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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Neu betroffen


Rei87
03.03.2017, 13:09
Hallo zusammen,

ich bin seit einigen Wochen Mitleser und beeindruckt, mit wie viel Mut und Zuversicht sich viele Betroffene hier der Diagnose und anschließenden Therapie stellen/gestellt haben. Bei mir wurde vor ca. 2 Monaten ein Tumor im rechten Hoden festgestellt (Seminon pT1 L0 V0 R0 S0, Stadium CS IIa bzw. LK mit Größe 1,7 x 0,9cm). Die Diagnose war ein doppelter Schock: Da zwischen Befund und OP nur 1 Tag lagen und ich gleich im KH blieb, blieb mir nicht viel Zeit, zu recherchieren und das mögliche Ausmaß einzuschätzen; es war unbegreiflich aber operabel und das beruhigte mich zunächst auch irgendwie. Erst als die Ärzte 2 Tage später bei Visite mitteilten, dass das CT vergrößerte Lymphknoten zeige und man mir in Abstimmung mit der Zweitmeinung 3 Zyklen PEB empfehle, empfand ich erstmals Angst, was jedoch vielmehr der geplanten Chemo und der Tatsache galt, dass ich zunächst nicht in mein gewohntes Leben zurückkehren können würde.

Seit letzter Woche habe ich das Gefühl, ich stehe kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Nach der OP habe ich lange verdrängt und mich mit allem nicht auseinander setzen wollen. Ich wusste, dass der 1. Zyklus keine maßgeblichen Veränderungen zeigen würde. Nun ist der 2. Zyklus fast beendet und ich habe unendlich Angst, dass die Chemo nicht anschlägt – manchmal so sehr, dass mich Panik überkommt, dass ich das Gefühl habe, mir bleibt die Luft weg vor Herzrasen. Im Grunde kann ich an keiner Sekunde des Tages nicht daran denken. Ich schlafe allenfalls 2-3 Stunden in der Nacht und kann mich mit nichts wirklich ablenken. Die Ärzte sprechen mir gut zu, aber ich kann die Zweifel nicht abschütteln und fürchte auch, mich in der Krankheit zu verlieren; gar nicht mehr im Stande sein zu können, nur annähernd ein Leben „wie vorher“ führen oder lange in die Zukunft planen zu können. Ich will optimistisch sein, will um jeden Preis gesund werden, will leben, auch wieder befreit lachen können und wenigstens ein Stück weit Normalität zurück. Aber er ist zum Verzweifeln, mit dieser ständigen Todesangst leben zu müssen; nichts tun zu können… Alle Außenstehenden reden immerzu bereits von Reha und Nachsorge – ich kann nicht mal an nächste Woche denken, ohne mir das schlimmste auszumalen…

Ich weiß, dass mir hier niemand konkret damit helfen kann. Ich weiß nicht mal, warum ich das poste. Vielleicht ist es der unendliche Wunsch, dass mein Fußstapfen hier wie bei vielen anderen zu einem guten Ende führt. Und trotzdem: Gibt es jemand, der ähnliche Erfahrungen gemacht hat? Tipps + Tricks? Eventuell sogar Erfahrungen mit Anti-Depressiva oder Beruhigungsmitteln? Die Medizin ist so weit, aber im Kopf ist man immer allein…

shrimps62
03.03.2017, 13:49
Kopf hoch,auch wenn du es vieleicht nicht glaubst.Du wirst weiter leben wie wir alle und irgendwann wirst du das alles als dunkle Periode in deinem Leben betrachten.Alle die dir Mut zusprechen haben Recht:winke:

oli
03.03.2017, 13:57
Hi,

deine Empfindungen hat hier sicherlich jeder gemacht, in ver. Ausmaß. Du bist jung und wirst doch auf brutale Weise mit dem eigenen Tod konfrontiert - das haut fast jeden aus dem Anzug. Letztlich ist deine Krankheit immer noch ein frühes Stadium, da sind 3x PEB mehr als ausreichend um alles platt zu machen.

Ich würde an deiner Stelle um ein psychologisches Konsil in der Klinik bitten und mir zeitnah Hilfe holen, evtl. auch am Anfang mit medikamentöser Unterstützung. Es gibt in den Kliniken i.d.R. Psychoonkologen, die damit ziemlich viel Erfahrung haben...

b45
03.03.2017, 17:01
Hey,

Danke dass Du hier schreibst. Das wird dir helfen, einfach raus lassen. Wie du wohl bereits gelesen hast, geht's vielen von uns ähnlich. Ich habe meine Nachsorge heute in 1 Woche, ich kenne das wovon du sprichst.

Die Chemo hilft, sofort. Ich hatte meinen Tumor im Zwölffingerdarm, konnte nicht mehr essen. Schon während des ersten Zyklus konnte ich wieder normale Sachen essen.

Hol dir psychologische Hilfe, es wird dir helfen.

Hier sind paar Bücher, die auch von Onkologen empfohlen werden, die mir geholfen haben:
Viktor Frankl - Der Mensch auf der Suche nach dem Sinn.
Carl O. Simonton - Wieder gesund werden.
Die Bücher waren auch in unserer Onko-Abteilung verfügbar.

Zum Schlafen hilft EasySleep, mit Baldrian und Melatonin. Es gibt auch gute Medikamente auf Hanfbasis die auch im Spital angeboten werden, musst nur fragen. Völlig legal und sehr hilfreich, gegen alle Symptome die Du beschrieben hast.

Alles Gute, du packst das.

Angsthase159
03.03.2017, 20:31
Hey du!!

Oh man, ich und auch alle anderen können deine Emotionen voll und ganz nachvollziehen. Echt Kacke. Aber.... du hast mit deinem Seminom echt die beste der Hodenkrebsvarianten erhalten.... Verträgst Du die Chemo denn einigermaßen gut?

Und zu deinen Ängsten....Ich hatte 4Jahre vor meiner Krebsdiagnose mal eine diagnostizierte Depression. Ich weiß, wie sich diese Niedergeschlagenheit anfühlt. Ich kann dir nur den Rat geben mit deinen Ärzten zu reden. Es ist keine Schande. Such dir Hilfe. Du musst über deine Ängste reden. Ich habe damals nur 3x zum Psychologen gemusst, dann ging es radikal bergauf. Zu deiner Frage bzgl Antidepressiva: Ich habe keine Psychopharmaka genommen, lediglich Johanniskraut, was mir sehr gut geholfen hat. Allerdings würde ich dir nicht empfehlen, ohne Absprache mit deinen Onkologen etwas einzunehmen. Sprech es bei deinen Ärzten an. In so jungen Jahren ist diese Diagnose ein Schock. Ich hatte genau wie wie du zwischen Diagnose und OP keine 24 Stunden. Das muss man erstmal verkraften. Im Zweifel hier schreiben. :winke:

Drücke dir die Daumen,

Jan

Toby01Harv
03.03.2017, 20:59
Lieber Rei87,

die Angst, dass bei Dir die Chemo nicht anschlagen würde, kann ich Dir nehmen.

Du hast ein sog. Seminom. Das ist die bestbehandelbare Hodenkrebsart. Man hätte Dich wohl auch bestrahlen können und Du wärst geheilt. Da dies aber idR. stärkere längerfristige Nebenwirkungen hat, hat man sich wohl für die BEP-Chemo entschieden.

Nach den neuesten Studien werden Seminom-Patienten durch die BEP-Chemo zu 100 % beheilt (vgl. Europäische Leitlinien HK). Es gab in den neuesten Studien keinen einzigen Rückfall. Mein Onkologe, der ein absoluter Experte auf dem Gebiet des HK ist, sagte mal, dass er in 30 Jahren Hodenkrebsbehandlung keinen einzigen Rückfall bei Seminom im Stadium 2 hatte.

Kurzum, keine Sorgen machen, sondern Leben nach der Behandlung planen. Ich hatte das gleiche Stadium und hab 3 Wochen nach Ende der Chemo wieder voll gearbeitet. Die beste Therapie gegen die Angst ist, einfach Deinen behandelnden Arzt zu fragen. Er wird Dir bestätigen, dass es in Deinen Fall nicht zum Rückfall kommt.

Toby01Harv
03.03.2017, 21:06
Hi,

ich möchte noch eines ergänzen. Deine Diagnose ist in keinster Weise mit der Diagnose von Anderen in diesem Forum vergleichbar. An Seminom Stadium 1 oder 2 stirbt man heutzutage schlicht nicht mehr. Seminom in diesem Stadium zählt zu den heilbaren Krebsformen.

Einen Tipp kann ich Dir geben. Schüttle die Angst vor HK ab, das Thema hat sich für Dich wegen der Chemo erledigt. Wichtig ist aber jetzt, die langfristigen Nebenwirkung der HK-Behandlung zu minimieren. Die HK-Spezialisten hatten sich bei mir daher auch darauf konzentriert, etwaige Strahlung zu minimieren. Mache als Nachsorge daher MRT und nicht CT. Auch das Rötgen sollte man maßvoll einsetzen. Du willst ja nicht den 100-heilbaren HK durch einen schwer-heilbaren Krebs mit 60 Jahren eintauschen, oder?

Rei87
05.03.2017, 18:40
Vielen, vielen Dank für eure Antworten/Anmerkungen und dass ihr euch überhaupt Zeit nehmt, hier zu posten und eure/euer Erfahrung/Wissen teilt...

Habe die ersten beiden Zyklen physisch bisher eigentlich "gut" überstanden. Ab und an etwas Appetitlosigkeit aber das will ich – bei allem was ich hier so gelesen habe – mal als Luxusproblem unter all dem möglichen Kleingedruckten abtun, mit dem man im Vorfeld so abschreckt…

Fühle mich in dem KH, in dem ich bin, medizinisch gut versorgt, aber die Psyche interessiert dort m.E. niemand. Eine psychoonkologische Abteilung gibt es nicht; lediglich eine kirchl. Seelsorge. In der Hoffnung dort geholfen zu bekommen, habe ich mich wirklich bemüht, offen mit meinen Sorgen und Problemen (v.a. Schlafstörungen) umzugehen, aber ich habe das Gefühl eher dafür belächelt zu werden, dass ich mir überhaupt einen Kopf mache oder Ängste äußere… Habe jedoch zwischenzeitlich einen Termin bei einem privaten Psych. Mal sehen…

Ganz ehrlich: Natürlich erfrage ich Details, aber ich traue mich inzwischen fast schon nicht mehr, Ärzte nach ihrer ehrlichen Einschätzung zu fragen. Ich glaube, von „Sie werden wieder gesund“ über „toi, toi, toi“ bis zur 5-Jahres-Überlebensprognose habe ich bisher alles um die Ohren geknallt bekommen. Für Außenstehende mögen Statistiken ja grandios klingen…

Toby01Harv
05.03.2017, 22:31
Hi,

aus der Entfernung kann man natürlich wenig sagen.

Wenn Du die normalen Ängste hast - die hier übrigens alle haben -, dann denke ich, dass die Tatsache, dass nach den neuesten Forschungen in Deinem Stadium Seminome in 100 % (!) der Fälle heilbar sind, schon eine ausreichende Beruhigung sein sollte. Besser geht es ja nicht.

Wenn Du aber tatsächlich ein ganz erhebliches Angstgefühl hast, das an sich bereits Krankheitswert erreicht, würde ich Dir tatsächlich eine psychoonkologische Behandlung anraten. Du musst jedoch hierbei auf Folgendes aufpassen. Psychologen sind keine Onkologen. Der Psychologe wird daher kaum Deine Prognose einschätzen können und Dich ggf. als deutlich kränker einschätzen als Du in Wirklichkeit bist. Nach den 3 Zyklen und Kontroll-MRT bist Du nach derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisstand geheilt.

Kopf hoch, das wird schon.

Rei87
25.04.2017, 16:01
Männer,

wie vielleicht schon aus anderen Threads bekannt, bin ich mit der Chemo inzwischen durch und aktuell in Reha. Gestern war ich zwecks Abschlussstaging mit MRT und CT beurlaubt. Ergebnis: Alles sauber. Der Radiologin ist lediglich eine kleine Vernarbung an der Lunge aufgefallen, über die ich mir ihrer Meinung nach insbesondere in Hinblick auf meine Dauergrippe während der Chemo jedoch "keine Gedanken machen" muss. Auch wenn ich keine Lungenmetas und nur wenig vergrößerte LKs hatte (Stad. IIa) - mach ich natürlich trotzdem. Dabei sind mir die LESS-Nachsorgebroschüren der Arbeitsgruppe Spätfolgen wieder eingefallen, auf die ich kürzlich im Netz gestoßen bin: http://www.nachsorge-ist-vorsorge.de/patienteninfos/broschueren-zur-nachsorge-nach-krebs/

Da ich im Krankenhaus nie ein Abschlussgespräch hatte (die letzten Worte des Oberarztes waren "bis später" :rolleyes:) oder Infomaterial o.ä. erhalte habe und mehr oder weniger wortlos in die Nachsorge meines niedergelassenen Urologen entlassen wurde, wollte ich mal fragen, wie das bei euch so ist/war: Geht ihr neben den Nachsorge-Terminen mit Bildgebungsverfahren und Laboruntersuchungen regelmäßig weiteren Check-Ups nach? Falls ja, habt ihr euch die Ärzte-Marathons bisher immer selbst organisiert oder fallen jährliche EKGs, Kardiogramme, Impfschutz-Auffrischungen usw. eigentlich in das "Nachsorge-Programm" beim Urologen bzw. Überweisungen durch diesen?

Ihr seht: Ich (bis vor 6 Monaten noch Typ "Gehe mit Fieber-Grippe lieber arbeiten als zum Arzt") bin in meiner neu gewonnen Hypochondrie und mit der einstigen Erwartungshaltung, mich mit sowas erst als Rentner herumschlagen zu müssen, etwas ratlos... die LESS-Broschüre tut ihr übriges :undecided ... Wäre trotzdem ganz interessant zu wissen, ob und wie streng ihr da vorgeht und welche Ärzte ihr dazu ins Vertrauen nehmt...(???)

schucki
25.04.2017, 20:24
Hallo,

ich habe damals auch kein Abschlussgespräch im Krankenhaus gehabt, denn mein Urologe macht die Operationen dort selber. Die Nachsorgen mache ich also alle weiterhin bei meinem Urologen und werde diese auch in Zukunft weiterhin dort machen. Zum Arzt bin ich früher auch nie gegangen, außer der Zahnarzt wegen der Kontrolle :). Medizinisch gesehen habe ich Topwerte, allerdings nagt bei mir die Psyche, aber Ärzte Marathons hatte ich nur vor der Chemo, und das lief alles über meinen Urologen. Der hat dann auch CT usw. für mich organisiert und auch den Termin für die Nachsorge beim CT gemacht. Nur leider bei der Psyche ist er am Ende und hat mich an einen Krebspsychologen verwiesen und da war ich heute das erste mal. Der macht den Kopf frei denn dort hängt 50% der Krankheit fest.

Tom92
25.04.2017, 21:12
Also "abschließend" war bei mir das CT, das kurz nach dem Ende der letzten Chemo gemacht wurde. Mit dem Onkologe hatte ich seitdem auch nichts mehr zu tun.

Bei meinem Urologe bin ich in halbjährlichen Abständen. Er überweist mich zum CT/MRT, ordnet Blutuntersuchungen an und macht Ultraschall, die komplette Nachsorge also. Fühle mich bei ihm sehr gut aufgehoben. Er kennt meinen Fall von Beginn an, da er auch der behandelnde Oberarzt auf der urologischen Station war, wo ich operiert wurde. Also wenn ich iwas bezüglich HK habe, wende ich mich an ihn.

Meine Hausärztin bekommt immer nur die Befunde.

Rei87
06.01.2018, 01:16
Hi mal wieder,

vorgestern hatte ich Jubiläum: Am 04.01.2017 – also genau vor einem Jahr – erhielt ich die Diagnose Hodenkrebs. Vielleicht liegt es an der trüben Jahreszeit oder daran dass meine nächste Nachsorge wieder in greifbare Nähe rückt aber, aber das Thema beschäftigt mich derzeit wieder mehr. Nicht unentwegt und nicht annähernd so viel, wie ich es vor 12 Monaten noch erwartet hätte, aber zumindest so sehr, dass es mich nachts derzeit ein bisschen Schlaf kostet und dass ich dachte, ich poste hier mal wieder. Einfach mal um etwas wegzuschreiben. Oder für all jene, die gerade in der Chemo stecken und – wie ich vor 12 Monaten – keinen Ausweg sehen...

Meine letzte Chemogabe liegt nun 9 Monate zurück. Körperlich fühle ich mich nicht weniger fit also vor der Diagnose. Während der Chemo habe ich knapp 10 Kilo verloren, die fast wieder drauf sind. Die Haare sind zurück und von ähnlicher Fülle; lediglich an den Schläfen fehlten zwischendurch hier und da mal ein paar Haare. Die Narbe ist weiterhin nicht hübsch aber gut verheilt. Ich mutmaße jedoch, dass bei der OP ein paar Nerven getroffen wurden – hier und da zieht sich ein leichtes Taubheitsgefühl narbabwärts, von dem ich dachte, dass es verschwinden würde. Das ist jedoch weiterhin so marginal, dass ich es nur merke, wenn ich mit dem Finger langsam drüberfahre.

Grundsätzlich hat sich mein Leben durch den Krebs nicht so massiv geändert, wie ich erwartet hatte. Inzwischen ist – mit allem Abstand – sogar wieder viel Alltag eingekehrt. Ich arbeite seit knapp 6 Monaten wieder Vollzeit und oft gar darüber hinaus – dabei haben Arbeit und Karriere nach der Krankheit eigentlich keinen großen Stellenwert mehr für mich. Aber: Arbeit schafft Ablenkung und Struktur und das hat sicher enorm zu meiner Rehabilitation beigetragen. Die anfängliche „Behutsamkeit“ der Kollegen ist inzwischen auch verflogen. Man gibt mir zumindest das Gefühl, nicht mit Samtpfoten behandelt zu werden. Im Herbst wurde mir sogar eine Beförderung ermöglicht – daran hätte ich bei Wiederantritt nicht einmal im Traum gedacht.

In der Familie und bei Freunden ist es ähnlich. Für Viele ist das Thema nicht mehr präsent und wenn doch, dann kommt es eher selten zur Sprache. Einige (teils lange) Freundschaften sind im letzten Jahr auf der Strecke geblieben. Ich verurteile niemand dafür, dass er/sie mit der Situation nicht umgehend kann/konnte (wer weiß, wie es mir als Außenstehender ergangenen wäre), aber andererseits sehe ich mich – als Betroffener – auch nicht in der Pflicht, Leuten hinterherzurennen, die die Konfrontation mit einem „unbequemem“ Thema wie Krebs scheuen und denen es egal ist, zu wissen, wie es um mich steht. Manchmal finde ich das schade, aber ich kann auch gut damit leben. Im Gegenzug versuche ich, insbesondere mit denen, die stets für mich da waren, noch sehr viel mehr Zeit zu verbringen und ein Stück weit etwas zurückzugeben.

Wenn ich ohnehin etwas „Positives“ aus der Sache gezogen habe, dann ist es sicherlich mehr Wertschätzung für die scheinbaren Selbstverständlichkeiten. Das ist vor allem anderen natürlich die Gesundheit, aber können auch schon Kleinigkeiten wie ein tolles Essen, gute Gesellschaft oder schönes Wetter sein. Ich gönne mir auch spontan einfach mehr… Allerdings: Ich fühle mich oft rastlos und finde nur noch selten die Ruhe für „Langeweile“. Entsprechend viel habe ich in 2017 noch versucht, zu reisen, wenn Zeit war. Derlei Dinge langfristig zu planen fällt mir wegen des Damoklesschwertes „Nachsorge“ allerdings schwer. Urlaub buchen? Wenn dann nur mit Reiserücktrittversicherung – wer weiß schon, was bis dahin ist. Auch ein Beispiel: Vor ein paar Tagen habe ich meine Renteninfo bekommen. Mein Kopf sagt, es ist idiotisch und utopisch, mich damit zu beschäftigen, was in 40 Jahren ist, wenn man im 3-Monats-Rhyhtmus „lebt“.

Außerdem bin ich rührseliger geworden. Während die Familie an den Weihnachtsfeiertagen in die üblichen Zankereien verfiel, war mir eher nach Losheulen, weil ich einfach nur happy war, dass alle munter am Tisch saßen und ich ihrem alljährlichen „Trott“ beiwohnen konnte Die Medien machen es auch nicht besser: Schicksale gehen mir anders als früher arg an die Nieren. Vor 13 Monaten hätte ich einen Bericht über einen 10-Jährigen mit Hirntumor im TV sehen können und zwischendurch vielleicht sogar weg- oder gedanklich gar abgeschaltet, so fern wie das für mich war. Jetzt bleibt mir bei solchen Dingen manchmal die Luft weg, weil mich das so betroffen macht. Auch dahingehend hat sich meine Einstellung geändert. Früher dachte ich immer: „Warum sollte das gerade mir passieren?“, inzwischen denke ich eher: „Warum gerade mir NICHT?“

Aus o.g. Gründen war ich zu anfangs recht viel, in letzter Zeit aber auch weniger oft hier online. Nach der Chemo dachte ich, ich müsse mich weiterhin viel mit allem beschäftigen, um jederzeit auf Eventualitäten vorbereitet zu sein. Mit der Zeit habe ich jedoch erkannt, dass mich das eher selten hat abschalten lassen und ich mein Leben – was/wann auch immer kommen mag – dann doch lieber mit vielen anderen Erinnerungen ausfüllen möchte. Momentan gelte ich zwar als „krebsfrei“, aber da in drei Wochen Laborkontrolle ist, kneift es natürlich dennoch überall. Seltsamerweise werde ich dabei von Nachsorge zu Nachsorge nervöser, so richtig erklären kann ich das nicht. Vielleicht weil beim einem Rückfall die Fallhöhe aus dem Alltag mit der Zeit auch wieder größer wäre. Natürlich hoffe auch ich, den „Lance“ zu machen und noch viele, viele gesunde Jahre vor mir zu haben, aber dass das Thema Krebs für ein und allemal abgehakt ist… so richtig vorstellen kann ich mir das aktuell nicht.

So, laaaaaanges Essay…. Wer bis hierhin durchgehalten hat: Großen Dank an alle, die hier regelmäßig online sind, beraten und Mut zu sprechen. Euer „Job“ hier ist unersetzlich. Alles Gute euch weiterhin!

Angsthase159
08.01.2018, 09:50
Das hast du sehr gut formuliert und mir geht es ähnlich. Ich bin auch dankbarer geworden und merke, dass mir Familie und Freunde immer wichtiger werden. Gerade so Feste wie Weihnachten bedeuten mir mehr als früher. Es wird einem bewusst, dass unsere Zeit endlich ist und auch die unserer Lieben und ich will einfach so viele schöne Zeiten mit ihnen verbringen wie es nur geht. Und mir gehen Geschichten über andere erkrankte Menschen auch mittlerweile näher ans Herz als früher. Ich bin einfach dann dankbar, recht glimpflich aus der Sache rausgekommen zu sein....Ich habe am Freitag wieder Nachsorge und komischerweise werde ich nun von Nachsorge zu Nachsorge immer nervöser. Aber gut, muss man durch. Wir müssen unser Leben leben so genießen wie es nur irgendwie geht:):):)

Egghart
08.01.2018, 16:52
Super auf den Punkt gebracht! Top!

Dirty84
08.01.2018, 20:17
schön geschrieben und ich kann vieles bestätigen! Die Nachsorgen 1Jahr+ waren echt die schlimmsten. Jetzt gehts auf Jahr 2 zu (Ende Januar) und ich bin entspannter. Dafür kam pünktlich zur dunklen Jahreszeit alles andere hoch. Sprich die ganzen verdrängten Sorgen und der kontinuierliche Stress der letzten zwei Jahre. Hatte einige Wochen mit Panikattacken etc. zu kämpfen. Vielleicht so eine Art kleiner Burn-Out. Aber jetzt gehts mir langsam wieder besser :prost:

Rei87
05.01.2019, 12:17
Januar 2019. Wir schreiben das Jahr 2 „n.Kr. – nach Krebs“ wie der Stand-Up-Comedian, den ich meinen (an sich sehr von mir geschätzten) Urologen schimpfe, neulich meinte. 2018 ist vorüber und mit Weihnachten und Silvester auch so etwas wie ein weiterer kleiner Etappensieg geschafft, wie ich ihn seit der Diagnose pflege: Wieder 12 Monate durch(ge)halten. Zeit also, um auch mal wieder etwas wegzuschreiben. Auch für mich…

Wie es mir geht? Nicht unverändert, aber recht gut. Meine Blutwerte liegen weiterhin in den Normbereichen und auch die Bildgebung im Rahmen der Nachsorgetermine war in 2018 durchweg unauffällig. Für meinen Doc bin ich nach eigener Aussage ein „fast schon langweiliger Fall“, aber damit kann ich sehr gut leben. Zunehmend seltsam verhält sich mein Haarwuchs seit der Chemo, wobei ich das eher unter der Kategorie „Luxusprobleme“ verbuche: Seit Sommer trage ich „Welle“, d.h. in Stirnnähe hat sich eine große Locke gebildet, die dazu geführt hat, dass ich hier und da schon gefragt wurde, ob ich mir das so frisiere. Generell ist mein Kopfhaar viel spröder und brüchiger geworden; an manchen Stellen stagniert der Wuchs gelegentlich. Darüber hinaus bin ich noch einmal ein paar Kilos rauf; wobei ich hier eher mein zunehmendes Alter als meinen möglicherweise chemobedingt „beschädigten“ Stoffwechsel in Verdacht habe.

Grundsätzlich muss ich eingestehen: Mein ehemals großes Vorhaben, nach der Therapie intensiver Sport zu treiben und mich (noch) gesünder zu ernähren, habe ich nicht in die Realität umgesetzt. Ich sehe weiterhin die Notwendigkeit, aber oft genug siegt am Ende halt doch das Gönnertum, wenn die Frage im Raum steht, ob es z.B. Fast Food, Eis und Alkohol geben soll – wenn nicht jetzt, wann dann?! Das soll aber nicht heißen, dass ich nicht auf mich achte: Ich gehe zum Arzt, wann immer es sein muss. Dabei will ich auch nicht abstreiten, dass ich (wenn es mich denn beschäftigt) gar ziemlich häufig darüber nachdenke, wie sich Tumor, Chemo und Nachsorge künftig noch auf meine Gesundheit auswirken werden, aber Hypochondrie habe ich nicht entwickelt. Ja, ich pflege weiterhin ein skeptisches Verhältnis zu meinem Körper (irgendwie schizophren, wenn ich recht bedenke), aber d.h. nicht, dass ich alle paar Minuten gezwungen bin, an meiner verbliebenen Murmel herumzuspielen.

Überhaupt rutschen Diagnose und Therapie gedanklich immer weiter in die Ferne. Es gibt Tage, an deren Ende ich manchmal selbst darüber staune (und fast schon ein bisschen stolz bin), wie wenig der Krebs in meinem Kopf präsent war und wie sehr dieser verhältnismäßig kleine von Krankheit geprägte Auszug aus meinem Leben aufgrund seiner Unbegreiflichkeit, die so fernab von jeder Form von Alltag liegt, eher fast schon an einen schlechten Traum erinnert. Damals hätte ich nie erwartet, dahingehend wieder „derselbe“ sein zu können, aber ich muss gestehen: Mit Einschränkungen bin ich nah dran – auch wenn jede Dusche, jeder WC-Besuch, überhaupt jedes Entkleiden wohl weiterhin indirekte Reminder daran bleiben werden, dass nicht grundlos „etwas“ fehlt. Und die Nachsorge aus der erwähnten Unbegreiflichkeit heraus zwar eine gewisse Beiläufigkeit entwickelt, aber natürlich immer mit Sorgen (und viel Hoffnung) einhergeht.

Ähnlich muss es meinem weiteren Umfeld gehen – wenn ich das Thema nicht von mir aus anschneide, kommt es erst gar nicht auf oder als Antwort folgt dann oft „Ach so, stimmt ja“. Das mag tagesformabhängig sein, aber manchmal bin ich etwas hin- und hergerissen, wie ich das finde. Ich wünsche ich mir ja, auch bei anderen mit meinem „alten Ich“ wahrgenommen zu werden; andererseits gibt es Situationen – insbesondere auf Arbeit – in denen ich mir durchaus etwas mehr Rücksicht oder Einfühlungsvermögen wünschen würde. Nicht weil meine Leistung unter Krankheit und Therapie gelitten haben und/oder ich dadurch eine Spezialbehandlung verdient hätte, sondern weil meine Leistungsbereitschaft und auch meine „Empfindsamkeit“ schlichtweg einfach anders sind als früher. Andererseits kann mir ja keiner ins Hirn gucken und es zeigt wohl einfach, dass so etwas angesprochen werden muss.

Dennoch: Fast schon etwas wehleidig blicke ich auf 2018 zurück. Es war ein tolles Jahr, geprägt von vielen Orten und Begegnungen, für die ich große Dankbarkeit empfinde und an die ich vorwiegend gerne zurückdenke. Stets (unfreiwillig) bewusster zu leben, ist manchmal arg anstrengend, aber schafft auch große Zufriedenheit und ist für mich oft eine Stütze in den „düsteren“ Momenten, von denen es sicher immer noch genügend gibt. Immer dann, wenn der „Ballast“ schwer wiegt und die Zukunft bloß ein großes „?“ aufzeigt… Aber: Selbst ich Pessimist habe erkannt, dass der Mensch auf Hoffnung ausgelegt ist. Eine Freundin meinte neulich jedenfalls zu mir, dass die „Brötchen, die ich backe“, zwischenzeitlich wieder „deutlich größer“ ausfallen…

Einen guten Start in neue Jahr und weiterhin viel Gesundheit und Erfolg euch allen.

Rei87

Merasil
05.01.2019, 14:49
Danke für den Beitrag. Ich muss sagen, dass du mir aus der Seele sprichst.... mit allem! Ich bin im selben Stadium wie du damals und aktuell kurz vor dem dritten Zyklus. Die zwei „Monologe“ von letztem und diesem Jahr haben mir sehr viel Zuversicht und Kraft gegeben. Danke :)

einfaulesei
05.01.2019, 16:35
wundervoll geschrieben! :)

Rei87
04.04.2019, 22:15
Hi zusammen,

kurze Frage in die Runde:

Bin Ende Januar vom Versorgungsamt angeschrieben und gebeten worden, aktuelle Befunde zwecks Bewertung meines befristeten GdB von 50% einzureichen. Mein Urologe ist daraufhin auch kontaktiert worden und hat Stellung bezogen. Nun erhielt ich heute Nachricht, dass das Hess. Versorgungsamt mir den "Status" nach nur 2 Jahren aberkennen will, weil in den letzten zwei Jahren ja quasi nichts mehr wiedergekommen sei...

Ich bin irritiert. Überall hieß es, dass 5 Jahre Minimum seien. Selbst die Krebsfälle in meiner Familie hatten jeder mindestens 5 Jahre zugesprochen (Brustkrebs, Prostatakrebs). Und die hatten nicht mal fortgeschrittenes Stadium oder Chemo! Sind wir Krebskranke "zweiter Klasse", oder wie? Habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht? Will nicht kleinkariert sein, aber die 5 freien Tage im Jahr für die regelm. Arztbesucht usw. waren schon sehr nützlich. Für alles andere ist der Wisch ja so gut wie eh nicht zu gebrauchen...

marathoni1966
05.04.2019, 07:27
Hi Rei87, ich habe auch "nur" 2 1/2 Jahre erhalten und im Juni 2019 läuft das aus. Bisher wurde ich nicht angeschrieben, was dann darauf hinausläuft, das ich 14 Tage vor Ultimo eine Verlängerung beantrage. Dann wird das in der Regel für ein halbes Jahr verlängert und in der Zeit wird dann sicher neu geprüft. Scheint je nach Bundesland und Sachbearbeiter unterschiedlich zu sein. Ich hoffe auch sehr, das man den Status behalten kann, denn die 5 Tage sind echt gut.
LG

achi
05.04.2019, 10:09
Scheint echt stark vom jeweiligen Bundesland und Bearbeiter abzuhängen.
Ich habe letzte Woche ebenfalls meinen Bescheid bekommen.
Habe 60%, 4 Jahre Gültigkeit erhalten und befinde mich im Wait&See.

Merasil
05.04.2019, 10:13
Habe 5 Jahre und 90% bekommen. Wohne in BW.

ElChupacabra
05.04.2019, 10:26
Ich glaube mal gelesen zu haben, dass es (zumindest in Hessen) vom Stadium abhängt. Ich habe mit Seminom und w&s 2 Jahre und 50% bekommen.

eistee
05.04.2019, 10:42
Ich habe in NRW 5 Jahre 70% bekommen. Wurde nun aber (pünktlich nach fünf Jahren) angeschrieben und rechne fest damit, alles zu verlieren - was soll's, bin gesund :shy:

Vanhohen
05.04.2019, 12:32
Hi alles wird gut wirst sehen. Wie groß war dein semniom das er schon gestreut hat ? Lg

Jakelong
05.04.2019, 16:25
Hi Rei87,
habe meinen Schwerbehindertenausweis 2017 nach dem Hodentumor beantragt, der dann für drei Jahre bis 2020 gilt. Mit zwei weiteren Erkrankungen kam ich auf 60%. Bereits im Januar 2019 wurde ich für die Nachprüfung vom Sachbearbeiter angeschrieben. Bundesland ist NRW.

Gruß :winke:

Rei87
15.04.2019, 12:24
Danke für eure Antworten. War jetzt ein paar Tage im Urlaub und kam jetzt erst dazu, sie zu lesen...

Finde ich irgendwie krass, dass es da keine einheitliche bundesweite Regelung gibt, aber das ist mir schon bei der Einstufung aufgefallen... Werde auf jeden Fall Widerspruch einlegen... Dumm stößt mir vor allem auf, dass Hodenkrebs offenbar weniger "Wert" ist als andere Krebsarten. Dabei sind insbesondere wir "Jungen" ja die, die langfristig mit der Diagnose und Behandlung leben müssen...

ElChupacabra
15.04.2019, 14:12
Ich habe mich damals nach der Entscheidung meines Versorgungsamtes an der folgenden Seite orientiert, die die Rechtssprechung zusammenfasst:

https://www.rehadat-recht.de/de/feststellungsverfahren/feststellung-der-schwerbehinderteneigenschaft-grad-der-behinderung-gdb/erhoehung-des-gdb/index.html?infobox=%2Finfobox1.html&serviceCounter=1&detailCounter=0&connectdb=veroeffentlichungen_result&wsdb=LIT&intlink=true&GIX=VMGB0013*

Demnach:

"13.4 Entfernung eines malignen Hodentumors:
Nach Entfernung eines malignen Hodentumors ist eine Heilungsbewährung abzuwarten.

GdS während einer Heilungsbewährung von zwei Jahren nach Entfernung eines Seminoms oder nichtseminomatösen
Tumors im Stadium (T1 bis T2) N0 M0 [50]

GdS während einer Heilungsbewährung von fünf Jahren nach Entfernung eines Seminoms im Stadium (T1 bis T2) N1 M0
bzw. T3 N0 M0 [50]
nach Entfernung eines nichtseminomatösen Tumors im Stadium (T1 bis T2) N1 M0 bzw. T3 N0 M0 [60]
in höheren Stadien [80]"

Kurzum: Es hängt von der Klassifizierung ab. Seminome geben weniger Prozente - sind ja auch nicht so aggressiv. Kannst ja selbst entscheiden, ob Du in den Widerspruch gehst. Bedenke nur, dass Du ggf. Kosten für das Verfahren zahlen musst, sofern Du verlierst (meistens verzichten die Behörden drauf - muss aber nicht).

Rei87
19.06.2019, 18:14
Habe heute nach zahlreicher Korrespondenz Info vom Hess. Versogungsamt erhalten, dass mein Schwerbehindertenstatus bis Jan. 2022 auf insgesamt 5 Jahre verlängert wird :)

War ein ordentlicher Verwaltungsakt aber ElChupacabras Hinweis/Link zu den Bewerungstungsrichtlinien gemäß VMG hat mich auf den entscheidenen Fehler aufmerksam gemacht: Aus meinen Befunden ging das N-Stadium (Grad des Lymphknotenbefalls) gemäß UICC-Klassifikation nicht hervor und die Sachbearbeiter waren zunächst wohl nicht in der Lage, das ausgewiesene Seminon-Stadium IIa, welches ja mind. N1 bedeutet, entsprechend zu interpretieren. Insofern: Vielen Dank an dich, ElChupacabra!

Heißt aber auch, ich bin mit meiner Befristung von 2 Jahren von Anfang an falsch kategorisiert worden und beim Amt wurde ordentlich geschlampt - man hätte ja auch nachfragen können, wenn das Ärztedeutsch nicht verstanden wird... Lange Rede, kurzer Sinn: Es hat sich gelohnt, hatnäckig zu bleiben. Und auch wenn die meisten hier wohl deutlich ernstere Sorge plagen: Eventuell ist dieses Paradebeispiel an Bürokratie dem ein oder anderen in Zukunft ja eine Hilfe...

Golsen
23.06.2019, 23:03
Danke für den Hinweis, ich bin nämlich auch 2a gewesen und habe auch nur 2,5 Jahre den Status erhalten. Mal schauen was bei der Verlängerung passiert.

Rei87
10.01.2020, 18:38
Januar 2020. Vergangene Woche haben sich Diagnose und Krankenhausaufenthalt zum dritten Mal für mich gejährt. Die letzten 12 Monaten waren "anders" als die Jahre zuvor. Dass die Intervalle zwischen den Untersuchungen (zumindest theoretisch) größer geworden sind, begrüßen Körper und Geist sehr. Vor allem dass ich nicht mehr so häufig zur Bildgebung musste, hat ein Stück weit verschnaufen lassen. Blut und Ultraschall lasse ich auf Angebot meines Uros nämlich weiterhin alle 3 Monate kontrollieren bzw. durchführen. Das mag ein Überangebot fernab der Leitlinien sein, aber für mich ist es ein Stück weit auch wie ein Netz mit doppeltem Boden. Und es schadet ja auch nicht. Überhaupt schätze ich sehr, dass ich zum Doc und seinen Helferlein inzwischen ein recht vertrautes Verhältnis pflege. Das heißt zwar nicht gerade, dass ich gerne dort aufschlage, aber ich fühle mich gut aufgehoben und als individueller Patient wahrgenommen. Anders als zu Anfang, als man (sich) ständig noch erklären musste, obwohl man einfach nur vergessen wollte...

Körperlich geht es mir sehr gut. Entgegen meines Posts im vergangenen Januar habe ich in 2019 tatsächlich noch ein paar Dinge geändert und mich intensiver mit Sport und meiner Ernährung auseinander gesetzt. Dass ich jetzt im Gym bin, hat mich bisher zwar nicht sonderlich in die Breite getrieben, aber ich Rede mir ein, anders als früher erfolgreich damit Prophylaxe zu betreiben. Geschadet hat es mir bisher jedenfalls nicht, 3-4 Stunden in der Woche in Bewegung zu sein. Meine Hormonwerte danken auch. Völlerei kann ich noch immer gut, aber nur noch selten. An Feiertagen z.B. oder im Urlaub. Letzteres hatte ich mir für 2019 ohnehin ganz groß auf die Fahne geschrieben: Ich war viel unterwegs, kreuz und quer in Europa. Manchmal 2 Wochen, manchmal nur 1-2 Tage. Das hat meine Ökobilanz zwar deutlich nach unten geschraubt, aber ich bin mir sicher, dass wir vom Schicksal Gebeutelten da durchaus etwas gut haben. Ich liebe es jedenfalls. Es tut mir gut. Mehr als alles andere. Und ich werde und will 2020 gar nicht erst anders angehen.

Ebenfalls in 2019 sind Dinge passiert, die mich insbesondere im "Stadium der Ungewissheit" während der Chemo sehr beschäftigt haben; zu einem Zeitpunkt, als ich die viele freie Zeit genutzt habe, um ausgesprochen viel Revue passieren zu lassen. In meiner damaligen Situation war das nicht ganz so gut, weil natürlich auch Fehler und Misserfolge ins Bild rückten und das zusätzlich auf die Psyche gedrückt hat. Heute bin ich jedoch dankbar, dass ich daraus auch Konsequenzen für mich gezogen habe. Reisen sind da nur ein Thema. Aber auch Zeit für die Familie und Freunde. Andererseits kann ich inzwischen auch wieder recht gut mit mir alleine sein, was kurz nach der Chemo (getrieben wie ich war) quasi unmöglich gewesen ist. Und auch Faulsein klappt wieder gut. Ohne die anfänglichen Gewissensbisse, Freizeit falsch genutzt zu haben. Hinzu kamen im letzten Jahr auch für mich wichtige Ereignisse, von den ich damals gehofft hatte, dass ich wieder gesund sein würde, sie mitzuerleben: Hochzeiten, Geburten, runde Geburtstage.

Und die "Liebe". Keine der Art, die ein gutes Ende zu berichten weiß, aber mit Ende 20 weder Beziehung noch Kinder zu haben und dann Krebs diagnostiziert zu bekommen... Für mich war das wie ein zusätzlicher Schlag in die Fresse. A la "So, das hast jetzt davon. Hättest die letzten Jahre mal besser Gas gegeben. Da musst jetzt alleine durch. Und danach wird's auch nicht einfacher." Alleine war ich freilich nicht. Aber einfacher war und ist es seither auch nicht. Wann berichtet man davon, wenn man jemanden kennenlernt? Bereits beim ersten Gespräch? Vor dem ersten Sex? Besser danach? Und kann der andere überhaupt damit umgehen? Ich denke nur noch bemerkenswert wenig an die Diagnose, aber um mich als Person zu verstehen, gehört das Wissen darum doch auch dazu, oder? Und auch Ehrlichkeit. Ich habe es vielleicht nicht geschickt angestellt, aber es war jedenfalls kein Problem. Dass das Ganze nicht gut geendet ist und ich anschließend ein wenig gelitten habe, hat mir jedenfalls auf geradezu lächerliche Art und Weise gezeigt, wie schnell bei all dem Alltag selbst eine Krebsdiagnose in den Hintergrund geraten kann.

Vielleicht findet sich der ein oder andere hier wieder. Ich freue mich jedenfalls immer, wenn ich hier im (Gott sei Dank wieder aufgetauchten) Forum von den vorwiegend positiven Behandlungs- und Nachsorgeergebnissen zu lesen. Das gibt mir mehr Zuversicht als jedes Arztgespräch oder Schulterklopfen ... Einen guten Start in 2020 und viel Gesundheit und Erfolg euch allen.

Rei87

ElChupacabra
10.01.2020, 19:01
Danke fürs "Melden". Es ist immer schön so positive Berichte zu lesen :-)

Rei87
15.01.2021, 16:28
Hallo in die Runde,

kurzes Update von mir: Alles gut - auch wenn 2020 in Sachen Nachsorge etwas aufreibender war als die Jahre zuvor. Grund: Meine Leberwerte schwanken seit letztem Frühjahr stark und lagen zeitweise sogar leicht über dem Normbereich. Da der Rest (Bildgebung, Marker) immer in Ordnung war, verbuchen die Ärzte das unter einer kleinen "Anomalie". Aber ja, das war ein ziemlicher Run vom einen Doc zum nächsten, und ja, ich gehe auch an das Thema Nachsorge etwas "unentspannter" heran als zuvor. Nicht unbedingt, weil ich den "Fall-der-Fälle" wittere, sondern weil man sich ja schon auch immer mal die Frage stellt, ob es auch die Nachwirkungen der Chemo sein können, die in der ein oder anderen Form hier und da zwicken und ich durchaus schätze, ein "uninteressanter Fall" zu sein - insbesondere dann, wenn der Doc wiederholt laut Zweifel hegt, wenn man beteuert, dass Alkohol, Nahrungsergänzungsmittel und Fast-Food eher nicht zu den eigenen Grundnahrungsmitteln zählen...

Ansonsten blicke ich trotz Corona nicht vollends mit Schrecken auf 2020 zurück. Es klingt vielleicht verrückt, aber die Tatsache, dass sich die ganze Welt auf einmal mit der eigenen Gesundheit bzw. Angst vor Krankheit beschäftigen muss(te), hat(te) auf perfide Art und Weise auch etwas Befriedigendes. Nicht dass ich jemandem auch nur Ansatzweise den Virus auf den Hals wünschen würde, aber dem Umstand, dass wir alle gleichermaßen notwendigerweise gezwungen waren/sind, uns zu besinnen und Bewährtes zu hinterfragen, kann ich durchaus auch Positives abgewinnen. Insbesondere nach einer Zeit, in der die eigenen Vorsätze nach der Diagnose auch alten Gewohnheiten gewichen sind. Gleichwohl hab ich oft an die vielen Unglücklichen gedacht, die ausgerechnet in dieser Zeit im KH waren oder Chemo machen mussten und die, eben weil sie ein geschwächtes Immunsystem haben, auf besondere Weise dem ständigen Ansteckungs-Brainf*ck ausgesetzt sind.

Mal sehen, was 2021 bringt. Bleibt/werdet gesund - ich halte uns die Daumen!

Rei87

Rei87
27.07.2022, 16:29
Update: Es ist geschafft. 5 Jahre (erfolgreiche) Nachsorge liegen nun hinter mir. Laut meinem Uro rutsche ich nun "nahtlos in die Vorsorge".

Was 2017 noch wie ein unüberwindbarer Berg an Arztterminen und "utopischer" Ausblick in die Zukunft klang, verging rückblickend nun doch so schnell wie ein Wimpernschlag... Ich muss sagen, dass mir das manchmal ein wenig Angst macht. Und ich gehe auch mit gemischten Gefühlen in die weniger eng getaktete "Nach-Nachsorge" (wie ich es - für mich treffender - eher nenne)... Aber es geht mir sehr gut. Sowohl physisch als auch psychisch. Bislang machen sich keine Folgen von Tumor oder Chemo bemerkbar. Und manchmal, wenn das Thema z.B. bei prominenten Fällen in Medien mal wieder auftaucht, muss ich mir fast schon in begreiflich machen, dass ich mal im selben Boot gesessen habe... keine Ahnung, was ich für ein Mensch wäre, wenn heute etwas Neues oder ein Rezidiv auftauchen würde...

Allen, die inmitten von Diagnose, Behandlung oder Nachsorge stecken, auf jeden Fall alles Gute an dieser Stelle...

Gruß
Rei87

Samweis
13.10.2022, 11:02
Alles Gute dir und Glückwunsch zum überstandenen Martyrium.