugehen und Du Dich deshalb nicht mehr meldest, dann würde mich das ganz arg freuen. Wäre aber lieb, wenn Du Dich trotzdem mal kurz meldest.
Und wenn es Dir immer noch so schlecht geht, dann melde Dich auch. Hier findest immer offene Ohren und Herzen.

Liebe Grüße

Joachim

16.04.2004, 12:59
Liebe Susanne, liebe Jutta, lieber Joachim und auch ein liebes Hallo an alle anderen!

Ich hätte nicht gedacht, dass ihr alle noch so an mich denkt. Die letzten Tage und Wochen waren sehr schlimm für mich.

Ich wünsche mir so sehr, dass ich ihn nur noch einmal sehen kann, will ihn nur noch einmal in den Arm nehmen und mit ihm reden oder ihn nur ansehen, bei ihm sein, ihn spüren. Von schönen Erinnerungen kann man doch nicht glücklich werden.

Heute ist ein warmer Tag, das Leben geht weiter, aber meine Welt ist stehengeblieben. Sie steht still, seit dem 13. Februar um 16.30 Uhr. Ich bin da, mache meine Arbeit, treffe ab und zu Freunde, doch ich bin nicht dieselbe. Keine Spur von dem lächelnden immer lebensfrohem optimistischen Sonnenschein.

Ich würd zu gerne zu seinem Grab und auch den Schwestern auf der Palliativstation würde ich so gerne danke sagen, dass sie so unbeschreiblich liebevoll und fürsorglich waren. Doch ich kann es nicht. Ich hab das Gefühl von Tag zu Tag immer weniger mit seinem Tod fertig zu werden.

Ralfi hat mir soviel Nähe, Wärme und Geborgenheit gegeben, ich kann das gar nicht beschreiben. Ich fühlte mich in seiner Gegenwart so lebendig, sein Lachen war der Lohn für alles. Immer mehr lebe ich in meiner Scheinwelt, immer mehr verdränge ich die Gegenwart. Die Menschen um mich herum, sind erleichtert und froh, weil sie denken, ich fange an, mit Ralfis Tod leben zu lernen, aber das ist nur Fassade und ich kann einfach nicht darüber sprechen. Ich erzähle doch immer nur dasselbe...

...dass ich ihn so liebe...
...und das nicht ertragen kann...

Ich habe Ostern mit der Familie verbracht, es war eine verrückt ausgeglichene Stimmung... Aber war sie das wirklich? Ich habe ein Foto geschenkt bekommen, auf dem ich auf dem Schoss von meinem Bruder sitze und wir uns knuddeln. Ich kann das Gefühl an dem Abend als das Foto entstand noch so spüren. Er war so traurig an dem Abend, ich hab ihn festgehalten, hab ihm ins Ohr geflüstert, dass ich ihn lieb hab. Das war zu Weihnachten vor drei Jahren. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich uns vor mir sitzen, wie ich ihn festhalte. Nur noch einmal möchte ich ihn so drücken, wie an diesem Abend! Ein einziges Mal. Meine Sehnsucht ist so groß.

Ich bin auch wütend. Wütend auf Gott - sofern es ihn gibt. Warum nur hat er das getan? Warum will er so liebe Menschen so schnell bei sich haben? Warum ist er so egoistisch? Warum hat er mir meinen größten Schatz genommen? Warum durfte mein Bruder nicht viel länger glücklich sein? Warum tut er sowas?

Ich kann es immernoch nicht fassen. Es zerreißt mir das Herz, dass ich ihm nicht irgendwie helfen konnte.

Ich bin ein Mensch, der sich immer mit dem Gedanken über schlechte Zeiten hinweggeholfen hat, dass ich daran glaube, dass in jedem Menschen etwas Gutes steckt und dass jeder gute Mensch den Lohn für seine Großzügigkeit, Liebe und Güte erhält.

Aber das stimmt nicht und das macht mir große Angst! Ich dachte immer, es gibt eine gerechte Welt. Vielleicht habe ich zuviel geträumt und die Augen verschlossen.

Ich danke Euch allen so sehr, dass ihr da seit. Hier ist der einzige Ort, wo ich meine Gedanken rauslassen kann! Vielen Dank und ganz liebe Grüße an Alle!

Steffi

06.05.2004, 16:22
Liebe Steffi,entschuldige mein nicht melden,nach demUrlaub und den Schulferien hatte ich eine eitrige Mandelentzündung und wenn man Tumor mäßig eh schon nicht richtig schlucken kann ,ist es lästig.Wo bist Du jetzt??Geht es dir ähnlich wie mir und das frühjahr ist noch schlimmer als sonst?Im Frühjahr bin ich trauriger als sonst,da viele ,liebe Mitmenschen das Erwachen der Natur nicht mehr miterleben können.Ich glaube,es geht dir auch so und manchmal kann man nochnicht einmal mehr schreiben und sich auseinandersetzen.Melde dich nur bitte kurz zum Hallo sagen,ich denke ganz fest an dich,Susanne

12.05.2004, 07:21
Liebe Susanne,

es tut mir leid, zu hören, dass es Dir sehr schlecht ging. Wie war denn Euer Urlaub? Seit ihr Euch wieder ein bisschen näher gekommen und bist Du etwas zur Ruhe gekommen? Ich denk ganz fest an Dich! Du hast mir sehr geholfen und tust es immernoch, ich würde Dir davon gern etwas zurückgeben, doch ich weiß nicht recht, wie.

So wie es Dir geht wegen dem Frühjahr, fühle ich mich auch. Die Bäume blühen, der Winter ist vorbei, die Menschen haben wieder bessere Laune, aber ich bin irgendwie stehengeblieben.

Ich würde so gerne noch einmal mit ihm reden, ihn noch einmal ganz fest drücken... Nachts schlafe ich immernoch mit seiner Strickjacke im Arm ein, das gibt mir irgendwie etwas Halt. Am Muttertag ging es mir ganz besonders schlecht. Wir waren alle bei meiner Mam, aber Ralf ist nicht gekommen. Ich kann mich noch gut an letztes Jahr erinnern, da sah alles noch so aus, als wenn er es schafft. Die Prognosen sprachen zwar immer gegen ihn, aber er war so optimistisch, so voller Leben.

Ich hab das erste Mal dem Tod ins Gesicht gesehen und weiß Gott, ich wollte nie, dass es einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben ist, der geht. Ach ich kann es gar nicht richtig ausdrücken, unsere Gespräche fehlen mir so unendlich, die Nähe und Geborgenheit. Mir gehen so viele Dinge durch den Kopf. Wenn ich doch nur mehr hätte tun können für ihn, wenn ich ihm seine Schmerzen hätte nehmen können, wenn ich ihm doch nur Zeit hätte schenken können.

Vielleicht war es naiv von mir zu denken, ich würde ihn niemals verlieren. Wir wussten ja schon bei der Diagnose, dass er einen der agressivsten und seltensten Tumore hat. Man darf nie aufgeben.

Mein Leben verläuft wie hinter einem Schleier. Mal geht es mir recht gut und dann schlägt meine Stimmung von einer Sekunde auf die andere um.

Mir fangen langsam wieder an die Worte zu fehlen. Mein Hals ist dann wie zugeschnürt und ich kann nicht mehr richtig klar denken.

Ich bin in Gedanken ganz fest bei Dir Susanne - ich bin froh, dass es solche Menschen, wie Dich gibt, die einem das Gefühl geben, verstanden zu werden!

Liebe Grüße
Deine Steffi

12.05.2004, 08:40
Hallo,Guten Morgen Steffi,es tut gut ,etwas von Dir zu lesen,danke,das Du doch wieder antwortest.Es war für dich wohl auch das erste Mal,das jemand ganz naher gestorben ist,oder?Mein Mann war im November 41 J.und hat nach neunj.Pflege seinen Vater verloren,heute noch spricht er nicht darüber.Es war der erste Todesfall in seiner näheren Umgebung und es war und ist ziemlich schlimm für ihn.Hier im Forum habe ich darüber öfter schon mit Trude gemailt,mein Mann zieht immer noch am liebsten Kleidung seines Vaters an und ich denke,dies ist sein Weg der Trauer.Ich glaube,keiner bereitet sich hier bei uns auf das sterben vor,wir alle wissen,das es irgendwann soweit ist,und wiederum verdrängen wir es ganz hinten.In anderen Kulturen wird viel offener damit umgegangen,so daß auch die Angehörigen sich anders aufgefangen fühlen,nur das nutzt uns jetzt auch wenig.Mir geht es wieder ganz normal gut.Der Urlaub war schön(windig),so allmählich kommt bei uns auch wieder eine angenehmere Stimmung auf.Auch ich als Tumor-Frau möchte mich ja auch "normal"auseinandersetzen und nicht als "krank"behandelt werden.Aber manchmal kommen eigene Gedanken und Ängste dann noch zu Meinungversch.dazu und schon knallt es.Aber mein Mann ist als solcher ein ganz lieber und ich würde ihn für nichts wieder hergeben wollen und seine Macken haben wir ja Gott sei Dank alle .So,jetzt fahre ich zur Behandlung(Kg undMassage),sei ganz dool gedrückt und fühl Dich bitte gut heute,Susanne

13.05.2004, 07:23
Guten Morgen Susanne!

Schön, dass es bei Euch langsam wieder bergauf geht. Ich kann verstehen, dass es manchmal nicht einfach ist mit der Situation umzugehen. Mein Bruder wollte auch nie in Watte gepackt werden, sondern sich ganz normal verhalten dürfen. Er konnte nicht damit umgehen, wenn ihn irgendjemand übervorsichtig behandelt hat, denn natürlich hatte er selbst ja auch Tage, an dem er Angst hatte. Da brauchte er Menschen, die ihm Mut machen und ihn an etwas anderes denken lassen. Aber vielen fiel das schwer...

Auch wenn es manchmal bei Euch knallt, es ist so schön, dass ihr beide jemanden habt, an den Ihr Euch anlehnen könnst! Mein Bruder war für mich der einzige Mensch, zu dem ich so ein Vertrauensverhältnis habe, mir fehlt das alles so, ich komme mir so alleine vor.

Ja, Du hast Recht, es ist für mich das erste Mal, dass ich einen so nahe stehenden Menschen verloren hab. Ich kann Deinen Mann was die Trauer betrifft, sehr gut verstehen. Mir geht es ähnlich, ich spreche ja auch mit niemandem. Nicht dass ich nicht wöllte, aber ich kann einfach nicht, auch nicht, wenn meine Mam z. B. auf mich zugeht. Ich verkrieche mich regelrecht in seine Strickjacke. Das ist als liefe ich vor der Realität weg, obwohl ich ja genau weiß, dass er nicht zurückkommt. Seine Sachen um mich zu haben und unsere Lieblings-Musik zu hören, erhält mir ein Stück von ihm.

Bei uns gab es das Thema Tod nie, bei uns war immer alles harmonisch, alle haben gelacht und es gab sehr selten mal Streit. Und jetzt? ...geht der liebste Mensch, den ich habe. Ich möchte nicht sagen, dass es besser ein anderer gewesen wäre. Am liebsten hätte ich alle Menschen, die ich liebe für unbegrenzte Zeit neben mir. Ich glaube, ich kann ganz generell nicht mit dem Tod umgehen. Oder vielleicht schon, aber mein Bruder hat sich so gequält, das geht mir nicht aus dem Kopf. Ich kann das nicht vergessen, das sind Bilder, die sind so grausam und ich bekomme sie nicht aus dem Kopf. Es ist so schrecklich, was ich gesehen hab. Hätte er doch einfach ruhig einschlafen können. Man hört doch, dass viele, die sterben, ganz ruhig und friedlich einschlafen. Aber er hat sich so gequält, ich denke er wollte auch nicht gehen. Er hat uns zwar gefragt, ob wir ihn loslassen, aber er wollte nicht... Heute ist es drei Monate her um 16.30 Uhr. Kann das einfach nicht fassen, dass ein Mensch so leiden muss. Niemand soll auf diese Art und Weise aus dem Leben gehen! Ich wünsche mir, dass man friedlich, ruhig und auf eine schöne Zeit zurücksehend gehen darf, wenn man das Schicksal oder wie auch immer man es nennen will, wirklich nicht ändern kann.

Liebe Susanne, Deine Mails geben mir so viel Halt, das sollst Du wissen! Ich bin in Gedanken ganz nah bei Dir. Ich hoffe, zumindest die Massage hat Dir gestern etwas gut getan, hm!?

Liebe Grüße
Steffi

18.05.2004, 10:41
Hallo Steffi,danke,für Deine lieben Worte,die tun mir echt gut.Du sollst wissen,ihr seit die einzigen,die sowohl im Hirntumor-Forum als auch hier soviel von mir erfahren.Wir wohnen auf dem Land und mit so einem Ding im Kopf wirst du immer beobachtet.Selbsthilfe ist zu weit weg,also so geben wir uns gegenseitig etwas wertvolles im Leben,nämlich echtes Verstehen und die Gewissheit doch nicht allein zu sein.Du hast doch schon den Weg hierher gefunden,meinst du nicht,das dein Bruder darüber im Himmel glücklich ist?Er sieht,das Du dich öffnest,soviel Du für im Moment als günstig empfindest.Das Du in der Realität nicht mit anderen über Deinen Bruder sprichst,zeigt ,wie tief der Schmerz in Dir sitzt und Du versuchst es so zu verdrängen.Vielleicht ist der Schmerz bei deiner Mutter anders,aber sie gibt dir den Wink,mit ihr zu reden.Laß es doch auf einen einzigen Versuch ankommen.Wenn es Dir nichtas gibt,brauchst Du ja nicht weiterreden.Denk daran,ich bin dann in Gedanken bei Dir,Susanne

26.05.2004, 09:11
Hallo an alle,
ich weiß nicht wie ich alles überstehen soll,es ist noch so frisch.Habe mein Sohn gestern beerdig und er war doch erst 32Jahre. Ich frage mich immer warum gerade er?Es gibt doch so viele Verbrecher auf dieser Erde die haben nichts und werden uralt,und die guten müssen gehen,warum ,warum nur.Es ist alles so ungerecht.Im moment kann ich es nicht verstehen und in mir ist eine schreckliche leere. Wiederum weiß ich auch das mein Sohn nicht wollte das wir traurig sind.
Höre immer und immer wieder seine Musik.Die hat er immer gehört wenn er glücklich und fröhlich war.Vielleicht hilft mir das,besser damit klar zu kommen.Ich weiß das Er jetzt nicht mehr leiden muß und keine Schmerzen mehr hat.
gruß Suse

26.05.2004, 13:20
Liebe Suse,
mein herzliches Beileid. Ein Kind zu verlieren ist das Schlimmste, was einem passieren kann. Die Frage nach dem Warum bringt einem nicht weiter. Wen die Götter lieben, der stirbt jung....Aber das ist natürliuch auch kein rechter Trost.
Ich wünsche Dir viel Kraft und Mut für die kommende Zeit.
Alles liebe
Katharina

01.06.2004, 09:55
Liebe Steffi,was machst du im Moment denn so,wie sieht es bei Dir eden beruflich aus?Hast du da einen spannenden,ablenkenden Alltag.Melde dich aber nur,wenn Du Lust hast,okay!!Viele,dich umarmende Grüße,Susanne

01.06.2004, 09:59
Liebe Suse,erst heute schaue ich hierherein und lese deine Nachricht,mein allerherzlichstes Beileid,sei umarmt und gehalten hier bei uns.Als erstes fiel mir ein,die Eltern sind die Vergangenheit,der Partner die Gegenwart und die Kinder die Zukunft.Wie kann ich dich trösten,bei so einem schweren Verlust?Dasein,zuhören,laß deinen Gehühlen fereien Lauf,les doch vielleicht mal unter Trude hier im Forum,da sind auch ein paar ganz liebe Menschen,die ähnlich empfinden,melde dich immer ,wenn dir danach ist,ich schaue jetzt wieder täglich rein.Für heute wünsche ich dir einen Sonnnenstrahl,der dich einhüllt,Susanne

22.06.2004, 16:40
Hallo Steffi,auch wenn Du dich lange nicht gemeldet hast,sollst wissen,ich denke oft an dich und würde gerne wissen,was du inzwischen so machst.Wenn du die Kraft hast,laß es mich wissen,alles Liebe Susanne

26.08.2004, 09:54
Liebe Susanne,

ich weiß nicht, ob Du das hier lesen wirst, Dein letzter Beitrag ist schon so lange her.

Ich bin so durcheinander, ich kann's gar nicht beschreiben. Ich hab das Gefühl, die Leere in mir wird immer größer. Mir wird nach und nach erst einmal richtig bewusst, wie schrecklich das alles war. Ich meine damit, wie sehr mein Bruder gelitten hat, selbst in den Stunden als er starb. Weißt Du, wie ich das meine? Er durfte ja nicht einmal friedlich einschlafen. Alles war so unmenschlich und wenn ich heute zurückdenke, frage ich mich, wie er das ausgehalten und ertragen hat. Worte reichen irgendwie nicht, um das, was ich fühle, auszudrücken, es gibt für meine Gedanken keine Beschreibung.

Ich meine, mittlerweile funktioniert mein Leben wieder einigermaßen. Ich habe den liebsten und verständnisvollsten Freund auf der Welt und es ist das schönste Geschenk zu wissen, dass ich nachts, wenn ich einen fürchterlichen Traum gehabt habe, nicht alleine bin, dass da jemand ist, der mich versteht und mich in den Arm nimmt und festhält, aber das, was mir alles durch den Kopf geht, ist so schrecklich, dass ich manchmal denke, es zerstört mich völlig. Dieses graumsame Leiden, damals war es mir gar nicht so bewusst, ich hab's beiseite geschoben um mit Leib und Seele helfen zu können, aber jetzt wird es mir immer klarer und damit komme ich nicht zurecht.

Ich versuche, Bilder aus "guten Zeiten" in meine Wohnung zu stellen, damit dieses Unmenschliche irgendwann aus meiner Erinnerung geht. Jetzt wird mir erst einmal klar, was dem wichtigsten Menschen in meinem Leben alles zugestoßen ist, was er alles ertragen musste und das macht mich so unendlich traurig. Er fehlt mir so und ich habe keine Ahnung, wie ich damit umgehen soll.

Ich lebe zwei Leben so kommt es mir vor. Das eine, das mich zerfrisst und mich zerstört, weil ich ohne meinen Bruder kein Mensch mehr bin. Wie kann ein Gott einen Menschen so leiden lassen? Wie soll ich dabei zusehen und das jemals verarbeiten? Und das andere Leben, ja... In dem anderen Leben bin ich so dankbar, dass ich meinen Freund kennengelernt habe, der mir so viel Halt und Geborgenheit gibt und das Gefühl, nicht alleine zu sein auf der Welt. Aber den Sprung zu schaffen und das, was passiert ist, anzunehmen und zu akzeptieren, den schaffe ich nicht. Ich denke ja wieder an die Zukunft, habe wieder Pläne, aber innerlich, da sieht es ganz anders aus... Für all meine Gedanken, gibt es gar keine richtigen Worte, sie erscheinen mir alle so klein...

Ach Susanne, manchmal weiß ich einfach nicht weiter...

Danke für Dein offenes Ohr und dafür, dass Du so an mich denkst

Steffi