
musste grinsen, als ich soeben las ... mindestens 2 User haben hier gelesen und Herbert ist verschwunden. Ich habe nichts gegen Herbert, bestimmt ein netter Mensch aber, Rosita, du hast recht: Helmut passt besser zu mir.
So, dann mal guten Tag
Hallo Claudia,
danke für dein Schreiben und schön, dass du dich noch an meine Schwiegermutter erinnerst. Du schreibst "in eigener Sache". Hat das einen persönlichen Hintergrund? Wenn ja, du kannst mich gerne auch mal per PN anschreiben.
Ja, wie geht es ihr? Gut, schlecht .... wer kann das bei dieser Krankheit tatsächlich genau wissen. Wir sehen als Angehörige die Symptome. Was in ihrem Inneren vorgeht, das können wir lediglich höchstens ahnen. Ob da alles friedlich ist? Keine Ahnung. Nach außen hin schon. Sie zeigt keinerlei Agression, ist immer gut gelaunt, lacht viel und ist ständig am erzählen.
Neulich hab ich sie beobachtet. Sie saß mit anderen Bewohnern zum Kaffeetrinken am Tisch und sie unterhielten sich. Sie erzählte, es gab beifallendes Nicken, mal ernst, mal lachend, Antworten, andere erzählten ihre Geschichte. Eine Szene, wie man sie in jedem Kaffeehaus auf der ganzen Welt nicht normaler erleben kann: ein paar adrette, ältere Damen beim Kaffeekränzchen. So weit, so gut ....
... solange man das aus der Entfernung betrachtet und nicht hört,
was sie sich erzählen. Es ist immer und immer wieder die gleiche Geschichte, die man sich erzählt. Jede eine andere und jede für sich. Es ist kein normales Gespräch. Niemand geht auf die Geschichten der anderen ein. Eine stereotype Wiederholung immer der gleichen Geschichten mit geringen, begrenzten Abwandlungen. Ein wirklicher Austausch findet nicht mehr statt. Ist ja auch kein Problem unter den Bewohnern im Heim. Sie vergessen sofort wieder. Sowohl das Gehörte als auch, dass sie bereits ihre Geschichte erzählt haben. Sorry, es ist nicht abwertend gemeint, es ist Fakt: man kann den gleichen Witz erzählen, immer wieder würden sie sich krümmen vor Lachen. Für sie ist der Witz immer wieder neu. Innerhalb von Sekunden vergessen sie, den Witz gerade soeben gehört zu haben.
Es ist die gleiche Geschichte, die auch sie uns immer wieder erzählt und wenn sie zu bei uns zu Hause ist das gleiche Bild. Eine Unterhaltung mit ihr ist nur noch rudimentär möglich. Auf die Frage, wie es ihr ginge, kommt die Antwort: "Es geht mir gut. Heute war ....." und dann kommt ihre Geschichte. Eine andere 'Unterhaltung' ist nicht mehr wirklich möglich.
Ob sie uns noch erkennt? Manchmal ja, manchmal nein. Unsere Namen kennt sie alle. Nur die ihrer Enkel kennt sie oft nicht. Nur, sie kann unsere Namen meist nicht mehr zuordnen. Meist erkennt sie wohl nur bekannte Gesichter. Es kommt vor, dass sie mich mit "Hallo, Helmut" begrüßt um mir dann Sekunden später zu erzählen, dass "der Helmut" sie gestern besucht hat, was sie dann wieder elegant in ihre ewige Geschichte einfädelt. Obwohl das gar nicht stimmt. Sie schaut mir dabei voll ins Gesicht.
Man kann auch nicht mehr zu ihr sagen: "Wir gehen an's Fenster." Nach 2 oder 3 Schritten geht sie dann in eine andere Richtung. Man muss sie bei der Hand nehmen, sie hat jede Orientierung verloren. Ihr Zimmer findet sie trotz eines riesengroßen Namensschildes schon lange nicht mehr. Im Auto findet sie den Türriegel nicht mehr und selbst von außen kann sie die Autotür nicht mehr öffnen. Ist die Autotür dann geöffnet, man steht daneben und sagt "Bitte einsteigen" kommt die Frage: "Da rein??"
Sie ist erschreckend klein geworden und hat sehr viel abgenommen. Ist seit einiger Zeit schon auf Normalgewicht. Was nicht verkehrt ist. Früher hat sie viel gesessen und Süßigkeiten waren immer reichlich zu Hause und für Nachschub war gesorgt. Körperlich ist sie gut in Schuss.
Bis auf eines und das gab letzte Woche und Anfang dieser Woche ordentlich Aufruhr. Sie hatte sich Ende letzten Jahres am rechten Innenknöchel wund gelaufen. Der Arzt, der auch ihr ehemaliger Hausarzt war, wusste Bescheid und wir wähnten uns und sie in Sicherheit. Der Grund: sie hat seit langen Jahren eine starke Veneninsuffizienz und daher immer wieder mit einem offenen Bein zu kämpfen. Der Arzt war damals gut und rührig, zu Hause konnten wir ihr auch helfen. Das Heimpersonal jedoch ist bei so was überfordert. An und für sich verständlich, da sich heute zwischen Personalplanung und Personaldeckung eine riesige Schlucht auftut. Warum auch immer. Egal.
Letzte Woche stellten wir fest, dass sich aus der leichten, jedoch in so einem Fall keineswegs harmlosen, oberflächlichen kleinen Schürfwunde eine offene, etwa 4 mal 5 cm große, eitrige Wunde entwickelt hat. Bei Einsichtnahme der Patientenakte stellte ich dann fest, dass der Arzt fast 5 Wochen zuvor das letzte Mal bei ihr war

. Immer noch sehr höflich hab ich dann nachgefragt: wieso, weshalb und warum. Klar, man hat die Wunde behandelt. Was ja auch zu sehen war und Schwiegermutter hat immer wieder an dem Verband gefummelt, was ich selbst auch schon mal beobachtet hatte. Über Schmerzen beim Gehen hat sie nie geklagt und dass die Behandlung sehr langwierig ist, das wussten wir auch. Ihre mit sofortiger Wirkung neue Hausärztin, die wir am nächsten Tag besuchten, gebrauchte den Ausdruck "grenzwertig" als sie von den fast 5 Wochen erfuhr. Dabei schaute sie mich entgeistert an. Sie hat sich dann sofort um einen medizinischen Dienst gekümmert, der ab diesem Tag die Wundversorgung in Abstimmung mit ihr übernimmt.
Natürlich passiert so was immer am Wochenende. Als ich Montags dann um einen Termin mit der Heimleitung bat, war das 'wunderbarerweise' kein Problem. Bereits am nächsten Morgen war ein Termin frei. On y soi, qui mal y pense (Schlecht ist der, der schlecht darüber denkt) dachte ich da nur. Meine Jüngste und ich, beide zunächst auf 180, doch seeehr höflich, konnten dann in einem guten Gespräch die Linie für die Zukunft in gegenseitigem Einvernehmen und Verständnis zwischen Heim- und Stationsleitung und uns ziehen.
Eines hat mich bei dem Gespräch jedoch geschockt: wir sind Aliens!

Meine Töchter und ich. Es ist durchaus
nicht üblich, dass sich die Verwandten so intensiv bemühen. Die weitaus meisten sind gar nicht interessiert daran, was ihre Altvorderen auf solchen Stationen so machen. Ab und an mal ein Besuch, ne Tasse Kaffee und schon ist das Gewissen beruhigt. Toll, oder?
Ein langes Schreiben und deprimierend zu lesen. Warum ich das so ausführlich beschrieben habe? Dazu gibt es mehrere Gründe.
Zum Ersten, weil du, Claudia, gefragt hast. Danke für dein Interesse.
Zum Zweiten, weil ich weiss, dass so einige hier ebenfalls mit Alzheimer und Demenz ihrer Angehörigen zu tun haben. Ich möchte damit um Verständnis werben für die Betroffenen und noch viel mehr um Verständnis für die Angehörigen, den Co-Betroffenen. Möchte sie, und andere auch, sensibilisieren (sofern nicht schon geschehen) für die Problematik dieser Krankheit. Sie sind es, die die geballte Ladung dieser heimtückischen Krankheit aus zu halten haben, die agieren müssen. Die Betroffenen selbst bekommen davon in der Regel nichts mehr mit.
Zum Dritten. Die Menschen mit dieser Krankheit und ihren zahllosen Varianten sind in diesem Stadium absolut hilflos. Sie können nicht mal mehr kommunizieren mit uns. Beispiel: die neue Ärztin behandelte die Wunde. "Tut das weh?" fragte sie. "Ja", war die Antwort. Ein paar Sekunden nach der Behandlung fragte sie (mit Absicht): "Haben sie Schmerzen?" "Nein", war da die Antwort. Und sie hat Schmerzen. Wir wissen das. Sie nicht mehr.
Zum Vierten. Ok, ich weiss, das ist kein Thema des KK. Doch es tut mir gut, das alles von der Seele zu schreiben. Ich denke dabei nach, ich verarbeite. Zum Glück gibt es auch einen verständnisvollen Menschen, mit dem ich reden kann. Ansonsten ist man irgendwann reif für die Klappse.
"Wir sind die Gedanken von unserer Oma (oder Schwiegermutter)". Meine Jüngste hat den Satz geprägt. Es ist so.
Danke für's Lesen und Zuhören,
Helmut