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sabbimaus 23.10.2012 11:16

Woher Hilfe? An wen wenden?
 
Hallo zusammen,

vor ca. 2,5 Jahren ist meine Mutter an Leberkrebs gestorben. Es ging alles so schnell :-(
Sie und mein Vater waren 45 Jahre verheiratet und unzertrennlich.
Seit dem ihrem Tod geht es mit meinem Vater nur noch bergab.
Er verwahrlost, isst kaum noch etwas, im Haus sieht es bald so aus wie bei Messis, er pflegt sich nicht und liegt den ganzen Tag im Bett!
Der Hund kommt auch kaum noch raus :-(
Wir versuchen mit ihm zu reden aber er blockt alles ab. Er sagt wir sollen ihn in Ruhe lassen. Seinen Rentenantrag möchte er auch nicht stellen, weil er auf nichts Bock hat!
Aber das kann doch nicht sein? Man kann doch nicht einfach drüber hinweg sehen? Er lässt sich nicht helfen ...

Hat jemand ähnliches erlebt oder ist in einer solchen Situation und kann mir sagen an wen ich mich da am besten wenden kann? Wenn er einen Arzt sieht dann blockt er erst richtig ab...

Danke und LG
Sabbi

Mirilena 23.10.2012 12:20

AW: Woher Hilfe? An wen wenden?
 
Liebe Sabbi,

oje, das ist eine ganz schwierige Situation, in der du dich da befindest... Du hast deine Mutter verloren und nun musst du hilflos zusehen, wie dein Vater jeden Weg zurück ins Leben blockiert. Das muss sehr schlimm für dich sein...

Mit der Hilfe ist es schwierig, denn ich denke, dein Vater muss diese Hilfe zumindest zulassen können und wenn er nicht einmal eure Hilfe annehmen mag, dann wird es noch komplizierter sein, von außen Hilfe anzunehmen. Zumal man in der Regel ja selbst hinausgehen muss in die Außenwelt (z.B. zu einer Trauergruppe, zum arzt etc.).

Deine Sorge kann ich allerdings mehr als nachvollziehen, da du schreibst, dass der Tod deiner Mama 2,5 Jahre zurückliegt. Nun wid es dann doch Zeit für deinen Vater, sich ganz langsam wieder einen Weg zurück ins Leben zu bahnen. Natürlich sind für einen Trauernden auch 2,5 Jahre keine Zeit, doch es klingt, als bestünde die Gefahr, dass er sich komplett aufgibt... Kannst du mit deinem Vater offen sprechen, hört er dir dann zu? Redet er mit dir oder jemand anderem über seine Trauer, hat er die Möglichkeit, über seine Frau zu erzählen? Wenn du da einen Weg zu ihm finden kannst, besteht ja vielleicht auch die Hoffnung, dass er an den Gedanken gewöhnen kann, wieder am Leben teil zu haben. Es ist ein Leben ohne seine geliebte Frau, aber deine Mama hätte sicherlich nicht gewollt, dass er sich für immer abkapselt und niemanden mehr an sich heran lässt.

Ich wünsche dir viel Kraft und zuversicht!
Alle Liebe
Miriam

Monika Rasch 23.10.2012 12:20

AW: Woher Hilfe? An wen wenden?
 
Zitat:

Er verwahrlost, isst kaum noch etwas, im Haus sieht es bald so aus wie bei Messis, er pflegt sich nicht und liegt den ganzen Tag im Bett!
Der Hund kommt auch kaum noch raus :-(
Wir versuchen mit ihm zu reden aber er blockt alles ab. Er sagt wir sollen ihn in Ruhe lassen. Seinen Rentenantrag möchte er auch nicht stellen, weil er auf nichts Bock hat!
Aber das kann doch nicht sein? Man kann doch nicht einfach drüber hinweg sehen? Er lässt sich nicht helfen ...
Für mich hört sich das nach einer echten Depression an, nicht nur nach großer Traurigkeit.
Wenn es mein Vater wäre................
ich würde mich auf jeden Fall mit dem Hausarzt in Verbindung setzen, ein Gespräch und einen Hausbesuch wünschen.
AUCH WENN ER DAS NICHT WILL.
Selbstbestimmung hin oder her- manchmal braucht man einen Schubs in eine andere Richtung.
Und wenn er sich nicht helfen lassen will (mein Vater wäre genauso! )- den Krach würde ich riskieren.

Meiner Meinung nach muss Dein Vater mal einige Zeit von zu Hause weg, und er braucht Hilfe im täglichen Leben.

Notfalls muss man das auch über seinen Kopf weg organisieren.

Und Rente beantragen muss er natürlich, ruf mal einen Rentenberater an
und frag was man da machen soll.


Gute Nerven wünsch ich Dir.

thomasrtl 23.10.2012 17:43

AW: Woher Hilfe? An wen wenden?
 
Hallo Sabbi

ich habe leider leider meinen guten Vater selber vor 3 Wochen verloren, und ich vermisse ihn sehr, genau wie meine Mutter sicher auch.

Vielleicht muss man sich selber, oder in deinem Falle Dein Vater, fragen was unsere Lieben denn von und wollen.

Das ist vielleicht einfacher gesagt als getan, das weiss ich selber, ich mein Vater will doch nicht dass ich mir das Leben schwer mache und versaue.

Euch alles Liebe und Gottes Segen!

Thomas

Cellkeeper 25.10.2012 17:23

AW: Woher Hilfe? An wen wenden?
 
Ich habe zZ ein Ähnliches Problem mit meinem Papa, er lässt sich auch perdu nicht helfen von Außen und es ist sehr schwierig an ihn heranzukommen. Ich hab einige kleine Zwischenlösungen:

1. Ihn beschäftigen: Ich gebe ihm Aufgaben zB Boden verlegen, Tür machen, Klamotten von Mama aussortieren, etc das hält ihn auf Trap und lässt ihn die Trauer in den Hintergrund rücken.
2. So gut es geht mit ihm reden bis er sich öffnet - also nicht locker lassen und ihm zB auch sagen: "Mama hätte bestimmt nicht gewollt, dass du dich so hängen lässt"
3. ihm zeigen, dass man auch so traurig ist und das Leben aber weitergehen muss und er nicht allein ist und er auch mit Tochter/ und oder Sohn etc was unternehmen kann.

Wenn du seine Freunde kennst könntest du auch diese bitten dass sie ein wenig auf ihn einreden oder etwas planen um ihn aus der Reserve zu locken, dass hab ich zB mit Gartennachbarn versucht. Diese haben ihn dann zB auch Aufgaben gegeben wie zB beim Umzug eines Freunde zu helfen oder mit ihm gemeinsam in eine Therme zu fahren

lyra 25.10.2012 19:39

AW: Woher Hilfe? An wen wenden?
 
Hallo Sabbi,
ich habe das Gefühl, Dein Vater will einfach nicht mehr ohne Deine Mutter.
Ich weiß nicht, wie eng deren Beziehung war- aber sicher sehr eng- Du schreibst "unzertrennlich".
Seelenverwandte? Wie die Papageien, die man nur als Pärchen halten kann? Ja, kann ich mir vorstellen.
Wer will ihm nun vorschreiben, wie er sich zu fühlen bzw. zu verhalten hat?
Wer sagt eigentlich, dass man gern leben muss und einfach "weiter im Text" machen sollte, besonders nach solch einem Schicksalsschlag?

Wenn mir jemand käme, der mir erzählte: "Das Leben muss weiter gehen"
und mir mit Beschäftigungstherapie und Erpressung a la: der/ die Verstorbene hätte es auch nicht so gewollt...
auf die Pelle rücken würde-
ich würde ihn achtkantig raus werfen.

Trauer verläuft ganz unterschiedlich, für viele wird es nach 2,5 Jahren erträglicher, es gibt aber auch Menschen, für die es immer unerträglicher wird.
Daher gibt es kein Patentrezept.

Ich würde Dir, Sabbi, nur raten, für Deinen Vater da zu sein, Dich ganz regelmäßig blicken zu lassen, auch mal mit dem Hausarzt zu reden oder jemandem vom Hospizverein/ Abt. Trauerbegleitung, die haben Erfahrung-
aber bitte bevormunde ihn keinesfalls-
und ohne der lieben und hilfreichen Community zu nahe treten zu wollen-
ich empfinde alle gut gemeinten Ratschläge hier als Bevormundung.
Liebe Grüße
Lyra

Petra_S 25.10.2012 20:19

AW: Woher Hilfe? An wen wenden?
 
Guten Abend,

DANKE Lyra, DANKE - für deinen Mut das mal so auszusprechen. Mir geht es ähnlich, ich frage mich oft warum die Welt so erpicht darauf ist, dass man immer "weiter machen muss"....?! Natürlich dreht sich die Welt weiter, aber vielleicht geht sie für einen einzelnen Menschen unter... seine/ ihre Welt...
"Man darf das doch nicht an einer Person festmachen - das Leben kann trotzdem schööön sein!!!" - Ja "KANN", aber "MUSS" sie das??? Keiner kann in einen anderen Menschen hineinsehen, keiner sollte bestimmen wollen oder manipulieren, dass der andere sich verpflichtet fühlt weiter leben zu "müssen".

Wie Lyra sagt, DA SEIN - vielleicht helfen dass die finanziellen "Überlebensmöglichkeiten" da sind. Warum wird man nicht gefragt - auch die "verbotenen Fragen", wie "Hast du gar keine Kraft und Lust mehr ohne Mama zu leben?", "Du möchtest sicher lieber bei ihr sein, da wo sie jetzt ist...?!" ? Immer soll alles "wieder gut werden"... Warum sind die Menschen drum herum so wild darauf? Was würde passieren, wenn man die Möglichkeit in Betracht zieht, dass es nicht "wieder gut" werden könnte?

Ich weiß, dass mein Lebensgefährte nicht ohne mich hätte weiter leben wollen. Er hätte sich nicht selbst das Leben genommen, sich aber völlig von der Welt zurückgezogen, zu müde vom ewigen Kampf... zu viele schon verloren, zu viel Leid erlebt und immer wieder aufgestanden.... Wir haben oft darüber gesprochen. WER weiß schon wann eines anderen Menschen Lebenswillen erschöpft ist? Sicher, wenn man den Menschen wirklich braucht, es ihn in Liebe wissen lässt... aber "Beschäftigungstherapie" ist für mich schon etwas beleidigendes.... Ich weiß - alle meinen es "nur gut" - aber WAS ist "GUT" und für wen und woher wissen das andere? Was wenn das Leben nur noch eine Quälerei ist? Kann nicht sein, weil die Blumen so schön blühen??? Weil es anders nicht sein darf???

Nachdenkliche Grüße
Petra

HeikesFreundin 26.10.2012 00:34

AW: Woher Hilfe? An wen wenden?
 
Ja, Petra - Du hast in all dem recht ...

Aber was soll man machen?
Einfach zusehen?
Man kann aus dieser tiefen Depression auch wieder rauskommen ...
aber oftmals muss man erstmal wieder in einen "Zustand" kommen, wo man
empfänglich dafür ist, dass das eigene Leben nicht zuende sein muss.
Und DAS sollte man wenigstens versuchen - auch als Angehörige.

Wir haben das grad auch ähnlich durch:
am 24.5.2010 starb Heike,
am 4.8.2011 erhängte sich Uwe, weil er mit
ihrem Tod usw nicht zurecht kam.

Sicher hat jeder Mensch ein Recht auf Selbsttötung,
sein Selbstbestimmungsrecht - denn die Würde des Menschen ist
unantastbar oder sollte es zumindest sein.

Man KANN als Kind und auch als Freund nicht einfach zusehen, wie jemand
sich selbst "aufgibt" - wie soll man auch selbst dann weitermachen, wenn
man in einem solchen Fall nichts tut?

Macht man sich nicht auch mitschuldig, wenn man sieht, dass der Mensch
nicht mehr kann ... und irgendwann den Weg geht, den er vielleicht nicht gehen
würde, wenn er Hilfe hätte, die auch greift?

Offen reden ist oft gut, aber auch nicht immer.

Man darf aber sicher sagen: Ich habe Angst dass ich dich auch noch verliere.
Zitat:

"Hast du gar keine Kraft und Lust mehr ohne Mama zu leben?",
unterschreibe ich sofort, aber:
Zitat:

Du möchtest sicher lieber bei ihr sein, da wo sie jetzt ist...?!"
halte ich persönlich bei jedem für zu gefährlich ... ich würde nicht noch jemanden
auf den Gedanken bringen, dass es vielleicht schön sein könnte ...

Es gibt auch eine Phase im Leben, da ist nur ATMEN eine größte Anstrengung -
den Tag "überleben" - ganz passiv.

Eine tiefe Depression mit Suizidalität im 2007 hat mich das spüren lassen.
Ich wäre ohne Hilfe da nie mehr rausgekommen ... der sozialpsychiatrische Dienst, den es
in jeder Stadt gibt hat nach Anruf einer Freundin
von mir alles geregelt (nicht FÜR mich, aber MIT mir!)

HEUTE bin ich froh, noch da zu sein und lebe wieder gerne,
was ich mir damals überhaupt nicht vorstellen konnte.

Ich war einfach nur des Lebens müde, völlig emotionslos und leer ...
wie ein Nichts und gar nicht da.

Selbst der Gedanke dass meine Kinder mich noch brauchen bedeutete mir
damals so gar nichts - es war mir alles gleichgültig.

Was ich sagen will:
ich denke, der Mann braucht dringendst Hilfe!

Und wenn er dann irgendwann immer noch entscheidet nicht mehr zu wollen,
dann wird er eh seinen Weg gehen, so wie er ihn für sich entscheidet.

Und JETZT ist er nach meinem Eindruck nicht mehr in einem Zustand realistisch
zu entscheiden, was dran ist oder nicht oder richtig oder falsch ...

Mit lieben und auch nachdenklichen Grüßen,
Angie
(nach langer Zeit Antidepressiva und 3 monatigem Reha-Aufenthalt wieder topfit)

Petra_S 26.10.2012 10:31

AW: Woher Hilfe? An wen wenden?
 
Liebe Angie und alle anderen,

erst einmal viiiiielen Dank, dass du so ruhig geblieben bist und nicht auf mich losgegangen bist! Mir war bewusst, dass ich ein heisses Eisen anfasse. Allerdings ist jetzt ist genau das passiert, was passiert, wenn man in der „man“ Form versucht zu schreiben… es verallgemeinert sich. Dadurch, dass ich nicht direkt den Vater ins „Visier“ nehmen wollte, habe ich eine allgemeine Aussage getroffen, die eben doch ggf. nicht in der Konsequenz bei jungen Leuten so ohne weiteres anwendbar ist. Gerade wenn hilfsbedürftige andere Menschen zu Schaden kommen, dann ist das sicher mit Vorsicht zu behandeln. Kinder, die abhängig sind von ihren Eltern, die dann auch seelischen Schaden nehmen…

Trotzdem sehe ich das Problem etwas anders. Ich habe mit der „professionellen Hilfe“ nur bedingt gute Erfahrungen machen können. Erst einmal ist es fast immer (wohl gemerkt das sind nur MEINE Erfahrungswerte!) so, dass man kaum das Problem unter Tränen beschrieben hat, wird sofort das Rezept ausgeschrieben. Ich habe das Gefühl…“nur schnell WAS MACHEN, dass sie aufhört zu heulen…“ – selbst in der ambulanten Psychotherapie wird oft drauf hingewiesen, dass man dies ohne Antidepressiva „NICHT SCHAFFEN KANN!“ – oh Gott was für eine Bankroterklärung der Gesellschaft…. Meine Mutter als Vierjährige, auf der Flucht an der Hand ihrer Mutter, im Handwagen die sterbende Oma, wurde an Leichen vorbei geführt … Den Geruch - dement wie sie ist - hat sie heute noch in der Nase…, nichts hat man sich von ihr erzählen lassen – nichts hat man ihr erklärt - damals nicht und heute auch nicht. Psychopharmaka und die Alpträume über Monate wurden ins unerträgliche gesteigert… Dosis erhöht, Pille gewechselt…was soll man sonst machen? „Dann geben sie sie doch ins Heim!“ das war der letzte Tipp der Psychologin, bevor ich wütend die Tür zu schmiss… Bei mir lief es nicht sooo viel anders, über das Erlebte wurde kaum gesprochen, es hieß „Immer nur nach vorn sehen, mit "positiven Dingen" ablenken(zudecken?), mit Pillen dämpfen, das Leben ist trotzdem lebenswert – das wird schon wieder!“ Auf Biegen und Brechen – das Leben IST schön! (Hat schön zu sein verdammt!) Mit den Pillen habe ich wieder funktioniert, mich teilweise nicht mehr gefühlt, es hat den Start in den Alltag wieder möglich gemacht, aber ich war ein braver Soldat. Ich bin Morgens aufgestanden „Startknopf“ an und los…machen was die Gesellschaft erwartet. „Oh, DUUU siehst aber guuuut aus! Schön, dass es dir wieder besser geht!“ (Neiiiin, es geht mir nicht besser – ich tu nur so, zeige euch das Bild was euch beruhigt, funktioniere wieder!) Nicht viele wollten/ wollen wissen wie es wirklich aussieht. „Das können sie niiie ohne Pillen schaffen!“ – doch ich kann… ich habe noch in der Klinik aufgehört sie zu nehmen. Ich stehe nicht mehr neben mir und wundere mich wer da warum lacht…, ich funktioniere nur noch bedingt wie man es gern hätte… ich bemühe mich mit allen psychologischen Tricks das Leben schön zu finden. Jooo, es geht, es gibt ganz schöne Momente, aber im Verhältnis zu dem täglichen Kampf… und dem Vermissen meines geliebten Weggefährten und UNSERER Zukunft....
…und wenn ich dann lese „ich gebe ihm Aufgaben, die die Trauer in den Hintergrund treten lassen“ … „Mamas Klamotten aussortieren“ … tut mir leid, da könnte ich den Schreikrampf kriegen… Beschäftigungen, die die Trauer in den Hintergrund treten lassen… wie lange muss man darüber nachdenken um diese Beschäftigung als gute Therapie zu empfinden?
Zitat:

Klamotten von Mama aussortieren, etc das hält ihn auf Trap und lässt ihn die Trauer in den Hintergrund rücken.
Wenn das schon „gut“ für den Trauernden sein soll, wie gut kann dann eine aufgezwungene Therapie, usw. sein? Ja, es gibt Leute, die bringen sich um… und sicher muss man sich in gewisser Weise kümmern. Doch da kommen wir zur nächsten “heissen Sache“. WAS IST KÜMMERN? Und die Frage ist, kümmert man sich wirklich weil man glaubt, dass das Leben noch lebenswert sein kann? Oder geht es darum, dass man selbst es nicht ertragen würde hilflos zusehen zu müssen und damit weiterleben zu müssen? Aber beruhigt es schon das Gewissen, wenn man “Fachleute“ ruft? Geht es um das eigene Gewissen? Glaubst du wirklich der Mann, der nur noch „dahinvegetiert“, sich gehen lässt, ist tatsächlich noch nicht auf die Idee gekommen, wo er lieber wäre??? Du meinst wirklich, die Frage dürfte man lieber nicht stellen um ihn nicht auf „dumme Ideen“ zu bringen? (werden unsere Kinder nicht süchtig nach irgendwas, schwanger… wenn wir nicht mit ihnen drüber sprechen?) Oder ist das Gespräch für den Frager unangenehm? Ich habe die Erfahrung gemacht, dass über Selbstmord reden oder nur erst mal über den legitimen Wunsch nicht mehr leben zu müssen, dem Problem schon mal den Druck nimmt. Es NICHT aussprechen zu dürfen, aus Angst, dass man dem Angehörigen damit Probleme bereitet und dass man gleich „in die Psychatrie gesteckt und mit Tabletten unfähig zum denken und fühlen“ gemacht wird, diese Angst und die Einsamkeit in diesem Schweigen verstärkt den Druck viel mehr, als das Reden darüber. Jedoch ist es für den Gesprächspartner viel „gefährlicher“, denn er übernimmt Verantwortung, weil er „es ja gewusst hat“ – WENN dann doch was passiert! Wenn wir uns einreden den Menschen nicht durch solche Gespräche „auf die Idee“ gebracht zu haben, dann haben wir auch keine Schuld. Ich bin der Meinung diese Gespräche während eines Spazierganges, sind wesentlich erleichternder für beide Seiten. Nur Spaziergänge mit den erwachsenen Kindern, Besuche oder Rasen mähen beim Nachbarn sind nette Begebenheiten, aber ein „Papagei „ der allein ist, der das Liebste und Wichtigste – das was sein Leben ausgemacht hat, die BEZIEHUNG verloren hat – das ist ein mühsamer Versuch… Es geht nicht um Beschäftigung, es geht um BEZIEHUNG, die alle Lebensbereiche infiltriert, die DAS LEBEN in der Form überhaupt ausmacht. Da sind Haushalt, Pflichten und was man sonst so treibt am Tag doch nur Nebensache. So traurig das für die Angehörigen ist, was sind 60 „schön gemachte“ Minuten am Tag gegen die lange Zeit der Unsinnigkeit. Kennt ihr die Geschichte von dem Bauern und den Glücksbohnen? (wer sich so lange mit dem Thema wirklich beschäftigen möchte kann es googeln) Das versuche ich zur Zeit, sicher - es klappt um über den Tag, die Woche, vielleicht mein restliches Leben zu kommen. Und doch, was glaubt ihr wie viele Bohnen ein Trauernder tauschen müsste/ wollte wenn er dafür sein Leben wieder bekommen würde…??? Es gibt wahrscheinlich nicht DIE Lösung, AUCH MEINE GEDANKENGÄNGE ERHEBEN NICHT DEN ANSPRUCH AUF DIE ABSOLUTE WAHRHEIT; DENNOCH halte es für falsch, die Verantwortung immer auf „Fachleute“ und „Pillen“ zu verschieben… EHRLICHKEIT - auch unangenehme Dingen aussprechen, sich überwinden und sich auch anhören was einem selbst Angst macht, es stehen lassen können ohne in hektische Aktivität zu verfallen = BEZIEHUNG und Zeit füreinander, das ist für mich das was am ehesten heilt… doch eine GARANTIE ist das auch nicht! Aber was glaubst du wie viele den Text bis hier her gelesen haben? So wichtig war das Thema dann vielleicht doch nicht…
[QUOTE]Ich denke der Mann braucht dringenst Hilfe[/QUOTE …ja, das glaube ich auch.

...auch mal hilflose Grüße
Petra

Petra_S 26.10.2012 10:40

AW: Woher Hilfe? An wen wenden?
 
Liebe Angie,

diesen kleinen Satz von dir, den hab ich fast überlesen, dennoch denke ich er könnte die Antwort sein:

Zitat:

von mir alles geregelt (nicht FÜR mich, aber MIT mir!)

Kann es für den Betroffenen noch ein "MIT" geben?

HeikesFreundin 26.10.2012 17:38

AW: Woher Hilfe? An wen wenden?
 
Hallo Petra,


bin in Eile, daher nur kurz:

Du hast grundsätzlich in allem recht, was Du schreibst - absolut.

Auch die Ängste offen ansprechen kann sinnvoll sein -> Betonung liegt auf "kann".
Aber weder Du noch ich kennen diesen Menschen, über den wir hier lesen, schreiben und uns Gedanken machen.
Daher denke ich, das die es abwägen müssen, die den Mann wirklich kennen.

Es gibt so viele "teure Parkuhren" unter den professionellen Psychologen
(habe ich auch kennengelernt), aber auch viele Hobbypsychologen unter den Unausgebildeten -
beides ist gefährlich und fahrlässig.

so offene Gespräche zu führen liegt leider nicht jedem und nicht jeder hat jemanden ...
Ich kann offen ÜBER ALLES sprechen, Du scheinbar auch, aber es gibt eben leider nicht so viele die das können.
Dennoch muss man nun ja irgendwo einen Ansatz finden - Du würdest doch sicher auch nicht
tatenlos zusehen, wie Dein Vater - sich selbst aufgebend -
auf sein Lebensende wartet, hm?

Ich habe auch schon schlechte Erfahrungen mit Psychologie gemacht,
aber danach - als ich fast nicht mehr am Leben war - dann doch GUTE und genau das hat die Wende gebracht.

Und nein: meine Gefühle waren durch die Medikation nicht abgeschaltet, ich kam dadurch erst
wieder in einen Zustand in dem ich erkennen konnte, wie es mir überhaupt geht - und DASS es mir überhaupt "irgendwie" geht.

P.S. ... geht auch alles OHNE "Psychiatrische Klinik" - da war ich noch nie drin.

Zitat:

Kann es für den Betroffenen noch ein "MIT" geben?
Ich glaube schon, aber nicht, wenn er da so liegen bleibt (liegengelassen wird), wie er da eben in
der obigen Beschreibung liegt ... und verstorben ist.
Und vor allem nicht, wenn man es nicht wenigstens VERSUCHT!

Jeder Mensch ist ein Individuum und da kann es keine Allgemeingültigkeit geben.

Aber vielleicht Anlauf-Tipps für den Fragensteller, der dann eh allein entscheiden muss, was er für den
Vater für richtig hält, was er tut oder unterläßt.



Liebe Grüße,
Angie

Petra_S 26.10.2012 20:15

AW: Woher Hilfe? An wen wenden?
 
Hallo zusammen, nur einmal noch

Ich möchte doch nicht meine Meinung als "muss" hier stehen haben, ich habe sie nur geäußert und gegenteilige Gedanken formuliert. Und sabbimaus irgendwelche Fahrtrouten vorgeben will ich schon gar nicht. Im Grunde habe ich sogar eher den Ratgebern nach dem sabbimaus Text geantwortet.

Vorab, ich habe meinem Vater geholfen so weit er mich gelassen hat, ab einem bestimmten Punkt hat er auch geblockt, dann musste ich nur noch zusehen, habe ihn begleitet, akzeptiert was er wie wollte und was nicht, ab und an noch mal einen Vorschlag gemacht, ihm meine Ängste und Gefühle gesagt und seine Meinung akzeptiere müssen. Er ist nicht an seiner Trauer verstorben, sondern hat sich seiner Krankheit ergeben, die gute Chancen zur Heilung hatte...als ich 24 Jahre alt war und drei kleine Kinder hatte. Wir hatten ein gutes Verhältnis, er fehlt mir auch heute noch und ich hätte es mir anders gewünscht, aber es war nicht meine Entscheidung und ich kann damit leben.

Sabbiamaus hat natürlich die schwere Wahl für sich heraus zu fnden, womit sie leben kann. Ich habe übrigens nicht gesagt, dass man ihn nur "liegen lassen" soll, versuchen schon - die Frage ist nur WAS versucht man.

Ich möchte jetzt gar keine Schlauheiten mehr von mir geben, sondern würde euch gern von meiner besten Freundin erzählen... Sie hat schon sehr viel mit mir mit gemacht, sie weiß schon gar nicht mehr was sie zu meinem Leben sagen soll. Nachdem mein zweiter Lebensgefährte "aus heiterem Himmel" verstorben ist, ist sie über ein Jahr lang zuverlässig jede Woche einmal zu mir gekommen um nach mir zu sehen. Sie hat sich bedankt dass ich sie reinlasse, weil sie wußte ich wollte lieber niemand sehen, sie hat mir, als ich wieder arbeiten ging, öfter 5 kleine Sachen gebracht für jeden Tag der Arbeitswoche eine (Tee, Mandarinen....), sie hat sich manche Dinge sicher 100 mal angehört, hat mir nie Ratschläge gegeben, immer nur gefragt um zu verstehen wo ich stehe und was ich fühle, sie hat nie bei mir versucht aufzuräumen -sie wußte das hätte in mir das Gefühl der Unzulänglichkeit und des Versagens verstärkt, es war angesichts des großen Schmerzes eh egal wie es um mich aussieht. Sie hat mir Spaziergänge angeboten, mich aber nie gedrängt. Sie hat mir oft mit Tränen in den Augen die Hand gehalten, mir gesagt - weinend gesagt, dass sie mir nichts Schlaues sagen kann, mir nicht helfen kann und tat es damit schon!!! Sie hat in meinen Trümmern mit mir gesessen und MEINE WIRKLICHKEIT MIT MIR GELEBT UND AUSGEHALTEN! Kein "du solltest", kein "willst du nicht mal", keine fingierten "Hilfsgesuche" - sie hat mich am Boden ankommen lassen und dort mit mir gewartet was passiert. Und ohne dass sie es selbst weiß, hat sie das einzig Richtige getan, sie hat mich in allem was ich machte angenommen und sich NUR MIR zugewendet, liebevoll und mit Verständnis und mit viel Zeit. Und dafür muss ich euch danken, denn genau das werde ich ihr mal in aller Ausführlichkeit sagen, denn es war wiedereinmal eine riesen "Leistung" von ihr! (...und ich war auch nicht immer einfach und nett!)

Euch allen alles Gute, jedem mit seiner Entscheidung, jeder wie er kann!
Petra

lyra 26.10.2012 23:32

AW: Woher Hilfe? An wen wenden?
 
Hallo Sabbimaus,
jetzt habe ich mal "zurück geblättert" und gesehen, dass wir ja schon damals, als Deine Ma erkrankt war, im Leberkrebs-Forum miteinander geschrieben haben-
irgendwie hatte ich mich an Deinen "Nick" erinnert-
auch wenn ich mich Petra`s und auch Angies`s Meinung voll anschließe-
wie geht`s Dir denn damit? Hoffentlich fühlst Du Dich nicht überrolllt-
ganz sicher wollte keiner Deinen Beitrag crashen...obwohl- so im Überschwang der Emotionen- kann das schon geschehen, ich würde mich selbst auch nicht frei davon sprechen...
momentan scheint Dir aber die Grundsatzdiskussion nicht viel zu helfen und droht, an Deinem Anliegen vorbei zu gehen...
melde Dich bitte- auch per PN- oder per Blitz- und Donner- Beschwerde in Deinem Threat...
Liebe Grüße
Lyra

HelmutL 27.10.2012 16:27

AW: Woher Hilfe? An wen wenden?
 
Hallo Sabbi,

ich finde, alle Postings bis jetzt können dir sehr hilfreich sein. Es spielt dabei keine Rolle, ob du mit deren Inhalt einverstanden bist oder nicht. Das ist gar keine Frage, denn eins können sie: dich zum Nachdenken bringen. Es wurden sehr viele Aspekte menschlicher Beziehung und Zwänge in Notsituationen angesprochen. Such dir das aus, was für dich am besten passt.

Was du bis jetzt versucht hast bei deinem Vater finde ich absolut in Ordnung. Das ist keine Bevormundung. Dein Vater steckt so tief in seiner Trauer, dass er die Verantwortung für sich selbst nicht mehr oder kaum noch tragen kann, geschweige denn die Verantwortung für seinen Hund. Seine Trauer als Depression zu bezeichnen empfinde ich als Blödsinn. Ganz sicher gibt es sehr viele Parallelen, das ist aber auch schon alles. Letztens las ich von dem Bestreben, dass, wer seine Trauer nach 2 Wochen nicht im Griff hat, als depressiv einzustufen ist. Geht es noch? Die Lobbyisten lassen grüßen.

Du als Tochter musst versuchen, deinem Vater zu helfen. Schon aus Eigeninteresse. Wie sollst du damit klar kommen, es nicht zu tun? Außerdem liebst du ihn. So, wie du es beschreibst, scheint es deinem Vater unmöglich zu sein (Messie, Hund, Körperpflege, Ernährung) von selbst aus seinem Tief heraus zu kommen. Du bist aktiv geworden und hast es richtig gemacht bisher. Du gibst ihm Aufgaben. Das ist richtig und hat absolut nichts mit Verdrängen zu tun. Es könnte ja sein, dass er Freude an diesen Aufgaben findet und damit sein Lebensmut wieder geweckt wird. Ganz wichtig ist Reden. Auch über dich. Was du fühlst, wenn du ihm zuschaust.

"Das Leben muss schön sein." Quatsch mit Sauce. Das Leben ist wie es ist. Ich sagte damals: "Ich lasse mir mein Leben nicht schön reden." Auch mir hatte man psychologische Hilfe angeboten und ich lehnte sie ab. Hätte ich gewusst, wie schwer es wird, ich hätte vielleicht anders gedacht. Dieser Weg geht durch die Hölle und so manches Mal schlitterte ich nur um Haaresbreite am Abgrund vorbei. Petra und Angie haben es sehr gut beschrieben. Dank guter Freunde habe ich es geschafft bis heute. Ohne sie? Vielleicht nicht. Keine Ahnung.

Was du tust ist keine Bevormundung oder Entmündigung. Es ist Hilfe zur Selbsthilfe. Denn alle wichtigen Entscheidungen trifft dein Vater selbst. Auch keine Entscheidung treffen zu wollen ist letztendlich eine Entscheidung. Seine Entscheidung, mit der er leben oder eben ... naja, das will ich nicht hoffen. Du selber kannst dann schlimmstenfalls sagen, du hast es versucht und dein Bestes gegeben. Das ist für dich sehr wichtig.

Du kannst dir Hilfe holen. Das muss kein Psychologe sein. Es gibt auch andere und die verschreiben keine rosa Pillen. Ein guter psychologischer Berater oder ein Trauerberater z.B. bietet 'nur' Hilfe zur Selbsthilfe. Auch auf dem Umweg über dich. Leider übernimmt die Kasse da keine Kosten. Vielleicht hat die Kirche da was zu bieten oder andere soziale Träger.

Versuche, deinem Vater zu helfen. Sein Leben ist es wert. Er ist es wert. Ihr seit es wert. Gib dein Bestes und du machst nichts falsch. Denk darüber nach.


Ich drücke euch die Daumen,

Helmut


PS: So ein kleiner, wohldosierter Tritt in den Hintern zur richtigen Zeit kann manchmal Wunder wirken. Dein Vater ist bestimmt nicht aus Zucker. Ich habe viele solcher Tritte erhalten. ;)

Liloe 24.11.2012 15:20

AW: Woher Hilfe? An wen wenden?
 
Hallo Petra_S,

zunächst einmal VIELEN DANK für deine Beiträge! :)

Sie sind sehr ausgewogen und beleuchten „beide Seiten“, die des Trauernden UND die des Angehörigen, der dem nur allzu oft hilflos gegenübersteht.

Du sprichst ein großes Tabu in unserer schnelllebigen Spaß- und Wegwerfgesellschaft offen aus: Die Frage nach dem Sinn des Lebens, die Frage, OB das Leben überhaupt immer als lebenswert empfunden werden muss und ob und inwieweit man ehrlich mit diesen Gefühlen umgehen kann, anstatt mittels Psychopharmaka, „Beschäftigungstherapien“ etc. eine Rückkehr in eben jene Spaßgesellschaft „erzwingen“ zu wollen.

Genauso wie du stehe ich der „professionellen Hilfe“ ebenfalls skeptisch gegenüber. Das heißt ebenfalls nicht, dass ich sie komplett ablehne. Aber ich würde – würde ich selbst mich in solche Hände begeben – keinesfalls meinen Verstand an der Türklinke zum Psychologen abgeben. Da halte ich´s wie mit allen anderen Ärzten und KH´s auch, wo ich ebenfalls versuche, ein mündiger Patient bzw. Angehöriger zu bleiben. Immer hinterfrage, mich informiere und ggf. auch Maßnahmen ablehne.

Kurz zu meiner Situation:

Ich bin Angehörige. Meine Mutter ist verwitwet, mein Vater verstarb Ende 2009.
Meine Mutter nun verhält sich gänzlich anders als der Vater der TE. Ihr Haushalt ist perfekt, sie geht ihrer Arbeit nach. Sie hat ein sehr gepflegtes Erscheinungsbild und von außen betrachtet würde sicher jeder denken: Super, sie ist drüber weg! Sie ist ins Leben zurückgekehrt.

Dass es nicht so ist, versucht sie vor aller Welt zu verbergen. Schaut man unter diese „perfekte Fassade“, sieht man Einsamkeit, Trauer und… leider auch eine gewisse Sinnentleertheit. Damit meine ich, dass sie ihrem Leben keinen rechten Sinn zu entnehmen scheint. Sie kapselt sich von ihrer Umwelt ab, pflegt neben ihrer Arbeit keinerlei Freundschaften, geht keinen Hobbys nach, verweigert gemeinsame Unternehmungen etc.

Besonders in der Anfangszeit ihrer Trauer äußerte sie – offen und verschlüsselt – Suizidgedanken („Was soll ich hier eigentlich noch?“ „Wäre ich doch auch gestorben!“ etc.). Momentan sind sie wohl weniger konkret, mehr abstrakt („Sollte ich mal schwer krank und/oder pflegebedürftig werden, werde ich mich beseitigen. Auf keinen Fall will ich ein Pflegefall werden“ usw.). Ich muss sagen, ich bin solchen Gedanken bisher recht hilflos gegenübergestanden und habe nicht gewusst, wie ich damit umgehen soll. Psychologische Hilfe lehnt sie konsequent ab. Sie hält nicht viel von den „Seelenklemptnern“, für sie ist das alles nur „Geldschneiderei“.

Ich finde jedenfalls den Ansatz interessant, dass man evtl. suizidale Äußerungen nicht im Keim erstickt, sondern GEMEINSAM den Gedanken zulässt und weiterspinnt. Ich würde dann als Tochter wohl entgegnen, dass mich ein solcher Schritt – so er tatsächlich vollzogen wird – unheimlich belasten würde. Dass mir meine Mutter als Mensch sehr wichtig ist, dass ich sie brauche (obwohl ich schon erwachsen bin), dass sie mir unheimlich fehlen würde. Und dass ich viell. auch zeitlebens Probleme hätte mit der Art, WIE sie aus dem Leben gegangen ist. Dass ich mir wünschen würde, dass meine zukünftigen Kinder ihre Oma persönlich kennen lernen und nicht „nur“ von Bildern. Dass sie durch diesen Schritt mich auf die Position der Trauernden, Verzweifelten „werfen“ würde. Da bin ich in gewisser Weise auch jetzt schon (denn auch mir fehlt mein Vater), aber so müsste ich dann beide Eltern beweinen. Momentan betrauere ich „nur“ einen Elternteil und bin soooo froh, dass der andere noch hier bei mir ist. Das alles würde ich versuchen, möglichst frei von Vorwürfen zu formulieren. Aber dennoch auszusprechen, was ich darüber denke. Denn das muss dann wiederum von ihr „ausgehalten“ werden, so wie ich ja auch ihre Gedanken und Gefühle „aushalten“ muss.

Das sind meine Gedanken dazu. Etwas wirr, ich weiß. Sorry, ich kann das grad nicht besser formulieren, weil ich beim Schreiben merke, WIE SEHR mich dieses Thema aufwühlt. :(

Ein großes Problem ist auch ein anderer Punkt, den du ansprichst:
Beziehung bzw. die Tatsache, dass 60 schön gemachte Minuten am Tag den Rest des Tages, der in Einsamkeit verbracht wird, nicht aufwiegen können. Da hast du absolut Recht. Ich stehe diesem Problem aber ganz hilflos gegenüber. Denn ich habe selbst Verpflichtungen (Arbeit, Ehemann, viele Haustiere, großer Garten), so dass ich an manchen Tagen am Rotieren bin. Dazu kommt, dass meine Mutter nicht gerade „um die Ecke“ wohnt. Gerade viele ältere Leute wünschen sich den intensiven Kontakt zu ihren Kindern, das weiß ich wohl. Am liebsten wäre vielen von ihnen das klassische Mehrgenerationenhaus, wie es früher Gang und Gäbe war. Das weiß ich auch von meinen Schwiegereltern (gleicher Wunsch, andere Region). Aber „Halbieren“ und uns zwischen beiden Schwiegerfamilien aufteilen, können wir uns nun mal nicht. Will ich auch gar nicht – um mal ganz ehrlich zu sein… :o Ich genieße meine/unsere Autonomie und brauche einen gewissen „Sicherheitsabstand“ zur Verwandtschaft.

Die Kehrseite ist natürlich, dass die Eltern und Schwiegereltern nur wenig an unserem Alltagsleben teilhaben können und sich den Großteil des Tages selbst gestalten u. beschäftigen müssen. Was gerade für verwitwete Elternteile sehr schwer zu sein scheint. Ja, und hier schließt sich dann der „Teufelskreis“… :undecided

Ach, alles nicht so einfach…

Dennoch vielen Dank für die wertvollen Gedankenanstöße in diesem Thread. Ich werde mal schauen, was ich für meine/unsere Situation davon rausziehen und anwenden kann.



@ Sabbimaus,

die Situation ist echt total vertrackt!

Du siehst, ich habe leider auch keine Lösung. Bin selbst am Überlegen, wie man dem verwaisten Elternteil am besten helfen kann.

Ich hätte nur eine einzige Anregung: Die Sache mit dem Hund (Hund kommt kaum noch raus). Dieses Problem hatten wir bei meiner Oma zu lösen. Bei ihr war der Grund nicht Trauer / Depression, sondern körperl. Einschränkung (86 Jahre alt). Wir haben im Supermarkt Aushänge gemacht, dass wir jemanden suchen, der gegen ein kleines Taschengeld regelmäßig den Hund ausführt. Es hat sich eine ganz liebe Schülerin gemeldet, die das nun übernommen hat. Angenehmer Nebeneffekt: Sie bleibt nach dem Gassigehen ganz gerne mal bei meiner Oma sitzen (die sehr gut backen kann ;)) und leistet ihr ein wenig Gesellschaft. Wir sind sehr froh über diese Entwicklung, es ist eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten. :)


Viele Grüße
Liloe

HelmutL 24.11.2012 17:08

AW: Woher Hilfe? An wen wenden?
 
Hallo Liloe,

es gibt keine Gedanken, die man nicht denken darf. Die Äußerungen deiner Mutter "Was soll ich hier noch?" sind ganz normale Gedanken einer frisch Trauernden. Was nicht heißen soll, man dürfte sie auf die leichte Schulter nehmen. Doch vom Gedanken zur Ausführung ist in der Regel noch ein gutes Stück. Was ich dabei als ganz wichtig empfinde ist das Reden über die eigene Trauer. Wer sich in der Trauer total von seiner Umwelt abkapselt, sich selbst isoliert, lebt gefährlich. Da kann es schon passieren, daß sich in der Einsamkeit der eigenen Gedankenwelt Dinge einschleichen, die man selbst nicht mehr beherrschen kann. Dann braucht es einfühlsame Angehörige oder Freunde, die mit ihren Gedanken die eigene Gedankenwelt bereichern. Du hast dir bereits gute Gedanken gemacht, wie du reagieren könntest.

Zu den Gedanken zur 'Spaßgesellschaft' kann ich nur voll zustimmen. Alles und jeder muss immer funktionieren und fröhlich sein. Trauer, depressive Stimmungen, ein schlechter Tag, das wird nicht zugelassen. Es gibt ja schließlich diese rosa Pillen. Neulich hab ich mal gelesen, dass die Trauer, wenn nach 2 Wochen nicht bewältigt, als behandlungsbedürftig im Sinne der Psychiatrie eingestuft werden sollte. Auf welchem Planeten leben eigentlich solche Leute??? Da gebe ich deiner Mutter absolut recht: das ist Beutelschneiderei!! Ich will damit die Psychologie nicht verteufeln. Es gibt viele Gebiete, wo sie sinnvoll eingesetzt werden kann. Doch ein Trauernder muss sich selber helfen. Wenn die eigene Kraft nicht reicht, dann ist es richtig, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Keine Pillen, die nur unterdrücken.

Ich will damit nur sagen, daß jeder einigermaßen stabile Mensch seine Trauer durchaus aus eigener Kraft durchleben kann. Der Tot gehört zum Leben wie die Geburt und damit auf der einen Seite die Freude, wenn ein Mensch geboren wird und andererseits die Trauer, wenn ein Mensch stirbt. Trauer ist keine Krankheit sondern neben der Liebe das stärkste Gefühl, das ein Mensch haben kann. Beide gehören zusammen, sind miteinander verbunden. Das Eine geht ohne das Andere nicht. Nur wer lieben kann, kann auch trauern.

Deine Mutter braucht auch ein gutes Stück Einsamkeit. Das Gefühl, ich bin nicht vergessen, das reicht zum Anfang. In ihrem Kopf ist alles Chaos und das kann nur sie wieder wirklich ordnen. Wie sie das macht, bleibt ihre Entscheidung. Von außen kann man nur die Hand ausstrecken. Zugreifen muss sie selbst.

Klar kann ein Telefonat, ein Gespräch, ein Brief sie nicht für den ganzen Tag aus der Trauer reißen. Doch das sind Ereignisse, auf die sie sich auch wieder freuen wird. Es sind Lichtblicke, die ihr deutlich machen, daß sie nicht alleine ist. Wie sie den Rest des Tages gestaltet (oder auch nicht), bleibt letztendlich ihr selbst überlassen. Jemanden mit Gewalt 'bespaßen' zu wollen ist absoluter Unsinn. Das macht auf Dauer mehr kaputt als es hilft. Auf beiden Seiten. Das fördert lediglich Abhängigkeiten, die vielleicht auf Dauer nicht erfüllbar sind.

"Ich bin für dich da. Nicht, weil du mich brauchst, sondern weil ich dich liebe."

Das braucht ein trauernder Mensch. Nicht mehr und nicht weniger.

Sicher 'braucht' sie dich jetzt. Ganz dringend. Doch wenn man nur auf dieser Basis mit einander umgeht, was ist dann, wenn sie dich nicht mehr 'braucht'? Lässt du sie dann wieder allein? Ganz gewiss nicht. Die Liebe zu deiner Mutter ist die Antriebsfeder, nicht der Gedanke: sie braucht mich jetzt. Gebrauchen heißt ja auch benutzen. Wie ein Auto. Wenn etwas daran kaputt ist, wird das repariert und nach der Fahrt wird es in der Garage abgestellt und erst bei Bedarf wieder hervor geholt. Ist das so unter Menschen, die sich lieben? Denk mal in beide Richtungen.


Liebe Grüße,

Helmut

Petra_S 24.11.2012 22:48

AW: Woher Hilfe? An wen wenden?
 
Liebe Liloe und vor allem auch liebe Sabbimaus!

Zum einen finde ich es traurig, dass sich das Thema nun wohl so verselbstständigt hat, dass es Sabbimaus ggf. seelisch überfordert. Schade, dass Du Dich nicht mehr meldest - Sabbimaus.

Dennoch freue ich mich, dass es mutige wie Liloe gibt, die sich trauen mit dickem Kloß im Hals und Knoten im Herz, sich auf diese schmerzhaften Gedanken einzulassen. Ich weiß aus meiner eigenen Erfahrung (als Angehörige), dass bei Suizidgedanken des geliebten Menschen, sich der Angehörige fragt "Was könnte ICH noch tun, dass das Leben für ihn/ sie wieder lebenswert ist?", "Was habe ich übersehen?", "Muss/ sollte ICH mich noch mehr kümmern?" oder gar "Liebt er/ sie mich denn gar nicht so sehr, dass er/ sie das Leben MIT MIR, einfach bereit ist aufzugeben?" ... das sind furchtbar quälende, selbstzerstörerische Gedanken. Ich bin für mich zu der Überzeugung gekommen, dass es viele Herangehensweisen gibt, so viele Verstrickungen, Dinge die sich bedingen, begünstigen oder auch lindern können. Doch für mich (als suizidal denkende Trauernde)habe ich erkannt, dass nur wenn ich WILL, leben KÖNNEN WILL, dann geht es wieder aufwärts. Als Depressiver "kann man man nicht mehr wollen" - klingt komisch, iss`aber so... Die Falltiefe ist bei jedem Menschen unterschiedlich, aber da ich beide Seiten kenne, glaube ich, dass es für den Angehörigen mindestens genauso schwer ist, wenn nicht wirklich gar schwerer auszuhalten... Der Trauernde/ "Depressive" kann sich allerdings auch nicht mehr einzuschätzen, weil die Kraft plötzlich eine andere ist als früher, die eigenen Grenzen sind völlig "verrückt" im wahrsten Sinne... und der Angehörige kann dieses Schauspiel überhaupt nicht einschätzen, wo steht die geliebte Person, was denkt sie, wie fühlt sie sich? Ist es noch die Person - er/ sie verändert sich - bleibt das so? Wird das gar schlimmer? Wo muss ich eingreifen? Wo ist die Grenze zur Krankheit, wo sich alles wie eine Negativspirale verselbstständigt, alles außer Kontrolle gerät? Ich weiß es nicht, es hängt sicher auch von der inneren Lebens-/ Leidenskraft und der Mentalität des jeweiligen Menschen ab. Ich für mich, muss erst ganz, ganz tief im Loch sitzen, auch mitunter lange, länger als es die Außenwelt auszuhalten gewillt ist und vermag, ggf. eine Zumutung. Aber ich muss mich erst "verlieren", um zu wissen was mir mein Leben ist. Da tut sich die Frage nach dem Sinn wieder auf. Und weil ich zu dem Ergebnis gekommen bin / kommen wollte(?), Dass es doch nicht sein kann, dass alles nur völlig sinnlos und willkürlich passiert, beschließe ich an mutigen Tagen, meinem vielen Leid den Sinn zu geben, dass ich nun anders handele als die über die ich mich geärgert habe - ich beschließe an diesem Tag wirklich "DA" zu sein, wenn ich nun schon mal noch da bin... und meinem Suizidgedanken NICHT nachgehe, an diesem Tag. Wenn ich also noch "DA" bin, dann kann ich wenigstens was Gescheites drauß machen, wie weiter wird sich zeigen... Komme ich nicht allein auf diese Gedanken ist mir nicht weiter geholfen. Denn nur weil mich jemand "gut gemeint" schultert und wieder hoch ans Tageslicht trägt heißt das nicht, dass ich wieder unter den "Normalen" weile, die Gefahr gebannt ist. Wie bei deiner Mutter sieht es so aus, aber ich bin ja nicht aus eigener Motivation herausgekrochen, sondern nur damit die Anderen Ruhe geben und so wird mir jedes negative Ereignis wieder zur Ursache für den Sprung in das Loch gereichen und das Spiel beginnt von vorn. ...und wie dankbar die scheinbare "Normalität" des Trauernden angenommen wird, es ist teilweise erschreckend - ich habe feststellen müssen, dass manche Menschen aus Hilflosigkeit gegenüber des fremden Leidens, sogar agressiv werden.

Liloe, deine Gedanken sind entweder genauso konfus verstrickt wie meine oder ganz klar logisch verständlich..:rotenase: Ich finde Deine Einstellung genau richtig, genau das würde mir (oder das tut es auch mit meinen Kindern) weiterhelfen. Mich nicht verstecken zu müssen ggf. mit meiner Todessehnsucht, wenn mir alles zu schwer wird, aber andererseits auch nicht rücksichtslos zu sein und meinen Kinder oder meiner Mutter, zusätzlich noch die Bürde aufzubinden, die ich selbst nicht mehr tragen kann und will. Nein - dazu liebe ich sie zu sehr, das aus dem Blick zu verlieren. Und doch habe ich die Erfahrung machen müssen, dass es Situationen gibt, die dem Angehörigen sehr viel abverlangen, vor allem ihr eigenes Ego zurückzustellen und versuchen zu verstehen. Mein geliebter Lebensgefährte, der vor siebeneinhalb Jahren an Krebs verstarb, hat mir klar und deutlich gesagt, er könne mir nicht versprechen, dass er bis zum letzten Tag kämpft, er braucht die Gewissheit, dass er gehen kann, wenn es ihm absolut zu viel wird - diese Leben... Und das habe ich verstanden und akzeptiert - natürlich was sonst?! Gibt es auch einen "Seelenkrebs"...? Mein Suizid hätte nichts mit den Angehörigen zu tun, sondern NUR mit MEINER fehlenden Kraft immer und immer wieder den gleichen Kampf aufzunehmen - ohne einen Sinn erkennen zu können und das könnte mir auch KEINER abnehmen - das liegt GANZ ALLEIN AN MIR, welcher Seite ich mich zuwende.

...und doch und nun komme ich tatsächlich zum Schluss - und doch muss ich ich Helmut zustimmen, wenn man weiß geliebt zu werden, dies spürt - dann ist viel gewonnen, wenn es ECHTE LIEBE UND FÜRSORGE ist, dann ist ein Brief, ein Telefonat 1000 mal mehr wert als tägliche "Pflichtbesuche", dann bekommt die "Lebensseite" wieder Farbe, Inhalt und wenn`s gut geht sogar Sinn. Wenn man aber spürt, der andere schaut nur auf die Uhr, sagt vielleicht noch vorwurfsvoll "was soll ich denn noch machen, ich versuch doch schon alles dass es dir besser geht...?!"... Aber so ist es ja immer mit der Liebe... diese ehrliche Liebe vermag mehr als der Verstand meint...

Das Wort zum Sonntag sprach... nein, Quatsch - ich wünsche euch allen Mut zur offenen, ehrlich kommunizierenden Liebe und die Bereitschaft sich auch einmal "die Schuhe des Gegenübers anzuziehen" und ein Stück sein Leben zu leben...

Dies sind ausschließlich MEINE GEDANKEN UND GEFÜHLE, DIE NICHT ZUR DISKUSSION STEHEN, DENN SIE SIND SO (zur Zeit) und können deshalb FÜR MICH auch NICHT FALSCH sein, auch wenn sie andere Menschen als völlig daneben empfinden mögen. Ich teile sie gern mit, um anderen Menschen einen Blick in meine Welt zu ermöglichen - wie eine Gartenschau, die man als Anregung nutzen, schrecklich finden oder/ und aber nicht 100%ig toll finden muss.

Alles Gute auf Eurem Weg - Petra

HelmutL 25.11.2012 13:09

AW: Woher Hilfe? An wen wenden?
 
Guten Morgen Petra,

hab mal nachgesehen. Sabbimaus war seit ihrem Post nicht mehr on. Vielleicht weiß sie gar nicht, was aus ihrem Thread geworden ist. OK, man kann ja auch als Gast lesen. Trotzdem finde ich, daß diese Entwicklung nicht so ganz daneben ist.

Ich bin überrascht von der Ehrlichkeit und dem Mut (?) mit dem nicht nur du hier schreibst. Deine Posts habe ich mehrfach gelesen. Habe versucht dich zu verstehen und mir Gedanken gemacht. Ich will mir nicht anmaßen, der große 'Versteher' zu sein, dazu fehlen mir die Voraussetzungen. Ich kann nur zurückdenken an meine akute Zeit und auf dieser Basis so einiges für mich nachvollziehen. Das ist für mich der einzige Weg, wenn ich zumindest teilweise verstehen möchte. Trotzdem bleibt das gefährlich, da ich nicht wissen kann, ob meine Gedanken nicht vielleicht doch in die falsche Richtung laufen.

Naja, was soll man sonst machen, wenn man mit jemandem reden möchte in Situationen wie deiner oder anderer aus diesem Thread/diesem Forum. Diese Gefahr muss man eingehen. Du hast es selbst angesprochen und ich auch: jeder ist letztendlich für sich selbst verantwortlich und niemand kann so ganz in die Gedankenwelt des anderen eindringen. Nur, versuchen sollte man es, soweit der andere es zulässt, ansonsten ist alle Schreiberei und jedes Gespräch sinnlos.

Du hast erneut die Liebe zu dem oder der Betroffenen angesprochen. Nun ja, man kann nun wirklich nicht behaupten, daß wir uns alle im üblichen Sinne liebten oder wir reale Freunde wären. Warum also dann? Nenne es Nächstenliebe oder einfach: da ist ein Mensch mit schweren Problemen und dieser Mensch ist mir wichtig und ich nehme ihn ernst. Bereits das sollte Grund und Motivation genug sein. Wenn man so will, auch eine Form der Liebe.

Damals, vor nun fast 5 Jahren, habe ich selber geschrieben: "Ich brauche keinen Psychiater. Ich lasse mir meine Trauer nicht schönreden." Dazu stehe ich auch heute noch. Wohl bemerkt, das gilt für mich, nicht unbedingt für andere. Miteinander schreiben, reden, das ist das gleiche. Eine Lösung habe ich nicht für dich oder andere. Nur, wenn ich schreibe, daß ich das Leben (wieder) schön finde, so gilt das für mich. Für dich und andere heißt das nur, dass ich für mich einen Weg gefunden habe aus genau den gleichen Löchern heraus zu kommen. Ein Beispiel also, das sicherlich ein bisschen Mut machen kann (und auch soll ;)).

Genau wie du habe ich mich auf diese schwarzen Löcher eingelassen. Voll! Es war grausam. Die Frage ist, wie komme ich da wieder raus? Denn ein Scheitern hätte katastrophale Folgen für mein Leben gehabt. Ich denke, da unten, ganz tief, da steht das Gespenst der Depression im Raum. Nimmt sie einen in Besitz, dann kommt man ohne fremde Hilfe nicht mehr raus aus dem Loch, weil man es vielleicht nicht mehr will, man keinen Willen mehr besitzt. Du hast das angesprochen. Der einzige Ausweg bleibt die Katastrophe für das Leben. Wobei man das vermutlich dann gar nicht als solche ansieht? Doch was spricht gegen ein zeitweises Funktionieren in der Oberwelt? Nichts. Dieses Recht hat man. Nicht die Pflicht.

Neulich sah ich einen Film über Gletscher in Island. Zwei Forscher kletterten in eine Gletscherspalte. Das Eis knackte vernehmlich, es war in Bewegung. Jederzeit könnte die Spalte ruckartig enger werden, zugehen. Die einzige Sicherung waren Seile, die oben von anderen gesichert wurden. Im Notfall könnte man die Beiden schnell nach oben ziehen. Was brauchten die Beiden da unten in der Spalte, um sich in eine so große Gefahr begeben zu können? Risikobereitschaft, Mut, Vertrauen und Menschen, die oben standen und im Notfall eingreifen können. Ohne diese wird das Ganze zum Glücksspiel. Tausendmal kann es gut gehen. Beim tausendunderstenmal geht die Spalte zu. Ok, das wars dann. Ende.

Vertrauen nicht nur in andere, vor allem auch in sich selbst. Daß man zumindest glaubt, genug Kraft zu besitzen, im Notfall wieder nach oben zu kommen. Und in die Anker, die ins Eis geschlagenen Haken. Für mich waren es meine Kinder, ganz besonders meine Enkel, und nicht zuletzt Freunde. Die sagten: "Seil dich ab. Geh runter. Ich halte dich." Nur wer unten ist, kann auch wieder nach oben klettern im Bewusstsein der Gefahr. Das ist wohl bemerkt ein Weg. Ganz sicher nicht der einfachste, ungefährlichste, und bei weitem kein Muß. Doch je nach individueller Situation ohne Alternative. Man sucht ihn sich nicht aus.

Das ist jetzt auch nicht das Wort zum Sonntag ;). Nur so meine Gedanken.


Fühl dich gedrückt,

Helmut

Petra_S 25.11.2012 14:38

AW: Woher Hilfe? An wen wenden?
 
Hallo zusammen, insbesondere hallo Helmut!

Vorab, nein ich sehe es nicht als Diskussion. Du hast mir deinen "Garten" gezeigt, vielen Dank, dass auch Du die Tür aufgemacht hast. Du sagst nicht meine Stauden stehen an der falschen Stelle, sondern Du sagst, Du hast Deine lieber da oder da hin gepflanzt, weil Du meinstest das sei besser. Völlig okay für mich. Wie Du schreibst, die Bedingungen für jede Pflanze sind in jedem Garten anders, die Möglichkeiten usw., usw. ...

Zitat:

Neulich sah ich einen Film über Gletscher in Island. Zwei Forscher kletterten in eine Gletscherspalte. Das Eis knackte vernehmlich, es war in Bewegung. Jederzeit könnte die Spalte ruckartig enger werden, zugehen. Die einzige Sicherung waren Seile, die oben von anderen gesichert wurden. Im Notfall könnte man die Beiden schnell nach oben ziehen. Was brauchten die Beiden da unten in der Spalte, um sich in eine so große Gefahr begeben zu können? Risikobereitschaft, Mut, Vertrauen und Menschen, die oben standen und im Notfall eingreifen können. Ohne diese wird das Ganze zum Glücksspiel. Tausendmal kann es gut gehen. Beim tausendunderstenmal geht die Spalte zu. Ok, das wars dann. Ende.
Zwei FORSCHER – wo meinst Du liegt die Entsprechung? Diese Forscher klettern freiwillig in die Spalte um zu Forschen. Meinst Du der Trauernde, der sich entschließt in die „Gletscherspalte der eigenen Trauer" hinab zugleiten, um dann mit Erkenntnissen über sich und die Welt wieder heraus zu kommen ist die “Entsprechung“? Okay – gehen wir davon aus. Das ist dann eine bewusste Entscheidung, zu der man den Mut aufbringen muss. Wobei ja der Haken eigentlich schon ist, dass es ein FORSCHER ist – was heisst sein Beruf entspricht ja schon dieser Aufgabe, des Hinabkletterns. Der Trauernde ist somit ja nicht aus Berufung Forscher, sondern unfreiwillig dazu gekommen nun AUCH Gletscherspalten auf seiner Lebenswanderung zu finden.

Also wäre mir lieber das Bild eines begeisterten Gletscherwanderers = ein Mensch der offen durch sein Leben wandert, wohl wissend um die Gefahren, wenn er sich voll darauf einlässt… Der Lebensweg eine Gletscherwanderung… Dieser begeisterte Wanderer stürzt innerhalb kürzester Zeit (14 Jahre) immer wieder in die Trauer-Gletscher-spalte, durch den Verlust (3 mal immer der beste Freund und Lebensgefährte und auch weiterer anderer). Es gibt auch etwas andere Gletscherspalten, auch gefährliche (auch nahestehende, geliebte Menschen) – aber die „Lebensgefährtespalten“ sind besonders gefährlich und tief, weil sie so eng mit der eigenen direkten Zukunft verbunden sind. Gut, die Zeiten des unten Hockens und Käfte sammelns werden länger, der Strick wird spöder, die Menschen oben verlieren auch die Kraft, mancher geht und kann nicht mehr mit hoch ziehen….die eigene Kraft schwindet… Kann man es verübeln, dass die Begeisterung für die Gletscherwanderungen schwindet???

Natürlich ist oben ein toller Sonnenschein, eine super Landschaft und Chancen… Jedoch eben auch Gletscherspalten … und eine Gesellschaft, die auf ihren Hochglanzfotos nur die strahlenden, glitzernden Eisberge in tollem klaren Sonnenlicht verkaufen will, die Gletscherspalten verschweigent. Eine Gesellschaft, die in der Werbung suggeriert, eine KOMPLETTE (perfekte) Familie isst die PERFEKTEN Sonntagsbrötchen 8in dem perfekt eingerichteten Haus), wenn man mal KEINE ZEIT für Schmerzen hat, nimmt man die und die (perfekte) Tablette und schon strahlt man wieder (wie gewünscht) und funktioniert tadellos (wenn sie dürften, würden sie behaupten es sei besser als vorher!), Politiker streiten sich in Talkrunden bar jeden Anstandes und Respektes, unehrlich bis zum schlecht werden, Frisuren, Figuren und Talente werden hochgeputsch, während im Sender nebenan eine Nonne über die Welt in Pakistan erzählt im Glimmerglänzelicht stehend, manche Zuschauer sehen verschämt weg, andere zupfen Frisur und Kleid zurecht, schauen pikiert, wie diese Dame diesen tollen Glänzeglitterabend versauen kann, mit ihren unangenehmen Schilderungen des Lebens, Vegetierens in den Gletscherspalten…. Diese Welt will mir/ uns erzählen, dass WIR uns „unnormal“ verhalten und ENDLICH wieder normal so wichtigen Dingen widmen müssen wie dem Weihnachtsbraten, dem 120igsten Antrag auf einen Antrag um dann 12,50€ mehr in der Tasche zu haben, die wir dann der EON weiterreichen?
So finde ich es legitim, dass ich mir täglich überlege, ob ich zu Hause bleibe, mich von der „normalen“ Welt zurück ziehe oder loslaufe, mich wieder auf das Gletschereis begebe, nicht mehr aus Begeisterung, aber ggf. evtl. mal einen anderen Wanderer, der wie Hans-guck-in-die-Luft NUR das Hochglanzfoto zu finden versucht, auf die Gletscherspalte zwei Schritte vor ihm , aufmerksam mache. Oder mit an einem Seil zu ziehen, wo niemand oder wenige Entkräftete ziehen… Aber auch dazu muss man sich entschließen, jeden Tag neu seine eigene Kraft prüfen, jeden Tag neu WOLLEN KÖNNEN.

Zitat:

Vertrauen nicht nur in andere, vor allem auch in sich selbst. Daß man zumindest glaubt, genug Kraft zu besitzen, im Notfall wieder nach oben zu kommen. Und in die Anker, die ins Eis geschlagenen Haken. Für mich waren es meine Kinder, ganz besonders meine Enkel, und nicht zuletzt Freunde. Die sagten: "Seil dich ab. Geh runter. Ich halte dich." Nur wer unten ist, kann auch wieder nach oben klettern im Bewusstsein der Gefahr. Das ist wohl bemerkt ein Weg. Ganz sicher nicht der einfachste, ungefährlichste, und bei weitem kein Muß. Doch je nach individueller Situation ohne Alternative. Man sucht ihn sich nicht aus.
Das war DIESES Mal DEIN Weg – unbestritten toll, wirklich! Hast Du so viel Vertrauen in Dich, Dein Leben, Deine Überzeugung, dass Du weisst, das kannst Du noch ein, zwei, dreimal – immer wieder raus aus der Lebensgefährtengletscherspalte… und wirst immer wieder los marschieren?

Auch meine Fragen, kein Angriff, nichts dahinter - eine Frage ist eine Frage nicht mehr und nicht weniger. Und aufrichtigen Dank für Deine Zeit, Deine Führung durch Deinen Garten... ! Staunen, wundern, nachmachen, Anregungen holen, sich gegen die Gartenarbeit entscheiden... alles erlaubt, menerseits!

Einen angenehmen, "Früchte treibenden" Sonntag noch...egal wodurch.
Petra

HelmutL 28.11.2012 20:13

AW: Woher Hilfe? An wen wenden?
 
Hallo Petra,

ich beginne mal von hinten. Auch ich stelle ja Fragen. Oft ohne Fragezeichen.

Das 1. Mal erlebe ich gerade. Ich denke, das geht ganz gut. Wie es das 2. Mal wird, kann ich nicht wissen. Ich weiß ja nicht einmal, ob es ein 2. Mal geben wird, doch es könnte durchaus. Vielleicht bin ich derjenige, der dieses 2. Mal bei jemand anderem auslöst. Wie auch immer kann ich nur sicher sein, überzeugt sein, daß ich die Kraft habe, das auch zu überstehen (wie auch umgekehrt). Wie? Keine Ahnung. Das kann man nicht wirklich im Voraus wissen. Nur glauben, hoffen und den Mut haben, sich überlegt darauf einzulassen.

Du hast es ein 3. Mal versucht (ich hoffe, ich habe das richtig gelesen) und es ist ein 3. Mal passiert. Wie das bei mir dann ausgehen könnte, da kann ich weder wissen noch glauben. Ich kann mir jedoch durchaus vorstellen, daß da alle Hoffnung mit begraben wird. Ist es so, als sagte man einem Beinamputierten: "Du atmest ja noch. Jetzt lauf mal schön weiter!"? Dabei schafft er es gerade mal, sich mühsam mit blutenden Händen über den Boden zu schleppen. Natürlich kann auch ein so geschlagener Mensch wieder bescheidene Freude am Leben gewinnen. Vielleicht sogar mehr und echter als so mancher sogenannter gesunder Zeitgenosse. Ich kann jedoch auch verstehen und akzeptieren, wenn er sagt: "Ich will nicht mehr!" So schwer mir das auch fällt. Jedoch das mir auf mich selbst bezogen ausmalen, das kann ich nicht. Weder das eine noch das andere. Ich werde mich auch hüten, das zu tun. Es könnte sich als schrecklicher Irrtum herausstellen.

Ok. Forscher in dem Zusammenhang ist blöd. War halt in dem Film so. Ein Forscher will ja Erkenntnisse gewinnen, die nützlich für die Menschheit sind und viele wollen diese Ergebnisse ja auch hören. Deine hingegen oder meine? Wer? Vor allem wem nützen sie? Einer handvoll Menschen in der interessierten Umgebung (incl. Forum) vielleicht und da auch nur individuell bedingt und zudem ist die Fähigkeit und/oder der Wille helfen zu wollen stark von der eigenen Tagesform abhängig. Wie du schreibst: den Wanderer vor einer Gletscherspalte warnen und ihm Anregung geben, wie er vielleicht wieder herauskommen könnte, falls er trotzdem hinein stürzt. Oder falls er bereits drinn steckt, ihm dann wenigstens eine warme Jacke reichen und einen heißen Tee, falls man kein Seil zur Hand hat oder zu schwach zum Ziehen ist. Oder einfach mit ihm reden, falls man dazu die Kraft hat.

Forscher bin ich nicht in der Gletscherspalte. Da bin ich Opfer. Forscher (aus Eigennutz) kann ich auf dem mühsam erklommenen Berg sein, um nach meinem Ich Ausschau zu halten. Doch über mich selbst was lernen konnte ich auch als Opfer. Im Nachhinein. Denk ich mal. Für mich ist das so. Geht das? Einmal Opfer und einmal Forscher sein? Verdammt schwer. Für manche vielleicht unmöglich?


Ganz liebe Grüße,

Helmut


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